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'Der Zauberer und die Politik' Thomas Mann und die Umbrüche des Zwanzigsten Jahrhunderts

AutorChristian Heinzelmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl72 Seiten
ISBN9783638469296
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 2,0, Universität Mannheim, 92 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Mein Fokus liegt darauf, Manns politisches Denken aufzuzeigen, teilweise zu bewerten und zu untersuchen, inwieweit es denn Konstanten und Veränderungen in Manns politischem Denken gibt. Gerade in diesem Punkt gibt es noch kaum Forschungsliteratur. Um Veränderungen und Konstanten aufzuzeigen gehe ich nicht wie viele Titel, die sich mit Thomas Mann beschäftigen, chronologisch vor, sondern ich habe mir zwei Fixpunkte im Leben Thomas Manns ausgewählt, an denen ich seine politische Haltung beleuchte und abschließend im dritten Kapitel anhand von Grundvariablen seines politischen Denkens vergleiche. Meine Gliederung erscheint historisch, und das mit gutem Grund. Thomas Manns politisches Denken war geprägt von seinem Verhältnis zu seinem Vaterland. Damit ist es wichtig Deutschland zentriert zu arbeiten. Zum anderen war einer der Erklärungsansätze, die Thomas Mann für den deutschen Faschismus hatte, das Fehlen einer Revolution in Deutschland. Es macht also Sinn, Thomas Manns Haltungen zur Politik, sein Politikverständnis und seine Begrifflichkeit an den beiden revolutionsartigen Veränderungen Deutschlands 1918/19 und 1945 festzumachen. Ich halte mich nicht dogmatisch an die beiden Jahreszahlen, sondern betrachte den darum liegenden Zeitraum. Ich denke, dass meine Vorgehensweise hilft aus dem oft plakativen Verständnis Mannscher Politik auszubrechen, weg von den Phrasen, dass Thomas Mann unpolitisch war und 1922 dann von jetzt auf nachher Republikaner wurde und das Thomas Mann um 1945 mit seinem Antifaschismus seine ehemalige politische Denkweise vollkommen aufgegeben hat. Ich weise nach, dass es in Thomas Manns politischem Denken doch überraschende Konstanten zwischen 1919 und 1945 gibt aber auch genauso überraschende Brüche.

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Leseprobe

Teil 2 Thomas Mann und die Umbrüche um 1945


 

Kapitel 1: Propaganda

 

Auch im Zweiten Weltkrieg verfasste Thomas Mann Kriegspropaganda, nicht in Form von Essays, sondern als klassische Propaganda in Form von kurzen Radioansprachen, die von der BBC nach Deutschland und ins besetzte Europa ausgestrahlt wurden.

 

Thomas Mann wandte sich damit gegen sein Vaterland, wurde aber in seinem literarischen Nationalismus noch bestärkt – zwar nicht durch die Deutschen, aber durch ihre Gegner. Manns Ziel war es immer als Nationaldichter des zwanzigsten Jahrhunderts wahrgenommen zu werden. Die Briten erfüllten Mann jenen Traum, indem sie ihn fragten, ob er nicht Rundfunkreden an die Deutschen senden wolle. Das Herantreten der BBC an Thomas Mann zeugte nicht nur von der historisch-literarischen Bedeutung, die ihm beigemessen wurde, sondern auch von einer politischen Bedeutung Manns, die er keineswegs widerstrebend annahm. Anscheinend erschien Thomas Mann als einer, der rhetorisch in der Lage war die Deutschen zu erreichen, der einen hohen gesellschaftlichen Status unter den Intellektuellen in Deutschland aber auch im besetzten Europa genoss, und dem man politische Propagandareden zutraute. Die BBC nahm für die Ausstrahlung der Reden Manns einen großen finanziellen und technischen Aufwand in Kauf. Ein Aufwand, der nicht selbstverständlich erschien, betrachtet man die ökonomische Lage Großbritanniens im Jahr 1940, in dem Mann auf Sendung ging. Die BBC musste Thomas Mann ein Honorar bezahlen und ebenso die amerikanische Infrastruktur in Dollar bezahlen[79], was bei einer sehr restriktiven Devisenpolitik in Kriegszeiten nicht eben selbstverständlich erschien, aber die Propaganda durch den Nobelpreisträger schien wohl jene Investition wert zu sein.

 

Thomas Man gebrauchte den Begriff „Service“ für die Radioreden. Er sah sie als Dienst an Deutschland an. Ähnlich wie die Betrachtungen zu schreiben scheinen auch die Rundfunkreden ein persönliches Muss für den Künstler gewesen zu sein. Während die Betrachtungen aber keine „fröhliche“ Arbeit waren, sondern eher eine Pflicht, schreibt Mann in einem Brief, dass es ihm gut tut, ausfallend gegen Schicklgruber[80] in seinen Rundfunkansprachen zu werden.[81]

 

Thomas Mann ist in seinen Rundfunkansprachen nach Deutschland Ankläger, Warner, Zeuge, Prophet und auch Freund der Deutschen.[82] Für Kurt Sontheimer sind die Deutschen Hörer! ein Bekenntnis Manns zu Frieden, Freiheit und abendländischer Kultur. Die Hörfunkreden sind eine bittere, unnachgiebige Anklage gegen das nationalsozialistische Deutschland und seine Führer und auch gegen den Krieg, den sie vom Zaun gebrochen haben.[83] Man kann aber nicht sagen, dass äußere Umstände[84] Thomas Mann dazu getrieben haben, Propaganda für die Alliierten zu betreiben. Von vorneherein stand in jenem Konflikt bereits fest, wer moralisch und menschlich agiert. Thomas Mann musste sich kein Konzept zurechtlegen, um den Krieg moralisch oder philosophisch einzuordnen.  Thomas Mann hat als Humanist aus freien Stücken Propaganda betrieben. Jene Propaganda war nicht nur ethisch gerechtfertigt, sondern sie unterstützte auch seine Selbstverliebtheit, indem er als „deutsche Kultur“ nach Deutschland sprechen konnte.

 

All die zuvor genannten Rollen nimmt er aber nicht gleichzeitig an, vielmehr ist in seiner Propaganda eine deutliche Dreiteilung zu erkennen. Zu Beginn der Sendungen nach Europa war Manns Propaganda negativ gegen die Deutschen und die Nazis gerichtet, das änderte sich ab dem Jahr 1941, Mann spricht das deutsche Volk direkt und positiv an, verlangt jedoch das Unmögliche, eine Revolution von innen – die Politisierung der Massen gegen ihre Regierung:

 

Ein Volk, das frei sein will, ist es im selben Augenblick. Ginge in den deutschen Städten einmütig das Volk auf die Straßen und riefe: „Nieder mit Krieg und Völkerschändung, nieder mit Hitler und allem Hitler-Gesindel, Freiheit, Recht und Friede für uns und alle!“ die Nazis würden erkennen, daß(sic!) sie verspielt haben: sie würden schießen, natürlich, aber ein Abenteurer-Regime, das auf das Volk schießen lassen muß(sic!), ist am Ende, und so viel von eurem Blut, wie in Rußland(sic!) fließt, würde die deutsche Erhebung nun einmal sicher nicht kosten. Deutsche, noch immer hoffen die freien Völker auf euch, bis zum letzten Augenblick werden sie auf euch hoffen.[85]

 

Bis 1944 sind die Deutschen Hörer! ein klassisches Propagandainstrument, Mann verlangt verkürzt das, was er selbst für unmöglich hält, eine Revolution in Deutschland. Manns Propaganda folgt hier klassischen Mustern, die man sicherlich auch in anderen, nicht von Künstlern verfassten Propagandaschriften aufzeigen kann.

 

Gegen Ende des Krieges, als die Niederlage der Deutschen abzusehen war, beschäftigt sich Mann schematisch mit einer möglichen Nachkriegsordnung. Mann spricht in diesem Zusammenhang von Schuld und Schande, die die Deutschen auf sich geladen haben.

 

Manns Rhetorik in Deutsche Hörer! ist verkürzt auf seine klassischen Argumentationen. Er bedient sich christlichen Begrifflichkeiten, indem er den Krieg auf einen Kampf zwischen Gut und Böse verkürzt, personifiziert durch Roosevelt und Hitler. Phasenweise ist ein didaktisches Vorgehen zu erkennen, das Mann aber immer wieder selbst gefährdet, da er bei seiner, wenn auch verkürzten, politischen Ästhetik bleibt. Politische Grundthesen, auch in Deutsche Hörer!, sind immer noch, dass die Deutschen weder zu Revolution noch zu Politik fähig seien, dass das Böse gleichermaßen wie das Gute im Volkscharakter veranlagt sind und die Deutschen damit ideales Werkzeug für das Böse seien.

 

Deutsche Hörer! erscheint nicht wie Mehring aufführt als dialektische Ästhetik[86], sondern als politische und stellenweise christliche Dialektik. Damit sind Deutsche Hörer! das politischste Werk Thomas Manns, nicht nur wegen der Ausnahmestellung als Radioreden, während Manns andere Äußerungen, die Politik betreffend, in Form von Essays oder Briefen in Erscheinung traten, sondern wegen dem Verzicht auf weite Teile seines ästhetischen Denkschemas und der Monatsaktualität der Ereignisse.

Deutsche Hörer! dienten Mann aber auch dazu, neue Konzepte seiner politischen Begrifflichkeit zu entwickeln. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus bedeutete nämlich auch, sich die Frage zu stellen, wie denn eine ideale Staatsform auszusehen hat. Es bedeutete, sich mit der Zukunft der europäischen Nationalstaaten auseinanderzusetzen und es bedeutete, sich mit einem neuen Demokratiekonzept und damit indirekt auch seiner neuen Heimat den USA auseinanderzusetzen .

 

Kapitel 2: Eine politische Theorie um 1945?

In Manns Denken, den politischen Essays, den Radioansprachen, den Briefen an Agnes Meyer ist eine politische Theorie zu erkennen, die nicht mehr nur ästhetisch, sondern auch in klassischen Begriffen politisch ist. Zur Verteidigung des vermeintlich Unpolitischen muss man aber anführen, dass die Politik um 1945 Thomas Mann aufgezwungen wurde. In den Kriegsjahren war der Künstler moralisch herausgefordert in Deutsche Hörer! ein Konstrukt zu entwickeln, das als moralisches Gegengewicht zum Nationalsozialismus dienen konnte, und unmittelbar nach Kriegsende wurde er, Thomas Mann, mit den Anfragen aus Deutschland bezüglich einer Nachkriegsordnung und seiner Rolle darin konfrontiert. 

 

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und den ersten Jahren der Nachkriegszeit machen sich neue Denkschulen in Thomas Manns Aussagen bemerkbar, die nicht nur aufgrund ihres Inhalts auffallend sind, sondern im auffallenden Mangel an ästhetischen Bezugspunkten. Daher ist es angemessen zu behaupten, dass Thomas Manns Äußerungen im amerikanischen Exil, zumindest im Zeitraum von ca. 1943-1945, erstaunlich politisch fundiert und wenig künstlerisch erscheinen. Manns politische Theorie, nicht aber seiner Herangehensweise an die Politik,  in jener Zeit erscheint erstaunlich losgelöst von seinem Vaterland.   

 

Mann bewertete Staatsformen unter der Prämisse, ob diese Frieden und damit Humanität gewährleisten können. Er wendet sich damit gegen alle Staaten, die eine offensive, ideologische Politik betreiben.  Der Idealzustand hierfür erschien während des Krieges die wehrhafte Demokratie[87] zu sein. Der künstlerische Begriff der Freiheit bekommt damit einen politischen Aspekt. „Freiheit, politisch verstanden, ist vor allem ein moralisch-innenpolitischer Begriff.“[88]  In Manns Aussagen um 1945 sind drei unterschiedliche Demokratietheorien zu identifizieren.

 

Die Pluralistische Demokratietheorie, heutzutage hauptsächlich vertreten durch Robert Dahl und basierend auf der ökonomischen Theorie der Demokratie von Downs. In jenem Denkschema  bezieht sich Thomas Mann auf den liberalen Pluralismus der USA, der ihm finanziellen Wohlstand und künstlerische Freiheit in Rede und Meinung garantierte. Die liberale, pluralistische Demokratie erschien im Zweiten Weltkrieg als einzige Staatsform, die ökonomisch und militärisch in der Lage war dem Faschismus Einhalt zu gebieten. Und sie ermöglichte es Mann trotz der amerikanischen Staatsbürgerschaft,...

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