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E-Book

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Ein Reisebericht

AutorJean Paul
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl188 Seiten
ISBN9788026806110
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Ein Reisebericht von hin- und mitreißender Erzählkunst: Jean Paul nimmt uns mit auf seine wundersamen, phantastischen Luftschiffs-Aus?üge, die über verschiedenste deutsche Landschaften und Städte bis zu den Schweizer Bergen führen. Jean Paul (1763 - 1825; eigentlich Johann Paul Friedrich Richter) war ein deutscher Schriftsteller. Er steht literarisch gesehen zwischen Klassik und Romantik. Die Namensänderung geht auf Jean Pauls große Bewunderung für Jean-Jacques Rousseau zurück. 'Er war ein Träumer und Phantast, ein eigenwilliger Humorist und ein Idylliker, er war ein Schriftsteller, der die Kategorien der Literaturgeschichte sprengt. So sind denn auch die Helden seiner Romane und Erzählungen: Individuen, die es schwer haben, ihren Platz im Leben zu finden, und deren Seelenleben von der verblüffenden Menschenkenntnis des Autors zeugt.' Marcel Reich-Ranicki

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Leseprobe

Zweite Fahrt


Endigung der ersten – die Krötenritter – Frosch-und Mäusekrieg im Fürstentum Vierreuter



In Luftschiffs-Journalen muß Ordnung sein; ich fange wieder an.

Vorgestern am Auffahrtstage war ich um die Welt nicht her unterzubringen auf diese; vom unsteten Wehen ließ ich mich über Sachsen hin-und herwürfeln. Ich oder der neue Trabant um die Erde mochte ihnen drunten etwan die scheinbare Größe des alten haben. Mein Tischgebet verrichtete ich vor einem weichen Ei, das ich mir in Dintenwein3 auftrug. Ich könnte ein pläsantes Leben hier oben führen, wenn ich mich nicht den ganzen Tag über alles erboste, was ich mir denke und finde. Schon drunten war ich oft imstande, tagelang die Stube auf-und abzulaufen und die Faust zu ballen, wenn ich über die böse Zwei (die böse Sieben für mich), über Ungerechtigkeit und Aufblasung reflektierte und mir die greuliche Menge der Schnapphähne und der Krähhähne vorsummierte, die ich in so vielen Ländern und Zeiten muß machen lassen, was sie wollen, ohne daß ich den einen die Sporen, den andern den Kamm abschneiden, dort Köpfe, hier Fenster einschlagen könnte. O Bruder Graul, kennst du auch den Ingrimm, wenn der Mensch sich vergeblich ein paar Sündfluten oder Jüngste Tage oder einen mäßigen Schwefelpfuhl wünscht, und es wie ein fauler Hund mit anschauen muß, wie zahllose Blut-und Schweinsigel, Kirchenfalken und Staatsfalken – in allen Ländern, Departements und den drei Zeit-Dimensionen – ungestraft saugen, stechen, stoßen und rupfen; – wie sie, gleich dem grünen Wasserfrosch, der die bewohnten Schneckenhäuser verdauet, Häuser und Länder verdauen; – wie sie (die besagten Bestien) wie der Ochse des Phalaris sogar den Schrei des Menschenschmerzes in das Brüllen einer wilden Tierstimme verkehren? – O könnte man nur eine Woche lang als ein hübsches volles Gewitter über die Menschenköpfe ziehen und sie zuweilen berühren von oben herab, so wollt’ ich nicht klagen!

Da ich vorgestern über ein Dutzend Marktflecken und ein halbes kleiner Städte wegging und durch meinen gläsernen Fußboden und mein englisches Kriegsperspektiv herunterguckte in die Gärten und Gassen und an die Fenster mitten unter die Visiten-Komödien mit Chören hinein: so sagt’ ich: ihr armen Sünder allzumal, wollte Gott, ich wäre ein Platzregen! – Graul, du glaubst es nicht. Einer Sedezstadt zuzusehen, das passiert; aber eine ganze Sedezstädte-Bank, eine Austernbank, von oben zu überschauen, das chagriniert. Ich sah in 22 Gärten von mehreren Zwergstädten auf einmal das Knicksen, Zappeln, Hunds-, Pfauen-, Fuchsschwänzen, Lorgnieren, Raillieren und Raffinieren von unzähligen Zwergstädtern, alle (was eben der wahre Jammer ist) mit den Ansprüchen, Kleidern, Servicen, Möblen der Großstädter. – Hier in der einen Tanzkolonne die Sedezstädterinnen mit bleihaltigen Gliedern und Ideen, aber doch in gebildete Shawls eingewindelt und in der griechischen Löwenhaut schwimmend, viele wie Hühner4 und Offiziere mit Federbüschen kränklich bewachsen, andere in ihren alten Tagen mit bunten Kleiderflügeln behangen als Denkzetteln der jungen, wie man sonst gebräunte Pfauen mit ungerupften Flügeln in der Bratenschüssel servierte. – – In der entgegenstehenden Kolonne die Elegants und Roués, wie sie keine Residenzstadt aufweiset, die Narzissen-Jüngerschaft des Handels, des Militärs und der Justiz, deren modische Kruste in schneller Hitze ausbuk voll schwerer roher Krume, sprechend von Ton und schöner Welt, sehr badinierend über die alte langschößige in der Stadt; nicht gerechnet eine Sammlung gepuderter zarter Junker-Gesichter, die aus Billards und Schlössern vorgucken, wie aus dem durchlöcherten Kaninchenberg weißköpfige Kaninchen. – – Graul, über einen ganz vollen sächsischen Garten dieser Art, einen Kaninchengarten, mit eleganten langhosigen Ohnehosen besamet, streckt’ ich im Zorn transitorisch meinen Arm aus, wie Xanthippe ihren über ihren Sokrates unter der Haustüre, und goß es – ?? ?? ?????? – auf die Lustpartie hinunter- – mit Effekt, gebe der Himmel! Auf keine andere Weise als mit diesem Strichregen macht’ ich meine erste Gastrolle in der kursächsischen Atmosphäre als Jagdtäufer.

Aber so ist die ganze ungeweihte Erde. Man denkt sich nur immer die eigne Stadt als das Filial und das Wirtschaftsgebäude zu einer entfernten Sonnenstadt; könnte man aber durch alle Gassen auf der Kugel auf einmal hinunter-und hinaufsehen und so immer dieselbe Gemeinhut der Alltäglichkeit auf beiden Kugelhälften finden: so würde man fragen: ist das die berühmte Erde? »Das Spuckkästchen drunten, das Pißbidorchen, das ist der Planet«, würd’ ich einem Seraph antworten, der vor mir vorbeiflöge und mich bäte, ihn zurechtzuweisen.

Das ist eben meine zweite Hölle – oben gedacht’ ich meiner ersten –, daß ich so unzählige Narren, die wie Luftbetten nach jeder Erniedrigung sich selber wieder heben – die Billionen, die sich den ganzen Monat die Huldigungsgerüste selber bauen – die Repetieruhren, die es immer wiederholen, wie weit sie vorgerückt – alle die Trommelsüchtigen in tausend Dörfern, Gerichtsstuben, Expeditionsstuben, Lehrsälen, Ratsstuben und Kulissen und Souffleurlöchern, welche lustig schwellen können, ohne daß man ihnen mit dem Trokar einen tapfern Stich geben kann, das ist meine Hölle5, daß ich so viele Windschläuche mir denken muß, denen ich nie beikommen kann, weil manche einen ganzen Erdmesser weit von mir liegen. – – O Gott, nur einen Jüngsten Tag der allgemeinen Demütigung – gern fahr’ ich dann ab! –

Aber zurück zu meinen andern Fahrten! Gestern am zweiten Pfingsttag erwacht’ ich über dem Fürstentümlein Vierreuter6 und wurde gerade auf dessen Haupt-und Residenzstadt hergetrieben. Ich beschloß, in beiden meinen Kaffee zu trinken. Kurz vor dem Parisertore dreht’ ich beide Hähne meiner Kugel auf, sowohl den für die Ausfuhr leichter als den für die Einfuhr schwerer Luft und fiel wie ein Stoßvogel innerhalb der Wache nieder. Aber das machte diese dumm und wild, sie rief den Tor-Katecheten, und dieser wollte durchaus wissen, wer ich wäre, ferner meine Geschäfte, mein Logement und die Zeit meines Bleibens. Ich entgegnete ihm ganz höflich, er würde recht haben, grob zu fragen, so wie die Schildwache, den schiefen Schlagbaum gerade zu ziehen und sich davor grimmig zu postieren – da kleine Fürstentümer und deren Residenzen, wie kleine Juwelen, leichter zu verlieren wären –, wenn ich draußen in einem Wagen vor dem Tor säße und es ansähe; allein jetzt sei ich ja, wie er sehe, darüber weg und schon einpassiert. Er gab durchaus nicht nach, ich auch nicht. Der Wehrstand, in den ich mich setzte, lockte den halben Wehrstand der Wachtstube um mich, Haustruppen im eigentlichen Sinn, die nie außerordentlichen Lärm in der Welt gemacht außer vor ihren eignen Ohren, wenn sie eben Gurken aßen. Du sagtest einmal, Graul, du getrautest dich, wenn du am Grenzwappen ständest, über das ganze Fürstentum leicht wegzupissen, so schmal lauf’ es fort. Ich gab der Landmacht um mich herum etwas Ähnliches zu verstehen, indem ich sie fragte, ob man hierso wie eine gewisse Stadt vor einem blinden Tore eine lebendige Wache hätte – nicht ebensogut vor wahre Tore blinde oder gemalte Wachen stellen könnte, die man gar nicht abzulösen brauchte.

Da sich darauf die Landmacht rüstete, mich ernsthafter zu berennen: ließ ich bloß meinen grünen Mantel ein wenig auseinanderfallen; sogleich schlug ich den Heerbann aus dem Felde – mit einer Kröte. Im ganzen Fürstentum Vierreuter steht nämlich kein Orden in größerem Ansehen als der französische oder neufränkische, den der Fürst selber gestiftet, damit er zum Großmeister erhoben würde von sich. Nach der Analogie von Deutschmeistern und deutschen Herren nennt er sich Frankenmeister und die Ritter Frankenherren. Sie tragen (denn er mußte mich in Marseille auch zu einem machen) im Knopfloch an grünem Bande eine goldne Kröte – wenns nicht bloß ein Frosch sein soll (da sie so groß ist wie der am Fiedelbogen) –; vermutlich soll die Kröte auf die französische Lilie (der Sage nach der Nachflor der Kröte) hinführen.

Es ist gar nicht zu sagen – wenn man nicht im Kammerkollegium sitzt –, um wie viele Zolle der vierreutersche Ordensgeneral durch die Erfindung seines Frosch-oder Krötenordens dem Lande die Geldgurt weiter und voller gemacht, – – bloß weil er aus beiden kein Goldstäubchen hinausfliegen ließ in fremde Länder für fremde Titel. Erstlich der Fürst selber, der, denk’ ich, den besten und daher teuersten Titel verlangen darf, legt – anstatt sich einen, z.B. das überteuerte blaue Hosenband aus England zu verschreiben, eine wahre Staats-Aderlaßbinde – ein inländisches Fabrikat um den Leib, das ihm keinen Heller kostet, sondern nur ein Wort, und er steht so gratis als Groß- oder Frankenmeister des Krötenordens fertig vor Europa da. Oder verlangt man, daß ein Herr, der das ganze Jahr Titel und Bänder an alle Welt, oft an die größten Tropfen und Ausländer ausgeworfen, sich selber zu nichts kreieren und durch kein Selbstband zeigen soll, wie er sich ehre? –

Zweitens: da die Menschen auf dem schlaffen Seile der seidnen Bänder am liebsten tanzen: so können in Ländern, die mit Metallsaiten bezogen werden sollen, gar nicht Basler Ordensbandfabriken genug errichtet werden, damit man die Menschen und ihr Geld bei der Ehre fasse! Der Frosch setzte mich und meine Injurien in Sicherheit und Achtung und darauf in den Gasthof, wo ich sogleich nach dem Balbier und nach dem Hofmarschall schickte, um durch...

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