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E-Book

deutsch, nicht dumpf

Ein Leitfaden für aufgeklärte Patrioten

AutorThea Dorn
VerlagKnaus
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783641230258
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Heimat, Leitkultur, Nation: Thea Dorn will diese kontroversen Themen nicht den Rechten überlassen
Seit Jahren streiten wir, und der Ton wird rauer: Befördert die Rede von Heimat und Verwurzelung oder gar Patriotismus ein rückwärtsgewandtes, engstirniges Denken, das über kurz oder lang zu neuem Chauvinismus, Rassismus und Nationalismus führen wird? Oder ist das Beharren auf unseren kulturellen, historisch gewachsenenen Besonderheiten in Zeiten von Migration, Globalisierung und Technokratisierung nicht vielmehr Grundbedingung dafür, jene weltoffene Liberalität und Zivilität zu wahren, zu der das heutige Deutschland ja inzwischen längst gefunden hat? Anknüpfend an Themen, die sie bereits in ihrem Bestseller 'Die deutsche Seele' (zusammen mit Richard Wagner) erkundet hat, wendet Thea Dorn sich nun den aktuellen Schicksalsfragen unserer Gesellschaft zu - differenziert, unaufgeregt und dennoch leidenschaftlich.

Thea Dorn, geboren 1970, studierte Philosophie und Theaterwissenschaften in Frankfurt, Wien und Berlin und arbeitete als Dozentin und Dramaturgin. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane und Bestseller, Theaterstücke, Drehbücher und Essays und moderierte die Sendung »Literatur im Foyer« im SWR-Fernsehen. Seit März 2020 ist sie leitende Moderatorin des »Literarischen Quartetts«. Thea Dorn lebt in Berlin.

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Leseprobe

Kapitel 2


Leitkultur – kann es sie überhaupt geben?

Im ersten Kapitel habe ich gezeigt, dass es gute Gründe gibt, von einer »spezifisch deutschen Kultur« zu sprechen. Wir haben aber auch gesehen, dass die trennenden Kräfte, die von Kulturen ausgehen, mindestens so groß sind wie die verbindenden. Gleicht vor diesem Hintergrund nicht jede Forderung nach einer »deutschen Leitkultur« dem Versuch, Feuer mit Benzin zu löschen? Würde die Ausrufung einer »deutschen Leitkultur« diejenigen, die der deutschen Kultur eher fremd gegenüberstehen, obwohl sie in Deutschland leben, nicht noch weiter von denjenigen entfernen, die sich in der deutschen Kultur ganz selbstverständlich zu Hause fühlen? Anders gefragt: Folgt aus dem Umstand, dass es eine deutsche Kultur gibt, zwangsläufig, dass man diese zur Leitkultur erheben sollte?

Die zentrale Crux der Leitkulturdebatte liegt darin, dass keiner genau weiß, was er mit dem Wort »Kultur« eigentlich meint. Und zwar geht es mir hier nicht wieder um die vermeintliche Unklarheit, was eine spezifisch deutsche Kultur sein soll. Sondern es geht um die Unklarheit, die der Begriff »Kultur« selbst in sich trägt.

Auch ich habe ihn bislang unkritisch benutzt, das heißt, ich habe ihn in dem Sinne verwendet, für den der britische Literaturtheoretiker Terry Eagleton den präzisierenden Begriff »Kultur-als-Lebensweise« vorschlägt. Dieser Kulturbegriff ist ebenso umfassend wie unordentlich. Er umfasst Kunstwerke wie Freizeitbeschäftigungen, Ikonen des Geistes wie solche des Alltags, wohlbegründete Prinzipien wie bloße Schrullen, religiöse Gedankengebäude wie volkstümliches Brauchtum, kurz: Das Hehrste geht Hand in Hand mit dem Profansten. Hier trifft der Spitzenriesling auf die Currywurst, Helene Fischer auf die Matthäus-Passion, Faust II auf Fack ju Göhte 3, der Ebbelwei-Bembel auf August Bebel; die Lutherbibel kann ohne Weiteres im Strandkorb liegen, Immanuel Kant sich auf dem Oktoberfest betrinken, die Autobahn mitten durch den Teutoburger Wald führen und der Bildungsbürger vor Schadenfreude wiehern. Für dieses Verständnis von Kultur gilt, was Johann Gottfried Herder vor über zweihundert Jahren von der Nation gesagt hat: Sie ist ein »Sammelplatz von Torheiten und Fehlern so wie von Vortrefflichkeiten und Tugenden«. Oder, schöner noch: Sie ist »ein großer, ungejäteter Garte[n] voll Kraut und Unkraut«.

Im ersten Kapitel habe ich dafür plädiert, Kultur in diesem weiten, unordentlichen Sinn zu verstehen, denn nur so ergibt sich ein reicher Kulturbegriff, nur so kann Kultur Geist und Herz und alle Sinne erfassen – nur so kann Kultur Heimat sein. Aber, wie schon Herder feststellte: Diese Art von Kultur ist nicht vor »Torheiten und Fehlern« gefeit. Und auch nicht vor Bestialität und Massenmord, wie man mit Blick auf die deutsche Kultur zu Zeiten des Nationalsozialismus ergänzen muss. Verstanden als der »große, ungejätete Garten voll Kraut und Unkraut«, kann man also durchaus davon sprechen, dass Judenverfolgung und -vernichtung einmal zur deutschen Kultur gehört haben. Oder dass Zwangsverheiratungen und »Ehrenmorde« immer noch zu fast allen Kulturen gehören, die vom Islam geprägt sind.

Selbst wenn wir die verbrecherischen Exzesse von Kulturen ausklammern, zeigt sich das erste Dilemma der Leitkulturdebatte: Gerade die Auffassung von Kultur, die nötig ist, um zu einem reichen, vielfältigen Verständnis von »Kultur« zu kommen, taugt in keiner Weise, um daraus einen sinnvollen Begriff von »Leitkultur« zu gewinnen. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass die Vorliebe für Currywurst oder der Hang zum Nacktbaden Teil einer deutschen Leitkultur werden sollten.

Hier müsste also ein rabiater Gärtner her, der sich anmaßt, das »Kraut« treffsicher vom »Unkraut« zu unterscheiden und Letzteres konsequent zu jäten. Aber ich zucke bereits zusammen, während ich dies schreibe. Denn haben wir in Deutschland nicht die allerschlimmsten Erfahrungen mit dieser Art von paranoidem Gärtnertum gemacht? Es kann nur Bocksbeiniges dabei herauskommen, wenn Politiker sich zum Kulturgärtner machen wollen. Einen »Zwingherrn zur Deutschheit« – um die drastisch-plastische Formulierung des Philosophen Johann Gottlieb Fichte zu zitieren – ist das Letzte, was wir brauchen.

Genauso wenig können wir es allerdings brauchen, wenn uns Politiker kulturrelativistischer Provenienz die gesamten ungejäteten Gärten voll Kraut und Unkraut, die auch die nicht-deutschen Kulturen darstellen – Stichwort: archaischer Ehrbegriff, mangelnde Säkularisierung –, undifferenziert als »Bereicherung« anpreisen. Wer verhindern will, dass von »Leitkultur« in misslich-undifferenzierter Weise geredet wird, muss aufhören, in derselben misslich-undifferenzierten Weise von »kultureller Bereicherung« zu sprechen.

Ich verstehe die regelmäßig wiederkehrenden, unergiebigen Leitkulturdebatten der letzten knapp zwanzig Jahre so: Sie sind Beschwichtigungsversuche in Richtung der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die den Eindruck hat, dass ihre Kultur durch Globalisierung, vor allem aber durch Einwanderung, einem allzu raschen, allzu forcierten Wandel unterworfen werde. Die Alteingesessenen brummen – über sämtliche Dialektgrenzen hinweg –, »mia san mia«, und der konservative Politiker ruft bestätigend zurück: Und das ist auch gut so!

Der Bereicherungsdiskurs wiederum ist ein Beschwichtigungsversuch in Richtung der deutschen Minderheiten, die seit einer bis drei Generationen in diesem Land leben und den Eindruck haben, immer noch nicht als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft akzeptiert zu sein. Sie beklagen sich: Die Deutsch-Deutschen mögen uns nicht!, und die progressive Politikerin ruft in ihre Richtung zurück: Fürchtet euch nicht! Für mich seid ihr, so wie ihr seid, ein Geschenk!

Gegen Beschwichtigungsversuche ist an und für sich nichts einzuwenden. Das Problem ist bloß, dass das, was die Ängste des einen beschwichtigen soll, die Ängste des anderen umso heftiger entfacht. Sprich: Wer sich danach sehnt, dass die Dominanz der deutschen Kultur klar anerkannt wird, kriegt Zustände, wenn ihm ständig etwas von »Bereicherung« durch andere Kulturen erzählt wird. Umgekehrt schrillen bei dem, der sich in Deutschland ohnehin nicht wirklich beheimatet fühlt, sämtliche Alarmglocken, wenn ihm nun auch noch eine deutsche Leitkultur aufgedrückt werden soll.

Wieder einmal sind wir in einer Sackgasse gelandet. Natürlich könnte man einfach sagen: Lasst uns einen Waffenstillstand vereinbaren, indem wir ab sofort sowohl den Begriff »Leitkultur« als auch den der »kulturellen Bereicherung« ruhen lassen. Aber ich fürchte, dies würde zu keinem wirklichen Frieden führen, sondern diente lediglich der Konfliktvertuschung.

Das kulturelle Klima

Gehen wir das Problem unter einer anderen Perspektive an. Wenn ein Mensch in ein ihm ungewohntes Klima kommt, spricht man davon, dass er sich akklimatisieren muss. Darf man analog davon reden, dass ein Mensch, der in eine ihm ungewohnte Kultur kommt, sich akkulturieren muss? Selbstverständlich ist es heikel, die Kategorien »Klima« und »Kultur« identisch zu behandeln. Dem Klima ist es egal, ob ein Mensch sich an es gewöhnen kann oder dauerhaft unter ihm leidet. Einer Kultur sollte es nicht egal sein, wenn Menschen sich nicht an sie gewöhnen können und dauerhaft unter ihr leiden. Dennoch halte ich es für keine fahrlässige Naturalisierung, vom »kulturellen Klima« eines Landes zu sprechen. Wenn dies aber zulässig ist, ist es dann nicht ebenfalls zulässig, eine Art kultureller Klimakatastrophe für möglich zu halten, wenn diesem Klima zu viele Einflüsse auf einmal zugemutet werden, die es aus seinem ohnehin fragilen Gleichgewicht bringen? Wenn eine Kultur gleichzeitig und innerhalb kurzer Zeit all dies auffangen soll: ein sich rapide wandelndes Verständnis von Geschlechterrollen und sozialen Hierarchien; einen technologischen Fortschritt, der mittlerweile so rasant ist, dass man ihn wohl richtiger als »technologische Hatz« bezeichnen sollte; die Auswirkungen der sich vollendenden Globalisierung und Digitalisierung an allen Fronten von den Finanzmärkten über die Arbeitsmärkte bis hin zu den reißend angeschwollenen Nachrichtenströmen; verstärkte Migrationsbewegungen; und in unserem speziellen deutschen Falle noch hinzukommend: die tatsächliche Überwindung einer vierzig Jahre währenden politischen Teilung? (Auf Letzteres werde ich noch näher eingehen, es scheint mir ein Aspekt zu sein, der in den gegenwärtigen Deutschlanddiskussionen notorisch unterschätzt wird.)

Ist es also statthaft, die vielen, die laut oder leise flehen: Um Himmels willen, halt! Das geht mir alles zu schnell! Weiß denn keiner mehr, wo die Bremse ist?, mit einem achselzuckenden: Gewöhn dich dran, so ist sie halt, die neue Zeit!, abzufertigen? Oder süffisanter noch zu sagen: Liebe Deutsche, wer ein generelles Tempolimit auf Autobahnen für Freiheitsberaubung hält, sollte doch sofort Verständnis dafür haben, dass sich auch der kulturelle Wandel das Rasen nicht verbieten lassen will.

Wie im ersten Kapitel betont: Kulturen müssen sich wandeln, um vital zu bleiben, Kulturwandel ist also das Gegenteil einer Kulturkatastrophe. Allerdings bin ich überzeugt, dass dies lediglich für Formen des Wandels gilt, die von denjenigen, die ihn mitvollziehen müssen und überdies realen oder »gefühlten« wirtschaftlichen Nachteilen ausgesetzt sind, noch als irgendwie organisch empfunden werden. Der als forciert empfundene Wandel hingegen wird in den Köpfen und Herzen derjenigen, die sich überrollt und überfordert fühlen,...

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