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Deutsche Charaktere und Begebenheiten

Vollständige Ausgabe

AutorJakob Wassermann
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl145 Seiten
ISBN9783849619305
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Inhalt: Vorwort Böttiger Moritz von Sachsen Wallenstein Leonhard Thurneyßer Danckelmann Kaiser Rudolf II. und sein Hof Friedrich Wilhelm I. von Preußen Joachim Nettelbeck Christian Holzwart Karl August von Weimar

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Leseprobe

 Leonhard Thurneyßer


 

 Leonhard Thurneyßer, genannt zum Thurn, war ein Goldschmiedsohn aus Basel und 1530, im Jahr der Übergabe der Augsburger Konfession, geboren. Er sollte wie sein Vater Goldschmied werden, war aber nebenher bei Doktor Huber, dem er Kräuter sammeln und Arzneien zubereiten half und aus den Schriften des Paracelsus vorlesen mußte. Schon in seinem siebzehnten Lebensjahr verheiratete ihn sein Vater mit einer Witwe, die ihn mit ihrem Vormund betrog. Durch einen falschen Freund kam er in Händel mit Juden und verließ die Heimat im achtzehnten Jahr seines Alters. Er ging in die weite Welt, zuerst nach England, dann nach Frankreich, und wurde hier Soldat unter den wilden Truppen des Markgrafen Brandenburg-Kulmbach. In der Schlacht von Sievershausen, in der Moritz von Sachsen fiel, wurde Thurneyßer von Christoph von Karlowitz gefangengenommen. Er verließ nun den Kriegsdienst und verschaffte sich seinen Lebensunterhalt als Arbeiter in Bergwerken und Schmelzhütten, auch mit der Goldschmiedekunst und mit Wappen- und Steinzeichnen. Da seine Frau von ihm geschieden worden war, heiratete er im Jahre 1558 eine Goldschmiedstochter aus Konstanz und zog mit ihr nach Imst in Tirol, wo er eine Schmelz- und Schwefelhütte anlegte und Bergbau auf eigene Rechnung trieb. Zwei Jahre später nahm ihn der Erzherzog Ferdinand von Tirol, der Gemahl der schönen Philippine Welser, in Dienst und schickte ihn auf Reisen; er ging nach Schottland und den orkadischen Inseln, nach Spanien, Portugal und in die Berberei, nach Äthiopien, Ägypten, Syrien, Arabien und Palästina, wurde auf dem Berg Sinai, im Katharinenkloster vom Orden des heiligen Basilius, Ritter der heiligen Katharina und kehrte über Kandia, Griechenland und Italien nach Tirol zurück.

 

Durch seine Kenntnisse als Chemiker und Metallurg, als Botaniker und besonders als Arzt, wurde er der berühmteste Wundermann seiner Zeit. Er fing jetzt an, seine Schriften herauszugeben, zuerst das in deutschen Reimen abgefaßte Buch "Archidoxa", darin der "wahre Lauf, Wirkung und Einfluß der Planeten auf den menschlichen Körper, auf alle Gewerbe und Hantierungen der Menschen und die verborgenen Mysterien der Alchimie" enthalten waren. Als Wunderdoktor lernte ihn der Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg im Jahre 1571 während der Huldigungsfeier zu Frankfurt an der Oder kennen. Thurneyßer besorgte hier die Publikation einer andern Schrift, die den Titel hatte: "Pison, von kalten, warmen, mineralischen und metallischen Wässern samt Vergleichung der Pflanzen", und die dem Kurfürsten von Sachsen zugeeignet war. An einer Stelle heißt es: "Große und starke Personen sind von kalter Natur, haben eine böse, unreine Komplexion, stinken und schwitzen viel, und solcher Art ist auch Herr Christoph Sparre, der kurfürstliche Oberhofmeister in Berlin." Oder: "Diejenigen, die von Person lang, schmal, dürr und kleine runde Köpfe haben, besitzen gar keine Geschicklichkeit und führen weibische Reden wie weiland Kaiser Rudolf von Habsburg." Er war auch Anatom, und Kaiser Ferdinand hatte ihm im Jahre 1559 erlaubt, eine Frau zu sezieren, der zur Strafe die Adern geöffnet waren, daß sie sich totbluten solle.

 

Das Vertrauen des Kurfürsten erwarb er sich gleich, denn er war ein Mann von stattlichem Ansehen; die den Schweizern eigene Manier von Ehrlichkeit, seine Welt- und Menschenkenntnis und sein lebhaftes Temperament nahmen für ihn ein. Er verstand es, die Schwächen großer Herren und ihre Neigungen auszuforschen und sich gegen diejenigen klug zu betragen, an deren Gunst ihm gelegen war. Die Kurfürstin war krank, Thurneyßer übernahm die Behandlung, und der Erfolg bewirkte, daß von Stund an sein Glück bei den brandenburgischen Herrschaften gemacht war. Sie nahmen ihn mit nach Berlin, der Kurfürst ließ auf seine Kosten Thurneyßers Frau und Kinder, die er seit drei Jahren nicht gesehen hatte, aus Konstanz nach seiner Hauptstadt bringen.

 

Thurneyßer hatte dem Kurfürsten Blätter aus dem "Pison" gezeigt, welche die Flüsse in der Mark und deren unerkannte Reichtümer betrafen. So hieß es unter anderm darin: "Das Wasser der Spree ist grünfarbig und lauter. Es führet in seinem Schlich Gold und eine schöne Glasur. Das Gold hält 23 Karat 1/2 Gramm." Daß die Spree Gold führe, war bisher unerhört, blieb auch unerhört. Ebenso beschrieb Thurneyßer Orte in der Mark, wo man Rubine, Smaragde und Saphire finden könne. Bisher hatte man sie nicht gesucht und nicht gefunden, fand sie auch niemalen. Aber die glänzenden Verheißungen lockten bei Hof nicht wenig, den Mann festzuhalten, der so viele Hoffnungen erweckte. Alle Hofleute waren von ihm entzückt, und sogar das kurfürstliche Hoffrauenzimmer breitete seinen Ruhm im ganzen Lande aus. Er erhielt Briefe von einigen Fräulein und verheirateten Damen, die auf dem Lande lebten, worin sie ihn um Schminke baten, oder um Schönheitsöl, oder um Waschwasser, nebst Beschreibung des Gebrauchs. Sie schließen gemeiniglich mit dem Ersuchen, es niemand wissen zu lassen, noch andern davon zu geben.

 

Thurneyßer war ein Mann, der sich wohl darauf verstand, die gute Meinung zu nutzen, die man von ihm gefaßt hatte, um sich bedeutende Reichtümer zu erwerben. Er wußte sich in seinen Glücksumständen bis an das Ende seines Lebens zu erhalten, – wo er dann freilich um Geld und Ehre kam. Er hatte ein vortreffliches Gedächtnis und eine nicht zu ermüdende Wißbegierde. Nach dem Vorbild des Paracelsus hatte er die Natur unmittelbar aus ihren Werken studiert, und da er mit Aufmerksamkeit eine Menge von Gegenständen in nahen und weitentlegenen Ländern betrachtet hatte, war er auch zu einer tiefen Erkenntnis der Natur gelangt. Nicht so sehr wie Paracelsus war er gegen das Bücherlesen eingenommen; er hatte mehrere medizinische und historische Werke studiert. Mit dem Griechischen war er auf seinen Reisen bekannt geworden, auch mit einigen orientalischen Sprachen, so daß er später eine Schriftgießerei in ausländischen Lettern anlegen und sogar ein Onomastikon herausgeben konnte. Lateinisch lernte er noch in seinem sechsundvierzigsten Jahr bei dem berlinischen Propst Jakob Colerus. Er verstand sich auf die Kunst des Zeichnens und konnte die für seine anatomischen Handleitungen und sein Kräuterbuch beschäftigten Formschneider wohl anweisen. Er hatte eine Karte der Mark Brandenburg aufgenommen, wie man sie damals noch nicht besaß. Seine Kenntnisse in der Mathematik, Astronomie und Astrologie waren nicht unbedeutend, so daß er nicht nur die weit und breit berühmten Kalender veröffentlichte und sich mit dem Stellen der Nativität abgeben konnte, sondern er vermochte auch für die Jahre 1580 bis 1590 die ephemeriden und astronomischen Tabellen zu berechnen.

 

Der Kurfürst bestellte ihn zu seinem Leibmedikus, und sein stehendes Gehalt betrug 1352 Taler, eine für jene Zeit ansehnliche Summe. Daneben hatte er auf vier Pferde Futter, die Hofkleidung, die Hofdeputate und bei Reisen Vorspann. Kurfürst und Hof gaben ihm vielerlei Bestellungen von Einkäufen, die er zu Leipzig, zu Nürnberg und zu Venedig durch seine Schreiber und Bekanntschaften besorgen mußte. Der Kurfürst war ein Liebhaber von Silbergerät; die Goldschmiede hatten so viel für den Hof zu tun, daß Joachim Friedrich viel Silberzeug in Leipzig anfertigen ließ, und Thurneyßer hatte davon die Kommissionen. Besonders setzte die Kurprinzessin Katharina von Küstrin ein außerordentliches Vertrauen in Thurneyßer. Ihr Gemahl war Administrator von Magdeburg, sie selbst residierte in Halle. Sie ließ ein Laboratorium bauen und ersuchte Thurneyßer, zu ihr zu kommen. Der Kurfürst gab nur ungern seine Einwilligung, weil er Thurneyßer stets um sich haben wollte. Katharina brauchte den gewandten Schweizer in allen ihren Geschäften; wenn sie Geld nötig hatte, mußte er auf der Leipziger Messe in seinem Namen zwei, drei und mehrere tausend Taler für sie aufnehmen. Sie ließ durch ihn Kleinodien und Silberzeug kaufen und verkaufen und schickte ihm Leute zu, die er zu Laboranten und Provisoren bilden, in der Imitation von Rubinen und Smaragden und im Wappen- und Steinschneiden unterrichten sollte.

 

Bald nach seiner Ankunft in Berlin hatte ihm der Kurfürst eine geräumige Wohnung in dem ehemaligen Franziskanerkloster, dem grauen Kloster, gegeben, damit er Platz zu einer weitläufigen Haushaltung haben möge. Er richtete sich dort in großem Stile ein. Im Laboratorium wurden nach seinem silbernen Buch die Arkana präpariert, die geheimen Arzneien, die ihn zum reichen Mann machten: Goldpulver, Goldtropfen, Amethystenwasser, Saphir-, Rubinen-, Smaragden-, Perlen- und Korallentinktur, auch Bernsteinöl. Er hatte Mittel "wider die Vergicht, wider ein Rotgesicht, dasselbe zu erläutern und zu dealbieren." Ein Lot spiritus vini kostete vier Taler, ein Lot Spiritus vini correcti sogar sechs Taler, ein Lot Rhabarberextrakt zwei Taler. Der Gräfin Lynar schickte er einmal einige Öle zum äußerlichen Gebrauch, die fünfunddreißig Taler kosteten, und schrieb ihr dazu: "Ihre Gnaden würde zum besonderen Vergnügen gereichen, diese kleinen Unkosten zu tragen, damit Sie nichts einnehmen dürften." Er meinte, weil sie ja die Mittel nicht schlucken müsse.

 

Er hielt im grauen Kloster eine Art von kleiner Hofstatt, seine Haushaltung bestand aus mehr als zweihundert Personen, aus Dienern, Schreibern, Laboranten, Boten zum Verschicken und den Arbeitern in der weitläufigen Druckerei, die mit deutschen, lateinischen, griechischen, hebräischen, chaldäischen, syrischen, türkischen, persischen, arabischen, sogar mit abessinischen Typen versehen war, in der seine Schriften fortan gedruckt wurden, auch die Schriften von andern Gelehrten, zum Teil aus...

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