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E-Book

Deutschland dreht durch

Die Wahrheit über die AfD

AutorChristoph Giesa, Liane Bednarz
VerlagCarl Hanser Verlag München
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl76 Seiten
ISBN9783446248946
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Die AfD ist in aller Munde. Aber was steckt wirklich hinter der neuen Partei? Die altbekannte Rechte? Oder etwa doch eine 'Partei neuen Typs', bürgerlich und mit wirtschaftlichem Sachverstand? Liane Bednarz und Christoph Giesa verfolgen die Entwicklung vom ersten Tag an und haben sich nun die Mythen rund um die AfD vorgenommen und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft. Und zwar mit spitzer Feder, zu keinem Zeitpunkt trocken und in dieser Form bisher einmalig.

Liane Bednarz, Jahrgang 1974, ist Juristin und Publizistin. Zahlreiche Veröffentlichungen in der »Tagespost«, im »Tagesspiegel«, in »Christ & Welt«/DIE ZEIT, im »European« und auf den Autoren-Blogs »Starke Meinungen« und »CARTA«. 2014 wurde sie mit dem Feuilletonpreis »Goldener Maulwurf« ausgezeichnet. Sie lebt in München.  

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Leseprobe

Der Mythos von den Einzelfällen


Im ersten Kapitel ist deutlich geworden, dass es sich bei der AfD nicht um etwas Neues, sondern um eine herkömmliche Partei irgendwo am rechten Rand handelt. Natürlich könnte man sich jetzt darüber streiten, wo genau sie zu verorten ist. Und wahrscheinlich hat dazu jeder seine ganz eigene Meinung und dafür jeweils treffende Beispiele. Viel wichtiger ist deshalb etwas ganz anderes: Wie sehen die politischen Forderungen der Partei, auf konkrete Probleme heruntergebrochen, aus? Welches Leitmotiv setzt sich im täglichen Umgang miteinander durch? Was wäre zu erwarten, kämen AfD-Politiker in führende Funktionen? Wie schon in der Einleitung deutlich wurde: Wir vermuten, dass das Leitmotiv der AfD der Hass ist. Hass gegen alles, was anders ist. Oder wie es der Bielefelder Professor Wilhelm Heitmeyer genannt hat: »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit«.51 In diesem Konzept werden verschiedene Formen der Menschenfeindlichkeit aufgezählt, die nicht überschneidungsfrei sein müssen. Dazu gehören: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, die Abwertung von Sinti und Roma, Asylbewerbern, Behinderten, Obdachlosen und Langzeitarbeitslosen sowie Homophobie und Sexismus. Finden sich diese Ausprägungen flächendeckend auch in der AfD? Oder handelt es sich doch, wie die Parteispitze immer wieder gerne behauptet, um »Einzelfälle«?

Die größten Blöcke gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der öffentlichen Wahrnehmung sind sicherlich Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus. Auf diese wollen wir daher zunächst den Blick lenken. Gleich zu Beginn, auf dem Gründungsparteitag der Bundes-AfD, rückte der wohl meist fotografierte Mann der Veranstaltung, ein Russlanddeutscher namens Viktor Kasper, in den Fokus der Berichterstattung. Er war durch eine schwarz-rot-goldene Schärpe und das fleißige Schwenken einer Deutschlandfahne aufgefallen, was für sich genommen erst einmal nur etwas skurril, aber nicht problematisch wirkte. Als dann allerdings erste Zweifel an seiner demokratischen Haltung aufkamen, sprangen ihm und der AfD fleißige Kommentatoren in den sozialen Netzwerken zur Seite: »Wo käme man denn hin, wenn man gleich als Nazi bezeichnet würde, nur weil man seine patriotische Gesinnung zeigt?«, wurde da empört hyperventiliert. Dummerweise war dieser fröhliche Fahnenschwenker aber dann doch kein unbedarfter Patriot, sondern ein Aktivist mit Verbindungen zur NPD und Anmelder einer Demo, »die wegen mutmaßlicher Nähe zu rechtsextremen Kreisen untersagt wurde«, wie die Bild herausfand.52 Die AfD hatte ihren ersten offiziellen Problemfall und leitete nach eigenen Angaben ein Ausschlussverfahren ein, zu dessen Stand sie sich allerdings auch anderthalb Jahre später nicht äußern will.53

Dass von diesem Fall in irgendeiner Form ein positives Signal ausgegangen wäre, kann man nicht behaupten. Vielmehr ist das Gegenteil richtig: Die AfD hat bis heute quer durch alle Landesverbände mit öffentlichkeitswirksamen menschenfeindlichen Ausfällen ihrer Mitglieder zu kämpfen. Eine dreistellige Zahl von Fällen ist dokumentiert – eine schier unglaubliche Quantität für eine so junge Partei mit einer immer noch recht geringen Mitgliederzahl, die sich gerade einmal im Bereich der Hälfte dessen bewegt, was die Piratenpartei zu ihrer besten Zeit erreichen konnte. Die Dunkelziffer dürfte sogar noch deutlich höher liegen, weil ja nur derjenige auffallen kann, der sein rechtsradikales oder gar rechtsextremes Gedankengut öffentlich äußert. Stefan Milkereit etwa, der im Bundesvorstand der AfD saß und auf Twitter zeigte, dass er wissenschaftlich mindestens so viel drauf hat wie Thilo Sarrazin. Dessen gesellschaftspolitischen Beitrag hatte er bereits zuvor als den wichtigsten nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet.54 Adenauer? Adorno? Brandt? Kohl und Genscher? Ach was! Sarrazin! Aber Milkereit wollte offenbar genauso hoch hinaus wie sein Held und ein kühner »Tabubrecher« sein. Und so stellte er wortwörtlich fest: »Multi-Kulti-Gen führt zu Mutationen und damit zu Krankheiten, die vorher bei Reinrassigkeit nicht vorhanden waren. Wissenschaftlich erwiesen«.55 Aha. Alleine für die Entdeckung des Multi-Kulti-Gens – wenn es dieses denn gäbe – hätte Milkereit mindestens einen Nobelpreis verdient. Stattdessen gab es einen ordentlichen Shitstorm, der am Ende zu seinem Rücktritt führte. Inzwischen hat er die Partei wohl verlassen, aus seinem Facebook-Profil geht aber hervor, dass er ihr freundschaftlich verbunden bleibt.

Ein ganz besonderer Fall ist auch der Landesverband Thüringen, und zwar als Ganzes. Dass dort mit Björn Höcke einer der schlimmsten Scharfmacher der Partei inzwischen Landesvorsitzender ist, wurde weiter vorne schon thematisiert. Auf dem Weg dorthin allerdings gab es schon andere Ausfälle und einige Absurditäten zu beobachten. Schon kurz nach Gründung des Verbandes, im Mai 2013, wurde bekannt, dass mit Paul Latussek ein verurteilter Volksverhetzer nicht nur Mitglied in der Partei war, sondern darüber hinaus sogar begonnen hatte, einen der Kreisverbände aufzubauen.56 Die Verurteilung hatte er sich mit dem Hirngespinst verdient, in Auschwitz habe es deutlich weniger ermordete Juden gegeben, als behauptet würde. Und auch schon vorher war er als Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen mit einem Flugblatt aufgefallen, in dem die »willkürliche Verschiebung der deutschen Ostgrenze« und ein »Gebietsverlust des Deutschen Reiches« angeprangert wurden.57 Der damalige Landeschef Matthias Wohlfahrt reagierte daraufhin mit einer Distanzierung und stellte fest, man werde »keine Mitglieder mit rechtsradikalen Tendenzen« dulden.58

Das hört sich zunächst einmal nicht schlecht an. Aber es kommt ja nicht nur darauf an, was gesagt wird, sondern auch, wer etwas sagt. Wohlfahrt selbst wurde nämlich von den eigenen Leuten als »völkischer Christ« und »Diktator« bezeichnet, wie die Welt schrieb.59 Und die taz zitierte von der Seite der von ihm geführten Pension: »Damit es nicht bei der Alternativlosigkeit unserer politischen Klasse bleibt, haben sich in Deutschland doch noch die biblischen 7.000 gefunden und bieten uns eine Wahlalternative 2013.«60 Wohlfahrt fühlte sich also in den Fußstapfen Jesu unterwegs. Dass der allerdings, so wie der ehemalige Thüringer AfD-Chef in einem Gespräch mit dem Deutschlandradio, Fremdenfeindlichkeit als »biologisch normal« angesehen hätte, ist nicht nur eher unwahrscheinlich,61 sondern grotesk. Leute wie Wohlfahrt scheinen die Bibel selektiv zu lesen und Stellen wie Matthäus 25, 35 völlig auszublenden: »Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen« steht dort geschrieben. Auch für Gewalttaten gegenüber Migranten zeigte Wohlfahrt übrigens Verständnis: »Wenn ich das sehe, wie ein Afrikaner an der Bushaltestelle von irgendwelchen ›Rechten‹ zusammengeschlagen worden ist, sehe ich aber auch den Hintergrund: Ich sehe den Hintergrund, dass möglicherweise durch eine lasche Handhabung mit kriminell agierenden Einwanderern so eine Antistimmung gefördert wird, ja«, sagte er allen Ernstes gegenüber dem Deutschlandfunk62.

Aber das war immer noch nicht alles. Wohlfahrt meinte überdies, sich als heroischen Freiheitskämpfer inszenieren zu müssen. Das Dritte Reich eignet sich da natürlich immer bestens. »Bürgerkriegsähnliche Zustände« wollte Wohlfahrt auf uns zukommen sehen und leitete daraus ganz ähnlich wie auch die Mitglieder der islamophoben Splitterpartei »Die Freiheit« seine Motivation ab, sich zu engagieren: »Ich kann nicht zugucken, wenn hier Dinge geschehen. Wir haben unsere Eltern gefragt: ›Was habt ihr damals getan?‹ Ich möchte von meinen Kindern nicht gefragt werden: ›Was habt ihr getan?‹, oder: ›Was habt ihr nicht getan?‹« Es fehlte nur noch, dass er sich in eine Linie mit den Stauffenbergs und Scholls stellte. Aber dazu kam es nicht mehr, weil es seinem Verband am Ende zu bunt wurde und Wohlfahrt – nach einer Vielzahl kritischer Artikel in großen Medien – mitsamt dem gesamten Vorstand zurücktrat. Interessant ist an allen bisher beschriebenen Fällen eines: Sie alle stammen aus den ersten Monaten nach der Parteigründung. Die Mär, die AfD-Anhänger gerne verbreiten, die Partei hätte erst durch die schlechte Presse die rechten Wirrköpfe angezogen, ist damit eindeutig widerlegt.

Tiervergleiche sind bei der AfD ebenfalls äußerst beliebt, insbesondere im Zusammenhang mit Ausländern. Und zwar nicht etwa nur bei Partei-Sympathisanten, die afrikanische Flüchtlinge als »Affen« bezeichnen – und damit die Traditionslinie des weißen Rassismus der letzten Jahrhunderte spielend leicht aufnehmen. Sondern auch bei jemandem, der inzwischen – nach kurzer Pause – wieder in Amt und Würden ist. Dieses besondere Prachtexemplar ist der Burschenschaftler Benjamin Nolte, Mitglied in der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Münchner Burschenschaft Danubia – und damit in einer im Dachverband »Deutsche Burschenschaft« organisierten Vereinigung, in der vor gar nicht allzu langer Zeit ernsthaft die Einführung eines Arier-Nachweises diskutiert wurde. Aber darum geht es hier gar nicht in erster Linie. Besondere Berühmtheit erlangte Nolte nämlich dadurch, dass er bei einer denkwürdigen Veranstaltung im Jahre 2009 dem einzigen farbigen Mitglied einer anderen Verbindung eine Banane übergeben hatte, nachdem vorher schon Sprechchöre wie »Wir wollen den Neger sehen« angestimmt worden waren.63 Die Aussage war eindeutig. »Bananen-Nolte«, wie er daraufhin in der Presse treffend bezeichnet wurde, musste am Ende nach langem Hin und Her seinen Posten als...

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