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Deviantes Verkehrsverhalten

Grundlagen, Diagnostik und verkehrspsychologische Therapie

AutorAndreas Widmer, Jürgen Raithel
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl120 Seiten
ISBN9783840923531
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Deviantes Verkehrsverhalten, also schwerwiegende Verkehrsverstöße sowie mehrmaliges regelverletzendes Verhalten im Straßenverkehr, gefährdet neben dem eigenen Leben vor allem jenes unschuldiger Verkehrsteilnehmer. Alleine in Deutschland kommt es jährlich zu rund 180.000 Entzügen der Fahrerlaubnis. Die generelle charakterliche Eignung des Betroffenen, ein motorisiertes Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, wird in Frage gestellt. Zur nötigen Einstellungs- und Verhaltensänderung für die Wiedererlangung des Führerscheins hat sich die verhaltenstherapeutisch basierte Verkehrspsychotherapie als sehr erfolgreich erwiesen. Das Buch beschreibt zunächst verschiedenen Formen devianten Verkehrsverhaltens, stellt Modelle zur Erklärung riskanten und devianten Verkehrsverhaltens dar und erläutert das diagnostische Vorgehen. Ausführlich werden anschließend die zentralen Elemente sowie der Ablauf der einzelnen Sitzungen der verkehrspsychologischen Therapie aufgezeigt. Durch das modularisierte Vorgehen kann die kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung an die verschiedenen Formen des devianten Verkehrsverhaltens angepasst werden. Zahlreiche Beispiele veranschaulichen das Vorgehen.

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis
  2. 1 Deviantes Verkehrsverhalten – eine „Phänomenbeschreibung“
  3. 2Erklärungsmodelle
  4. 3Diagnostik: Das Begutachtungsverfahren
  5. 4Interventionen
  6. 5 Effektivität und Schwierigkeiten
  7. Literatur
  8. Anhang
Leseprobe
Faktor Mensch

Die Haupteinflussgröße für das riskante Verkehrsverhalten liegt in erster Linie in den Persönlichkeitseigenschaften, welche wiederum einen Einfluss auf das Fahrmotiv (z . B . Freude am schnellen Fahren), auf verkehrsbezogene Einstellungen und auch auf das Unfallschutzbzw . Sicherheitsverhalten haben . Auch der Faktor des Anfängerrisikos wird durch die subjektive Risikoneigung entsprechend moderiert . Würde nämlich die Unerfahrenheit an sich schon zwangsläufig zu Unfällen führen, müssten wesentlich mehr junge Fahrer an Straßenverkehrsunfällen beteiligt sein (vgl . Schulze, 1996) . Auch Steffens et al . (1988) sehen nur einen schwachen Zusammenhang zwischen Fahrkönnen und der Anzahl kritischer Ereignisse im Verkehr . Demnach verringert eine größere Fahrpraxis nicht notwendigerweise das Unfallrisiko, sondern kann es sogar noch unter Umständen erhöhen, wenn der Fahrer der Meinung ist, ihm könne ja wegen seiner Fahrkompetenz „nichts mehr passieren“ und deshalb unvorsichtiger bzw . riskanter fährt . Ein risikobewusster junger Fahrer wird sich bezüglich potenzieller Anfängerrisiken vorsichtiger verhalten als ein risikofreudiger Fahrer, der eben auch Risiken im Zusammenhang mit dem Anfängerstatus unterschätzt . Ein solcher Fahrer wird sich auch eher durch situative Umstände (z . B . Zeitdruck, Mitfahrer, Substanzenkonsum) beeinflussen lassen .

Es gibt ein Bündel von Eigenschaften, die für ein riskantes Verkehrsverhalten verantwortlich sind (vgl . Raithel, 1995; Bächli-Biétry, 2008):
11 . mangelhafte Impulskontrolle/Selbstkontrolle, Unaufmerksamkeit,
12 . geringe Anpassungsbereitschaft (an soziale Normen) und geringes Verantwortungs bewusstsein,
13 . situationsunangepasster Umgang mit psychotropen Substanzen,
14 . eingeschränkte Reflexionsfähigkeit und Selbstwahrnehmung sowie geringe Ein sicht in das eigene Fehlverhalten (Neigung zur Fremdattribution),
15 . geringe Lernfähigkeit, geringe geistige Elastizität/Flexibilität,
16 . geringe emotionale Belastbarkeit, ungenügende Emotionsregulation (geringe Frust rationstoleranz, Stressresistenz),
17 . erhöhte Risikobereitschaft und geringe Risikowahrnehmung,
18 . Aggressionsneigung, aggressive Konfliktverarbeitung, aggressive Durchsetzungs bereitschaft im Verkehr,
19 . Expressivität, „impulse expression“ (Schuman et al ., 1967) und


10 . ein hoher emotionaler Bezug bzw . hohe Affinität zum Auto (z . B . Automarke, Tuning) . Besonders zu berücksichtigen ist beim „Faktor Mensch“, dass es sich bei den Verkehrsteilnehmern, die ein riskantes Verhalten zeigen, und bei jenen, die eine verkehrspsychologische Therapie aufsuchen, im deutlich überwiegenden Teil um junge Fahrer handelt, die sich noch im altersspezifischen Entwicklungsprozess befinden . Aus diesem Grund sind insbesondere entwicklungspsychologische Aspekte des riskanten Verhaltens zu berücksichtigen (vgl . Raithel, 2004) .

Die besonders gefährdete Gruppe der jungen Fahrer demonstriert ihr Fahrkönnen und somit ihre „Omnipotenz“ durch häufiges Überholen, schnelles Fahren sowie Zusatzbeschäftigungen während des Fahrens . Neben den Funktionen des Autofahrens für den jungen Fahrer, wie der Selbstfindung, der Demonstration der eigenen Fähigkeiten und der Anerkennung in der Peergroup zur Festigung und Steigerung des Selbstwerts betonen die Autoren weiterhin Aggressivität, Fahrfreude, Wettbewerbsstreben und Thrill (Nervenkitzel) als sogenannte „extra motives“ (vgl . Summala, 1987; Näätänen & Summala, 1976)) .

Hatakka et al . (1994) formulieren folgende «extra motives» für die besonders gefährdete Gruppe der jungen Fahrer:
1 . Selbstdarstellung (Identifizierung mit dem Fahrzeug),
2 . Selbstbestätigung (Aufwertung des Selbstwerts, Konkurrenz),
3 . Auslotung der eigenen Grenzen,
4 . Spaß am Fahren und 5 . Positionierung in der Gruppe .

Der Gewinn von Leistungserlebnissen wie Erfolg, Macht, Schnelligkeit und Zeitgewinn mittels Verkehrsteilnahme sind insbesondere den jüngeren Fahrern besonders wichtig (vgl . Herberg, 1978) . Solche alterstypische verstärkte Autonomieund Auslebenstendenzen fand Pfafferott (1974) häufig bei Geschwindigkeitsübertretern . Das Schnellfahren bietet einen stärkeren Erlebniswert und wird als lustvermittelnde Tätigkeit empfunden (vgl . Herberg, 1983; Hess, 1984) .

Gerade risikoreiche Verkehrssituationen ermöglichen die Demonstration eigener hoher Fahrkompetenzen und eine riskant-aggressive Fahrweise dient der Kompetenzexternalisierung . Aus diesem Grund suchen junge Fahrer riskante Situationen im Straßenverkehr zur Festigung ihres Selbstkonzeptes bzw . zur Selbstwertstabilisierung und Selbstwertsteigerung eher auf, als dass sie diese vermeiden (vgl . Fuller, 1984; Küster & Reiter, 1987; Weißbrodt, 1989) . Lastovicka (1988) spricht hier vom stark macho-orientierten „Sensation-Seeker“ . Das riskante Fahrverhalten dient einer bestimmten Gruppe junger Männer der Stilisierung ihrer Maskulinität und ist im Rahmen der Geschlechtsrollenidentitätsbildung zu betrachten (vgl . Raithel, 2005, 2010) .

Faktor Verkehrsumwelt

Zu den Einflussgrößen der Verkehrsumwelt sind zum einen die Eigenschaften der baulichen Straßenoberflächenbeschaffenheit, Verkehrsbeschilderung, Ausschilderung, Verkehrssituation (Stau, schwierige Kreuzungen, hohes Verkehrsaufkommen) und Straßenart und -führung (mehrspurige Hauptverkehrsstraße, Anwohnerstraße, Kreisverkehr) und zum anderen die Umweltund Witterungseinflüsse wie Klima (Hitze/Kälte), Witterung (Regen, Schnee, Glatteis), Luftverunreinigungen (Gase), Lichtund Sichtverhältnisse (Dämmerung, Sonnenblendung, starker Regenschauer/Schneefall) zu zählen .

Faktor Fahrzeug

Der Faktor Fahrzeug umfasst fahrzeugtechnische Komponenten, wie z .B . Federung, Bremse, Reifenzustand, Beleuchtung oder Lärmisolierung und Komponenten des passiven Unfallschutzes (z . B . Airbag, ABS, ESP, Gurtsystem, moderne Fahrassistenzsysteme) .

Das Unfallrisiko ist aus einem multifaktoriellen Mensch-Fahrzeug-Umwelt-Wirkungszusammenhang zu betrachten, wobei nahezu alle Aspekte durch das individuelle Risikoverhalten moderiert werden . Das Risiko im Straßenverkehr wird also im Wesentlichen vom Verhalten des Fahrers bestimmt .

2.2 Kognitiv-verhaltenstheoretisches Modell devianten Verkehrsverhaltens

Das kognitiv-verhaltenstheoretische Modell des devianten Verkehrsverhaltens (vgl . Raithel, 2010) orientiert sich in erster Linie an denjenigen Faktoren, deren Rolle für die Aufrechterhaltung des Verhaltens als gut gestützt und besonders bedeutsam für die verkehrspsychologische Therapie angesehen werden können (vgl . Abb . 3) .

Der „Teufelskreis“ devianten Verkehrsverhaltens nimmt seinen Ausgangspunkt in der Regel in einem Bündel von persönlichen Risikofaktoren, die für eine devianzaffine Vulnerabilität der Person verantwortlich sind . Hier sind vor allem eine narzisstische und/ oder antisoziale Persönlichkeitsakzentuierung, mangelhafte Impulskontrolle/Selbstkontrolle, geringe Frustrationstoleranz (geringe Kompensationsstrategien), leichte Ablenkbarkeit (Unaufmerksamkeit), eingeschränkte Reflexionsfähigkeit, niedriges Selbstwertgefühl, erhöhte Risikobereitschaft (vgl . Raithel, 1995; Bächli-Biétry, 2008) und Expressivität bzw . „impuls expression“ (Schuman et al ., 1967) zu benennen . Durch diese Risikofaktoren ist die Schwelle zum devianten Verkehrsverhalten niedrig, was sich beispielsweise in aggressiver Durchsetzungsbereitschaft im Straßenverkehr manifestiert . Gleichfalls wird ein hoher emotionaler Bezug zum Fahrzeug als Risikofaktor gesehen .
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis7
1 Deviantes Verkehrsverhalten – eine „Phänomenbeschreibung“9
1.1Definition, Bedingungszusammenhang und Formen9
1.2Indikation zur verkehrspsychologischen Therapie10
1.3Trunkenheitsfahrten – Alkoholkonsum11
1.4Häufigkeit von Verkehrsdelikten15
2Erklärungsmodelle19
2.1 Multifaktorielles Modell des riskanten Verkehrs- verhaltens und Unfallrisikos19
2.2Kognitiv-verhaltenstheoretisches Modell devianten Verkehrsverhaltens22
3Diagnostik: Das Begutachtungsverfahren24
3.1Aktenstudium24
3.2Exploratives Interview25
3.3Testverfahren25
4Interventionen29
4.1Verkehrspsychologische Therapie29
4.2 Weitere Interventionsformen96
5 Effektivität und Schwierigkeiten100
5.1 Verkehrspsychologische Therapie100
5.2 Schulungsprogramme100
5.3 Mögliche Schwierigkeiten102
Literatur104
Anhang109
Berechnung des Anhaltewegs111
Geschwindigkeitsberechnung – Abstand – Unfallprädiktoren112
Risikosituation: Schnelles Fahren/Alkohol und „innerer Slogan“113
Vertrag: „Innerer Slogan“114
Fru¨hwarnsystem115
Spaltentechnik (ABC-Methode)116
Bisheriges Problemverhalten und die Einhaltung von Regeln in der Zukunft117
Unangenehme Gefu¨hle im Alltag118
Stresstagebuch119
Vertrag: Notfallplan120
Entspannungsinstruktion121
Achtsamkeitsu¨bung122

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