Nach erfolgter Analyse der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen werden in diesem Kapitel die unterschiedlichen Motivationen der Marktrollen und des Gesetzgebers untersucht, um im nächsten Schritt Anforderungen an ein zukünftiges Energiesystem zu definieren.
Um den Paradigmenwechsel in dem Energiesystem vollziehen zu können müssen für die Marktrollen geeignete Anreize gesetzt werden. Diese können in Form von Bestrafung oder Belohnung eines Verhaltens erfolgen. Bestrafende Anreize erscheinen auf Grund der Rahmenbedingungen und Zielsetzungen für das zukünftige Energiesystem für wenig geeignet und durchsetzbar und sollen daher nicht weiter betrachtet werden.
Belohnende Anreize können in verschiedene Arten von Anreizwirkungen – sogenannte Motivation - unterteilt werden. Die extrinsische Motivation dient nur der mittelbaren Bedürfnisbefriedigung, wohingegen die intrinsische Motivation aus dem Verhalten selbst resultiert. Die extrinsische Motivation wird meist in Form von materiellen Anreizen eingesetzt. In der Realität sind die Individuen nicht ausschließlich einer Motivationsform zuzuordnen.[105]
Abbildung 17: Motivation und Anreize[106]
Das Anreizsystem für die Steuerung von Erzeugung und Verbrauch muss die Motive der Marktrollen ausreichend berücksichtigen, eine hohe Flexibilität aufweisen sowie nachvollziehbar und gerecht sein.
Für den Energielieferanten liegen die Potentiale in der Optimierung seiner Strombeschaffung und Gewinnung neuer Kunden durch den Einsatz variabler Tarife. Eine Studie der LBD-Beratungsgesellschaft hat den Vorteil aus der Beschaffungsoptimierung pro Kunde zwischen € 7 und € 14 beziffert.[107] Durch eine automatisierte Steuerung der Verbraucher können die Einsparungen weiter erhöht werden. Der in Zukunft durch den steigenden Anteil fluktuierender Erzeugung volatilere Beschaffungspreis macht den Einsatz variabler Tarife noch attraktiver, da das dann höhere Marktpreisrisiko nicht mehr allein beim Lieferanten liegt. Zur Hebung des Potentials bei den nicht leistungsgemessenen Kunden ist es erforderlich die bisherige Bilanzierung und Abrechnung nach SLP abzulösen.
Bislang schreibt der § 12 Abs. 1 der StromNZV die Anwendung durch den Netzbetreiber für Kunden mit einem Verbrauch unter 100.000 kWh zwingend vor.[108]
Motivation der Endverbraucher ist die Reduktion bzw. Verhinderung des Anstiegs der Energiekosten und eine hohe Versorgungssicherheit. Beide Ziele könnten durch den fortschreitenden Ausbau der EE negativ beeinflusst werden.
Derzeit kann der Endverbraucher eine Kostensenkung nur über die Einsparung von Energie oder einem Wechsel des Energieversorgers erzielen. Nach Einführung variabler Tarife erhält der Endverbraucher durch die Möglichkeit der Lastverlagerung in Zeiten günstiger Strompreise einen weiteren Ansatz zur Kosteneinsparung. Gleichzeitig hat die Lastverlagerung auch positive Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit. Neben finanziellen Anreizen durch geringere Stromkosten trägt der Endverbraucher durch die Verbrauchsreduktion- und -verlagerung auch bedeutend zur Erreichung der CO2-Reduktionsziele bei. Dieser Aspekt kann sich durch entsprechende Aufklärung als intrinsische Motivation entwickeln.
Betreiber von regelbaren KWK- oder EE-Anlagen wie Biomassekraftwerke können einen wichtigen Betrag zum Ausgleich der durch Wind und Photovoltaik fluktuierenden Einspeisung leisten. Da diese mit einem Wärme- oder Gasspeicher ausgestattet sind, kann die Erzeugung elektrischer Energie um einige Stunden verlagert werden. Durch die Kopplung der Vergütung bzw. der Zahlung eines Bonus mit den an der EEX aktuell ermittelten Spotpreisen, würden die Betreiber einen Anreiz erhalten. Hierzu ist allerdings die Installation intelligenter Zähler notwendig, die den Umfang und Zeitpunkt der Einspeisung für die Abrechnung erfassen und über deren Infrastruktur das Steuerungssignal übermittelt werden kann.
Da die Netzbetreiber für den zuverlässigen Betrieb der Netze zuständig sind, müssen Sie für eine ausreichende Kapazität der Netze und eine Ausregelung von Angebot und Nachfrage elektrischer Energie sorgen. Da derzeit massiver Widerstand gegen geplante Vorhaben zum Netzausbau besteht, könnte die Steuerung von Erzeugung und Lasten für den ÜNB von zentraler Bedeutung sein. Diese würde den Umfang des notwendigen Netzausbaus verringern bzw. den Zeitpunkt verzögern. Der Aspekt kann insbesondere unter dem Aspekt interessant werden, dass Speichertechnologien zu dem verschobenen Zeitpunkt wirtschaftlich einsetzbar sind und einen Netzausbau vollständig überflüssig machen.
Auf der anderen Seite befinden sich die meisten Regelenergiekraftwerke im Besitz der vier großen ÜNB. Die oft bereits abgeschriebenen Kraftwerke erzielen durch hohe Preise am Regelenergiemarkt hohe Erlöse. Hier könnte allerdings die BNetzA durch die Senkung der Netznutzungsentgelte - in denen die Regelenergiekosten einfließen - die ÜNB zur Hebung der Effizienzpotentiale bewegen.
Darüber hinaus könnten die Netzbetreiber aus der durch die Smart Metering Infrastruktur bereitgestellten Überwachung der Verteilnetze profitieren, die Angaben zu aktueller Spannungsqualität und Netzzustand liefert. Insbesondere in Verteilungsnetzen mit hohem Anteil dezentraler Erzeugung sind diese Informationen von wichtiger Bedeutung.
Die bei elektronischer Auslesung zusammenfallenden Marktrollen des MSB und Messdienstleisters (MDL) nehmen eine wichtige Rolle im neuen Energiesystem ein. Als Verantwortlicher für den Einbau, Betrieb und die Wartung der Messeinrichtungen legt der MSB den Grundstein für die funktionalen Möglichkeiten einer zukünftigen Steuerung von Verbrauch und Erzeugung. Werden nur die gesetzlichen Mindestanforderungen aus dem § 21b EnWG erfüllt, können Optimierungspotentiale durch variable Tarife auf Grund fehlender Kommunikations- und Steuerungsfunktion nicht realisiert werden. Auf der anderen Seite könnten für den für die Messung und Weitergabe der von Smart Metern bereitgestellten Verbrauchs- und Einspeisungsdaten zuständigen MDL sich neue Geschäftsmodelle ergeben, die insbesondere im Kontext der Realisierung von Smart Grids liegen.
Um den fortschreitenden Klimawandel abzudämpfen besteht weltweit Einigkeit, den als Hauptursache identifizierten CO2-Ausstoß in den nächsten Jahrzehnten drastisch zu reduzieren. Die Bundesregierung hat sich hierzu im Rahmen des Energiekonzepts in den Stufen 2020, 2030 und 2050 konkrete Ziele auf dem Weg zu einem umweltverträglichen Versorgungssystem elektrischer Energie festgelegt[109]:
Erhöhung des Anteils EE am Bruttostromverbrauch von ca. 16 % (2009)[110] auf 35 % (2020); 50 % (2030) und 80 % (2050),
Reduktion der Treibhausgasemission um 40 % (2020), 55 % (2030) und 80% (2050) im Vergleich zum Jahr 1990,
Senkung des Stromverbrauchs um 10 % (2020) und 25 % (2050),
Anzahl der Elektrofahrzeuge in Deutschland: 1 Million bis 2020, 6 Millionen bis 2030,
Beschleunigung des Ausbaus der Offshore-Windleistung auf 25 GW bis 2030 sowie Ausbau der Netzinfrastruktur (Nord-Süd-Trassen).
Darüber hinaus wird auch das in der EU 2020-Strategie festgehaltene Ziel, die Energieeffizienz um 20% zu erhöhen, verfolgt.[111]
Das derzeit stark verfolgte energiepolitische Ziel der Umweltverträglichkeit kann nicht unabhängig verfolgt werden, sondern muss im magischen Dreieck des Energieversorgungssystems mit den Zielen der Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit in Einklang stehen. Oberstes Ziel ist nach wie vor die Aufrechterhaltung der hohen Versorgungssicherheit und schnellen Reaktion im Fall von Totalausfällen. Hierzu ist eine informationstechnische Vernetzung und stärkere Automatisierung der Netzführung in den bislang nur gering überwachten Verteilungsnetzen notwendig. Die dezentrale Erzeugung führt auch zu einem Wandel der Prozesse und Mechanismen des Energiemarktes und der Leistungsangebote.[112] Die hohe Fluktuation der Einspeisung von Energie aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen sowie deren...