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E-Book

Diagnostik und Therapie von Schlafstörungen

AutorDieter Riemann, Jürgen Staedt
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl206 Seiten
ISBN9783170265929
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
In unserer schnelllebigen und reizüberfluteten Zeit gewinnt das Thema 'Schlafstörung' zunehmend an Bedeutung. Trotz der beachtlichen Prävalenz von Schlafstörungen ist das Wissen darüber recht gering. Die Ursachen für Schlafstörungen sind komplex, es können organische und seelische Probleme oder Kombinationen aus beidem die Schlafstörung auslösen oder zu deren Chronifizierung beitragen. Dieses Buch vermittelt die grundlegenden Kenntnisse über die Differentialdiagnostik, Pharmakotherapie und Psychotherapie von Schlafstörungen, unter besonderer Berücksichtigung dementieller Erkrankungen.

Prof. Dr. med. Jürgen Staedt ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie/Memory Clinic, Vivantes Klinik Berlin-Spandau und anerkannter Somnologe der DGSM und DGKN. Prof. Dr. rer. soc. Dipl. Psych. Dieter Riemann ist Leiter der Sektion für Klinische Psychologie und Psychophysiologie/Schlafmedizin an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Freiburg und Adjunct Professor of Psychiatry, University of Rochester, NY.

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Leseprobe

2 Insomnien


2.1 Vorübergehende Insomnie


Vorübergehende Schlafstörungen z. B. für einen Zeitraum von einigen Tagen bis hin zu 1–3 Wochen sind häufig. Viele Menschen reagieren z. B. auf starken Stress, anstehende aufregende Ereignisse oder im Verlauf von körperlichen Erkrankungen mit Ein- und Durchschlafstörungen.

In der Regel werden Psychotherapeuten nicht mit solchen passageren Insomnien konfrontiert. Ist der Auslösemechanismus eindeutig explorierbar (z. B. anstehende Prüfung oder geplante große Reise), so kann nach schlafhygiener Beratung (s. Abschnitt 6.1.3) bei stark ausgepägter Einschlafstörung auch ein Hypnotikum mit kurzer Halbwertszeit gegeben werden (s. dazu auch die Tabellen im Anhang unter 8.2). Bei aktiver Teilnahme am Straßenverkehr ist die Verordnung von Zolpidem zu empfehlen, da letztere Substanz sich im Gegensatz zu Zopiclon und Lormetazepam in Fahrsimulatoruntersuchungen 9–11 h nach der Einnahme nicht von Placebo im Einfluss auf die Fahrtauglichkeit unterschied (Staner et al., 2005). Wichtig ist aber, dass mit dem Patienten gleich zu Beginn die Dauer der Verschreibung des Benzodiazepinpräparates (maximal 4–6 Wochen) erörtert wird, um der Entwicklung einer chronischen Insomnie vorbeugen zu können (s. Abschnitt 2.2). Zusätzlich empfiehlt es sich, z. B. mit dem folgenden, vom Patienten auszufüllenden Fragenbogen zur Schlafhygiene (Abb. 2.1) den Schlaf potentiell verschlechternde Faktoren zu erfassen und in der Behandlung zu berücksichtigen.

2.2 Chronische Insomnie


Die häufigste Form der chronischen Insomnie ist die sogenannte psychophysiologische Insomnie. Die Betroffen klagen über Ein- und Durchschlafstörungen, die zeitlich koinzidierend mit einem belastenden Lebensereignis erstmals auftraten und nach Wegfall des auslösenden Ereignisses persistierten. Häufig finden sich aber auch in dieser Patientengruppe fortgesetzte Traumatisierungen, Verluste und Erkrankungen (Healey et al., 1981). Charakteristische Merkmale sind:

  • Verbesserung des Schlafes im Urlaub oder in ungewohnter Umgebung,
  • Einschlafen abends im Sessel beim Lesen oder Fernsehen,
  • seit Jugend bei Belastung leicht störbarer Schlaf,
  • Einschlaflatenz > 30 min,
  • Gesamtschlafzeit < 6 h,
  • Schlafeffizienz (Schlafzeit/Bettzeit) < 85 %,
  • Leichte Tachykardie um 70–80/min im NONREM-Schlaf.

Es ist zu beachten, dass sich im Endeffekt eine durch andere Ursachen ausgelöste Schlafstörung in ihrer Symptomatologie ähnlich präsentieren kann. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, strukturiert die Anamnese und die klinisch/laborchemischen Untersuchungen zu erheben, die beispielhaft in Tab. 2.1 aufgeführt sind. Im Rahmen der Basisdiagnostik sind dann zunächst die unter Abschnitt 2.3 und 2.4 aufgeführten Differentialdiagnosen auszuschließen.

Schlafhygieneprotokoll

Trifft zu

trifft teilweise zu

trifft nicht zu

Bemerkung

1. Schlafen Sie tagsüber (mehr als zweimal die Woche)?

2. Haben Sie unregelmäßige Aufsteh- und Zubettgehzeiten?

3. Verbringen Sie teilweise sehr viel Zeit im Bett?

4. Konsumieren Sie regelmäßig abends Kaffee oder schwarzen Tee?

5. Konsumieren Sie regelmäßig abends Alkohol?

6. Konsumieren Sie regelmäßig abends Zigaretten?

7. Konsumieren Sie regelmäßig abends Drogen?

8. Haben Sie häufiger noch kurz vor dem Schlafengehen (ca. 4 Stunden zuvor) verstärkte körperliche Aktivitäten?

9. Haben Sie häufig abends seelisch aufwühlende Aktivitäten?

10. Schauen Sie häufig fern im Bett und nehmen dort gegebenenfalls auch Mahlzeiten zu sich?

11. Lagern Sie in Ihrem Schlafzimmer Dinge, die Sie möglicherweise noch an unerledigte Arbeiten (z.B. Akten, Reparatur, Bügeln, Stopfen) erinnern?

12. Beschäftigen Sie sich häufig gedanklich im Bett mit Problemen?

Prüfen Sie bitte, ob Sie alle 12 Fragen beantwortet haben.

Abb. 2.1: Schlafhygieneprotokoll

2.2.1 Pathophysiologie der Insomnie


Um die Pathophysiologie der Insomnie besser verstehen zu können, ist es notwendig, sich mit der Physiologie der Entstehung des NONREM-Schlafs auseinanderzusetzen. Während der Wachphasen werden die sensorisch eingehenden Signale direkt über den Thalamus in Bereiche der Großhirnrinde weitergeleitet. Im EEG können wir zeitgleich eine sogenannte Desynchronisation (Alpha- und Beta-Frequenzen) beobachten (s. Abb. 2.2 a). Dabei passieren diese einlaufenden Informationen alle die Nuclei reticulares thalami. Die Kerngebiete liegen als Zellschicht kappenförmig auf beiden Seiten des Thalamus. Die Nuclei reticularis thalamii erhalten von den durchziehenden Faserbündeln erregende Signale und wirken im Gegenzug dämpfend auf die durchlaufenden Informationen. Wenn der sensorische Input z. B. durch Augenlidschluss vermindert wird, werden die dadurch vermindert in die Nuclei reticularis thalamii einlaufenden nicht-synchronisierten Signale durch hemmende Rückkopplungen in gruppierte Entladungen umgewandelt, die dann im EEG bei Augenlidschluss als typischer Alpha-Rhythmus zu sehen sind (s. Abb. 2.2 b). Mit zunehmender NONREM-Schlaftiefe I→IV nimmt auch die Aktivität des aufsteigenden aktivierenden retikuären System (ARAS) ab, und der zum ARAS gehörende Nucleus basalis Meynert hemmt in Folge seiner Aktivitätsabnahme die Nuclei reticularis thalamii weniger. Dadurch sind die Nuclei reticularis thalamii während der Schlafphase „gleichsam von der Leine gelassen“ und gehen in einen Oszillatormodus über und zwingen dieses Aktivitätsmuster den thalamo-kortikalen Bahnen auf. In der Folge treten deshalb abwechselnd kaum Signale und dann kurzzeitig viele Signale als Bursts mit einer Frequenz von 7–14 Hz auf. Bestimmte Frequenzmuster (12–14 Hz) tauchen gruppiert auf und werden als sogenannte Schlafspindeln bezeichnet (s. Abb. 2.2 c). Auch die langsamen 1–2 Hz-Wellen im Tiefschlaf werden durch das thalamokortikale Wechselspiel erzeugt (s. Abb. 2.2 d). Lediglich die ganz langsamen Frequenzen um 1 Hz werden von den Nervenzellen der Großhirnrinde selbst erzeugt (Übersicht s. Steriade & Timofeev, 2003). Zusammenfassend bedeutet das, dass das ARAS während des ungestörten NONREM-Schlafes mit zunehmender Schlaftiefe inaktiver und die Nuclei reticularis thalami aktiver werden und hemmend auf sensorische Information einwirken, die über den Thalamus (Grenzposten zur Großhirnrinde) zur Großhirnrinde weitergeleitet werden möchten. Oder anders ausgedrückt, ab NONREM-Stadium II wird die Großhirnrinde zunehmend vor von „außen hereinkommenden Botschaften“ geschützt, um nach „Abarbeiten des Schlafdruckes“ in der zweiten Nachthälfte wieder linear zunehmend auf externe Botschaften reagieren zu können (Ferrara et al., 1999). Bei chronisch schlafgestörten Menschen kommt es nun nicht zu einer ausreichenden Aktivitätsabnahme des ARAS, genauer gesagt des zum ARAS gehörenden Nucleus basalis Meynert, der durch seine Aktivitätsabnahme maßgeblich für das Entstehen des NONREM-Schlaf-EEG-Musters verantwortlich ist. In der Folge kann auch im NONREM-Schlaf sensorische Information ungehindert durch den Thalamus in die Großhirnrinde kommen, und es treten im Schlaf zunehmend ganz kurze EEG-Beschleunigungen auf und der Schlaf wird gestört (s. Abb. 2.2 e).

Tab. 2.1: Basisdiagnostik der Schlafstörung

1. Körperliche Anamnese / Diagnostik

  • frühere und jetzige körperliche Erkrankungen
  • ...
Blick ins Buch

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