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Diakonische Kompetenz entwickeln - Verantwortung lernen

Didaktische Perspektiven für die Sekundarstufe I und II

AutorGabriele Klappenecker
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl112 Seiten
ISBN9783170251533
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Diakonische Bildungsprozesse werden traditionell von Schulen in kirchlicher Trägerschaft initiiert. Aber auch für staatliche Schulen ohne kirchliche Trägerschaft sind sie - als Formen der Bildung zur Verantwortung - bedeutsam. In der Diakonie-Didaktik ist bisher das sogenannte situated learning bestimmend. Es sind aber aus religionspädagogischer Sicht darüber hinaus auch Formen des service learning zu erschließen. Die Modelle des situated learning und des service learning werden hinsichtlich ihrer Plausibilität für die Bildung und das Lernen von Verantwortung entfaltet und die spezifischen Kompetenzen eines solchen Lernens aufgezeigt.

Dr. Gabriele Klappenecker ist apl. Professorin der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und Pfarrerin der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

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Leseprobe

III.        Diakonische Bildung


1.          Leitende Fragen


Was leistet der so beschriebene Begriff der Verantwortung im Blick auf die Aufgabenbestimmung von Diakonie und auch von Diakoniedidaktik? Wie kann er in Lernprozessen im Unterricht und außerhalb des Unterrichts beitragen zu einem Können und Wissen, welches sich auf die Gestaltung der geschichtlichen Gegenwart auswirkt? Worin liegt seine besondere Stärke, vor allem dann, wenn die Lehrperson sich mit kirchlich kaum sozialisierten Schülerinnen und Schülern ins Gespräch begibt?

2.          Verantwortung in diakonischer und diakoniedidaktischer Perspektive


2.1       Allgemein


Der Verantwortungsbegriff kann dabei helfen, die Motive des diakonischen Handelns zu klären und dies auch im interdisziplinären Gespräch – etwa mit den Sozialwissenschaften. Theologie kann keine direkten Handlungsanweisungen geben, wohl aber „Modelle zur Wahrnehmung von Not und zur Praxis des Helfens aus dem Fundus der christlichen Tradition“ geben.42 Kirchengeschichtliche Epochen und christliche Traditionen inspirieren zur Verantwortungsübernahme – für sich selbst und für andere.43

Was geschieht, wenn man den Begriff der Verantwortung einbindet in die Intention diakonischer Bildung? Die grundlegende Intention diakonischer Bildung besteht ja darin, einen Zugang zu einem substantiellen Diakonieverständnis zu ermöglichen. Diakonische Bildung will dazu befähigen, ein eigenes diakonisches Selbstverständnis zu entwickeln, diakonische Praxis zu reflektieren und diese zu gestalten. „ Diakonische Bildung ist Seh- und Deutehilfe für das Diakonische44.

Das Diakonische wiederum, von der substantiellen Zielrichtung her gefasst, ist das Gemeinwohl, die Teilhabe aller daran, ist eine Kultur der Barmherzigkeit und des Helfens.45 Kirche – und damit auch Diakonie – ist Gemeinschaft der Teilhabe und der Teilgabe46: Kirche ist Leib Christi. Danach stellt die Tischgemeinschaft beim Abendmahl die Grundstruktur der Kirche dar. Die Gemeinschaft entsteht durch Teilhabe an dem einen Brot und bewährt sich in der Verantwortung füreinander. Im „Wort der Diakonischen Konferenz zum Europäischen Jahr 2010 zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“47 werden zehn konkrete Schritte auf dem Weg zu einer gerechten Gesellschaft genannt, die sich dadurch auszeichnet, dass alle Menschen an der Gesellschaft und ihrem Wohlstand teilhaben können.

Ein besonderes Augenmerk wird in diesem Wort auf Kinder und Jugendliche gerichtet, denen gute Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten von Anfang an zu geben sind. Behinderten Menschen, so wird weiter gefordert, ist ein wohnortnaher und barrierefreier Zugang zu einer erschwinglichen gesundheitlichen Versorgung zu gewährleisten. Flüchtlingen ist eine Grundsicherung und soziale Unterstützung, Integration in existenzsichernde Arbeit zu gewährleisten. Auch die Auseinandersetzung mit weltweiten Armutsphänomenen und mit Strategien zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung werden als dauerhafte Aufgabe für diakonisches Handeln angesehen.

Eine recht weite Definition des Bildungsauftrags der Diakonie lautet, „den christlichen Glauben und das von ihm bestimmte helfende Handeln als Lebensmöglichkeit und Chance für die Gesellschaft zur Geltung zu bringen“.48 „Diakonisches Lernen ist der Name für ein pädagogisches Konzept des christlich verantworteten solidarischen Lernens“.49 Die Bildungsintention der Diakonie zielt darauf, „das Gemeinwesen über die Grenzen von Kulturen solidarisch zu gestalten.“50 Die Gemeinwesendiakonie geht aufgrund ihres umfassenden Interesses für die Menschen und ihre Probleme über die Grenze kirchlicher und diakonischer Einrichtungen hinaus.51 Sie arbeitet daran mit, „funktionierende Sozialräume zu gestalten und Notlagen präventiv zu verhindern“52, sie sucht „der Stadt Bestes“ (Jer 29,7) und sie leitet ihr Handeln daraus ab, dass Diakonie eine „Wesens- und Lebensäußerung der Kirche“53 ist. Diakonisches Handeln leistet einen Beitrag zu einer „verantwortlichen, gerechten und solidarischen Gemeinschaft“.54

Die Kirche ist mit keiner erfahrbaren Sozialgestalt identisch. Sie ist „immer Gemeinschaft leibhaft kommunizierender Menschen und unverfügbare Wirkung des Geistes“.55 In Wortverkündigung, Taufe und Abendmahl sind jene elementaren Lebensäußerungen von Christinnen und Christen verankert, die auf eine wirksame Sozialgestaltung zielen.56

In Korrespondenz zur Wortverkündigung, die auf ein personales Bildungsgeschehen zielt, steht die Teilnahme an den Bildungsprozessen der Gesellschaft.

In Korrespondenz zur Taufe, die die unverlierbare Würde eines jeden Menschen symbolisiert, steht die Teilnahme am Gerechtigkeitshandeln und an der Rechtspraxis der Gesellschaft.

In Korrespondenz zur Feier des Abendmahls schließlich, welche das Solidaritätsethos der christlichen Gesellschaft zum Ausdruck bringt, steht die Praxis solidarischer Hilfe.

In ihrem Bildungs-, Gerechtigkeits- und Hilfehandeln, so Reuter, tut die Christenheit etwas, was auch von Nichtchristen und gemeinsam mit ihnen getan werden kann.

Konzipiert man Kirche als „Kirche für andere“ (D. Bonhoeffer), ist die Teilnahme der Diakonie an der gesamtgesellschaftlichen Sozialversorgung berechtigt. Nur zusammen mit anderen sozialen Kräften und Gruppen kann sich die Kirche für breite Lernprozesse öffnen, so dass in der Gesellschaft eine Kultur des Sozialen wachsen kann;57 das heißt auch: eine Kultur der Verantwortungsübernahme.

2.2        Zwei grundlegender Modelle der Didaktik, die das Verantwortungslernen fördern


2.2.1     Einführung


Man kann den Diakonie-Begriff erhellen durch Perspektivierung des Kontextes von Diakonie, durch ihre Strukturierung nach Typen, oder aber, indem man ihre substantielle Zielrichtung betrachtet:58

Unter einem Kontext kann man beispielsweise verstehen: die kirchliche Sozialarbeit, die Aktivität einer Kirchengemeinde oder die theologische Reflexion. In diesem letztgenannten Kontext kennzeichnet Diakonie ein hermeneutisches Prinzip.

Man kann darüber hinaus Diakonie-Typen identifizieren: Es kann sich etwa um regionale Diakonische Werke, Fachverbände, Basisgemeinschaften oder Gruppen und Initiativen handeln.

Auch die substantielle Zielrichtung von Diakonie kann perspektiviert werden, beispielsweise das Gemeinwohl, die Befähigung zur Teilhabe, eine Kultur der Barmherzigkeit, des Helfens und der Verantwortungsübernahme.

Bildung, so die Denkschrift der EKD, ist zu sehen als „Zusammenhang von Lernen, Wissen, Können, Wertbewusstsein, Haltungen (Einstellungen) und Handlungsfähigkeit im Horizont sinnstiftender Deutungen des Lebens.“59

Diakonische Leitbegriffe wie Verantwortung, Menschenwürde, Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Solidarität sind mit den Schülerinnen und Schülern theologisch zu reflektieren, sozialwissenschaftlich zu befragen, und beides ist auch im Blick auf die zivilgesellschaftliche Reichweite dieser Begriffe vorzunehmen. Die Praxisphase muss nicht notwendig nur in einer explizit diakonischen Einrichtung stattfinden.

Im Folgenden sollen zwei Lernmodelle skizziert werden, um sie anschließend auf ihre Leistung für eine Didaktik des Verantwortungslernens zu überprüfen.

2.2.2     Darstellung beider Modelle


Es gibt zwei etablierte Lernmodelle, das situated learning und das service learning60, die diesen Grundansatz unterstützen können. Letzteres ist leider hinsichtlich seines diakonischen Bildungspotentials noch nicht genügend beachtet worden.61

Das situated learning ist von der Grundeinsicht getragen, dass Wissen nur bedeutungsvoll ist, wenn es an ursprüngliche Lernsituationen gebunden, in ihnen situiert bleibt. In einem diakonischen Bildungsinteresse ermöglicht man beispielsweise am Evangelischen Schulzentrum Michelbach, einer kirchlichen Schule, Schülerinnen und Schülern ein Praktikum an einem von der Diakonie getragenen Krankenhaus und leitet sie dazu an, sich mit dessen Ethos des Helfens auseinanderzusetzen.

Beim service learning ist ebenfalls die Einsicht leitend, dass Wissen durch Situierung bedeutsam wird.62 Jedoch werden Situationen nicht primär als institutionell, d. h. nicht als durch spezifische Gemeinschaften definiert verstanden. Die...

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