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Didaktik und Neurowissenschaften

Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis

AutorMichaela Sambanis, Petra A. Arndt
VerlagNarr Francke Attempto
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783823300663
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Didaktik und Neurowissenschaften ist das Ergebnis intensiver Auseinandersetzung mit Forschungsbeständen der Neurowissenschaften, Didaktik, Psychologie und Erziehungswissenschaft. Erkenntnisse, die für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen relevant sind, werden in verständlicher Sprache zugänglich gemacht und Knotenpunkte im Wissen geschaffen. In sog. Praxisfenstern wird die Bedeutung der empirischen Befunde für den Unterricht diskutiert, Impulse für die Unterrichtsgestaltung werden entwickelt.

Prof. Dr. Michaela Sambanis ist Lehrstuhlinhaberin für die Didaktik des Englischen an der Freien Universität Berlin. Dr. Petra A. Arndt ist geschäftsführende Gesamtleitung des ZNL TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen, Universität Ulm.

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Leseprobe

2.2 Verbindung ist alles: Ein gigantisches neuronales Netzwerk wächst zusammen


Zum „Erwachsenwerden“ von Nervenzellen gehört es, dass sie Verbindungen zu anderen Nervenzellen ausbilden. Sie verknüpfen sich zu einem riesigen neuronalen Netzwerk aus Nervenfasern und Synapsen (Verbindungsstellen). Dieses Netzwerk bildet die Grundlage aller Hirnfunktionen, egal ob Wahrnehmung, Denken, Lernen, die Steuerung von Handlungen oder auch automatische und unwillkürliche Prozesse. Über die Synapsen sammeln Neurone Informationen und geben sie weiter. Veränderungen und Umbau der Synapsen setzen sich während des gesamten Lebens fort.

Um Synapsen mit anderen Nervenzellen aufzubauen, bilden Neurone verschiedene Arten von Ausläufern aus. Die Ausläufer, die Informationen von anderen Nervenzellen einsammeln, also sozusagen die „Antennen“, nennt man Dendriten. Dendriten bilden Verästelungen, die je nach Lage im Gehirn und künftiger Funktion des Neurons eine sehr unterschiedliche Form haben (Abb. 1).

Abb. 1: Abbildung von zwei Neuronen. Je nachdem, wo sie im Gehirn lokalisiert sind und wie sie Informationen aufnehmen und verarbeiten, bilden Nervenzellen unterschiedlich geformte Dendritenbäume aus. Dendriten sind Zellfortsätze von Neuronen, über die Signale von anderen Nervenzellen oder von Sinneszellen aufgenommen werden. Über das Axon werden Signale an andere – auch weiter entfernt liegende – Neurone weitergegeben. Axone können unterschiedlich lang sein und Verzweigungen aufweisen. Die Endigungen der Axone werden als Axonterminalen bezeichnet.

Um Informationen weiterzugeben, entwickeln Neuronen einen mehr oder weniger langen Fortsatz, das Axon. Über die Axone laufen die Informationen im Nervensystem in Form elektrischer Impulse. An ihrem Ende sind Axone mal stärker, mal weniger verzweigt und bilden den Kontakt mit einem oder mehreren Dendriten oder der Zelloberfläche eines nachgeschalteten Neurons aus (oder auch mit einem Muskel oder einer Drüse). Auch in der Länge und Verzweigung ihrer Axone unterscheiden sich Neurone je nach Lage und Funktion. Damit auch lange Axonfäden ihren Weg finden und z.B. verschiedene Hirngebiete miteinander vernetzen können, sind sie wieder auf die Hilfe von Gliazellen angewiesen. Einige Gliazellen liegen wie Streckenposten an bestimmten Stellen im Gehirn und „weisen“ die auswachsenden Axone in eine bestimmte Richtung, andere locken Axone über chemische Botenstoffe an oder geben Substanzen ab, die als eine Art „Schreckstoff“ verhindern, dass Axone in die falsche Richtung wachsen. So wird sichergestellt, dass die heranwachsenden Neurone sich in der richtigen Art und Weise miteinander verbinden.

Abb. 2: Die Axonterminale (blau) bilden mit der Oberfläche eines Informationen empfangenden Neurons (nachgeschaltetes Neuron, rosa) Verbindungsstellen, die sogenannten Synapsen. Nervenimpulse laufen über das Axon bis zur Synapse und lösen dort die Ausschüttung von Neurotransmittern aus. Wird (über alle Synapsen zusammen) ausreichend Neurotransmitter ausgeschüttet, entsteht im nachgeschalteten Neuron ein elektrischer Impuls, der über das Axon des nachgeschalteten Neurons (nicht abgebildet) erneut weitergegeben wird.

2.1 Warum chemische Synapsen?

Neurone leiten Informationen in Form elektrischer Signale, der sogenannten Aktionspotentiale, teilweise über weite Strecken. Die Übertragung der Aktivität erfolgt aber in den meisten Fällen nicht direkt, indem der elektrische Impuls zwischen Neuronen überspringt. Vielmehr führt der elektrische Impuls, der über ein Axon zur Synapse läuft, dazu, dass am Ende des Axons Botenstoffe (Neurotransmitter) ausgeschüttet werden. Die Dendriten der nachgeschalteten Nervenzelle (und evtl. auch noch andere Stellen auf ihrer Zelloberfläche) nehmen den Neurotransmitter über Rezeptoren auf, die in der Synapse lokalisiert sind. In Abhängigkeit von der Menge des Neurotransmitters öffnen sie einige oder viele Kanäle in der Zelloberfläche. Durch diese Kanäle strömen positiv geladene (Natrium-)Ionen in die Nervenzelle ein und verändern die elektrische Spannung zwischen Innenseite und Außenseite der Nervenzelle. Wenn das an mehreren Stellen der Zellmembran geschieht, strömt so viel Natrium in die Zelle ein, dass ein neuer elektrischer Impuls in die Informationen empfangenden Zelle ausgelöst wird, der dann als sogenanntes Aktionspotential über das Axon der Nervenzelle wieder an weitere Neurone geschickt wird. Auf diese Weise wechseln sich elektrische und chemische Signale ab, wenn Informationen zwischen Nervenzellen weitergegeben werden. Die Umwandlung braucht einige Zeit und beeinflusst die Verarbeitungsgeschwindigkeit des Nervensystems deutlich. Wo aber liegt der Vorteil dieser komplizierten und zeitraubenden Umwandlung der Signale?

Zum einen sind chemische Synapsen gut regulierbar. Eine Reduktion oder Anhebung der im Axon verfügbaren Neurotransmittermenge hat umgehend Einfluss auf die Intensität der weitergegebenen Signale. Andere Stoffe z.B. Hormone oder Botenstoffe, die von anderen Neuronen oder Gliazellen ausgeschüttet werden, können die Wirkung von Neurotransmittern verstärken oder verringern. Eine solche Feinregulierung ist bei direkter elektrischer Übertragung nicht möglich.

Zum zweiten können chemische Synapsen ihre Übertragungseigenschaften durch Umbau langfristig und dauerhaft verändern. Diese Fähigkeit zum Umbau wird als synaptische Plastizität bezeichnet. Sie ist die Grundlage von Lernprozessen und erlaubt es, neue Erfahrungen und Lerninhalte im Gehirn zu verankern, indem Synapsen vergrößert werden. Von den größeren Synapsen werden Nervenimpulse schneller und effektiver weiterleitet. In diesen Verbindungen zwischen Nervenzellen ist das Wissen repräsentiert und kann durch Aktivierung des entsprechenden Nervennetzes abgerufen werden.

Bei der Geburt eines Menschen sind die meisten Neuronen bereits vorhanden. Auch grundlegende Verbindungen sind bereits angelegt, darunter die Verbindungen zwischen verschiedenen Arealen der Großhirnrinde, Verbindungen von den Sinnesorganen zur Großhirnrinde und von der Großhirnrinde über das Rückenmark zur Muskulatur.

Ab der Geburt nimmt die Anzahl der Synapsen in der Großhirnrinde rasant zu (vgl. Casey et al. 2005). Das bedeutet, dass sich die Vernetzung zwischen den Nervenzellen sinnvollerweise überwiegend erst nach der Geburt vollzieht, denn so hat das Gehirn die Möglichkeit, seine Vernetzung auf die vorhandene Umwelt auszurichten. Unter diesem Aspekt ist es auch alles andere als verwunderlich, dass der motorische Cortex, also der Teil der Großhirnrinde, der Signale an die Muskulatur sendet, um willkürliche Bewegungen zu erzeugen, bei der Geburt bereits eine intensive Vernetzung aufweist (vgl. Casey et al. 2005). Schließlich hat sich das Kind im Mutterleib schon viele Male bewegt. Ähnlich ist es beim sogenannten somatosensorischen Cortex, der Berührungs- und Tasteindrücke verarbeitet, u.a. eben die Berührung mit Fruchtblase oder Nabelschnur, aber auch die Eindrücke, die entstehen, wenn das Kind sich selbst berührt. Diese beiden Gehirngebiete sind in Abb. 3 dunkelrot und dunkelblau gefärbt. Direkt nach der Geburt folgt die Zunahme der Vernetzung der Hirngebiete, die Signale von Auge und Ohr erhalten, des primären visuellen Cortex (Sehcortex, pink in Abb. 3) und des primären auditorischen Cortex (Hörcortex, dunkelgrün in Abb. 3). Zwar gibt es im Mutterleib schon viel zu hören und auch ein bisschen was zu sehen, aber diese Sinneseindrücke unterscheiden sich von dem,...

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