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Didaktische Konsequenzen aus Märchentheorien für den Deutschunterricht der Grundschule

Am Beispiel der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm

AutorSusanne Göpel
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl80 Seiten
ISBN9783638403313
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Didaktik - Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft, Note: 1, Universität Hamburg (Didaktik der Sprachen), 80 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Märchentheorien aus der Literaturwissenschaft, der Psychologie und der Volkskunde und deren didaktische Konsequenzen für den Deutschunterricht der Grundschule. Für jede Forschungsrichtung wurden zwei belangvolle Wissenschaftler gewählt, deren Arbeiten die Ergebnisse der jeweiligen Forschung repräsentieren sollen. Der zweite Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich mit der Anwendbarkeit dieser Märchentheorien im Unterricht. Als Märchenbeispiele dienen die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Vor allem auf das Märchen Aschenputtel wird näher eingegangen. Dieses dient als Exempel für die praktische Anwendbarkeit der Märchentheorien.

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Leseprobe

3. Analyse und Interpretation des Märchens Aschenputtel


 

Aschenputtel beziehungsweise „Cinderella“ wie das Märchen im englischen Sprachraum heißt, ist eines der bekanntesten und beliebtesten Grimms Märchen von Kindern und Erwachsenen. Es handelt von den Leiden und Hoffnungen eines Mädchens, das durch den Tod seiner Mutter zu einer Bediensteten degradiert wird und davon, wie die gedemütigte Heldin schließlich doch noch über ihre Geschwister, die sie misshandeln, triumphiert.

 

3.1. Literaturwissenschaftliche Analyse und Interpretation


 

Ein Kind hat natürlicherweise Anspruch darauf, von seiner Mutter behütet und gehegt zu werden. Die Mutter von Aschenputtel aber verstirbt zu Beginn des Märchens und kann sich um ihr Kind nicht mehr kümmern. Ein halbes Jahr nach dem Tod seiner Frau heiratet Aschenputtels Vater ein zweites Mal. Die Stiefmutter bringt zwei eigene Kinder mit ins Haus und sie wie auch ihre Kinder sind niederträchtig. Die Ausgangssituation des Märchens beschreibt Aschenputtels missliche Lage, aus der es sich befreien muss. Sie ist auf sich selbst gestellt und in gewissem Maße von ihrer Umwelt isoliert.

 

Der weitere Handlungsverlauf ist zwei- und dreigeteilt. Zweimal bittet Aschenputtel Vögel, ihr bei der von der Stiefmutter auferlegten Arbeit zu helfen. Dreimal geht sie zu dem Grab ihrer Mutter und bittet den darauf stehenden Haselbaum um schöne Kleider für das Fest vom König, welches drei Tage andauert. Zweimal besucht sie dieses Fest heimlich und unerkannt. Das dritte Mal bleibt ihr Pantoffel an der mit Pech bestrichenen Treppe hängen. Und da sie die Einzige ist, der dieser Schuh passt, wird sie zur Gemahlin des Königsohns. Wie alle Märchen findet also auch dieses ein gutes Ende.

 

Inhaltlich kommen menschliche Verhaltensweisen wie die Intrigen der Steifmutter vor. Mit den Aufgaben, die sie Aschenputtel stellt, möchte sie verhindern, dass sie zu dem Fest des Königs kommt. Der König ist auf der Suche nach einer Frau für seinen Sohn, und die böse Stiefmutter hofft, er würde eine ihrer Töchter wählen. Aschenputtels Erscheinen stellt demnach eine Konkurrenz für ihre Töchter dar.

 

Die Heldin des Märchens kommt während der Geschichte häufig mit einer den Alltag überschreitenden Welt in Berührung. Die Vögel als ihre Helfer verstehen scheinbar ihre Stimme wenn sie ruft: „Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen, die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“ (Grimm 2003, 370). Auch wirken ihre dreimal wiederholten Worte „Bäumchen rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich“ (Grimm 2003, 372ff.), auf die ein Vogel ihr jedes Mal ein schöneres Kleid vom Baum wirft, wie ein Zauberspruch.

 

Aschenputtel ist die Hauptträgerin der Handlung. Sie gehört der menschlich-diesseitigen Welt an, besitzt aber wie bereits oben genannt, die Fähigkeit mit Tieren zu sprechen. Diese Gabe, die sie zur Lösung ihrer Aufgabe instand setzt, bezeichnet Lüthi (1990, 27) als Hauptrequisit. Die Tiere sind ihre Helfer und wie in vielen anderen Märchen, gehören auch Aschenputtels Helfer der außermenschlichen Welt an. Die Gegenakteure der Heldin sind die Stiefmutter und ihre beiden Töchter. Sie sind ganz auf Aschenputtel bezogen als ihre Schädiger.

 

Der richtige Name Aschenputtels wird kein einziges Mal erwähnt. Auch werden nie Namen der restlichen Familienmitglieder explizit genannt. Sie sind nur Vater beziehungsweise „der Alte“ (Grimm 2003, 372), Mutter, Stiefmutter und Stiefschwestern. Sogar der Sohn des Königs wird nur als Königssohn bezeichnet.

 

Die Gestalten des Märchens haben zudem keine Persönlichkeit, keine Körperlichkeit und keine gefühlsmäßige Innenwelt. Ihre Charaktere werden an keiner Stelle des Märchens näher erläutert. Der Leser erfährt nur durch die Worte der im Sterben liegenden Mutter, dass Aschenputtel weiterhin „fromm und gut“ (Grimm 2003, 368) bleiben soll. Die beiden Stieftöchter werden eingangs undifferenziert als „garstig und schwarz von Herzen“ (Grimm 2003, 368) beschrieben. Die Gefühle Aschenputtels über den Tod ihrer Mutter werden nicht genannt. Sie werden nur in Handlungen ausgedrückt, indem es jeden Tag hinaus zum Grab geht und weint.

 

Es herrscht ein Dualismus vor. Aschenputtel auf der einen Seite ist ein liebes, braves Kind. Ihre Stiefmutter und deren beide Töchter sind bösartig und ungerecht. Ein Zwischending zwischen gut und böse scheint es nicht zu geben.

 

Die Requisiten des Märchens Aschenputtel sind klar und deutlich gezeichnet. Oft sind sie metallisch. So wird zum Beispiel Aschenputtels Pantoffel als „klein und zierlich und ganz golden“ (Grimm 2003, 374) benannt und das erste Kleid welches vom Haselbaum fällt besteht aus Gold und Silber. Auffallend sind auch die Orte, an die sich Aschenputtel nach den Feierlichkeiten rettet. Um das erste Mal unentdeckt zu bleiben, springt sie in ein Taubenhaus. Das zweite Mal springt sie zwischen die Äste eines schönen, großen Baums, „an dem die herrlichsten Birnen hingen“ (Grimm 2003, 373). Die beiden Requisiten erinnern an die hilfsbereiten Vögel und den Haselbaum auf dem Grab ihrer Mutter.

 

Auch die Eindimensionalität im Märchen wird deutlich. Aschenputtel verkehrt wie selbstverständlich mit den Vögeln und dem Haselbaum auf dem Grab ihrer Mutter. Sie empfindet weder Neugier noch Erkenntnisdurst, ob es bei den Geschehnissen mit rechten Dingen zugeht.

 

Raum und Zeit bleiben unklar, und den Personen des Märchens fehlt es an einer Vor- oder Nachwelt. Der einzige Anhaltspunkt, den der Leser oder der Zuhörer im Märchen finden kann, ist der Tod der Mutter Aschenputtels vor dem Winter und die Vermählung ihres Vaters im Frühjahr. Das Märchen erzählt: „Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weißes Tüchlein auf das Grab, und als die Sonne im Frühjahr es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau“ (Grimm 2003, 368).

 

Ohne tragischen Unterton erzählt das Märchen, wie am Ende den beiden Stiefschwestern erst das eine und dann das andere Auge von den Vögeln ausgepickt wird. Die grausamen Taten der Vögel sind sublimiert und wirklichkeitsfern. In der Realität würden Tauben Hochzeitsgästen in keinem Fall ihre Augen ausstechen, denn Tauben sind menschenscheue Tiere.

 

Doch Aschenputtel ist trotz seiner Realitätsferne ein „welthaltiges Märchen“ (Lüthi 1974, 63ff.). Das Motiv des Verlustes der Mutter, der erneuten Heirat des Vaters, der bösen Stiefmutter und Stiefgeschwister oder der Traumhochzeit zweier junger Leute wird es immer geben.

 

Im Folgenden wird kurz analysiert ob sich die moderne Fassung des Märchens „Aschenputtel“ der Brüder Grimm in eine Märchenformel nach dem Prinzip Propps umschreiben lässt.

 

 

 

Das Märchen Aschenputtel ist nur teilweise in eine Proppsche Märchenformel umzuschreiben. Es enthält viele Funktionen, die in seiner Arbeit nicht berücksichtigt wurden, wie zum Beispiel eine einfache List, mit der man das „Treppen mit Pech bestreichen“ des Königssohns bezeichnen könnte. Häufig sind Propps Erläuterungen zu seinen Abkürzungen zu differenziert. Natürlich wäre es möglich, anstelle jeder fehlenden Funktion die Kopulas zu setzen. Diese sind aber beliebig einsetzbar und aus diesem Grund zu unpräzise. Es ist allerdings möglich, dass sich die weitaus weniger bekannten älteren Fassungen des Märchens besser umschreiben lassen.

 

3.2. Psychologische Analyse und Interpretation


 

Das Märchen Aschenputtel erzählt nicht von Geschwisterbeziehungen, sondern von Beziehungen zwischen Stiefgeschwistern. Bettelheim (1988, 276) ist der Meinung, dass es auf diese Weise eine Animosität erklärt und annehmbar macht, von der man wünscht, dass sie zwischen echten Geschwistern nicht vorkommt. Kein anderes Märchen zeigt so deutlich die inneren Erlebnisse eines Kindes, das unter der Geschwisterrivalität zu leiden hat. Aschenputtel wird im Märchen von seinen Stiefgeschwistern erniedrigt und gedemütigt. Die Stiefmutter opfert zudem seine Interessen den ihrigen. Man lässt Aschenputtel die schmutzige Arbeit verrichten, und obwohl es seine Sache gut macht, bekommt es keinen Dank dafür; man verlangt nur noch mehr von ihm. Wenn eine Geschichte dem entspricht, was ein Kind tief in seinem Inneren fühlt, so erhält sie für das Kind die emotionale Qualität der „Wahrheit“. Die Ereignisse in Aschenputtel liefern ihm lebhafte Bilder, die seine überwältigenden, aber trotzdem meist unbestimmten Emotionen verkörpern.

 

Mit sehr seltenen Ausnahmen stehen die Emotionen eines Kindes, das unter der Geschwisterrivalität leidet, in keinerlei Verhältnis zu der Wirklichkeit. Während alle Kinder zeitweise stark unter diesen Gefühlen leiden, kommt es nur selten vor, dass Eltern eines ihrer Kinder den anderen opfern. So schwierig es für das Kind ist, etwas objektiv zu beurteilen, so weiß es doch, dass es selber nicht so behandelt wird wie Aschenputtel.

 

Allerdings fühlt sich ein Kind trotzdem oft misshandelt. Aus Aschenputtels Triumph schöpft es Hoffnungen für die eigene Zukunft, die es als Gegengewicht gegen den Kummer braucht. Damit ein Kind mit seinen Gefühlen der Erniedrigung und...

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