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E-Book

Die 5 Versuchungen eines CEO

AutorPatrick M. Lencioni
VerlagWiley-VCH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783527695102
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR

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Leseprobe

4 Kontakt


Zuerst rührte sich Andrew nicht. Er blickte nur auf den Sitz neben sich, als suchte er Rat bei jemandem, der gar nicht da war. Dann folgte er, ohne groß zu zögern, dem Mann in den nächsten Wagen. Der Hausmeister saß mit dem Rücken zur Tür. Und pfiff.

Andrew beschloss, der Mann müsse verrückt sein. Wer sonst würde um halb ein Uhr nachts U-Bahn fahren und Fremde auffordern, ihm zu folgen?, dachte er bei sich. Andererseits: Wer ist denn diesem Kerl nun wiederum durch den Zug gefolgt?

Vielleicht lag es ja daran, dass er müde war; vielleicht daran, dass er händeringend nach Ablenkung suchte. Aus welchem Grund auch immer, Andrew ging zu dem Mann und nahm auf der Bank ihm gegenüber Platz.

Bevor Andrew noch etwas sagen konnte, meinte der alte Mann sachlich: »Dieser Wagen ist der wärmste im ganzen Zug. Wenn die Nächte so kühl sind wie heute, sitze ich am liebsten hier, um zu reden.«

»Um über was zu reden?«, fragte Andrew und merkte sofort, wie unsinnig die Frage war. »Um mit wem zu reden?« hätte mehr Sinn gemacht.

Aber der alte Mann hatte schon geantwortet: »Worüber Sie halt reden wollen.«

Jetzt doch etwas verwirrt, stellte Andrew die naheliegende Frage: »Entschuldigen Sie, Sir, aber kenne ich Sie?« Er sagte zu Fremden immer »Sir«, besonders wenn sie älter waren. Auch bei Hausmeistern.

Der alte Mann lächelte. »Noch nicht.«

Nachdem er sich nun sicher war, dass der Alte nicht ganz bei sich war, wurde Andrews Ton väterlich, fast herablassend: »Sie arbeiten also hier im Zug?«

»Manchmal. Wenn ich hier halt gebraucht werde«, sagte der Alte ohne jede Spur von Wichtigtuerei. »Was machen Sie denn beruflich?«

Andrew wusste nicht so recht, was er sagen sollte. »Tja, ich würde sagen, ich arbeite in der Technologie-Branche.«

»Was für eine Technologie?«

»Ja, eigentlich alles, von Taschenrechnern bis hin zu kommerziellen Computersystemen. Ich arbeite bei einer Firma namens Trinity Systems.«

»Ah ja, von der habe ich schon gehört.«

Andrew fragte sich, ob er wohl nur vorgab, die Firma zu kennen.

Der alte Mann setzte seine Befragung fort: »Dann sind Sie also so eine Art Techniker?«

Andrew überlegte und beschloss, einfach Ja zu sagen und es dabei bewenden zu lassen. Aber dann spürte er aus irgendeinem unbekannten Grund plötzlich das Bedürfnis, dem alten Mann zu sagen, wer er war: »Genau genommen bin ich der Geschäftsführer. Andrew ist mein Name.«

»Na, ich bin Charlie. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Während sie Hände schüttelten, fiel Andrew auf, dass der alte Mann bei der Nennung seines Titels gar keine Reaktion gezeigt hatte. Weiß der überhaupt, was »Geschäftsführer« heißt?, fragte sich Andrew. Nach einigen Momenten unbehaglicher Stille fragte Andrew den alten Mann: »Und was genau machen Sie?«

Charlie lächelte. »Hören Sie, Andrew. Wir sind doch nicht hier, um über mich zu reden. Reden wir über Sie!«

Diese schräge Reaktion des Alten hätte Andrew beinahe amüsiert, hätten die Gedanken an die morgige Vorstandssitzung es nur zugelassen. »Tja wissen Sie, eigentlich hatte ich auf dem Weg nach Hause hier noch etwas arbeiten wollen. Ich habe morgen eine wichtige Konferenz, und dafür muss ich noch eine Menge tun.« Andrew fühlte sich sofort schlecht bei seinen Worten, weil er so klang, als wolle er das Gespräch mit dem Alten abwürgen, obwohl er genau das im Grunde ja vorhatte.

»Oh, das tut mir leid«, sagte Charlie höflich. »Sie sind beschäftigt. Na, dann will ich nicht länger stören.« Er stand auf, und Andrew beschloss, ihn ziehen zu lassen.

Auf einmal gingen die Lichter im Zug aus – dann wieder an – und schließlich ganz aus. Es wurde pechschwarz in dem stillstehenden Zug.

Aus der Dunkelheit hörte Andrew Charlies Stimme: »Keine Sorge, junger Mann!« Keine Sekunde später knipste der alte Mann eine Taschenlampe an. Andrew fragte sich, wo er die so schnell herhatte, aber er war froh, dass es wieder Licht gab, daher fragte er nicht weiter.

Dann sagte der alte Mann, als ob er den Satz vorher einstudiert hätte: »Tja, sieht so aus, als würden wir hier jetzt womöglich eine ganze Weile stehen. Warum erzählen Sie mir nicht einfach, was Sie bedrückt?«

Andrew starrte Charlie eine Zeit lang nur an. Und dann, als wäre er nicht Herr über seine eigene Reaktion, antwortete er nur: »Okay.«

Er konnte gar nicht glauben, dass er das gesagt haben sollte. Habe ich jetzt wirklich vor, diesem alten Knaben, diesem Hausmeister, von meinen Problemen zu erzählen? Bin ich wirklich derart verzweifelt? Scheint so, denn ich fange ja schon an. Andrew räusperte sich. »Ich weiß ja nicht, wie viel Sie vom Geschäftsleben verstehen, aber Geschäftsführer zu sein ist ganz schön kompliziert.«

»Tatsächlich?« Charlie schien überrascht. »Erzählen Sie!«

»Na, ich will ja nicht unhöflich sein, Charlie.« Er überlegte einen Moment, wie er es am nettesten ausdrücken könnte. »Aber ich bin nicht sicher, ob das für Sie wirklich interessant wäre.«

Charlie runzelte die Stirn.

Erst dachte Andrew, er hätte den alten Mann beleidigt. Dann sprach Charlie.

Er blickte sich in dem leeren Zug um wie ein Spion, dann beugte sich der alte Mann vor und flüsterte Andrew zu: »Also ich gehe damit ja nicht hausieren und binde es nicht jedem auf die Nase, Andrew, denn ich möchte nicht wie ein Angeber klingen. Aber als ich noch ein kleiner Junge war, hat mein Vater ein Unternehmen geleitet, und ich habe dabei so ein, zwei Sachen von ihm gelernt.«

Andrew versuchte, beeindruckt zu klingen: »Tatsächlich? Was war denn das für ein Unternehmen?« Er erwartete so etwas wie ein Haushaltswarengeschäft oder eine Reinigung.

»Es war eine Eisenbahngesellschaft«, erläuterte Charlie sachlich. »Aber das spielt keine Rolle. Mein Vater hat immer gesagt, Unternehmensführung ist Unternehmensführung, ganz gleich in welcher Branche.«

Andrew fragte sich, ob der alte Mann vielleicht unter Wahnvorstellungen litt, aber er beschloss, das Spiel weiter mitzuspielen: »Das hat er gesagt?«

»Oh ja. Und er hat noch etwas gesagt. Verstehen Sie das jetzt nicht falsch, Andrew, denn ich bin mir sicher, dass Sie Ihre Arbeit bestimmt sehr gut machen. Aber mein Vater hat auch immer gesagt, dass es nicht kompliziert sei – ein Unternehmen zu führen, meine ich. Er sagte immer: ‹Die Leute machen es sich kompliziert, weil sie Angst haben, auf die einfachen Probleme zu achten.› In ziemlich genau diesen Worten hat er es gesagt.«

Allmählich wurde Andrew nun doch ein wenig ärgerlich. »Jetzt sagen Sie mir mal eines, Charlie: Wie kommt denn der Sohn eines Eisenbahnchefs dazu, Hausmeister bei der U-Bahn zu spielen?«

Zu Andrews Überraschung war Charlie durch den scharfen Ton der Frage gar nicht verletzt. Im Gegenteil schien er jetzt eine ganz neue, freundliche Miene aufzusetzen. »Also was hat das denn jetzt um alles in der Welt mit Ihren Problemen zu tun, Andrew? Wenn Sie der Meinung sind, dass ich Ihnen nichts Wertvolles mitteilen kann, dann sagen Sie mir das einfach. Ich gehe dann gern weiter in den nächsten Wagen und suche mir da einen anderen Geschäftsführer, mit dem ich reden kann.«

Andrew war beeindruckt von der Selbstsicherheit des alten Mannes. Und er lächelte bei der Vorstellung, wie der Alte um diese Nachtzeit durch den Zug ziehen wollte, um jemanden zum Reden zu finden, noch dazu einen Geschäftsführer. Er beschloss, generös zu sein.

»Sie meinen also, ich mache es mir zu kompliziert, Charlie, ja?«

Charlie beantwortete die Frage, als sei sie in vollem Ernst gestellt worden: »Ich kann das nicht mit letzter Sicherheit sagen, Andrew, weil ich ja nicht auf Ihrem Posten sitze. Ich kann aber wohl sagen, dass es von der Idee her einfach sein sollte, Geschäftsführer zu sein.«

Er machte eine effektheischende Pause.

»Es sei denn natürlich, es geht gerade bergab bei Ihnen.«

Auf der Stelle färbten sich Andrews Wangen rot und seine Ohren begannen zu brennen. Selbst im schwachen Licht der Taschenlampe konnte Charlie die plötzliche Veränderung von Farbe und Ausdruck in Andrews Gesicht erkennen.

Mit dringender Besorgnis in der Stimme fragte Charlie: »Geht es etwa bergab bei Ihnen, Andrew? Dann müssen wir unbedingt reden. Ich hoffe sehr, Sie geben keiner der Versuchungen nach!«

Andrew setzte sich ein wenig auf. »Hören Sie, Charlie, es geht bei uns nicht bergab. Das Unternehmen hat im Moment vielleicht ein wenig zu kämpfen, aber dafür gibt es zahlreiche Gründe. Und mit Sicherheit bin ich der Meinung, dass es mit mir nicht bergab geht.«

Andrew machte eine kleine Pause, dann fragte er nach: »Aber was meinen Sie mit ‹Versuchungen›?«

»Ich meine, wenn es bei Ihnen bergab ginge – und es klingt ja...

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