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E-Book

Die alten Damen und das Meer

Eine wahre Geschichte

AutorKatia Bernardi
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783641213756
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Einmal das Meer sehen, bevor es zu spät ist - ein Traum wird wahr! Auf abenteuerlichen Umwegen ...
Sie träumen vom Meer, raus aus dem eintönigen Alltag der rauen Berglandschaft! Viele der resoluten Omis aus dem Seniorenclub eines kleinen italienischen Bergdorfes kennen das Meer nur aus dem Fernsehen oder von ausgeblichenen Postkarten. Was für jede Einzelne unmöglich erscheint, packen sie kurzerhand gemeinsam an. Beherzt stürzen sich die alten Damen ins Abenteuer. Doch in der Vereinskasse ist Ebbe und der Verkauf von Handgesticktem und Selbstgebackenem auf dem Kirchweihfest entpuppt sich nicht gerade als Goldgrube. Ein ungewöhnlicher Plan sorgt schließlich für Widerstand im Dorf, auch der Pfarrer zögert mit seinem Segen. Doch die strenggläubigen lustigen Witwen posieren selbstbewusst als Kalender-Girls. Hey, was die Feuerwehr kann, können sie schon lange! Beharrlich und unbeirrt verfolgen die alten Damen ihr Ziel: Sie wollen endlich einmal ans Meer.

Katia Bernardi, in Trento geboren, hat in Bologna an der Filmhochschule studiert und arbeitet als Autorin und Regisseurin von Dokumentarfilmen. Realität und Traum, Wirklichkeit und Fantasie verbindet Katia mit Hilfe einer magischen Mütze, die ihr die Fähigkeit verleiht, kleine unbeachtete Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Aus dem Trentino wäre sie auch gerne ans Meer gezogen, doch Katia Bernardi kam nur bis Turin, wo sie heute mit ihrer Familie lebt.

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Leseprobe

– 7 –

Der Traummann

Massimo war wirklich ein hübscher Bursche. Um die vierzig, Mehrtagebart, schwarze, große Sonnenbrille, hochgewachsen, kräftig, aber nicht dick, und mit sicherem Schritt. Untrennbar mit seinem Fotoapparat verbunden, und mit einem beigefarbenen Schal um den Hals, der ihm eine ganz besondere, etwas mysteriöse Aura verlieh. Im Dorf fiel er sofort auf. Massimo war ein Fremder, er kam aus der Stadt, und man sah es ihm von Weitem an, auch an der Art, wie er sich kleidete, mit Sicherheit ein bisschen zu sehr à la mode für Daone. Das Dorf und die Dorfbewohner verfügten über ein beinahe untrügliches Radar für die Ankunft von etwas Ungewohntem. Aus den Fenstern der kleinen, dicht an dicht stehenden Häuser konnte man neugierige Augen hervorlugen sehen, die aus dem Verborgenen verstohlen beobachteten, was draußen vor sich ging; und die frische Luft des ausgehenden Sommers verhieß etwas Neues. Auch Massimo hatte sich gedacht, dass es da oben zwischen den Bergen sicher eher frisch sein würde und an jenem Morgen eine helle Lederjacke übergezogen, bevor er in seinen großen, metallic-grauen Jeep gestiegen und sich über zahllose Serpentinen nach Daone hinauf aufgemacht hatte. Noch wusste er nicht, was ihn erwarten würde. Er hatte nur einen seltsamen Anruf einer entfernten Verwandten bekommen, die in jenem kleinen, zwischen den Wäldern verlorenen Dörfchen lebte.

In der Zwischenzeit versammelte Erminia die Frauen mit geradezu überschäumender Aufregung. Sie hatte sich für einen violetten Pullover mit goldfarben abgesetzten Nähten und Knöpfen entschieden, den guten Pullover, den sie normalerweise nur zu besonderen Anlässen trug. Und sie hatte tatsächlich Sonia wütend gemacht, indem sie schon um acht Uhr morgens vor dem Damensalon gestanden hatte, um sich die Haare legen zu lassen. Im Übrigen erforderten Erminias Haare, wie auch die der anderen Frauen des Vereins, sowieso stetige Besuche im Damensalon, worüber Sonia normalerweise sehr glücklich war, auch wenn sie es hin und wieder satthatte, immer nur Haare zu legen. Zumindest verschafften Erminias Haare Sonia eine gewisse Befriedigung. Sie waren von undefinierbarer Farbe, die beinahe schon falsch aussah und ein bisschen an das gefleckte Fell eines Geparden erinnerte. Die einzelnen Strähnen variierten zwischen Weiß, Grau und Braun mit einem Hauch Lila, und an jenem Morgen passten sie perfekt zu dem violetten Pullover. Schwarze Hosen vervollständigten den außergewöhnlich eleganten Look der Präsidentin, die, so sagte man zumindest, in ihrem Leben noch nie Röcke getragen hatte.

»Wo bleibt er denn nur, hat er sich verfahren?«, fragte sich Erminia, murmelte es aber nur leise vor sich hin.

»Wer hat sich verfahren?«, fragte Valentina.

Die Frauen fingen an zu plaudern. Es lag etwas in der Luft. Erminia war zu aufgeregt, trank dauernd Espresso und kochte welchen für alle anderen.

Endlich, nachdem die letzte Runde kleiner Tässchen ausgegeben war und die zu spät Gekommenen sich gesetzt hatten, verkündete sie allen die bevorstehende Überraschung.

»Funne!«, rief sie. »Ich habe einen neuen Vorschlag, wie wir das Geld zusammenbekommen können, um den Ausflug ans Meer zu finanzieren. Der Kuchenverkauf hat ja, wie ihr alle gesehen habt, nicht gereicht, damit wir alle zusammen ans Meer fahren können. Aber gestern ist mir eingefallen, wie es gehen könnte. Franco Ciccio hat mich inspiriert. Wie wäre es, wenn wir auch einen Kalender machen würden, genau wie die Feuerwehrleute? Einen Kalender, den wir dann Weihnachten hier im Dorf von Tür zu Tür oder auf dem Rathaus von Daone verkaufen könnten. Was haltet ihr davon?«

Die Frauen reagierten auf diesen in seiner Extravaganz typischen Vorschlag ihrer Präsidentin mit einer Explosion aus Gelächter und Stimmen. Sie machten einen Lärm wie eine Schulklasse beim Pausengong. Ein Kalender, das war mit Abstand die außergewöhnlichste Idee, die jemals in diesem Saal geäußert worden war. Ein Kalender voller alter Großmütter, davon hatte man ja noch nie gehört! Sich fotografieren lassen? Wo denn? Wie denn? Sie hatten in ihrem ganzen Leben von sich so wenige Fotos machen lassen, dass man sie an den Fingern einer Hand abzählen konnte. Einige hatten sogar nur die Hochzeitsfotos von sich. Was hatte sich dieser Traktor von Erminia da nur wieder in den Kopf gesetzt?

Zugestanden, der Kalender der Feuerwehr war ein echter Augenschmaus mit den Fotos all der hübschen jungen Männer in Uniform, aber wer würde schon einen Kalender mit ein paar alten, faltigen Vetteln darin kaufen?

»Ich werf den Kalender von der Feuerwehr immer gleich in den Mülleimer«, rief Armida beinahe zornig. »Das ist doch Beschiss! Die packen zwei Monate auf eine Seite, so was geht doch nicht! Unglaublich. Wie kann man denn nur auf die Idee kommen, zwei Monate auf eine Seite zu machen? Wenn wir das auch so machen, dann mach ich nicht mit, und außerdem müssen die Mondphasen und die Heiligen mit rein. Die haben die Feuerwehrleute auch nicht.«

Beinahe wäre unter dem Lärm der Gespräche das Telefonklingeln ungehört geblieben. Massimo war in Daone angekommen. Erminia antwortete begeistert und stellte unter den forschenden Blicken der anderen den Überraschungsgast vor.

»Leute, Massimo wird gleich da sein! Er ist Fotograf. Und er kommt aus der Stadt. Er ist Claudias Neffe. Wenn wir einen Kalender machen wollen, brauchen wir einen professionellen Fotografen. Ich dachte, ich überrasche euch damit. Er ist gerade vor dem Rathaus angekommen.«

»Sieht er denn gut aus?«, fragte Armida unschuldig mit einem angedeuteten Lächeln.

Unter Gelächter und in dieser besonders spitzbübischen Luft des Spätsommers, die bis ins oberste Stockwerk des Rathauses drang, betrat Massimo den Versammlungssaal des Vereins, ein wenig eingeschüchtert, verblüfft durch den überraschenden Applaus der Frauen, der ihn ein wenig erröten ließ. Manchmal konnten diese Frauen schon ein bisschen über die Stränge schlagen, ja, hin und wieder war es nachgerade peinlich. Einfach unglaublich, dachte Armida.

»Setz dich, setz dich Massimo, hier mitten rein«, lud ihn Erminia lächelnd ein.

Der Holztisch mit den neugierigen Vereinsmitgliedern darum herum machte beinahe den Eindruck einer Prüfungskommission. Auf einer Seite saßen aufgereiht die Frauen, auf der anderen wartete ein leerer Stuhl. Es fiel dem Fotografen nicht ganz leicht, vor dieser außergewöhnlichen Jury Platz zu nehmen, und eine gewisse Nervosität überkam ihn, weil er nicht die blasseste Vorstellung davon hatte, welche Fragen ihm gestellt werden würden. Aber Massimo war ein gelassener Mensch. Ernst und professionell, einer, der das Spiel zu einem Lebensstil gemacht hatte. Und vielleicht war es ja auch kein Zufall, dass ausgerechnet er an jenem Mittwochvormittag auf diesem Stuhl gelandet war.

»Keine Sorge, Massimo«, fuhr Erminia immer noch lächelnd fort und bemühte sich dabei, ein möglichst korrektes Italienisch zu sprechen. »Wir möchten Ihnen nur ein paar Fragen stellen, um herauszufinden, ob Sie der Richtige für unseren Kalender sind. Wie ich Ihnen schon am Telefon gesagt habe, wollen wir einen Kalender machen, um das Geld für einen Ausflug ans Meer zusammenzubekommen. Dieses Jahr ist das zwanzigjährige Jubiläum unseres Vereins. Wir haben diesen Traum, den wir verwirklichen wollen, und angesichts des Durchschnittsalters der Vereinsmitglieder wollen wir nicht damit warten, bis es zu spät ist.«

»Nur zu, fragen Sie mich«, antwortete Massimo. »Was wollen Sie denn wissen?«

»Wie alt sind Sie, Massimo?«

»Vierzig«, antwortete er mit fester Stimme.

»Meine Güte, so alt!«, rief Erminia, die an dem Tag irgendwie aufgedrehter war als gewöhnlich. »Der Jury ist dreißig.«

»Was heißt hier alt? Und wer ist dieser Jury?«, fragte Massimo.

»Lieber Massimo, der Jury ist der Sohn von Maria Rosa und wirklich ein hübscher Bursche, viel jünger als Sie. Und er ist der Fotograf hier im Dorf, das macht er auch sehr gut. Sie müssten mal die Fotos sehen, die er vom Ausflug zum Heiligtum der Madonna della Neve gemacht hat. Aber weil er so viel zu tun hat, hat Erminia wohl Sie angerufen«, erklärte Enrichetta.

»Jedenfalls sind Sie auch ein hübscher Bursche, Massimo. Nur diese Mode der Männer, sich jetzt so einen Bart stehen zu lassen, überzeugt mich nicht wirklich. Ohne würden Sie besser aussehen«, mischte sich Armida ein.

»Na, Armida, jetzt reiß dich mal zusammen, das ist ja schon peinlich«, rief Erminia sie zur Ordnung. »Hören wir mal weiter. Sind Sie verheiratet?«

»Nein. Das fehlte gerade noch!«, antwortete Massimo wie aus der Pistole geschossen.

»Bravo! Man merkt, dass Sie verstanden haben, wie’s im Leben läuft! Hier im Club sind abgesehen von mir und Chiara alles Witwen. Also haben Sie hier freie Auswahl. Wenn Sie das Alter nicht abschreckt, natürlich!«

»Wo die Liebe hinfällt, Erminia!«, scherzte Massimo. Dennoch begann er, sich ein wenig unwohl zu fühlen bei diesem Verhör, ihm wurde plötzlich heiß, sodass er seine Jacke ausziehen musste.

»Armida! Armida! Armida!«, rief Erminia, versetzte dabei ihrer Freundin eine Serie kleiner Ellbogenstöße und verfiel vor lauter Aufregung in Dialekt: »Guck mal, was Massimo da auf dem Arm hat. Hast du das gesehen? Ein riesiges Tattoo. Was ist das?«

Und da geschah es. Es war seit jenem längst vergangenen Sommer 1950 nicht mehr geschehen, als Armida, in der Nacht des Dorffestes des heiligen Bartolomeo, die nach frisch gebackenen Meringue duftete, unversehens von Roberto am Arm genommen wurde, einem ihrer Spielkameraden, den sie...

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