Marit Kaldhol wurde 1955 in Molde, Norwegen, geboren Nachdem sie zunächst einige Jahre als Lehrerin tätig war, begann sie ihre[19] „künstlerischkreative Tätigkeit als Schriftstellerin.“[20] Im Jahre 1986 erschien ihr erstes Kinderbuch mit dem Titel „Farvel Rune“ das bislang in zehn Ländern verlegt wird und bereits mehrfach prämiert wurde. Die deutsche Ausgabe „Abschied von Rune“ erschien erstmals im Jahre 1987.[21] Marit Kaldhol ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.[22]
Wenche Øyen wurde 1946 in Oslo, Norwegen, geboren. Sie studierte an mehreren Kunstakademien und hatte bereits zahlreiche Ausstellungen. Seit 1973 arbeitet Wenche Øyen für ein Kindermagazin und illustriert Kinder- und Jugendbücher. Heute lebt sie in Nesodden bei Oslo, ist verheiratet und ebenfalls Mutter zweier Kinder.[23]
1988 erhielten Marit Kaldhol und Wenche Øyen für „Abschied von Rune“ den deutschen Jugendliteraturpreis.[24] Weitere Auszeichnungen und Preise folgten.
Die etwa fünf- bis sechsjährige Sara muss Abschied von ihrem besten Freund Rune nehmen, der beim gemeinsamen Spielen an einem See ertrunken ist. Das Mädchen durchlebt eine tiefe Trauer, in der sie von ihren Eltern und Großeltern, insbesondere aber von ihrer Mutter, liebevoll begleitet wird. Diese beantwortet all ihre Fragen geduldig und sehr einfühlsam. Sie ist bemüht, Sara den Tod behutsam und ehrlich zu erklären und verhilft ihr dazu, glücklich an Rune zu denken. Sara erlebt, wie Erinnerungen und die Geborgenheit der Familie die Trauer mildern und Trost spenden können.[25]
Der Tod tritt ganz plötzlich und unerwartet in das Leben von Sara. Saras bester Freund, Rune, ertrinkt beim gemeinsamen Spielen am See. Der Vorgang des Ertrinkens wird hier nicht geschildert, da dies Kinder dieser Alterstufe erheblich überfordern würde. Da Sara zum Zeitpunkt des Ertrinkens nicht anwesend ist, wird sie nicht Zeugin dieses Ereignisses. Sie ist nach Hause gelaufen um sich neue Handschuhe zu holen. Als sie zum See zurückkehrt, entdeckt sie Rune „zwischen den großen Steinen […]. Rune liegt ganz still – mit dem Gesicht im Wasser.“[26] Diese Beschreibung, wie auch das zugehörige Bild auf Seite 9, das eben diese Schilderung bildlich darstellt, veranschaulichen das Geschehen realistisch und kindgerecht. Die Ursache (ausschließlich auf Runes Tod bezogen), die Tatsache, die Bedeutung des Todes und dessen Folgen für den menschlichen Körper werden an unterschiedlichen Textstellen, kindgerecht und ohne Beschönigungen dargestellt.
Saras Mutter versucht Sara die möglichen Umstände von Runes Tod zu veranschaulichen und zu erklären. „Er ist im See ertrunken. Vielleicht ist sein Boot abgetrieben worden, und er hat versucht, es zu erreichen. Dabei ist er vielleicht ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Und dann hat er es nicht mehr geschafft, wieder an Land zu kommen.“[27] Für Sara verständlich und im Rahmen ihrer psychischen Möglichkeiten versucht die Mutter ihr den Tod von Rune klar und ehrlich zu erklären.
Die Tatsache der Leblosigkeit des Todes wird auf kindlichem Niveau veranschaulicht, indem dem Toten Fähigkeiten abgesprochen werden, die Lebenden zugesprochen werden. „Jetzt ist er tot. Er kann nichts mehr sehen und nichts mehr hören. Er kann nicht mehr gehen oder laufen oder spielen. Er wird Sara nie mehr anlächeln und sie nie mehr umarmen. Rune ist tot.“[28]
Die Folgen des Todes für den menschlichen Körper und was mit diesem nach dem Tod geschieht, versucht Saras Mutter behutsam und ehrlich zu erklären, indem sie schildert, dass dieser „zu Erde wird, damit Blumen wachsen können.“[29] Saras Mutter ist bemüht, den Tod und die Trauer mit schönen Dingen zu verbinden. Deswegen verbindet sie den Tod mit dem Wachsen von neuem, mit dem Kreislauf aus Werden und Vergehen.
Der Tod und das Ausmaß des Todes werden hier mehrfach ehrlich und kindgerecht veranschaulicht. Die Todesdarstellung ist realistisch dargestellt, wenn auch in einer extremen Form – plötzlicher Tod durch Ertrinken – ausgewählt. In der Realität berichten Zeitungen und Nachrichten, gerade in den Sommermonaten, immer wieder von Schwimm- und Badeunfällen von Kindern mit tödlichem Ausgang.
Der Tod eines Kindes ruft bei ebendiesen viele Fragen hervor, was an späterer Stelle noch deutlich wird. Ihnen wird so die eigene Sterblichkeit bewusst. Sie beziehen den Tod auf ihre Person und Menschen aus ihrem Umfeld.[30] Dieser Aspekt findet in „Abschied von Rune“ keine Beachtung. Sara bezieht in keiner Phase ihrer Trauer den Tod auf sich oder Personen dir ihr nahe sind. Es ist anzumerken, dass es nicht der Regelfall ist, dass die ersten kindlichen Erfahrungen mit dem Thema Tod den Verlust eines gleichaltrigen Freundes beinhalten. Doch hält sich der Tod so gut wie nie an Regeln. Es kann jeden überall und immer treffen. Dies wird durch den unerwarteten und plötzlichen Tod von Rune deutlich.
Der Tod des sechsjährigen Rune entspricht nicht den regulären gesellschaftlichen, wie auch nicht den kindlichen Vorstellungen des Todes. Dass Kinder sterben, wird in unserer Gesellschaft gerne tabuisiert. Obwohl der Tod von Kindern, verursacht durch Unfälle, Krankheiten und Gewaltverbrechen, schon immer zum gesellschaftlichen Leben dazugehört hat, so handelt es sich um ein Thema, das gemieden werden möchte.
In „Abschied von Rune“ wird primär Saras Trauer dargestellt. Sie durchlebt in der Geschichte eine tiefe Trauer um ihren verstorbenen Freund Rune. Angst und Panik sind die ersten Gefühle, die Sara heimsuchen als diese Rune im Wasser liegen sieht und er auf ihr Rufen nicht reagiert. Die Gefühle werden auf dem Bild auf Seite 10 gezeigt, welches Saras Gesicht und dessen Ausdruck fokussiert und somit ihre derzeitige Lage hervorhebt. Dieser Schockzustand gehört aber noch nicht zu Saras Trauerprozess, da sie lediglich der Erkenntnis zuzuordnen ist, dass Sara versteht, dass etwas Schlimmes passiert ist. Saras konkrete Trauer um Rune äußert sich erstmalig in einer Art Nicht-Wahrhaben-Wollen und Ungläubigkeit. Sie kann die Tragweite der Situation noch nicht begreifen und realisiert den Tod noch nicht als Endgültigkeit. Es ist ihr unmöglich, zu begreifen, dass sie Rune nie wieder sehen wird. Dies äußert sich in ihrer Frage an die Mutter: „Sehe ich ihn wirklich nie, nie mehr wieder?“[31] Ihre Mutter begegnet Sara daraufhin mit einer klaren Antwort, die ihrer Tochter die Endgültigkeit des Todes bewusst macht. „Nein, nie wieder“[32], antwortet die Mutter auf diese Frage. Sie lässt keinen Zweifel offen, ob Rune irgendwann einmal zurückkommen wird.
Das Bild auf Seite 14 zeigt Sara alleine auf dem Sofa sitzend kurz vor der Trauerfeier. Ihr Blick wirkt apathisch, traurig, hilflos, ängstlich, unsicher, abwesend und verzweifelt. Das Bild veranschaulicht ihre tiefe Trauer Rune gegenüber. Sie hat zuvor von ihrer Mutter eine Vorbereitung auf die Trauerfeier und die Beerdigung erfahren. Sara weiß, dass Rune „gewaschen und schön angezogen“[33] ist und sie „ihn in einen Sarg gelegt“[34]haben. Sara hat Informationen über wesentliche und die wichtigsten Merkmale der Trauerfeier erhalten. Diese Vorbereitung, die in der Realität noch etwas tiefgehender vorgenommen werden muss, ist unumgänglich. Diese Vorbereitung soll verhindern, dass Kinder nichts ahnend mit einer schweren Situation wie einer Beerdigung konfrontiert werden. Trotz der Vorbereitung ist es Sara bislang noch nicht möglich, die Situation einzuschätzen, da sie von ihr vollkommen überwältigt und überrascht wird.
Saras Mutter unterstützt ihre Tochter im Trauerprozess mit den Worten, dass Rune „trotzdem nicht ganz fort“[35] ist, „denn wenn wir an ihn denken, können wir ihn ja in uns drin sehen.“[36] Sara gelingt es, Rune in ihren Gedanken weiterleben zu lassen und sich an ihn und die gemeinsame Zeit zurück zu erinnern. „Sie sieht, dass er lächelt und er ist genauso wie früher.“[37] Verdeutlicht wird der Aspekt der Erinnerung durch die kleinen, runden, schwarz-weißen Bilder, die Saras Gedankenwelt widerspiegeln. Diese Erkenntnis stimmt Sara sehr glücklich, was man daran erkennt, dass sie Runes Schwester Ruth den Rat weitergibt, dass „sie jetzt nicht mehr ganz so traurig“[38] sei.
Der Rat der Mutter wird in einer weiteren typischen kindlichen Trauerreaktion sichtbar. Sara flüchtet sich während dieser sie überfordernden Situation in eine andere Welt, in eine Traumwelt. Sie flüchtet...