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«Die Aufklärung geht Baden.»

Zur gesellschaftlichen Bedeutung deutscher Badeorte während der Aufklärung - am Beispiel des Badeortes Aachen

AutorPhilippe Metzger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl95 Seiten
ISBN9783640979905
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Geschichte Europa - and. Länder - Neuzeit, Absolutismus, Industrialisierung, Note: 2,0, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (Historisches Seminar), Sprache: Deutsch, Abstract: Kur- und Badeorte im 18. Jahrhundert - unter diesem Arbeitsthema soll in der vorliegenden Arbeit die gesellschaftliche Bedeutung solcher Orte am besonderen Beispiel der Reichsstadt Aachen und seiner Bäder untersucht werden. Anliegen dieser Arbeit ist es, zwei bisher noch kaum zusammen untersuchte Themen in einen Kontext zueinander zu bringen: Bäder der Frühen Neuzeit und Aufklärung. Das 'Bad' in seiner historischen Entwicklung darf nicht nur, wie es bisher in der Forschung der Fall war, unter medizinhistorischen Aspekten, sondern soll auch als ein 'sozialer Ort' der Aufklärung betrachtet werden und in seiner möglichen Funktion während der Aufklärung mit den anderen Formen von Soziabilität und 'Vergesellschaftung der Gesellschaft' - die in Universitäten, Akademien, Lesegesellschaften etc. Ausdruck fanden - verglichen werden.

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Leseprobe

Zweiter Teil

 

B. Bad Aachen


 


1. Aachen im Ancien Régime


 

Die Ausgangslage der Reichsstadt Aachen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ist unabdingbar darzustellen, um die Entwicklung des Badeortes in einen historischen Kontext einzuordnen.

 

1.1 Politisch


 

Die politische Verfassung Aachens beruhte seit 1450 auf dem 'Gaffelbrief', in dem sich die Zünfte der Stadt sowie weitere politische und gesellschaftliche Zirkel zur politischen Organisation zusammengeschlossen hatten.[84] Durch den Gaffelbrief, insbesondere durch seine erweiterten Formen von 1513 und 1681 sollte die Beteiligung aller Vollbürger an der Verwaltung der Stadt theoretisch gewährleistet sein.

 

Erklärtes Ziel des Gaffelbriefes war es, die Mitgliedschaft eines jeden Bürgers in einer der 13 Zünfte oder Gaffeln zu ermöglichen. Diese Gaffeln sollten dann die Bevölkerung im Rat durch ihre 'Gutmänner' / 'Geschickten' repräsentieren. Dies klingt zunächst – bei einer geschätzten Einwohnerzahl von ca. 25.000 Einwohnern Aachens und etwa 3.000 politisch berechtigten Vollbürgern[85] – nach einer recht guten Repräsentation der Bürger in der Stadtpolitik.

 

In der politischen Realität fand sich diese Repräsentationsquote jedoch nicht wieder. Die Gaffeln entsandten ihre Abgeordneten in die zwei Räte der Stadt: im so genannten 'Kleinen Rat' saßen insgesamt 43 Personen, nämlich der 17köpfige Magistrat der Stadt sowie je zwei Geschickte aus 13 Zünften (ohne die Wollenambachtszunft). Der 'Große Rat' der Stadt setzte sich aus je sechs Geschickten der 14 Zünfte zusammen, besaß jedoch nur eine schwache Kontrollfunktion im politischen Geschehen. Der 'Kleine Rat' hatte die wichtigere Bedeutung inne, da sich aus seinen Mitgliedern die zwei Bürgermeister der Stadt (Schöffen- und Bürgerbürgermeister) sowie die eigentliche Stadtverwaltung rekrutierten.[86]

 

Im Zentrum der städtischen Macht standen die beiden Bürgermeister, die die Regierungsgeschäfte für ein Jahr führten und anschließend ein weiteres Jahr als 'abgestandene' Bürgermeister im Amt blieben. Entsprechend ihrer hohen politischen Bedeutung waren die beiden Ämter des Schöffen- und des Bürgerbürgermeisters Gegenstand einer äußerst hart geführten Auseinandersetzung, deren Ursachen, Umstände und Auswirkungen weiter unten noch gesondert behandelt werden müssen.[87]

 

Die reichsstädtische Freiheit der Selbstverwaltung Aachens erfuhr eine deutliche Einschränkung durch die Vogtmeierei des Herzogtums Jülich in Aachen. Der Vogtmajor (z. B. der zeitgenössische Vogtmajor Geyer im Reisetagebuch des Fürstbischofs von Freising) verwaltete die Vogt- und Meierrechte im Namen Herzogs von Jülich für den Kurfürsten von der Pfalz. Häufig endeten diese Kompetenzüberschneidungen in Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Aachener Magistrat (i.e. Repräsentanten reichsstädtischer Interessen) und dem Vogtmajor als Vertreter der Jülicher Interessen, der meist auf eine Begrenzung der Aachener Freiheiten aus war.[88] So stritt man um land- und forstwirtschaftliche Fragen (Heu- und Getreideernte und -verwaltung), Wegerechte und -nutzung, die Jülich durch Handelssperren durchzusetzen suchte, oder auch die Einflussnahme auf den Aachener Handel mit Tuchen. Ein solcher Streit dehnte sich 1769-71 auf Reichsebene aus, als die Stadt durch Jülicher Truppen besetzt worden war und erst im Juni 1771 nach einem Hilferuf an den Kaiser und dem Entscheid des Reichshofrates unter Androhung militärischer Gewalt gegen Jülich wieder freigegeben wurde.[89]

 

Eine Schwächung der bis dahin einflussreichen Position des Vogtmajors hatte die Befreiung der Stadt allerdings nicht zur Folge. Er blieb – wie sich auch im Tagebuch des Fürstbischofs zeigt[90] – auf oberstem gesellschaftlichem Niveau und mit großem Einfluss in der Tagespolitik ausgestattet.

 

Der Gaffelbrief war also gleichzeitig Form und Ausdruck einer noch zunächst mittelalterlich-ständisch geordneten Stadtgesellschaft, die sich bis weit ins 17. Jahrhundert halten sollte. Der Konfessionsstreit im 16. und 17. Jahrhundert wie auch die unten beschriebene wirtschaftliche Entwicklung in der Aachener Region am Vorabend der Industrialisierung sollten diese recht statische Gesellschaftsordnung allerdings in Bewegung bringen.

 

1.2 Konfessionell


 

Es erscheint zunächst sehr weit hergeholt, sich der Glaubensspaltung des 16. und 17. Jahrhunderts in Aachen zu widmen. Für die Entwicklung geistiger Strömungen in der Stadt während der folgenden Jahrhunderte ist die konfessionelle Auseinandersetzung jedoch von höchster Bedeutung.

 

Die Zunahme an protestantischer Bevölkerung zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatte dazu geführt, dass es auch in der Aachener Region eine wachsende Anzahl protestantischer Familien gab, die zunächst – man erwartete positive wirtschaftliche Auswirkungen – geduldet wurden.[91] Die Stadt hatte allerdings den Wunsch der protestantischen Bevölkerungsteile nach politischer Beteiligung unterschätzt.

 

En detail können die religiös-politischen Auseinandersetzungen hier sicherlich nicht behandelt werden, es ist allerdings festzustellen, dass Reformation und Gegenreformation in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einer zeitweiligen Lähmung des politischen Lebens in Aachen führten.[92] Der stetig wachsende Einfluss der protestantische Bevölkerungsgruppe hatte 1581 eine Doppelwahl des Bürgermeisters und sogar eine knappe – 65 protestantische standen 63 katholischen Ratsherren gegenüber [93] – Mehrheit im Rat zur Folge.

 

Diese Machtverhältnisse blieben bis zur Erklärung der Reichsacht über die Stadt durch Kaiser Rudolph II. im Jahr 1598[94] und der erneuten Einsetzung eines katholischen Rates auch bestehen. Nachdem der Konfessionsstreit 1611[95] in der Erstürmung des Rathauses durch die Protestanten seinen gewalttätigen Höhepunkt fand, wurde die Stadt durch kaiserliches Mandat und Truppen unter dem spanischen General Spinola 1614 zu katholischer Ordnung zurückgeführt.[96]

 

Die seit 1600 durch Ratsbeschluss geförderte Ansiedlung der Jesuiten in Aachen unterstützte die gegenreformatorische Seite umso mehr. Eine erste Niederlassung hatten die Jesuiten im Haus 'Zum Kleinen Bock' bevor sie im Haus 'Zum Großen Bock' 1601 ihr Gymnasium einrichteten. Nach der Verwüstung des ersten Gymnasiums entstand 1614/15 ein Neues und neben diesem bis 1618 die Kirche St. Michael.[97]

 

Im Zuge der Gegenreformation gelang es also der katholischen Seite erneut die Macht zu übernehmen und in der Folgezeit sollte, ebenfalls gemäß kaiserlichem Mandat, die protestantische Bevölkerung die Stadt verlassen.[98]

 

Im Westfälischen Friede wurde die katholische Reichsstandschaft Aachens bestätigt und so dafür gesorgt, dass die Stadt frei von protestantischer Lehre bleiben sollte – damit hatte die katholische Stadtregierung die Hände frei, die Stadt von Protestanten zu befreien.[99] Unter den Vertriebenen befand sich auch eine große Zahl Industrieller, z. B. Tuchmacher und Kupferschläger, die sich in der umliegenden Region niederließen und so zur wirtschaftlichen Schwächung der Stadt beitrugen.[100]

 

Von nun an war es Protestanten nicht mehr möglich, das volle Bürgerrecht zu erhalten. Sie hatten nur noch Beiwohnrecht in der Stadt, welches ihnen indes Schutz innerhalb der Mauern, aber keine Möglichkeit mehr anbot, Zünften beizutreten oder Einfluss auf die Politik zu nehmen.[101] Um 1780 betrug der Anteil der protestantischen Bevölkerung in Aachen nur noch kaum mehr als 1%, das in etwa 50 Familien entsprach.[102]

 

Die so benachteiligten "Andersgläubigen" wurden außerdem genötigt, ihren Gottesdienst außerhalb Aachener Stadtmauern zu feiern und wichen nach Vaals aus – ein äußerst beschwerlicher Weg, und bis ins 18. Jahrhundert immer wieder begleitet von Belästigungen der katholischen Bevölkerung.[103] Dies zeigt sich beispielsweise in der stadträtlichen Strafandrohung von 1738 gegen die Belästigung protestantischer Kirchgänger nach Vaals.[104] Weiterer Beleg für die andauernde Belästigung der Protestanten auf ihrem Kirchweg sind die Erlasse der Stadt von 1757, 1762, 1763 und 1766, die es untersagten,

 

"den Reformierten oder wem immer den Hin- und Rückweg nach Vaals zur Kirche oder Geschäfte halber zu hindern, zu sperren oder ihnen Leids anzutun."

 

Die Wiederholungen dieser Ratsbeschlüsse in den folgenden Jahren erwähnten auch Schlagen, Steinwerfen oder schändliches Nachschreien.[105]

 

1.3 Wirtschaftlich


 

Die Stadt befand sich Ausgangs des 17. Jahrhunderts durch den Stadtbrand von 1656, der "innerhalb von 23 Stunden 4664 Häuser" zerstört hatte, in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Situation – insgesamt wurden während des Brandes 70%...

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