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Die Baiuwaren

Von der Völkerwanderung bis Tassilo III.

AutorWilhelm Störmer
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl129 Seiten
ISBN9783406692741
FormatPDF/ePUB
KopierschutzDRM/Wasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,49 EUR
Der vorliegende Band bietet eine kurze, verständliche und informationsreiche Geschichte der Baiuwaren von ihrem Eintritt in die Geschichte während der Völkerwanderungszeit bis zur Ausprägung des mächtigen Stammesherzogtums unter den Agilolfingern im 8.Jahrhundert. Er vermittelt die Grundzüge der Ereignisgeschichte bis zu dem Konflikt zwischen TassiloIII. und Karl dem Großen ebenso wie die Entwicklung der Gesellschaft, Wirtschaft, des Rechtswesens und der Kultur der Baiuwaren. Christianisierung und Kirchenpolitik dieses bis in die heutige Zeit bedeutenden und eigenwilligen Stammes bilden weitere Schwerpunkte der anregenden Darstellung.

Wilhelm Störmer (1928-2015) lehrte als Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er hat zahlreiche Publikationen zur früh- und hochmittelalterlichen Sozial- und Verfassungsgeschichte sowie zur bayerischen Kirchengeschichte des Mittelalters vorgelegt.

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Leseprobe

4. Die Baiuwarisierung des Landes zwischen Donau und Alpen


4.1. Siedlungen und Ortsnamen als Indizien für Baiuwarisierung des Landes


Aus der Frühzeit baiuwarischer Besiedlung und des Landesausbaus liegen uns keinerlei schriftliche Quellen vor. Wir sind zwar dank Archäologie, Ortsnamenkunde und Historischem Atlas von Bayern über die frühe Siedlungsgeschichte in Bayern, oberflächlich gesehen, brauchbar informiert, doch ergeben sich bei genauem Hinsehen immer wieder neue Fragen, die noch nicht befriedigend beantwortet werden können. Zudem haben die Archäologen hinsichtlich römischer Siedlung, Völkerwanderungsgeschehen und Stammesbildung der Bayern eine Reihe wichtiger neuer Spuren gefunden, die noch in das Gesamtbild von der Bauiwarisierung des Landes einzubauen sind.

Neues Licht in diesen schwierigen Fragenbereich scheinen die alten Flurmaße zu bringen. Bei der Suche nach der historischen Erklärung für die unterschiedlichen archäologischen Grabungsfunde im Raum Aschheim bei München stieß Gertrud Diepolder auf drei verschiedene, alte Flurmaßeinheiten: den ‹Römischen Fuß›, den ‹Aschheimer Fuß› und den ‹Karlsfuß› bzw. den ‹Karolingischen Fuß›. Sie glaubt, alte Flurblöcke mit diesen Regelmaßen nicht nur entlang der Römerstraße Augsburg-Salzburg, sondern auch entlang der Via Claudia zwischen Augsburg und Epfach und in Romanenorten des frühen Mittelalters gefunden zu haben. In diesem Zusammenhang scheinen ihre Beobachtungen im Römerort Quintanis an der Donau, dem heutigen Künzing, von besonderer Bedeutung für die zukünftige Forschung zu sein. Hier stellte sie fest, daß die Bewohner dieses schon vom Severin-Biographen Eugippius beschriebenen Quintanis, dem späteren Künzing, in ihrer Flurabmessung am ‹Römischen Fuß›, also der römischen Flurabmessung, auch im Frühmittelalter festhielten. Am Rande dieser Gemarkung freilich siedelte sich der Baiuware Giricho an, Namengeber des Nachbarorts Girching. Er maß seinen Hof und sein Feld nach dem neuen baiuwarischen Feldmaß aus, dem ‹Aschheimer Fuß›. Das wohl später im Anschluß an den Hof offenbar erst nach 788 entstandene Dorf Girching verwendete dagegen das inzwischen übliche fränkische ‹Staatsmaß›, den ‹Karlsfuß›. Ließe sich dieses «Modell Künzing» auch in anderen baiuwarischen Landschaften und Dörfern so sauber rekonstruieren, dann hätten wir grundlegende Erkenntnisse für die Ansiedlungsmechanismen im frühmittelalterlichen Bayern. Solange diese aufwendigen Flurforschungen noch nicht gediehen sind, müssen wir uns vorwiegend mit der Deutung der Ortsnamen zufrieden geben.

Im Vergleich zu anderen deutschen Landschaften ist die schriftliche Quellenlage bezüglich der Nennungen von Siedlungen ausgezeichnet. Bis 788 dokumentieren die bayerischen Traditionsurkunden etwa 580 Orte. Unter ihnen finden sich 110 auf -ing endende und meist auf Personennamen zurückgehende Orte, etwa 30 vordeutsche Ortsnamen, aber auch 52 -bach-Ortsnamen, 44 -dorf-Ortsnamen, 29 -hausen-Ortsnamen. In dieser Zeit begegnen auch schon ausgesprochene Rodungsnamen (5× -reut, je 1× -schwend und -hart): solche Namen zeigen an, daß dort Orte entstanden, indem man den dafür erforderlichen Raum durch Waldrodung gewonnen hat. Dies macht freilich die übliche Einteilung des Siedlungsgeschehens, nach der letztere Orte theoretisch vorwiegend dem hochmittelalterlichen Ausbau zuzurechnen sind, nicht leichter.

Allgemein gelten die -ing-Ortsnamen mit Personennamen als Siedlungszeugnisse aus der ältesten baiuwarischen Zeit. Bezüglich des Alters lassen sich freilich in verschiedenen Räumen, die im 8. Jahrhundert quellenmäßig gut belegt sind, zwei Ortsnamengruppen mit der Endung -ing herausfinden. Die eine, deren zugrundeliegender Personenname in diesen schriftlichen Quellen noch vorkommt, die andere, deren Personenname im 8. und 9. Jahrhundert nicht mehr begegnet. Beispielsweise konnte sich der Ortsname Erding (althochdeutsch Ardeoninga = bei den Leuten des Ardeo) bis heute erhalten, obgleich die Ortsbewohner auch im 8. Jahrhundert schon lange nicht mehr unter Schutz und Herrschaft des Ardeo standen. Diese Ortsnamen konservierten also Personennamen, die bereits beim Aufkommen der Schriftlichkeit außer Gebrauch gekommen waren.

Besonders kennzeichnend für Bayerns alte Ortsnamen ist der Sachverhalt, daß die -ing- und -heim-Namen fast schon regelmäßig mit Personennamen verbunden, d.h. in der Fachsprache patronymisch gebildet, also von einem Herrennamen abgeleitet sind. Früher glaubte man in ihnen die landnehmenden Ortsgründer zu sehen. Inzwischen fällt aber auf, daß manche dieser Orte nach archäologischen Befunden weit vor die Bayernzeit zurückgehen. Das heißt, die namengebenden Personen können vielfach nicht die Ortsgründer, sondern müssen eher frühe germanische – wohl in der Regel baiuwarische – ‹Grundherren›, gegebenenfalls Okkupatoren gewesen sein. Auf Erding bezogen heißt dies, daß Ardeoninga/Erding keineswegs von einem Ardeo auch gegründet sein muß, wohl aber, daß es der ältesten baiuwarischen Ortsnamenschicht angehört.

Nur sehr selten sind wir über die vorbaiuwarische Bevölkerung eines Ortes informiert, am ehesten im Falle von romanischen Ortsnamen. Archäologische Grabungen lassen immer häufiger auf weit ältere Siedlungen und damit auf eine Siedlungskontinuität schließen. Kaum wird man annehmen dürfen, daß alle Vorbewohner den neuen Baiuwaren auswichen; eher ist in der Regel an Besitznahme durch einen neuen Herrn, z.B. Ardeo, zu denken, der der Wohnstätte seinen Namen gewissermaßen als Stempel aufdrückte und dabei vermutlich auch seinen eigenen Herrenhof schuf. Die immer noch weitverbreitete Vorstellung, daß die einwandernden Siedler ihre neugewonnene Wohnstätte nach ihren Sippengenossen benannten, scheint weniger der Realität zu entsprechen.

Festzuhalten ist jedenfalls, daß die vielen -ing-Orte, die sich besonders häufig an Flüssen aufgereiht finden, die älteste baiuwarische Siedlungsschicht darstellen, wobei freilich gesagt werden muß, daß auch die Alemannen dieselbe Siedlungsbenennung seit rund 400 n. Chr. pflegten. Die heutigen bayerischen -ing-Orte hießen genau wie die alemannischen im Frühmittelalter -ingen (-inga usw.).

Kann man archäologisch die Vorbevölkerung bisher nur schwer fassen – das mag mit Religion und Bestattungsriten zusammenhängen –, so ist doch kaum denkbar, daß die neuen baiuwarischen Herren in völlig unbewohntes Gebiet kamen. Da die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen sicher nicht ausgelastet waren, vielleicht auch öd lagen, vermochten die waffentragenden ‹Kolonisten› verschiedener Herkunft sich in oder an den Rand der Altsiedlungen zu setzen, die noch vorhandene Bevölkerung zu beherrschen, vielleicht auch in den Stand der Unfreiheit zu setzen und künftig tonangebend in der kleinen oder größeren Siedlung zu sein. Es lag sicherlich im Interesse der neuen baiuwarischen Leitgruppen, die noch vorhandene Altbevölkerung möglichst schnell in den Stammesverband zu integrieren. Sieht man von den eigentlichen Romanenorten ab, die wir behandelt haben, dann machen die frühesten schriftlichen Zeugnisse durchaus den Eindruck, daß dies bis spätestens zum 8. Jahrhundert gelungen war.

Offensichtlich infolge starker Bevölkerungsvermehrung kam es rasch zur Ausweitung alter und begrenzter Siedlungsräume. Man legte im siedlungsnahen lokalen Wald oder im Ödlandgebiet neue Höfe an, um Söhne und Töchter mit möglichst gleichen Erbteilen ausstatten zu können. Den ausgeweiteten Siedlungskammern gab man bisweilen neue Namen, oft nur den Zusatz «Ober-» und «Unter-» bzw. «Nieder-», «Vorder-» und «Hinter-» und dergleichen. In diesem Zusammenhang sind besonders die archäologischen Ergebnisse von ergrabenen Siedlungs- und Bestattungsplätzen rund um eine alte Siedlung aufsehenerregend, wie etwa in der Flur Aschheim. Die Namen dieser archäologischen Fundplätze kennen wir nicht exakt. Ob beispielsweise die Fundplätze um Aschheimauch den Namen Aschheim trugen, weiß man nicht. Es kann gut sein, daß die Archäologen, die ihre Funde meist außerhalb der heute besiedelten Dörfer – in der Regel in Neuerschließungsgebieten – gewinnen, möglicherweise Siedlungen erfassen, die unter Umständen nicht mit dem Namen der heutigen Kernsiedlung identisch sind.

Der Münchener Raum nimmt eine Sonderstellung im Rahmen der archäologischen Erfassung der Baiuwaren ein. Die Münchener Schotterebene besitzt zwar nur flache und mittelgründige Böden, erforderte aber im Frühmittelalter nur relativ geringe Rodungsarbeit. Lockere, eichendurchsetzte Bewaldung erlaubte Waldweide und bot Möglichkeiten zur Jagd. Die umliegenden Landschaften eigneten sich weit weniger für Siedlungen. Angesichts der rasch zunehmenden Bebauung des Münchener Umlands in den...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel2
Zum Buch3
Über den Autor3
Impressum4
Inhalt5
Vorwort7
1. Zur Einführung8
2. Donauraum und Alpenvorland im spätrömischen Reich9
3. Die Entstehung des Baiuwaren-Stammes13
3.1 Die Frage nach Herkunft und Ursprung: späte baiuwarische Stammessage13
3.2 Der Donauraum als Operationsbasis barbarischer Verbände17
3.3 Völker und Volkssplitter, die zur baiuwarischen Stammesbildung beigetragen haben20
3.4 Wer waren die Baiuwaren?25
3.5 Die genealogiae – Zeugen eines Integrationsprozesses germanischer Gefolgschaftsgruppen?31
4. Die Baiuwarisierung des Landes zwischen Donau und Alpen37
4.1 Siedlungen und Ortsnamen als Indizien für die Baiuwarisierung des Landes37
4.2 Fortleben romanischer Bevölkerung in Bayern45
4.3 Das bayerische Stammesrecht – die Lex Baiuvariorum48
5. Herzog und Herzogsgeschlecht53
5.1 Die Aussagen der Lex Baiuvariorum über die Zuständigkeiten des Herzogs53
5.2 Die Anfänge des Herzogtums und des Herzogsgeschlechts55
5.3 Garibald, der erste uns bekannte Baiuwarenherzog58
5.4 Die Nachfolger Herzog Garibalds63
5.5 Agilolfinger als Könige und Herzöge im Langobardenreich67
5.6 Agilolfinger im westlichen Frankenreich71
5.7 Von der heidnischen Religion der Baiuwaren zur irofränkischen Mission des 7. Jahrhunderts73
6. Von Herzog Theodo bis Herzog Tassilo III. Die letzten hundert Jahre baiuwarisch-agilolfingischer Herrschaft77
6.1 Herzog Theodo und seine Söhne77
6.2 Herzog Odilo81
6.3 Herzog Tassilo III.84
7. Die Strukturen des Herzogtums Bayern während des 8. Jahrhunderts93
7.1 Herrschaftsschwerpunkte und Expansionsgebiete der bayerischen Herzöge93
7.2 Von der kriegerischen Herzogsgefolgschaft zur politischen Führungsschicht98
7.3 Landtage und Synoden im 8. Jahrhundert102
7.4 Bistumsorganisation und Herzogskirche. Bistümer, Klöster, Eigenkirchen105
7.5 Zur Wirtschaftsstruktur der Baiuwaren114
Schluß: Sprache und Selbstverständnis der Baiuwaren118
Bildnachweis120
Quellenauswahl121
Literaturauswahl122
Register127
Karten128

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