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E-Book

Die Bauchtänzerin und die Salafistin

Eine wahre Geschichte aus Kairo

AutorAntonia Rados
VerlagAmalthea Signum Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783902862952
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Zwei Frauen zwischen Religion und Freiheit Seit dreißig Jahren berichtet Antonia Rados aus Krisengebieten in aller Welt. Viel beachtet waren ihre engagierten Reportagen über Frauen in der arabischen Welt: über eine junge Iranerin, die sich aus Angst vor der Zwangsheirat selbst verbrennt; über die von Muammar al-Gaddafi geschändeten Frauen. In Kairo ist sie zwei Schwestern begegnet, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Die eine provoziert als Bauchtänzerin und Filmstar, die andere lebt als Salafistin nach ultrakonservativen Vorschriften. Sie sind keine Ausnahme, sondern zeigen die extremen Spannungsfelder, die heute in Ägypten herrschen. Das Porträt der beiden Frauen und ihrer Welten ist ein eindringlicher Blick auf eine Gesellschaft, die vor der Zerreißprobe zwischen Politik und Islam steht.

Antonia Rados, geb. in Klagenfurt, studierte Politikwissenschaft in Salzburg und Paris sowie Internationale Beziehungen in Bologna. Ab 1980 war sie in der außenpolitischen Redaktion des ORF tätig, mit Stationen in Washington und Rom. Seit 1991 berichtet sie für RTL aus Krisengebieten und Kriegsschauplätzen u.a. im Kosovo, in Afrika, Afghanistan und dem Irak. Ihre TV-Dokumentationen wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit der »Romy«, dem Deutschen Fernsehpreis, dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Ihre Bücher mit außergewöhnlichen Reportagen wurden Bestseller.

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Leseprobe

VORWORT


Recherchen in Ägypten haben es in sich. Sie sind eine Herausforderung für eine Frau. Proteste, Blut und Tod auf den Straßen – neben den inzwischen wohlbekannten Schwierigkeiten wie sexuellen Belästigungen – sind die nicht wegzudenkenden Zutaten vieler Reportagen in diesem Land. Ich habe einige solcher Berichte hinter mir in den vergangenen drei Jahren.

2011 fand die Revolution statt. Seither war ich zunächst Stammgast in verschiedenen zentralen Kairoer Hotels. Weil die regelmäßig von Demonstranten gestürmt wurden und Tränengaswolken über den Lobbys hingen, zog ich in eine Mietwohnung um. Dort schlafe ich besser. Ich wohne da, wann immer mich die Nachrichtenlage nach Kairo bringt.

Während eines meiner zahlreichen Besuche fand die erste Verabredung mit der Bauchtänzerin Dina Talaat statt, um eine kleine Reportage über eine Künstlerin im islamisierten Kairo zu drehen. Wie kommt so eine Frau zurecht in diesem aufgeheizten politischen Klima? Das war im unruhigen Winter 2012. Täglich gab es Proteste auf den Straßen.

Das Treffen war im Vergleich zu vielem in Kairo ein kinderleichter Termin. Dina ist ein professioneller Star. Das hat den Vorteil, dass sie es, im Unterschied zu anderen Ägyptern, nicht für eine Tugend hält, um Stunden zu spät zu kommen.

Sie ist es gewohnt, mit uns Journalisten umzugehen. Sie spricht gut Englisch. Sie hat keine Scheu vor dem Kameramann, mit dem ich eines Abends in der Eingangshalle einer Nobelherberge auf sie wartete. Ich wollte ein Interview und danach einige Szenen ihres Tanzes bei einer privaten Hochzeit filmen. Mehr war nicht vorgesehen. Dina war von einem amerikanischen Wochenmagazin Ägyptens letzte Bauchtänzerin genannt worden. Damit ist gemeint, dass keine ihr das Wasser reichen kann. Sie ist einzigartig. Ich war gespannt, sie zu sehen, aber mehr nicht.

Sie lief mir mit wehenden Haaren, in einem kurzen Wollkleid und einer standesgemäßen Pelzjacke darüber, entgegen, obwohl Kairo weit weg von Sibirien liegt.

In unserem ersten Gespräch schien sie mir beinahe zu unexotisch. Ihre Antworten waren vorhersehbar. Dina hatte keinerlei Starallüren. Geduld paarte sich mit Pünktlichkeit. Sie schien eine Diva, wie es viele andere auch in der muslimischen Welt gibt. Eine hart arbeitende Künstlerin. Keine durchschnittliche Ägypterin jedoch, wie man sie sich bei uns vorstellt. Sie hätte sich dagegen gewehrt, wenn sie jemand als solche bezeichnet hätte.

Dina ist extrem westlich. Sie hat mit ihrer Familie einen Teil ihrer Kindheit, wie ich später herausfand, in Italien verbracht. Sie liebt Europa. Mehr noch liebt sie die Modeschöpfer Europas.

Sie passt nicht in das Land am Nil, wie ich es von den meisten meiner Dreharbeiten in Armenvierteln kenne. Menschen wie mein kinderreicher, mittelloser Fahrer und mein hart arbeitender Übersetzer stehen sehr viel mehr für die Verhältnisse in Ägypten.

Über das Luxusgeschöpf Dina hätte ich kein Buch verfasst.

Meine Interesse an Dina erhöhte sich blitzartig, als ich erfuhr, sie habe eine extrem religiöse Schwester. Danach hörte ich noch, diese Schwester sei früher Nachtclubsängerin gewesen. Sie habe ihren Beruf 2001 an den Nagel gehängt. Jetzt sei sie Salafistin. Das war eine längere Reportage wert, beschloss ich. Aus dieser Idee entstand schließlich auch dieses Buch.

In meinem Kopf begann sich die Vorstellung zu formen, nicht über eine Frau, sondern über zwei zu rechercherieren. Das schien mir keine allzu schwierige Aufgabe. Dina war bereit, mir den Kontakt zu ihrer salafistischen Schwester Rita herzustellen. Ich stellte mir vor, dass diese mir erklären würde, wie sie dazu kam, einer der radikalsten Versionen des Islams anzuhängen. Das könnte relativ zügig geschehen, einige Zusammenkünfte würden, im Gegensatz zu ihrer tanzenden Schwester, reichen. Mein Übersetzer fand heraus, dass die Salafistin ihre Tage ohnehin untätig daheim verbringt. Sie hat keinen Job. Sich mit einer arbeitslosen Religiösen zusammenzusetzen, musste um vieles leichter sein, als die berühmteste Bauchtänzerin Ägyptens zur Mitarbeit zu bewegen. Dina hatte zwar nicht zugesagt, mich wieder zu treffen. Meine Idee abgewiesen hatte sie aber ebenso wenig. Sie schlug den orientalischen Weg ein.

Es dauerte jedoch mehrere Wochen, bevor die salafistische Schwester Zeit für mich fand. Nach meinem Eindruck war unser erstes Gespräch gut verlaufen. Die Salafistin teilte diesen Optimismus offenbar nicht. Wieder dauerte es Wochen, bis sie sich überzeugen ließ, mir ein paar Stunden zu schenken. So ging es weiter. Einige Treffen wurden in letzter Minute verschoben, andere unerwartet wieder angesetzt.

Rita erklärte mir jedes Mal eine weitere Facette des für uns so schwer verständlichen Salafismus. Der Gedanke, dass sie eine Radikale ist, wäre ihr selbst nie gekommen. Das hat sie mit anderen Extremisten gemeinsam, die glauben, der andere sei radikal, aber nicht sie. Unzählige Male endeten unsere Gespräche mit betroffenem Schweigen. Wir wussten beide nicht mehr weiter. Für die Salafistin Rita ist das letzte Prinzip der Glaube. Ich als Frau aus dem Westen hatte oft Schwierigkeiten, ihrer Argumentation zu folgen.

Trotzdem erweckte diese Schwester mehr mein Interesse als die Bauchtänzerin. Die Gründe liegen auf der Hand. Bauchtänzerinnen wie Dina sind öffentliche Personen. Jeder kann sie treffen.

Der Salafismus ist eine sektenartige Gruppierung. Misstrauen gegen Außenstehende ist weit verbreitet, und Gewalt gegen Andersgläubige bei manchen. Obwohl Rita kein weiblicher Osama bin Laden ist.

Ja, sie war argwöhnisch mir gegenüber. Das forderte meine journalistische Neugierde regelrecht heraus. Je mehr sie eine menschliche Festung darstellte, umso mehr bohrte ich an ihren Mauern. Das entging ihr nicht. Es amüsierte sie.

Vor ihrem zweiten Lebensweg war sie viel gereist. Sie kannte fast jedes europäische Land.

Warum interessieren Sie sich für Ägypten?, fragte sie mich.

Weil Ägypten eine Art Nachbar ist am anderen Ende des Mittelmeeres, erwiderte ich.

Ja, erwiderte Rita. Aber ein lauter Nachbar!

Daraufhin brach sie in Lachen aus.

Rita entpuppte sich als humorvoll. Sie scherzte über ihr angeblich zu hohes Gewicht. Für mich war es schwer einzuschätzen. Ihre überflüssigen Kilos waren unter dem Ganzkörperumhang versteckt.

Ihre anderen verborgenen Seiten machten es mir bisweilen schwer, ihr gerecht zu werden. Eindeutig war sie im Nachteil gegenüber der reichen, erfolgreichen, eloquenten Bauchtänzerin. Die Salafistin ist zurückhaltender.

Bei Dina bekommt man, was man vordergründig sieht. Tanz, Designermode, Make-up. Alles in perfekter Ausführung. Sie ist ein Hochglanz-Werbeplakat auf zwei Beinen.

Die Bauchtänzerin teilt die Ägypter in Klassen ein. Die oberen Zehntausend bezeichnet sie als die A-Klasse. Die Leute unten sind für sie die C-Klasse. Ihr Planet ist der der A-Klasse. Der Rest interessiert sie nur am Rande.

So betrachtet, sind beide Schwestern extrem: Die eine ist bis zum Äußersten materialistisch, abgesehen von ihrer Großzügigkeit. Die andere ist am religiösen Rand angesiedelt. Das Interesse an den zwei Frauen führte zwangsläufig zu anderen Fragen: Wie hoch ist der Preis, den westlich orientierte Frauen wie die Bauchtänzerin in Ägypten zahlen müssen? Unterliegen andere Frauen der ständigen Versuchung des Islams wie Rita? Und mit welchen Folgen für ihr Leben und ihre Kinder? Aus meinen parallel geführten Gesprächen in Kairo mit solchen Frauen und aus selbst erlebten Ereignissen entstanden ergänzende Kurzporträts unter dem Titel: Zwei von uns.

Meine Gespräche mit den beiden Schwestern waren über ein Jahr verteilt. Sie wurden einige Male verschoben durch Dinas Termine, dann verschloss sich wiederum Rita. Weitere Unterbrechungen gab es durch meine Rückkehr nach Paris, meinen Hauptwohnsitz.

Im Sommer 2013 musste ich überstürzt wieder nach Kairo. Die Militärs hatten den demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi vertrieben. Erneut floss Blut.

Dina hasste Mursi. Rita hatte ihm ihre Stimme gegeben.

Das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern wurde durch die Ereignisse bis aufs Äußerte belastet. Wochenlang sprachen sie nicht miteinander. Für mich war das eine weitere erzwungene Arbeitspause.

Zu dem Zeitpunkt, an dem ich dieses Buch schreibe, ist Ägypten weder friedlich noch geeint. Terror erschüttert das Land. Laut Militärs stecken islamische Radikale hinter den Anschlägen. Der mächtige Sicherheitsapparat beschränkt aber skrupellos alle Freiheiten im Land, die im »arabischen Frühling« von der Jugend gerade erst erkämpft wurden.

Hätte ich eine durchschnittliche...

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