Sie sind hier
E-Book

Die Bauten des Rationalismus in Venedig

AutorMartin Petsch
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl74 Seiten
ISBN9783656895589
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Akademische Arbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Kunst - Architektur, Baugeschichte, Denkmalpflege, , Sprache: Deutsch, Abstract: Das bedeutendste Werk des venezianischen Rationalismus ist zweifellos die Autorimessa Comunale an der piazzale Roma (Santa Croce), welche als logische Konsequenz aus der neuen Straßenbrücke über die Lagune entstand. Nach der Einweihung der Brücke errichtete man vorerst eine provisorische Halle, die zusammen mit der ersten Bauphase des Parkhauses begonnen wurde. Die Ausführung des ersten Bauteils erfolgte vom April 1933 bis April 1934 und umfasste den nördlichen Flügel zur Brückenauffahrt und die beiden Rampentürme. Mit der späteren Ergänzung des südlichen, zweiten Flügels entstand die heutige symmetrische Anlage. Bauherr war das Istituto Nazionale delle Assicurazioni, dessen Direzione dei Servizi Immobiliari die Ausführung leitete und das Ausführungsprojekt erarbeitet hatte. Die Funktion des leitendenden Ingenieurs hatte L. Cipriani inne. Die Pläne stammten aber vorrangig vom ufficio tecnico del comune unter der Anleitung Eugenio Miozzis. Verglichen mit der Brücke hatte sich die Einstellung bei der Gestaltung des Parkhauses vollständig geändert. Im Gegensatz zur traditionalistischen Backstein-Brücke entstand ein funktionalistisches Gebäude. Der Einzug der Moderne war somit erstmals auch formal sichtbar geworden. Beim Bau erhob man Forderungen hinsichtlich der Einfügung in die Stadtgestalt, obwohl es an der städtischen Periferie steht. Das Parkhaus sollte nicht direkt im Stadtbild sichtbar werden. Daher vermied man eine Position am Ufer des Canal Grande oder Rio Nuovo und verbarg es hinter der Häuserzeile an der fondamenta Santa Chiara sowie hinter dem Kloster Santa Chiara. Die alte Front am Canal Grande sollte als einziger 'charakteristisch venezianischer' Teil dieses Gebietes erhalten bleiben, um den Blick auf die Autos zu versperren. Die Höhe des neuen Gebäudes war beschränkt, um einen Konflikt mit der 'allgemeinen Erscheinung der Stadt' zu verhindern. Beide Maßnahmen griffen nicht. Mit dem teilweisen Abriss der alten Häuser wurde das Parkhaus zum dominanten Blickpunkt am westlichen Ende des Canal Grande. Aber auch schon zuvor prägte es mit seinen stattlichen Ausmaßen die Silhouette der Stadt. Am westlichen Eingang war es sogar alleinige Dominante.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

In dieser Arbeit geht es um die Bauten des Rationalismus in Venedig.

 

1. Verkehrsarchitektur


 

1.1. Autorimessa Comunale


 

Das bedeutendste Werk des venezianischen Rationalismus ist zweifellos die Autorimessa Comunale (Abb.en 1/2) an der piazzale Roma (Santa Croce), welche als logische Konsequenz aus der neuen Straßenbrücke über die Lagune entstand. Nach der Einweihung der Brücke errichtete man vorerst eine provisorische Halle, die zusammen mit der ersten Bauphase des Parkhauses begonnen wurde.[1] Die Ausführung des ersten Bauteils erfolgte vom April 1933 bis April 1934[2] und umfasste den nördlichen Flügel zur Brückenauffahrt und die beiden Rampentürme. Mit der späteren[3] Ergänzung des südlichen, zweiten Flügels entstand die heutige symmetrische Anlage. Bauherr war das Istituto Nazionale delle Assicurazioni, dessen Direzione dei Servizi Immobiliari die Ausführung leitete[4] und das Ausführungsprojekt erarbeitet hatte. Die Funktion des leitendenden Ingenieurs hatte L. Cipriani inne.[5] Die Pläne stammten aber vorrangig vom ufficio tecnico del comune unter der Anleitung Eugenio Miozzis.[6]

 

Verglichen mit der Brücke hatte sich die Einstellung bei der Gestaltung des Parkhauses vollständig geändert. Im Gegensatz zur traditionalistischen Backstein-Brücke entstand ein funktionalistisches Gebäude. Der Einzug der Moderne war somit erstmals auch formal sichtbar geworden.

 

Beim Bau erhob man Forderungen hinsichtlich der Einfügung in die Stadtgestalt, obwohl es an der städtischen Periferie steht. Das Parkhaus sollte nicht direkt im Stadtbild sichtbar werden. Daher vermied man eine Position am Ufer des Canal Grande oder Rio Nuovo und verbarg es hinter der Häuserzeile an der fondamenta Santa Chiara sowie hinter dem Kloster Santa Chiara.[7] Die alte Front am Canal Grande sollte als einziger „charakteristisch venezianischer“ Teil dieses Gebietes erhalten bleiben, um den Blick auf die Autos zu versperren.[8] Die Höhe des neuen Gebäudes war beschränkt, um einen Konflikt mit der „allgemeinen Erscheinung der Stadt“ zu verhindern.[9] Beide Maßnahmen griffen nicht. Mit dem teilweisen Abriss der alten Häuser wurde das Parkhaus zum dominanten Blickpunkt am westlichen Ende des Canal Grande. Aber auch schon zuvor prägte es mit seinen stattlichen Ausmaßen die Silhouette der Stadt. Am westlichen Eingang war es sogar alleinige Dominante.

 

Die Autorimessa Comunale ist eine massige, nahezu symmetrische Baugruppe. Den zwei langgestreckten Flügeln von sechs Geschossen sind zwei Rampentürme zwischengeschaltet. In der Mitte befindet sich ab der dritten Etage ein schmaler Lichthof (Abb. 3). Die Rampen treten an den Schmalseiten des Gebäudes konvex hervor und sind mittels durchgezogener vertikaler Fenster zusätzlich betont. Die Fronten sind ansonsten durch lange, auch über Eck geführte Fensterbänder und weiße Putzstreifen horizontal ausgerichtet und wirken auf Grund ihrer Länge äußerst dynamisch. Ihre fast nüchterne Erscheinung wird durch das Vor- und Zurückspringen der seitlichen Fluchten relativiert. Großformatige Fenster bestimmen dagegen die beiden unteren Geschosse für den Publikumsverkehr. Auf der Brückenseite greift das Sockelgeschoss weit über die Flucht hinaus und bildet die Terrasse mit Zu- und Ausfahrt, die durch drei symmetrisch angeordnete Vordächer teilweise überfangen wird. Der Bau besteht aus Stahlbeton, mit Fenstern und Türen aus der speziellen Aluminium-Legierung Anticorodal.[10]

 

Das Flachdach des Parkhauses dient als zusätzliche Parkfläche. Bereits der erste Bauabschnitt hatte eine Kapazität von 900 Stellplätzen, je zur Hälfte in bzw. außerhalb sogenannter boxes.[11] Mit der Errichtung des zweiten Flügels verdoppelte sich die Zahl. Die besondere Situation der autofreien Inselstadt verlangte ein großes Parkhaus für Bewohner und Gäste gleichermaßen.[12]

 

Die Erschließung der einzelnen Parkebenen erfolgt über die zwei großen spiralförmigen Rampen (Abb. 4), wobei eine für die Auf- und eine für die Abfahrt bestimmt ist.[13] Die Tore wurden automatisch bedient, indem jedes Auto über ein Trittbrett fuhr, welches den Mechanismus in Gang setzte.[14]

 

Das Parkhaus verfügte auch über einen differenzierten Auto-Service. Im Erdgeschoss des brückenseitigen Flügels befanden sich neben einigen Stellplätzen die Werkstätten für die Reparatur von Motoren und Karosserien sowie eine Lackierwerkstatt. Der schmale mittlere Flügel barg im Erdgeschoss die Technikräume mit der Heizung. Im ersten Obergeschoss dehnt sich eine langgestreckte Halle aus, welche gewölbeartig von einer mehrgelenkigen Rahmenkonstruktion überfangen wird und über Glasbetonsteine Licht erhält (Abb. 5). Hier befand sich die Service-Station für die Autopflege, u.a. mit Wäsche, Bremsprüfung und Ölwechsel. Daneben wurden im Parkhaus verschiedene andere Dienstleistungs-Einrichungen untergebracht, darunter Tourismus-Agenturen, die Bar „Ponte Littorio“, Frisör und Tabakladen,[15] Auto-Schauräume, Post- und Telegrafie-Amt, Polizeikommissariat, Erste Hilfe-Station und Autovermietung.[16]

 

1.2. Stazione Ferroviaria „Santa Lucia”


 

Wie in zahlreichen anderen Städten Italiens sollte auch in Venedig in den 1930er Jahren ein neues Bahnhofsgebäude entstehen. Der Widerstand der lokalen Verantwortlichen gegen eine moderne Formensprache war jedoch so groß, dass sich die Planungen über viele Jahre hinzogen und das Gebäude erst nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet werden konnte.[17] Die Auseinandersetzungen um den Bahnhof „Santa Lucia“ (Fondamenta Santa Lucia, Cannarégio) hatten schon lange vor der faschistischen Epoche begonnen. Bereits 1908 entschloss man sich, ein neues repräsentatives Bahnhofsgebäude sowie den Sitz der Direzione compartimentale zu bauen. Während letztere als prächtiger Palast am Canal Grande 1906-08 errichtet wurde, kam keiner der verschiedenen Pläne für das Empfangsgebäude zur Ausführung. Erst 1930 beauftragte die Verwaltung Giuseppe Berti, der bereits am Ankunftsflügel tätig war, mit dem Entwurf einer neuen Fassade für das bestehende Gebäude. Dies wurde aber nicht weiter verfolgt und 1932 erhielt Angiolo Mazzoni den Auftrag, ein Projekt für den vollständigen Neubau des Bahnhofsgebäudes und des Palazzo compartimentale anzufertigen, zusammen mit der Fertigstellung des Ankunfts- und Abfahrtsflügels parallel zu den Gleisen sowie der Realisierung der Bahnsteig-Überdachungen.[18]

 

Mazzoni hatte sich schon seit 1925 mit dem Bahnhof Venedig befasst und bis 1928 fünf unterschiedliche Projekt-Varianten ausgearbeitet.[19] Er war 1921 in den Dienst der Staatseisenbahnen getreten und 1924 von Bologna nach Rom zum Servizio Lavori e Costruzioni della Direzione Generale delle F.S. gewechselt.[20] Mit der Einrichtung des Ministero delle Comunicazioni 1925 übernahm das Baubüro, dessen Leiter Mazzoni wurde, neben der Projektierung der Bahnhöfe nun auch die der Postämter.[21] Er verwirklichte im gesamten Italien zahlreiche Bahnhöfe, Postpaläste und verwandte Gebäude, abwechselnd historisierend oder in einer modernen Formensprache. Zu seinen modernen Werken zählen die colonia marina di Calambrone (1925-33), die Bahnhöfe von Siena (1933-35) und Trient (1934-36) und Bauten für den Bahnhof „Santa Maria Novella“ in Florenz (1932-35).

 

Im Sommer 1932 legte Mazzoni einer lokalen Kommission zwei Projekte zur Prüfung vor. Die von ihr vorausgewählte, von Mazzoni „tradizionalista“ genannte Variante wurde im Dezember 1933 von der zentralen Verwaltung abgelehnt. Mussolini hatte sich zusammen mit dem Verkehrsminister Umberto Puppini und führenden Beamten der Ferrovie dello Stato für das „progetto moderno“ entschieden. Mazzoni fertigte daraufhin ein Ausführungsprojekt des modernen Entwurfs an.[22] Ende 1934 begannen die Bauarbeiten am Bahnhofsgebäude,[23] dessen vollständige Realisierung jedoch scheiterte. Die beiden Varianten reichte Mazzoni wiederholt als „Progetto A“ und „B“ zusammen mit anderen Vorschlägen in den folgenden Wettbewerb ein.[24]

 

Bahnhofsgebäude und Palazzo compartimentale sollten in einem Rationalismus mendelsohnscher Prägung mit abgerundeten Formen entstehen. Der Bahnhof war durch den Kontrast zwischen einem großzügig verglasten Erdgeschoss und einem geschlossenen Obergeschoss mit Bullaugen geprägt. Im oberen Stockwerk sollte ein halbrunder, vollständig verglaster Erker weit auskragen. Der zum Bahnhof abgerundete Palazzo compartimentale war dagegen durch den Wechsel von hellen Fenster- und dunklen Brüstungsbändern gekennzeichnet.[25] Teile dieser modernen Anlage wurden umgesetzt, denn die Bauarbeiten hatten bei der Wettbewerbs-Ausschreibung vom Oktober 1934 bereits begonnen. Die Arbeiten...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Architektur - Baukunst

Der Ingenieur und seine Designer

E-Book Der Ingenieur und seine Designer
Entwurf technischer Produkte im Spannungsfeld zwischen Konstruktion und Design Format: PDF

Design und Konstruktion entscheiden über den wirtschaftlichen Erfolg neuer technischer Produkte. Nicht allein die 'Aufmerksamkeitsökonomie' ist dafür ausschlaggebend; der Wert langlebiger Güter wird…

Der Ingenieur und seine Designer

E-Book Der Ingenieur und seine Designer
Entwurf technischer Produkte im Spannungsfeld zwischen Konstruktion und Design Format: PDF

Design und Konstruktion entscheiden über den wirtschaftlichen Erfolg neuer technischer Produkte. Nicht allein die 'Aufmerksamkeitsökonomie' ist dafür ausschlaggebend; der Wert langlebiger Güter wird…

Software-Architektur

E-Book Software-Architektur
Format: PDF

Als Architekt arbeiten Sie in einem sehr vielfältigen und dynamischen Umfeld. Neue Technologien drängen auf den Markt, neue Werkzeuge versprechen Effizienz- und Produktivitätssteigerungen und neue…

Öffentlicher Personennahverkehr

E-Book Öffentlicher Personennahverkehr
Herausforderungen und Chancen Format: PDF

Das Buch zur gleichnamigen ifmo-Konferenz enthält Beiträge zur künftigen Entwicklung, zu Auswirkungen und Herausforderungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowie…

Öffentlicher Personennahverkehr

E-Book Öffentlicher Personennahverkehr
Herausforderungen und Chancen Format: PDF

Das Buch zur gleichnamigen ifmo-Konferenz enthält Beiträge zur künftigen Entwicklung, zu Auswirkungen und Herausforderungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowie…

Weitere Zeitschriften

Baumarkt

Baumarkt

Baumarkt enthält eine ausführliche jährliche Konjunkturanalyse des deutschen Baumarktes und stellt die wichtigsten Ergebnisse des abgelaufenen Baujahres in vielen Zahlen und Fakten zusammen. Auf ...

Card Forum International

Card Forum International

Card Forum International, Magazine for Card Technologies and Applications, is a leading source for information in the field of card-based payment systems, related technologies, and required reading ...

Deutsche Tennis Zeitung

Deutsche Tennis Zeitung

Die DTZ – Deutsche Tennis Zeitung bietet Informationen aus allen Bereichen der deutschen Tennisszene –sie präsentiert sportliche Highlights, analysiert Entwicklungen und erläutert ...

Die Versicherungspraxis

Die Versicherungspraxis

Behandlung versicherungsrelevanter Themen. Erfahren Sie mehr über den DVS. Der DVS Deutscher Versicherungs-Schutzverband e.V, Bonn, ist der Interessenvertreter der versicherungsnehmenden Wirtschaft. ...

building & automation

building & automation

Das Fachmagazin building & automation bietet dem Elektrohandwerker und Elektroplaner eine umfassende Übersicht über alle Produktneuheiten aus der Gebäudeautomation, der Installationstechnik, dem ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...