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E-Book

Die berauschte Gesellschaft

Alkohol - geliebt, verharmlost, tödlich

AutorHelmut K. Seitz, Ingrid Thoms-Hoffmann
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783641230838
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Über den richtigen (und fatalen) Umgang mit Alkohol
Alkohol gilt als Todesursache Nr. 1 in Deutschland. Trotzdem gehört die älteste Droge der Welt in allen Gesellschaftsschichten zum Lebensstil. In manchen Kreisen gilt es als schick, Alkohol unbefangen zu konsumieren. Warum ist das so? Woher kommt diese gesellschaftliche Akzeptanz? Und wie schnell werden dadurch Existenzen zerstört?
Was das Buch nicht will: Den Menschen die Freude am genussvollen Trinken nehmen. Nur sollten alle wissen, was es heißt, Alkohol zu trinken. Die Gesellschaft muss dafür sensibilisiert werden. Wer lernt, wo die Grenzen liegen, kann auf die Gesundheit anstoßen.

Prof. Dr. Helmut Seitz, geboren 1950, ist Honorarprofessor für Innere Medizin, Gastroenterologie und Alkoholforschung an der Universität Heidelberg und leitet das dortige Alkoholforschungszentrum. Er ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt am Krankenhaus Salem und St. Vincentius in Heidelberg. Professor Seitz ist ein international anerkannter Wissenschaftler mit über 450 Publikationen zum Thema Alkohol. Er war lange Jahre Präsident der Europäischen Alkohol Forschungsgesellschaft und wurde mit zahllosen Preisen ausgezeichnet.

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Leseprobe

Frauen sind anders

Weshalb das weibliche Geschlecht weniger verträgt und Alkohol in der Schwangerschaft Körperverletzung ist

Zunächst muss festgehalten werden: Frauen reagieren wesentlich empfindlicher auf Alkohol als Männer. So entwickeln sie bereits bei der Hälfte der Alkoholmenge und in wesentlich kürzerer Zeit eine fortgeschrittene Lebererkrankung, also eine Leberzirrhose, als Männer. Warum das so ist, bleibt letztendlich unklar. Verschiedene Mechanismen werden dafür verantwortlich gemacht:

  1. 1.Frauen haben etwas weniger Körperwasser als Männer, und da Alkohol wasserlöslich ist, ist die Blutalkoholkonzentration bei Frauen bei gleicher Zufuhr in Gramm pro Kilogramm Körpergewicht höher als bei Männern.
  2. 2.Frauen bauen im Magen weniger Alkohol ab als Männer. Frauen haben eine geringere Aktivität des Enzyms Alkoholdehydrogenase im Magen als Männer. Deshalb tritt mehr Alkohol in den Dünndarm über und wird schneller ins Blut aufgenommen. Das Ergebnis sind höhere Blutalkoholkonzentrationen.
  3. 3.Frauen haben Östrogene. Alkohol erhöht die Konzentration von Östrogenen im Blut, indem er den Abbau der Östrogene hemmt. Östrogene sind nicht nur krebserregend für die weibliche Brust, sie führen auch zu einer vermehrten Leberverfettung, insbesondere aufgrund der Tatsache, dass sie die Energiekraftwerke der Leber, die Mitochondrien, schädigen können. Es ist auch interessant, dass sich bei Frauen, die mit dem Alkohol Schluss machen, die Lebererkrankung wesentlich langsamer zurückbildet als bei Männern. Hierfür sind wahrscheinlich immunologische Mechanismen verantwortlich.
  4. 4.Die meisten Frauen, abgesehen von denen, die bereits im Jugendalter von 14–16 Jahren Alkohol regelmäßig konsumieren, beginnen wesentlich später mit der Alkoholsucht als Männer. Oft sind auslösende Faktoren von Bedeutung – etwa einschneidende persönliche Ereignisse. Depressionen spielen eine wichtige Rolle. Der amerikanische Psychiater und Genetiker Claude Robert Cloninger stellt zum Beispiel einen stark genetisch abhängigen Typ II mit ungünstigem Verlauf (meist bei Männern) einem Typ I gegenüber, der eher von Umweltfaktoren abhängig ist und häufiger bei Frauen auftritt.
  5. 5.Frauen zeigen ein anderes Suchtverhalten als Männer. Sie trinken vorwiegend heimlich, empfinden deshalb starke Schamgefühle und können ziemlich exakt berichten, warum und wann sie Alkohol zur Bekämpfung ihrer Probleme eingenommen haben. Daraus resultiert, dass die therapeutischen Ansätze bei Frauen anders aussehen müssen als bei Männern. Das heißt: Erst müssen die Probleme gelöst werden, die dazu führen, dass die Frau zur Flasche greift, danach kann sich der Therapeut um den verstärkten Alkoholkonsum kümmern. Beides muss in der Therapie parallel laufen.

Frauen im »Nachteil«

Alkoholkonsum ist für Frauen grundsätzlich schädlicher als für Männer. Der Grund: Da der Wasseranteil im weiblichen Körper niedriger ist, erreicht der Alkohol im Körper eine höhere Konzentration – und damit eine höhere Toxizität. Außerdem wird das Enzym, das den Alkohol abbaut, in geringeren Mengen produziert, sprich der Alkohol braucht länger, bis er wieder aus dem Körper verschwindet.

Was Babys krank macht

Obwohl das fötale Alkoholsyndrom (FAS) seit 1973 als klinischer Krankheitsbegriff anerkannt ist, überraschte eine neue Veröffentlichung Anfang 2018 im »Journal oft the American Medical Association« die Fachwelt. Offensichtlich leiden nach dieser groß angelegten Untersuchung in den USA mehr Kinder als erwartet an neurologischen Schäden, weil ihre Mütter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben. Die Erkrankung scheint mindestens so häufig wie Autismus zu sein und deutlich häufiger als das Down Syndrom (Trisomie 21) oder die Spina Bifida. Bei dieser neuen Studie wurden mehr als 3000 Kinder in Schulen in vier Gemeinden in den USA untersucht. Nach den Ergebnissen leiden bis zu fünf Prozent dieser Kinder an einer FAS, das sind fünf Mal mehr als bisher geschätzt wurde. Rechnet man die Daten hoch, so schätzen Experten sogar, dass eines von zehn Kindern in den USA an dieser Erkrankung leidet.

Seit den 70er-Jahren sind Alkoholforscher in den USA führend auf diesem Gebiet, und sie waren die Ersten, die durchsetzten, dass auf alkoholischen Getränken ein Warnhinweis aufgedruckt wurde, der auf die Gefahr von Gendefekten durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft aufmerksam machte. Das FAS existiert aber weltweit, und die Schätzungen für Deutschland sind ähnlich oder vielleicht noch höher, da hierzulande während der Schwangerschaft wesentlich mehr Alkohol getrunken wird als in den USA. Nur eine von fünf Frauen in den westlichen europäischen Ländern kann in dieser Phase konsequent die Finger von alkoholischen Getränken lassen. In einer Studie der Berliner Charité aus dem Jahr 2007 gaben 58 Prozent der befragten werdenden Mütter an, Alkohol in der Schwangerschaft zu trinken. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts ist ein Kind von 350 Geburten von der Unvernunft seiner Mutter betroffen. So werden in Deutschland jedes Jahr 10000 Neugeborene, das sind rund 0,6 Prozent, mit Alkoholschäden zur Welt gebracht. Von diesen Kindern zeigen 4000 das Vollbild eines FAS. Sie sind ein Leben lang körperlich und geistig behindert. Das Risiko für Alkoholikerinnen, die während der Schwangerschaft trinken, ein FAS-geschädigtes Kind zu bekommen, liegt bei 30–40 Prozent.

Groß angelegte Untersuchungen zeigen, dass bereits zwei Drinks pro Tag zu einem stark verminderten Geburtsgewicht führen können. Und mit steigender Dosis steigt auch die Rate der Fehlbildungen bei den Babys. Aber es sind nicht nur Alkoholikerinnen, deren ungeborene Kinder Schaden nehmen. Jede schwangere Frau, die trinkt, muss damit rechnen. Oft ist es nicht das Vollbild eines FAS, oft sind es sogenannte Alkoholeffekte, die erst viel später im Leben des Kindes zum Vorschein kommen. Leichte oder inkomplette Formen des FAS werden fötale Alkoholeffekte (FAE) genannt. In Deutschland werden FAS und FAE oft unter dem Begriff der Alkoholembryopathie zusammengefasst.

Wenn eine Schwangere Alkohol trinkt …

… ist die Gefahr hoch, dass der Embryo gravierende Entwicklungsstörungen davonträgt. Dazu zählen: geringes Geburtsgewicht, verzögertes Wachstum, kleiner Kopf, verringerte motorische und geistige Entwicklung, Herzfehler, Verhaltensstörungen, Epilepsie.

Das geschädigte Kind

Was macht jetzt dieses fötale Alkoholsyndrom aus? Da wäre der pränatale Minderwuchs. Das heißt: Noch im Mutterleib wächst das Baby nicht richtig. Dazu kommen noch bestimmte körperliche Anomalien, insbesondere am Gesicht sowie Ess- und Verhaltensstörungen. Die schwerwiegendsten phänotypischen Veränderungen lassen sich an einem kleinen Gesichtsschädel, geringerem Körpergewicht, Augenveränderungen, dünnen Oberlippen oder einer Verstreichung der Nasolabialfalte, jener Falte, die von der Nase zum Mundwinkel führt, festmachen. Diese Veränderungen im gesamten Erscheinungsbild können teilweise oder aber komplett auftreten. Die Schwangere muss wissen, dass sich das Gesicht des Kindes im Mutterleib in einem sehr frühen Stadium schon entwickelt. So ungefähr nach 17 Tagen beginnt die Ausprägung, und oftmals weiß die Frau zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, dass sie überhaupt schwanger ist.

Aber auch im späteren Stadium der Schwangerschaft kann Alkohol Verheerendes anrichten. So können Hirnschäden oder auch Herz- und Nierendefekte auftreten. Beeinflusst Alkohol die Gehirnentwicklung des Fötus, so kann das zu kognitiven Störungen, Verhaltensauffälligkeiten und Störungen in der Sozialisierung führen. Aufmerksamkeitsdefizite, Konzentrationsschwäche und Übererregbarkeit kommen hinzu.

Mit zunehmendem Alter verlieren sich oft die körperlichen Zeichen des FAS. Die Schwere der körperlichen Beeinträchtigung steht oft in Beziehung mit der Schwere der geistigen Behinderung bei den betroffenen Personen. Das Ausmaß der geistigen Beeinträchtigung bleibt zumeist über viele Jahre konstant. Die meisten FAS-Patienten sind unfähig, die Anforderungen des täglichen Lebens allein zu bewältigen. Selbst wenn kein FAS diagnostiziert wurde, weisen Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft ihren Alkoholmissbrauch fortsetzten, zu ca. 33 Prozent geistige, neurologische und soziale Entwicklungsstörungen auf.

Oft kann das Syndrom erst im späteren Kindesalter oder gar erst im jugendlichen Alter erkannt werden. Klassische psychische Symptome sind Aggressionsbereitschaft, mangelnde Sozialkontakte und geistige Verzögerung. Viele dieser Menschen sind ein Leben lang auf Hilfe angewiesen. Das FAS wird häufig übersehen, da die Ausprägung der Symptome sehr unterschiedlich ist und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit, aber auch der Mediziner nicht ausreichend groß ist.

Es ist wichtig zu erkennen, dass das FAS eine Körperverletzung eines Unschuldigen darstellt und deshalb besonders schwer zu werten ist. Während zum Beispiel der Tabakkonsum Dritte durch Passivrauchen schädigt, kommt dies bei Alkohol eigentlich nur im Vollrausch vor (Aggressivität, Autounfälle). Die einzige und nicht zu rechtfertigende Situation ist der Alkoholkonsum in der Schwangerschaft. Noch in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts hat die Britische...

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