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E-Book

Die besten Schweizer Reportagen

AutorDaniel Puntas Bernet
VerlagNagel & Kimche
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783312010233
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Die Reportage ist die Kunst, der Wirklichkeit eine spannende Erzählung zu entlocken. Und die vielfältige Schweizer Presse bringt aufsehenerregende Reportagen hervor. Zum 5-jährigen Jubiläum von 'Reportagen' und zu 25 Jahren 'NZZ Folio' haben Daniel Puntas Bernet und Daniel Weber die besten der letzten Jahre ausgewählt. Es sind Glanzstücke von Könnern wie Margrit Sprecher, Erwin Koch, Peter Haffner oder Constantin Seibt, daneben vielversprechende junge Stimmen wie Florian Leu und Sasha Batthyany. Ob über liebe und böse Reiche in Basel, Scheinehen und Zwangsprostituierte, Staranwälte in Genf: diese Texte produzieren starke Bilder von der Zeit, in der wir leben.

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Leseprobe

VORWORT


 

 

Die Reportage hatte in den letzten Jahren einen schweren Stand. Die Reporter, die als Kundschafter für ihre Leser in unbekannten Welten unterwegs gewesen waren, bekamen mächtige Konkurrenz: allen voran das Fernsehen, dessen Bilder allgegenwärtig geworden sind. Und die zunehmende Mobilität, die das Reisen für viele erschwinglich gemacht hat, führte dazu, dass man nun selber erleben konnte, worüber man früher nur staunend las. Aber vor allem das Internet hat die Welt und den Journalismus verändert. Newsportale, Youtube, Twitter und Social Media haben sich als unschlagbar schnelle Informationskanäle etabliert. Was wollen Leserinnen und Leser da noch mit klassischen, um nicht zu sagen: altmodischen Reportagen? Was sollen umständliche Recherchen vor Ort, wenn man mit Google Streetview um jede Hausecke auf dieser Welt spähen kann? Und nicht zuletzt bekommen die «Edelfedern», wie die Reporter von den «gewöhnlichen» Journalisten oft despektierlich genannt werden, den Kostendruck zu spüren, unter dem heute die Redaktionen leiden. Ist die Reportage, einst die Königsdisziplin des Journalismus, also eine vom Aussterben bedrohte Gattung?

Nein, im Gegenteil. Im Mediengeschäft bleibt zwar kein Stein auf dem anderen, die Produktions- und Rezeptionsbedingungen ändern sich gerade fundamental, aber die Reportage lebt. Vielleicht mehr denn je begeistern sich Leserinnen und Leser für gut erzählte Geschichten aus der Wirklichkeit. Hingehen, anschauen, aufschreiben: Das ist auch heute noch das Motto der Reporter. Sie müssen ihr Thema finden, sauber recherchieren und anschaulich erzählen. Denn wie immer schon wollen jene, die ihre Geschichten lesen, das Gefühl haben, sie seien als Augenzeugen dabei. Oft sitzen sie heute wohl nicht mehr im Lehnstuhl und blättern gespannt Seite um Seite um. Aber die Digitalisierung hat der Leidenschaft für fesselnde Geschichten keinen Abbruch getan. Für den auch bei Online-Lesern beliebten Erzähljournalismus hat man sogar einen eigenen Begriff geprägt: Longread. Was natürlich ein völliger Unsinn ist; Länge ist kein Qualitätskriterium. Die Leserinnen und Leser werden das anhand der kürzeren Texte, die wir in diesen Band aufgenommen haben, leicht selber feststellen.

«Die besten Schweizer Reportagen»? Der Superlativ des Buchtitels ist eine Behauptung, die sich anfechten lässt. Jede Leserin und jeder Leser wird Namen vermissen, die zwingend in eine solche Sammlung gehört hätten. Dass manche große Reporter fehlen, Niklaus Meienberg etwa, liegt daran, dass wir unsere Auswahl auf die jüngere Vergangenheit beschränkten: Die hier versammelten Texte stammen alle aus den letzten fünfzehn Jahren. Sie spiegeln die Vielfalt der großen und kleinen Themen, die uns in diesem noch jungen Jahrtausend beschäftigen. Auf dem so abgesteckten Spielfeld haben wir uns für exemplarische Texte entschieden, die zeigen, mit welch unterschiedlichen Methoden und Herangehensweisen Schweizer Reporterinnen und Reporter arbeiten.

Die Auswahl folgt nicht «wissenschaftlichen» Kriterien; trennscharf war das Genre der Reportage ohnehin nie, darum haben wir es mit Bedacht weit gefasst. Dass man den einen und anderen Text ebenso dem Porträt oder dem Feature zurechnen könnte, hat uns nicht daran gehindert, ihn aufzunehmen. Wer schafft den besten Einstieg? Wer verknüpft Szenisches und Gedankliches am intelligentesten? Wer trägt die harten Fakten sprachlich im schönsten Kleid vor? Warum weinen wir bei einem Text und empfinden Glück bei einem anderen? Diese Fragen sind nur subjektiv zu beantworten, und genau das haben wir getan: Wir entschieden uns für 21 Texte, die uns alle auf die eine oder andere Art berührt haben und die in ihrer Gesamtheit ein Abbild der Schweizer Reportage des noch jungen 21. Jahrhunderts sein sollen.

Was uns an der Arbeit am meisten gefreut hat, ist die Entdeckung, dass sich das heimische Schaffen in der Königsdisziplin nicht zu verstecken braucht. Es gibt die etablierten Größen: Margrit Sprecher etwa, die auf ein halbes Jahrhundert Schaffenszeit zurückblickt und mit ihrer Beobachtungsgabe bis heute präzise Stiche zu setzen vermag, wenn sie es für nötig hält. In ihrer Reportage über Eveline Widmer-Schlumpf geht sie damit für einmal sparsam um und schafft am Ende der Karriere der Bündner Bundesrätin ein spannendes Porträt, das nie anbiedernd wird. Erwin Koch, der mit seinem unnachahmlichen Telegrammstil Randfiguren zu Helden des Alltags erhebt. Sein bewegender Text über den Luzerner Teenager Sarah, die mit siebzehn an Leukämie stirbt, ist ein Musterbeispiel an radikaler Verknappung und Fokussierung. Oder Constantin Seibt, der komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge gnadenlos seziert und auf den Punkt bringt. Dass die Geschichte des anarchistischen Komikers Jon Gnarr, der zum Bürgermeister von Reykjavik gewählt wurde, für diesen Reporter wie gerufen kam, spürt man in jeder Zeile.

Und es gibt die Nachwuchstalente, die mit ihrem originellen Zugang zu Themen und ihrer stilistischen Brillanz herausragende Reportagen schaffen: Florian Leu schreibt mit seiner Dorfreportage aus dem solothurnischen Dulliken, einem eigentlichen Unort im Niemandsland der Schweizer Mitte, eine Liebeserklärung, die dem Gemeindepräsidenten eine Träne entlockt haben muss. Simone Rau erzählt von einer Frau, die am Münchhausen-Stellvertretersyndrom leidet und ihrer kleinen Tochter jahrelang Leiden zufügt, um sie pflegen zu können; aus einer nüchtern rapportierten Krankengeschichte macht die Autorin eine packende Kriminalgeschichte. Samuel Tanner besucht Matthias Hüppi und Bernhard Russi, die schon gemeinsam Skirennen kommentierten, als der Journalist noch nicht auf der Welt war; mit frischem Blick gelingt ihm ein einfühlsames Doppelporträt, in dem man zwei alte Bekannte neu kennenlernt.

Die erwähnten Beispiele zeugen von der thematischen Vielfalt der ausgewählten Texte. Und lassen sie sich auf ein vergleichbares Thema ein – eine Stadt etwa –, tun sie es auf völlig verschiedene Weise. Wenn Martin Beglinger sich nach Basel begibt, um dem diskreten Daig auf die Spur zu kommen, kreist er das Objekt seiner Recherche behutsam ein, trägt geduldig Aussagen und Fakten zusammen, bis sie sich zu einem Gesamtbild fügen. Der langjährige Bundeshauskorrespondent Urs Paul Engeler setzt dagegen voll auf Konfrontation, wenn er sich die rot-grüne Stadtregierung von Bern vorknöpft; seine Attacke ist ein polemisches Glanzstück. Und wie kommt man journalistisch dem wohl schweizerischsten aller Schweizer Orte bei, dem Bahnhofbuffet Olten? Andreas Dietrich schafft es mit Sprachwitz und einem feinen Gespür für Ironie, die es nicht nötig hat, etwas oder jemanden ins Lächerliche zu ziehen. Gegensätzlicher könnten auch die beiden Reportagen aus der Arbeitswelt nicht sein, die wir ausgewählt haben: Jean-Martin Büttner besucht die renommiertesten Anwälte von Genf, und deren wichtigste Waffe, die geschliffene Rhetorik, macht sich der Reporter als Stilmittel für seinen eigenen Text zu eigen. Während Cornelia Kazis sorgsam zur Sprache bringt, was gemeinhin tabuisiert und verschwiegen wird: wie Krankenpfleger mit Ekel und Scham umgehen.

Von jeher hatten Reporter ein Flair für die Menschen am Rande der Gesellschaft. Seit der legendäre Egon Erwin Kisch in den 1920er Jahren über seine Erfahrungen «Unter den Obdachlosen von Whitechapel» berichtete, hat die Sozialreportage, die denjenigen eine Stimme gibt, die sonst keine haben, nichts an Beliebtheit eingebüßt. In unserer Auswahl ist sie mit einem klassischen Beispiel vertreten: Sacha Batthyany schildert die Wochen und Tage eines türkischen Rosenverkäufers vor seiner Ausschaffung; nach über zwanzig Jahren in der Schweiz muss er, trotz Sympathiebekundungen von allen Seiten, zurück in die einstige Heimat. Eine eher ungewöhnliche Sozialreportage ist Christian Schmidts Text über die Beziehung eines einstigen Schulfreundes zu einer afrikanischen Prostituierten; die Reportage wirft ein neues Licht auf ein altes Problem, indem sie die Mechanismen des Menschenhandels sichtbar macht. In Sibylle Bergs Minireportage geht es um das gleiche Thema. Zusammen mit freiwilligen Helferinnen der Heilsarmee besucht sie Prostituierte an der Zürcher Langstrasse. Gesellschaftskritik paart sich mit einem liebevollen Blick auf eine Organisation, die so in den Medien selten vorkommt. Reto U. Schneider schließlich hat ein Altersheim besucht, dessen Bewohner zum Glück nicht erzählen können, was ihnen widerfuhr, bevor sie hierherkamen: Es sind Laboraffen, die nach dem Ende ihrer leidvollen Karriere wenigstens einen friedlichen Lebensabend genießen.

Die Tradition der Auslandsreportage hat im kleinen Land Schweiz einen hohen Stellenwert. Unsere Wahl fiel auf Texte zu Themen, die typisch dafür sind, wieso Schweizer Reporter ins Ausland reisen: Krieg, Anthropologie und Tourismus. Karin Wenger besuchte als «embedded journalist» den US-Stützpunkt Camp Nathan Smith in Kandahar, Afghanistan. Gerade weil kein Schuss fällt und sie sich in sicherer Distanz zur Front befindet, gelingt ihr anhand des Lageralltags ein ungewöhnlicher Einblick in den Krieg. Christoph Zürcher, der Abenteurer unter den Schweizer Reportern, findet auch in unserer längst vermessenen Welt noch weiße Flecken auf der Landkarte; zum Beispiel ein Dorf in China, in dem bis heute das Matriarchat das Leben der Bewohner bestimmt. Und Michèle Roten beweist mit ihren Beschreibungen hinduistischer Begräbniszeremonien in Varanasi und den Gedanken, die ihr dabei durch den Kopf gehen, dass die etwas aus der Mode geratene Reisereportage auch im 21. Jahrhundert Potential hat.

Reportagen müssen nicht grandiose Geschichten über weltbewegende Dinge erzählen. Es gibt welche, die aus Nebensächlichem die schönsten poetischen Funken schlagen. Peter Haffner gelingt das...

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