Die im Folgenden dargelegten Ausführungen sind auf die generelle Bilanzierung von Software-Systemen anwendbar und werden anhand des Beispiels eines ERP-Software-Systems erläutert. Bevor richtig in die Fragestellung der Diskussion eingestiegen werden kann, soll zuvor eine kurze Definition der Begriffe „Wirtschaftsgut“ und „Vermögensgegenstand“ gegeben werden, da beide in den nachfolgenden Ausführungen mehrmals verwendet werden.
Im Gesetzestext des HGB wird keine Definition der Begriffe Vermögensgegenstand, Vermögen oder Schuld gegeben. Gem. § 242 Abs. 1 HGB ist ein Kaufmann verpflichtet, in einer jährlichen Bilanz sein Vermögen und seine Schulden darzustellen. Der Inhalt der Bilanz ist aus § 247 HGB i. V. m. § 266 Abs. 2 und 3 HGB abzuleiten. Der Begriff des Vermögensgegenstandes wird zwar in § 246 Abs. 1 HGB verwendet, eine genaue Erläuterung ist jedoch nicht zu finden. Eine Ableitung der Bedeutung ist nur durch die gesetzlich nicht kodifizierten GoB[43] unter Berücksichtigung des Zweckes des Jahresabschlusses möglich.[44] Durch das in § 5 Abs. 1 S. 1 EStG festgelegte Maßgeblichkeitsprinzip gilt, dass Aktivierungsgebote sowie –verbote der Handelsbilanz auch in der Steuerbilanz Anwendung finden. Im Steuerrecht wird im Gegensatz zum Handelsrecht nicht von einem Vermögensgegenstand, sondern von einem Wirtschaftsgut gesprochen. Aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips wird deshalb häufig die Meinung vertreten, dass beide Begriffe als identisch zu betrachten sind.[45] Der Große Senat des BFH hat dies in einem Urteil vom 26.10.87[46] bestätigt, in welchem er aus dem Grundsatz der Maßgeblichkeit ableitete, dass der steuerrechtliche Begriff des Wirtschaftsgutes dem handelsrechtlichen Begriff des Vermögensgegenstandes entspricht.[47] Aus diesem Grund sollen im Folgenden beide Begriffe als synonym angenommen werden.
Durch ihren großen Einfluss und ihre Verstrickung mit sämtlichen relevanten Bereichen des Betriebs ebenso wie ihren großen finanziellen Wert, stellt eine ERP-Software einen Betriebsposten da, dessen Wert für Bilanzadressaten durchaus von Bedeutung ist. Deshalb soll nun beleuchtet werden, welche bilanzielle Behandlung nach HGB auf solche Systeme anzuwenden ist.
Bevor der Frage nach der Höhe des anzusetzenden Betrages nachgegangen wird, muss sichergestellt werden, dass es sich bei einem ERP-Software-System überhaupt um einen ansatzfähigen Vermögensgegenstand des Anwenders handelt.
Gem. §§ 248 Abs. 2 HGB, 5 Abs. 2 EStG besteht sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz ein Aktivierungsverbot für unentgeltlich erworbene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens. Dies hat zur Folge, dass sämtliche mit diesem Vermögensgegenstand zusammenhängenden Aufwendungen im Jahr ihrer Entstehung als Aufwand gewinnmindernd zu behandeln sind.[48]
Ein ERP-System wird zwar in der Regel nicht vom Anwender komplett selbst erstellt, dazu ist es zu komplex. Jedoch wird in der Literatur diskutiert, welche Bedeutung ein starkes Customizing des Produktes durch den Erwerber hat und wie die eventuelle Beteiligung eines Beratungsunternehmens bei der Individualisierung zu werten ist.
Gem. § 246 Abs. 1 HGB sind sämtliche Vermögensgegenstände in den Jahresabschluss zu integrieren, soweit es keine anderweitigen gesetzlichen Bestimmungen gibt. Diese Formulierung deutet darauf hin, dass bei der Aktivierung zwischen zwei verschiedenen Arten unterschieden werden muss, der abstrakten und der konkreten Aktivierungsfähigkeit. Die abstrakte Aktivierungsfähigkeit drückt die generelle Befähigung eines Vermögensgegenstandes aus, in die Bilanz aufgenommen werden zu können. Die konkrete Aktivierungsfähigkeit dagegen zielt auf die tatsächliche Zulässigkeit einer Aktivierung ab, dass heißt, sie berücksichtigt zudem noch eventuell im Gesetzestext enthaltene Aktivierungswahlrechte und –verbote.
Die Kriterien der abstrakten Aktivierungsfähigkeit sind Bestandteil der nicht kodifizierten GoB. Es existiert keine Legaldefinition für sie. Aus diesem Grund sind sie, wie alle GoB, unter Beachtung der Jahresabschlusszwecke aus anderen GoB und den übrigen Rechnungslegungsvorschriften abzuleiten.[49]
Um ein bestimmtes Gut als Vermögensgegenstand aktivieren zu können muss es sich um einen wirtschaftlich verwertbaren Vermögensvorteil für den Kaufmann handeln.[50] Es muss gem. der Rechtsprechung des BFH[51] vom 16.02.1990 ein eigener wirtschaftlicher Wert des Gutes vorliegen. Zudem muss es von greifbarem längerfristigem Nutzen sein und vor allem selbständig bewertet werden können. Liegen diese Kriterien vor, so handelt es sich bei dem Gut um ein Wirtschaftsgut im Sinne des Steuerrechtes. Wie bereits ausgeführt, ist in der Literatur in der Regel von einer Identität der beiden Begriffe „Vermögensgegenstand“ und „Wirtschaftsgut“ auszugehen.[52] Dies liegt vor allem an dem in § 5 Abs. 1 S. 1 EStG festgelegten Maßgeblichkeitsgrundsatz. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die Kriterien einer Bilanzierung nach Steuer- bzw. Handelsrecht unterschiedliche Ziele verfolgen. Das Hauptkriterium eines Vermögensgegenstandes im Handelsrecht ist die Verfügung über Schuldendeckungspotential, was sich hauptsächlich durch die Fähigkeit zur Einzelveräußerbarkeit und – verwertbarkeit zeigt. Im Steuerrecht dagegen wird stärker auf die selbständige Bewertbarkeit eines Gutes abgestellt, da hier häufig dem Gewinnermittlungszweck aufgrund von fiskalischen Überlegungen Vorrang gegeben wird.[53]
Obwohl in dieser Arbeit nicht auf die steuerlichen Seiten der betrachteten Fragestellungen eingegangen wird, soll im Folgenden aufgrund der starken steuerlichen Einflüsse auf diesen Teil des Handelsrechtes aus Gründen der Vollständigkeit eine Ausnahme gemacht werden.
Durch die Tatsache, dass das Handelsrecht verstärkt auf die Schuldendeckungsfähigkeit eines Bilanzgutes abstellt, wird als handelsrechtliches Kriterium für die abstrakte Aktivierungsfähigkeit meist das Kriterium der selbständigen Verkehrsfähigkeit genannt. Was genau darunter zu verstehen ist, ist strittig.[54] In der Regel wird jedoch auf die folgenden Attribute der Einzelveräußerbarkeit und der Einzelverwertbarkeit abgestellt.[55]
4.1.1.1 Einzelveräußerbarkeit
Unter dem Begriff der Einzelveräußerbarkeit (auch selbständige Veräußerungsfähigkeit genannt) wird die Fähigkeit verstanden, ein Gut für sich alleine veräußern zu können. Man unterscheidet dabei wiederum zwischen der abstrakten und der konkreten Einzelveräußerbarkeit. Bei der abstrakten selbständigen Veräußerungsfähigkeit wird darauf abgestellt, dass das Gut lediglich seiner Natur nach selbständig übertragen werden kann, während bei der konkreten Einzelveräußerbarkeit auch darauf zu achten ist, ob eine theoretische Veräußerung in der Praxis möglich wäre, also, ob keine gesetzlichen oder vertraglichen Veräußerungsverbote dagegen sprechen.[56]
Ein weiteres in der Literatur bezeichnetes Kriterium ist die Einzelvollstreckbarkeit, die darauf abzielt, dass auf ein Gut im Wege der Einzelvollstreckung bzw. Pfändung zugegriffen werden kann.
Das Kriterium der konkreten Einzelveräußerbarkeit in Verbindung mit der Einzelvollstreckbarkeit kann dazu führen, dass bestimmte Gruppen von Gütern nicht als Vermögensgegenstände deklariert werden, die jedoch nach einhelliger Meinung des Schrifttums als solche zu sehen sind und auch im Gesetzestext unter dem § 266 HGB, der Gliederung der Bilanz, aufgeführt werden. Im Besonderen ist dabei von den in § 266 Abs. 2 A. I. Nr. 1 HGB aufgeführten immateriellen Vermögenswerten, wie „Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten“[57], die Rede. Urheberrechte sind ohne Zweifel als immaterielle Vermögensgegenstände eines Unternehmens zu sehen. Jedoch unterliegen sie gem. § 29 UrhG einem Veräußerungsverbot. Somit sind hier zwar die Kriterien der abstrakten, jedoch nicht der konkreten Einzelveräußerbarkeit erfüllt. Eine Einzelvollstreckung ist bei diesen Gütern nicht möglich. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Kriterien der konkreten Einzelveräußerbarkeit und der Einzelvollstreckbarkeit als Aktivierungskriterium zu eng sind.
Die abstrakte Einzelveräußerbarkeit zusammen mit der selbständigen Verwertbarkeit dagegen werden als solide Bedingungen für die abstrakte Aktivierungsfähigkeit gesehen.[58]
Auf Software-Systeme und speziell auf ERP-Systeme im Unternehmen angewandt, ist die Frage nach einer abstrakten selbständigen Veräußerungsfähigkeit zu bejahen.
In der Regel wird die ERP-Software ganz typisch gegen die Zahlung eines Kaufpreises „erworben“. Das heißt, der Käufer erwirbt mit der Zahlung das unbegrenzte...