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Die Bilder sind frei

Luther und die Avantgarde - Religions- und kunstpädagogische Impulse

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783744845342
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
"Die Bilder sind frei ..." predigt Martin Luther 1522 in Wittenberg während der Auseinandersetzungen um Kunstwerke in den Kirchen. Das Buch zeichnet - ausgehend von den damaligen historischen Voraussetzungen - in 18 Modulen die Entwicklung vom Jahr 1517 bis zu den Kasseler Exponaten der Ausstellung "Luther und die Avantgarde" für den schulischen Unterricht nach. Wie entfaltet sich das Verhältnis des Protestantismus zur zeitgenössischen Kunst vom Anfang des 16. Jahrhunderts bis in die Gegenwart? Und was bedeutet das für die Begegnung mit der Kunst?

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Leseprobe

Modul 1
Die Bedeutung der Bilder vor der Reformation


Michael Ostendorfer, Schöne Madonna zu Regensburg, 1520

Wenn wir heute über Bilder oder Kunst in der Kirche sprechen, dann ist das etwas vollständig anderes, als wenn Menschen vor dem Jahr 1520 über Bilder oder Kunstwerke gesprochen hätten. Erstens, weil sich erst mit der Renaissance und der Reformation jener emphatische Begriff von Kunst entwickelt hat, der heute unsere Wahrnehmung von Kunstwerken charakterisiert. Bis weit in das 16. Jahrhundert war Bildende Kunst nicht autonom, sondern ein Teil dessen, was wir heute eher als Kunst-Handwerk bezeichnen würden, also keinesfalls eine eigenständige Erkenntnisform. Dazu wurden die Kunstwerke erst im Zuge der Aufklärung.9

Zweitens waren Bilder damals wichtige Mittel auf dem Weg zum persönlichen Heil.10 Die Stiftung von Bildern verkürzte die Zeit, die man selbst oder auch Angehörige im Fegefeuer verbringen mussten. Das ist heute nur noch schwer nachvollziehbar. Niemand stiftet heute noch Kunstwerke, um nicht allzu lange ins Fegefeuer zu kommen. In der konkreten Ökonomie des Heils spielten Bilder damals aber eine große Rolle. Und dieses Heilsmittel war – das ist für das Verstehen der Ereignisse in der Reformationszeit wichtig – nur den Vermögenden zugänglich, denn auch damals waren großformatige Kunstwerke außerordentlich teuer.

Und drittens haben wir, wenn wir heute von kirchlichen Bildern sprechen, andere Situationen vor uns: Bei Bildern in katholischen Kirchen denken wir an solche nach dem II. Vatikanum; bei Bildern in evangelischen Kirchen denken wir an Kirchen der Moderne. Beides hat wenig mit dem zu tun, wie eine Kirche im Mittelalter ausgesehen hat.

Nur wenn man das versteht, kann die enorme Umwälzung begriffen werden, die der Protestantismus im Verhältnis zu den Bildern hervorgerufen hat und auch, inwiefern er gerade dadurch einen Beitrag zur Entstehung moderner Kunst geleistet hat.

Um diese Fragen geht es im ersten Modul. Warum ist es wichtig, diese Fragen im Religionsunterricht zu besprechen? Wir neigen dazu, mit dem Wertesystem der Gegenwart auch die Verhältnisse der Vergangenheit zu beurteilen. Weil wir an Kunstwerke in Museen gewöhnt sind, glauben wir, auch Kunstwerke in mittelalterlichen Kirchen seien vor allem Ausstellungsstücke. Wir übersehen dabei das, was der Philosoph Walter Benjamin ihren Kultwert genannt hat, der bis zum 16. Jahrhundert das eigentlich Bedeutsame an Bildern war (siehe D – Studienmaterial).11

A – Stiftungsbilder

In ihrer Studie „Das Erlöschen des Fegefeuers und der Zusammenbruch der Auftraggeberschaft für sakrale Kunst“ schreiben Christine Göttler und Peter Jezler, „dass der überwiegende Teil mittelalterlicher Sakralkunst letztlich im Zusammenhang mit der Vorsorge für das Jenseits geschaffen worden ist. Die konkrete Angst vor dem Fegefeuer forderte von den Reichen unter anderen Maßnahmen auch die Mehrung der Kirchenzierden. Die Frage nach dem reformatorischen Verhältnis zum Fegefeuer ist daher vordringlich, wenn man den Einbruch der Kunstproduktion in zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts verstehen will.“12 Mit anderen Worten: Man kann das, was die Reformation im Blick auf die Kunst „geleistet“ hat, nur verstehen, wenn man sich mit dem Phänomen der Stiftung von Kunstwerken auseinandergesetzt hat. Wir haben deshalb im Bereich des Studienmaterials noch einmal den Argumentationsstrang von Christine Göttler und Peter Jezler aus ihrem Aufsatz zusammengestellt (siehe D – Studienmaterial).

Als 1522 der Bildersturm in Wittenberg ausbrach, eilte Martin Luther herbei und hielt zur Befriedung der Situation eine Reihe von Predigten, die dem Kirchenkalender entsprechend heute unter dem Namen Invokavit-Predigten bekannt sind. Und in der dritten seiner Invokavit-Predigten kommt Martin Luther genau auf die Stiftungsbilder in der Kirche zu sprechen und er sagt: „Denn wer ein Bild in die Kirche stellt, der meint, er habe Gott einen guten Dienst und ein gutes Werk erwiesen, was dann richtige Abgötterei ist: der größte, vornehmste und höchste Grund, weshalb die Bilder abzuschaffen wären.“13 Weniger das Bilderverbot ist für Martin Luther das Ärgernis, sondern der Gedanke, der hinter der Stiftungskunst steht, nämlich dass man, indem man eine Statue, einen Altar, ein Altarbild stiftet und unterhält, gegenüber Gott ein gutes Werk tun könne. Das ist nun tatsächlich der Kerngedanke derer, die bis dahin in der ganzen Welt Altäre gestiftet haben.

Martin Luther wird kaum überblickt haben, was sein Gedanke für die Künstler für Folgen hatte – auch sozialökonomische Folgen. Denn wenn die Reichen einmal erkennen, dass die Stiftung der Bilder allenfalls dem Soli Deo Gloria (dem alleinigen Gott die Ehre bzw. Gott allein die Ehre), nicht aber ihrem eigenen Heil (oder dem ihrer Verwandten) dient, dann werden sie sich das Geld sparen und eben keine Stiftungsaltäre mehr in Auftrag geben.

Die Künstler haben aber zumindest zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch überwiegend von den Stiftungsbildern gelebt. Erst als – bedingt durch die Reformation – die Nachfrage nach großformatigen Bildern für Kirchen einbrach, mussten die Künstler sich neue Arbeitsfelder suchen. In Straßburg wenden sich Maler und Bildhauer 1525 an den Rat, um auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen, „als nunmer durch das wort gottes die achtung der bilder mercklich abgefallen und noch täglich abfeilet“. Während Bildschnitzer fast überhaupt keine Aufträge mehr bekamen, konnten Porträtmaler oder Historienmaler noch Aufträge bekommen. Aber auch in den katholischen Gegenden gehen die Aufträge zurück. (Vgl. dazu den erwähnten Text von Göttler/Jezler.)

B – Konkretion: Giotto und die Scrovegni-Kapelle

Man kann sich das gerade Erläuterte an einem der berühmtesten Orte der Kunstgeschichte verdeutlichen: der von Giotto ausgemalten Scrovegni-Kapelle in Padua. Bis heute ist dies – neben der Renaissance-Kunstwelt in Florenz – einer der atmosphärisch dichtesten Kunsträume der Welt. Aber warum gibt es diese Privatkapelle und was trieb den Bankier Scrovegni an, den berühmtesten und sicher auch teuersten Künstler der damaligen Zeit mit der Ausmalung einer ganzen Kapelle zu beauftragen?

Dazu gibt es eine Legende, von der freilich nicht ganz sicher ist, ob sie der Wirklichkeit entspricht, die aber die religiöse Mentalität der damaligen Zeit gut einfängt. Der Vater des Bankiers, Rinaldo di Ugolino Scrovegni, war in Padua ein stadtbekannter Wucherer, der viele Menschen in den Ruin getrieben hatte. In Dantes berühmter Göttlicher Komödie trifft ihn Dante mit seinem Begleiter Vergil im siebten Kreis der Hölle, die u.a. für die Wucherer vorgesehen ist. Er wird nicht namentlich benannt, ist aber durch sein Wappen und den von ihm benannten Heimatort klar erkennbar. Als sein Sohn von dieser Schilderung in der Göttlichen Komödie erfährt, soll er voller Schrecken und um die Leiden seines Vaters zu lindern, die Scrovegni-Kapelle zugunsten seines Vaters gestiftet haben.

Das passt präzise zu den Darstellungen von Giotto in der Kapelle, denn der Zweck der Kapelle wird sehr deutlich auf der großen Weltgerichtsdarstellung über dem Ausgang dargestellt. Wir sehen die Menschen aus ihren Gräbern klettern und dem Jüngsten Gericht zueilen. Scrovegni aber, wesentlich größer dargestellt als die anderen auferstehenden Menschen, überreicht den Engeln, die mit Christus zu Gericht sitzen, die von ihm erbaute Kapelle, damit sich die Waage zu seinen und seines Vaters Gunsten neige. Für den einfachen Menschen musste das so aussehen, als gäbe es für Reiche einen Abkürzungsweg zu Gott, der all ihre Untaten, durch die sie ihr Vermögen aufgehäuft hatten, vergessen sein ließ.

C – Unterrichtsanregungen (Florian Schmitz)

Impulsfragen:

  1. „Die Bedeutung der Bilder vor der Reformation“ ist die Überschrift dieses ersten Moduls. Welche Bedeutungen (Funktionen) haben Bilder Deiner Ansicht nach? Überlege selbst und tausche Dich dann mit anderen aus.
  2. Was ist „Ablasshandel“ – und was hatte er mit Kunst zu tun?
  3. Martin Luther gilt als die zentrale Figur der Reformation. Worum es Luther theologisch ging, ist in einem einzigen seiner Sätze zusammengefasst: „Non iusta faciendo iustus fit, sed factus iustus fecit iusta.“ (WA 2; 492,21) Frei übersetzt: „Nicht durch das Tun des Gerechten werden wir gerecht; sondern weil wir (von Gott) gerecht gesprochen sind, darum können wir Gerechtes tun.“ Versuche, unter Zuhilfenahme dieses Satzes Luthers Anliegen in eigenen Worten so zu beschreiben, dass Grundschulkinder es verstehen könnten.

Didaktische Anregungen zu den Texten des Moduls:

Nachfolgend findest Du eine Reihe von Begriffen. Sie stammen aus den Texten dieses Moduls. Bringe die Begriffe in eine plausible Struktur, indem Du sie neu ordnest und mit Strichen oder...

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