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Die Blumen des Koran oder: Gottes Poesie

Ein Lesebuch

VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783451803956
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Milad Karimi, der Übersetzer des Koran, präsentiert eine außergewöhnliche Einführung in die faszinierende Welt des Koran. Er stellt die wichtigsten Verse zusammen und begleitet den Leser in die ausgewählten Passagen. Wie ist der Koran zu lesen? Welchen inneren Zusammenhang haben die Themen im Koran? Warum fasziniert der Koran die Muslime so sehr? Wie soll man den Koran aufschlagen? Das Buch lädt ein zu einer Reise in eine unbekannte Welt voller Rätsel und Schönheit.

Ahmad Milad Karimi, Prof. Dr., geboren 1979 in Kabul, Studium der Philosophie, Mathematik und Islamwissenschaft in Freiburg und Neu Delhi. Seit 2012 Vertretungsprofessur für Kalam, islamische Philosophie und Mystik an der Universität Münster.

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Leseprobe

3. Und gestaltet hat Er euch, schön eure Gestalt


Dem Menschen ist die letzte Sure im Koran gewidmet, in der der Mensch in besonderer Weise gewürdigt wird, indem sich der Herr aller Welten als Herr des Menschen bestimmen lässt:

Sure 114: Die Menschen (al-nās) –
Geoffenbart in Mekka

Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers

1 Sag:
„Ich suche Zuflucht bei dem Herrn der Menschen,

2 dem Herrscher der Menschen,

3 dem Gott der Menschen,

4 vor dem Bösen der Einflüsterung,
des Heimtückischen,

5 der einflüstert in die Brust der Menschen,

6 vor Dschinn4 und Menschen.“

Die Sure ist von besonderer Schönheit. Gerade ihre Verdichtung und die Anordnung der Worte, die auf das Reimwort nās (Menschen) abgestimmt sind, während auf den Buchstaben n (arab. nūn) beim Vortrag insistiert wird, machen das Tempo lebhaft, allegro bis presto. Im selben Atemzug steigern sich die Gedanken Vers für Vers, um im Begriff des Menschen (nās) zu ruhen.

Zudem wird die Sure gemeinhin als Schutz gegen die Heimsuchung begriffen wie auch die vorletzte Sure:

Sure 113: Die Morgendämmerung (al-falaq) –
Geoffenbart in Mekka

Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers

1 Sag:
„Ich suche Zuflucht beim Herrn der Morgendämmerung

2 vor dem Bösen dessen, was Er schuf,

3 vor dem Bösen der Finsternis, die hereinbricht,

4 vor dem Bösen knotenbespuckender5 Weiber

5 und vor dem Bösen des Neiders, der neidisch ist.“

Bedürftig ist der Mensch (4,28: „der Mensch ist schwach erschaffen“); denn bloß den Namen des Menschen zu tragen, „aber tierischer als jedes Tier zu sein“, wie Goethe sagt, erweist sich als unzureichend. Endlichkeit umfasst ihn. Und so wird er in Bezug auf Gott unmittelbar als Mensch verortet. Er ist dasjenige Wesen, welches Gott erschaffen hat und dem als Geschöpf Gottes Erkenntnis und Wissen gewährt wird. Allein die Zuwendung des Herrn aller Welten, wie sich Gott im Koran vorstellt, verleiht dem Menschen als Mensch Würde. Denn schwach ist er erschaffen, doch wie Maulana Rumi in seiner Schrift Fīhi mā fīhi (Darin ist, was darin ist) bemerkt: „So wie erst ein Fünkchen, das aus Stein und Eisen im Stoff aufspringt, schwach ist, aber wenn man das schwache Feuer nährt, wird es hochlodernd und verbrennt eine ganze Welt; das kleine Feuer wird groß und mächtig, denn ‚wahrlich, du bist von gewaltigem Charakter‘“ (68,4). So wird im Koran konstatiert, dass der Mensch erschaffen ist in schöner Gestalt:

Sure 64: Die Übervorteilung6 (al-taġābun) –
Geoffenbart in Medina

Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers

1 Was in den Himmeln und auf der Erde,
preist Gott.
Sein die Herrschaft
und Sein das Lob,
und Er ist aller Dinge mächtig.

2 Er ist es,
der euch erschaffen.
Einige von euch sind Leugner
und einige von euch Gläubige.
Und Gott sieht sehr wohl, was ihr tut.

3 Erschaffen hat Er die Himmel und die Erde in Wahrheit.
Und gestaltet hat Er euch,
schön eure Gestalt –
und zu Ihm führt die Heimkehr.

4 Er weiß,
was in den Himmeln und auf der Erde.
Und Er weiß,
was ihr verbergt und was ihr offenlegt.
Und Gott kennt sehr wohl,
was birgt die Brust.

Die Erschaffung des Menschen wird im Koran multiperspektivisch bedacht; in biblischer Tradition wird daran erinnert, woraus der Mensch geschaffen ist:

Sure 6: Das Vieh7 (al-ʾanʿām) –
Geoffenbart in Mekka

Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers

1 Das Lob Gott,
der erschaffen die Himmel und die Erde,
geschaffen die Finsternisse und das Licht!
Doch die, die leugnen, setzten ihrem Herrn Anderes
gleich.

2 Er ist es,
der euch aus Lehm erschaffen
und dann eine Frist bestimmt.
Und bei Ihm ist eine bestimmte Frist.
Dann zweifelt ihr.

3 Und Er ist Gott in den Himmeln und auf der Erde.
Er weiß, was ihr verbergt und was ihr kundtut,
und Er weiß, was ihr erworben.

Oder kurz und pointiert:

Sure 15: Al-Hidschr8 (al-ḥiǧr) –
Geoffenbart in Mekka

26 Und erschaffen haben Wir den Menschen
aus trockenem Lehm, aus gestaltbarem Schlamm.

Über die grundsätzliche Aussage, dass der Mensch aus Lehm hervorgebracht sei, weist der Koran auf die konkrete Zeugung des Menschen hin:

Sure 23: Die Gläubigen9 (al-muʾminūn) –
Geoffenbart in Mekka

12 Und wahrlich, geschaffen haben Wir den Menschen
aus etwas Lehm,

13 ihn dann gemacht zu einem Tropfen an einem sicheren
Ort.

14 Dann den Tropfen geschaffen zu einem Blutklumpen,
dann den Blutklumpen geschaffen zu einem Körperklumpen,
dann den Körperklumpen geschaffen zu Knochen,
dann die Knochen bekleidet mit Fleisch,
dann ließen Wir ihn entstehen als eine Schöpfung, eine
andere.
So sei gesegnet Gott, der beste Schöpfer.

Wenn im Koran von Menschen die Rede ist, so unmittelbar, wird der Mensch stets als ein Lebendiges gedacht – pulsierend, selbst schöpferisch, lebend, hoffend und liebend; gleichwertig im Geschlecht und doch unterschieden sind die Menschen erschaffen, erschaffen aus einer Seele (arab. nafs), erschaffen als „Begehren von Mensch zu Mensch“ (Rilke):

Sure 53: Der Stern10 (al-naǧm) –
Geoffenbart in Mekka

42 Und dass bei deinem Herrn das Ende ist,

43 und dass Er es, der lachen lässt und weinen,

44 und dass Er es, der sterben lässt und macht lebendig,

45 und dass Er es, der erschaffen beide Geschlechter,
das männliche und weibliche,

46 aus einem Tropfen, der ausgestoßen,

47 und dass Ihm obliegt die Schöpfung, die andere (…)?

Sure 4: Die Frauen11 (al-nisāʾ) –
Geoffenbart in Medina

Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers

1 O ihr Menschen, fürchtet euren Herrn,
der euch erschuf aus einer Seele
und erschuf aus ihr ihre Frau,
der aus ihnen beiden Männer,
viele, und Frauen vermehrt hat!
Fürchtet Gott, in dessen Namen ihr einander bittet,
und die Blutsverwandtschaft!
Gott wacht über euch.

Wenn Frauen und Männer sowohl im Glauben als auch im Lohn, also vor Gott für gleichwertig erachtet werden, was sagt dies zur Stellung der Frau aus der Sicht des Koran? Der Koran hat keine Sicht. Aus dem Koran lässt sich jedoch erkennen, dass Frauen und Männer gleichwertig sind. Die Frau wird nicht als Verführerin dargestellt. Nicht Eva wird eine Sünde, Erbsünde angelastet. Im Koran wird nicht selten von den frommen und gläubigen Frauen im selben Atemzug gesprochen wie von den frommen und gläubigen Männern (vgl. u. a. 82,10 oder 9,71). Historisch lässt sich zeigen, dass sich die Stellung der Frauen mit der Herabsendung des Koran entschieden verbessert hat. Selbst die Verse aus der Sure 4 lassen dies erkennen:

Sure 4: Die Frauen (al-nisāʾ) –
Geoffenbart in Medina

34 Und die, deren Auflehnung ihr befürchtet:
ermahnt sie, dann meidet sie im Ehebett, dann schlagt
sie!
Wenn sie euch gehorchen,
so sucht gegen sie keinen Weg!
Gott ist gewiss der unübertrefflich Hohe,
der Große.

Es wäre anachronistisch aus den gegenwärtigen emanzipatorischen Errungenschaften heraus über das Frauenbild im Koran zu urteilen. Die Verse und die darin enthaltene Topologie im Umgang mit den auflehnenden Ehefrauen, was immer dies auch genau bedeuten mag, wären im siebten Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel vor der Genese des Islam gewiss kaum vorstellbar.

So mahnt der Prophet Muhammad die Männer: „Der Beste unter euch ist derjenige, der am besten zu seiner Frau ist.“ Denn: „Wer handelt schön im Diesseits – dem Schönes.“ (39,10) Doch das Gebot, Menschen, ob Mann, Frau oder Kind, gerecht zu behandeln, ist im Koran omnipräsent. Die Frauen, von denen wir aus dem Umkreis des Propheten erfahren, waren stets selbstbewusste, mutige, starke Frauen. Somit ist im Koran selbst kein Grund gegeben, Frauen zu unterdrücken oder gar zu erniedrigen. Im Koran ist mehrfach zu lesen: „Und Gott liebt den Schönhandelnden“ (u. a. 3,134). Vielmehr müssen und wollen diese Verse in ihrer Zielsetzung Realität finden und nicht in ihrer Wörtlichkeit.

Die Vision, die der Koran im Kontext des 7. Jahrhunderts auf der arabischen Halbinsel formuliert, scheint nicht erreicht zu sein: die adäquate Würdigung der Frau in allen Belangen des Lebens. In diesem Sinne findet die innige Verbindung zwischen Mann und Frau als gleichwertige Ehepartner Würdigung:

Sure 2: Die Kuh12 (al-baqara) –
Geoffenbart in Medina

187 (…) Sie sind für euch Bekleidung und ihr seid für sie
Bekleidung.

Der Koran ist polyphon – auch im Duktus. Es gibt keine einzige Wiederholung im Koran. Selbst dann, wenn die Worte als Refrain verwendet werden, ist niemals dasselbe zu hören. Ein erster Eindruck glaubt...

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