Perfekt/Imperfekt
Die Beschäftigung mit den Vergangenheitstempora der oben genannten romanischen Sprachen und ihrer Wiedergabe im Deutschen resultiert vor allem aus der Tatsache, dass der Fremdsprachenaneignungsprozess durch das Wissen und Können in der Muttersprache beeinflusst wird, dass die jeweils zu erlernende Fremdsprache zur praktisch beherrschten und schon stark fixierten Muttersprache hinzugelernt wird, wobei in unserem Fall die deutschsprachige Umgebung existent bleibt und demzufolge überwiegt. Zum anderen resultiert die Beschäftigung mit diesem Thema konkret daraus, dass wir uns als Lehrkräfte häufig mit dem Problem konfrontiert gesehen haben, dass das Verständnis der Struktur (Form und Bedeutung) und der kommunikativen Funktion einiger Verbaltempora der romanischen Sprachen (insbesondere im präteritalen Bereich) durch die deutschsprachige Vorprägung erschwert wurde. Daraus erwächst unserem Fremdsprachenunterricht im Allgemeinen und der Grammatikvermittlung im Besonderen die Aufgabe, eine vergleichende Auseinandersetzung mit Erscheinungen der deutschen und den romanischen Sprachen anzustreben, wobei zu beachten ist, „dass sich das objektiv zwischen der Muttersprache Deutsch und der zu erlernenden Fremdsprache bestehende Verhältnis als Äquivalenz, Similarität oder Kontrastivität äußern kann.“ (Rose 1990).[11] Es ist zusätzlich zu beachten, dass es sich bei den Vergangenheitstempora der romanischen Sprachen und des Deutschen um sprachliche Erscheinungen handelt, die in ihren grammatischen Bedeutungen und Funktionen stark voneinander abweichen. Daher gebührt ihrer Kontrastivität mehr Beachtung als den Übereinstimmungen. Eine besondere Aufmerksamkeit gilt daher in unserem Unterricht dem Funktionieren der Vergangenheitstempora in dem System der jeweiligen Fremdsprachen selbst, wobei diese Funktionsvarianten im deutlichen Kontrast zur grammatischen Bedeutung und Funktion des deutschen Perfekts und Präteritums zu vermitteln und anzueignen sind.
Im Lateinischen funktioniert das Perfekt folgendermaßen:
Das Perfekt wird verwendet, um einmalige, vollendete Handlungen in der Vergangenheit zu beschreiben (…). Die Dauer der Handlung ist dabei unwichtig.
Romulus et Remus Romam conciderunt. – Romulus und Remus gründeten Rom (…). (Söllner 2010:209)
Bene fecistis. – Das habt ihr gut gemacht.
Das (…) resultative Perfekt bezeichnet einen Zustand, der in der Vergangenheit begonnen hat und noch in der Gegenwart andauert (…).
Neminem Romae novimos, qui hoc sciat. Wir kennen niemanden in Rom, der das weiß (wörtlich: Wir haben niemanden kennen gelernt…).
Das Imperfekt wird für Ereignisse der Vergangenheit verwendet, um dauerhafte Zustände oder den Hintergrund einer Handlung zu beschreiben. (Vgl. Söllner 2010:208)
Verdeutlicht wird die grammatische Bedeutung und Funktion des lateinischen Imperfectum im Begleitbuch zum Lehrwerk FELIX:
„Das lateinische Imperfekt bezeichnet vor allem
- Zustände oder den Hintergrund zu einer Handlung in der Vergangenheit: Coloni agros latos non possidebant./Die Pächter besaßen keine großen Äcker.
- Wiederholte Handlungen in der Vergangenheit: Populus romanus saepe bella gerebat./Das römische Volk führte häufig Kriege.“
(FELIX - Das Begleitbuch 2011:50)
Zur Verwendung dieses Verbaltempus wird ein Vergleich zwischen Latein, Deutsch und Englisch gezogen:
Wie im Deutschen und Englischen kommen auch im Lateinischen (…) verschiedene Tempora (Zeiten) für Handlungen oder Vorgänge in der Vergangenheit vor. Sie heißen:
Diese Vergangenheitstempora werden in den drei Sprachen unterschiedlich verwendet.“
(FELIX - Das Begleitbuch, ebd.)
Ausgehend von dieser Charakteristik bestimmen wir die grammatische Bedeutung und Funktion des lateinischen Perfectum als Erzähltempus im Vergleich zum Deutschen wie folgt:
Das lateinische Perfectum entspricht mit seinem „Vergangenheitsbezug“ dem deutschen Perfekt und Präteritum in dieser Bedeutung und Funktionsvariante. Es werden Sachverhalte bezeichnet, die vor der Sprechzeit liegen. Es ist kein Modalfaktor enthalten. Diese Variante wird neben der Allgemeinsprache auch in der Dichtersprache gebraucht (als jeweils typisches Tempus der Erzählung). Zu dem entsprechenden Tempus kann eine fakultative Temporalangabe treten, die jedoch an der Vergangenheitsbedeutung nichts ändert. (Vgl. Helbig/Buscha 2001:135)
Zum Verständnis des Zusammenwirkens von Perfectum und Imperfectum im Lateinischen und nachfolgend deren Bedeutung und Funktion in den romanischen Sprachen sowie ihres Zusammenwirkens auf der Textebene sei ein Latein-Lehrbuch zitiert:
Verwendung des Perfekts und Imperfekts im Text:
Servi in agris laborabant, tum nubes regionem velavit.
Die Sklaven arbeiteten auf den Feldern; da hüllte eine Wolke die Gegend ein.
Das Perfekt ist im Lateinischen vor allem das Tempus für die Darstellung einmaliger Vorgänge, die zum Abschluss gelangt sind. Es ist somit das Tempus, in dem die wesentlichen Ereignisse erzählt werden. Meistens wird es im Deutschen mit dem Präteritum (...) wiedergegeben. Das Imperfekt dagegen beschreibt in diesem Satz den Hintergrund für den Hauptvorgang.
(FELIX - Das Begleitbuch 2011:53)
Bei der Charakterisierung des Imperfekts gehen wir von der Darstellung in der Textgrammatik der französischen Sprache von Harald Weinrich aus und zitieren aus dieser Monographie:
Das Imperfekt wird formal (...) mit den Mitteln der einfachen Tempuskonjugation gebildet. Semantisch ist es durch die Merkmale (ERZÄHLEN) und (UNAUFFÄLLIGKEIT) charakterisiert. Bezüglich der Tempus-Perspektive ist das Imperfekt neutral. Es dient in erster Linie dazu, in Erzählungen den Hintergrund zu bezeichnen: In reliefgebender Funktion alterniert es in schriftlichen Texten mit dem Aorist, in mündlichen Texten mit dem Perfekt und/oder dem Präsens (...).
(Weinrich 1989:184)
Für die Charakterisierung des Perfekts zitieren wir ebenfalls die Textgrammatik des Französichen von Harald Weinrich:
Der Aorist[12] (“Passé simple”) wird formal ebenfalls mit den Mitteln der einfachen Tempus-Konjugation gebildet (...). In seiner Bedeutung ist er durch die semantischen Merkmale (ERZÄHLEN) und (AUFFÄLLIGKEIT) gekennzeichnet. Mit diesen Merkmalen bezeichnet der Aorist in Erzählungen den Vordergrund. In der Tempus-Perspektive ist er, ebenso wie das Präsens und Imperfekt, neutral. Zum Imperfekt (...) steht er (...) durch sein Relief-Merkmal (AUFFÄLLIGKEIT) in Opposition. Erzählungen können also dadurch Relief erhalten, dass der Erzähler zwischen dem Imperfekt und dem Aorist wechselt (...).
Das erzählerische Relief mit der Opposition von Hintergrund und Vordergrund kann sich auch in Kleinstrukturen spiegeln. Der Aorist bezeichnet dann das Ereignis, das sich aus einer handlungsärmeren Umgebung heraushebt (...)”.[13]
(Weinrich 1989:188)
Pretérito Perfeito Simples/Pretérito Imperfeito
Der Vergleich von portugiesischsprachigen Texten (Prosa- und Zeitungstexten) mit ihren deutschsprachigen Übersetzungen führt unweigerlich zu der Frage nach den Wiedergabemöglichkeiten des perfektiven und imperfektiven Aspekts im Deutschen. Einem solchen Vergleich auf der Textebene sollte eine Erläuterung der Aspektproblematik im Portugiesischen (und in der Folge für die anderen romanischen Sprachen) vorausgehen.
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