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Die Deutsch-Französischen Beziehungen 1989-90. Ausgewählte Aspekte

AutorJohanna Pflüger
VerlagExamicus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl67 Seiten
ISBN9783656998037
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 1999 im Fachbereich Geschichte - Weltgeschichte - Moderne Geschichte, Note: 1.7, Universität zu Köln, Sprache: Deutsch, Abstract: Die deutsch-französischen Beziehungen der Jahre 1989-1990 stehen unter dem Eindruck der sogenannten 'Wende' im Osten. Der Wandel von sozialistischer Diktatur zu Demokratie und Freiheit beendet die Ära des Kalten Krieges und stellt die gesamte Nachkriegsordnung in Frage. Mit ihr kommt die deutsch-französische Zusammenarbeit auf den Prüfstein, die jahrzehntelang auf einer empfindlichen Balance zwischen einem politischen Übergewicht Frankreichs und einer wirtschaftlichen Überlegenheit der Bundesrepublik basiert. In der Tradition dieser Betrachtungsweise hat schon 1979 der damalige französische Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing dem sowjetischen Staatsoberhaupt Leonid Breschnew versichert, daß die deutsche Teilung im Interesse der Nachbarn und des europäischen Gleichgewichts beibehalten werden müsse. Mitterrand führt diese Politik insofern fort, als er die Beziehungen zur 'DDR' stark ausbaut und auch wirtschaftliche Unterstützung gibt1. 1978 schreibt er, damals Generalsekretär der Sozialistischen Partei: 'Von der politischen und moralischen Bedeutung der Vereinigung für die Deutschen abgesehen, wenn ich bei den Tatsachen bleibe, also dem europäischen Gleichgewicht, der Sicherheit Frankreichs, der Bewahrung des Friedens, halte ich sie weder für möglich noch für wünschenswert.' Je dringender die Lösung der deutschen Frage Ende der achtziger Jahre wird, desto offensichtlicher stürzt sie das deutsch-französische Paar in eine tiefe Krise. Gegenüber dem Streben nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten frappiert der heftige und emotional verstärkte Widerstand der Franzosen. Die Darstellung der deutsch-französischen Beziehungen stützt sich auf die im August 1998 erschienene Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes zur deutschen Einheit. In minutiöser Arbeit ist hier mit Dokumenten und Zeugnissen der gesamte Verhandlungs- und Gesprächsablauf auf dem Weg zur Einheit aus deutscher Sicht aufbereitet worden. In Anbetracht der Tatsache, daß auf dem diplomatischen Parkett oft eine verhaltene und indirekte Sprache gesprochen wird, sind die jeweiligen Kommentare und Interpretationen von großer Hilfe (Einführung von Hanns Jürgen Küsters). Unter der Prämisse, daß der französische Staatspräsident die deutsche Einheit nur widerwillig akzeptiert hat, ist es aufschlußreich, seine offiziellen Stellungnahmen im Kontrast zu seinen politischen Handlungen zu betrachten. [...]

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Leseprobe

III Die Haltung der intellektuellen Elite Frankreichs


 


A Einleitung


 

Der Ausspruch des französischen Schriftstellers François Mauriac ist vielleicht auch deshalb berühmt, weil er zumindest lange Zeit die Meinung vieler Franzosen repräsentierte: „Ich liebe Deutschland so sehr, daß ich froh bin, daß es zwei gibt.“ Die Perspektive einer Überwindung der deutschen Teilung machte ihn schlaflos: „Wenn die beiden Stücke Deutschlands wieder zusammengefügt werden, müssen wir werden wie der Hase, der mit offenen Augen schläft.“[111]

 

Auf deutscher Seite sagte Schriftstellerkollege Thomas Mann 1953 über die Wahrnehmung Deutschlands im Ausland: „Täuschen wir uns nicht darüber, daß zu den Schwierigkeiten (...) ein Mißtrauen gehört in die Reinheit der deutschen Absichten, eine Furcht anderer Völker vor Deutschland und hegemonialen Plänen, die seine vitale Tüchtigkeit ihm eingeben mag.“[112]

 

Solche Beobachtungen mögen in den 50er Jahren, also keine zehn Jahre nach Kriegsende, nicht weiter erstaunlich gewesen sein. Doch darf daraus nicht der Schluß gezogen werden, daß durch den zeitlichen Abstand zum Zweiten Weltkrieg Vorbehalte wie die von Mann beschriebenen ganz verschwunden wären. Die Perspektive einer schlagartig vergrößerten Bundesrepublik, die nun neben seiner wirtschaftlichen Macht auch eine neue politische Rolle übernehmen würde, bringt latente Ängste und Mißtrauen den Deutschen gegenüber zum Vorschein. Während die diplomatisch-politische Seite sich größtenteils um vorsichtig formulierte Stellungnahmen bemüht, hält sich das Gros der französischen Presse mit Schreckenszenarien eines neu erwachten „Großdeutschlands“, das das europäische Gleichgewicht bedrohe, nicht zurück.

 

Der französische Deutschlandexperte und Politikwissenschaftler Henri Ménudier  schreibt 1981 über seine Landsleute, daß diese nicht an die Änderung des Status Quo glaubten, mehr noch: „Eigentlich will keiner bei uns die deutsche Einheit.“[113] Die Wiedervereinigung stoße auf politische Bedenken und sei dem Ausbau der deutsch-französischen Beziehungen bei weitem untergeordnet. Daneben macht er jedoch auf Umfrageergebnisse aufmerksam, die acht Jahre später während der revolutionären Umwälzungen in Ostdeutschland ganz ähnlich ausfallen: „Die französische öffentliche Meinung steht dem Gedanken der deutschen Wiedervereinigung positiver gegenüber als die führenden Politiker.“[114] Tatsächlich unterscheidet sich die Haltung der französischen Bevölkerung zur deutschen Einheit erheblich von der ihrer politischen und intellektuellen Wortführer. So antworten auf die Frage, ob sie die deutsche Einheit befürworteten, 60 % der befragten Franzosen mit „Ja“ (Telefonumfrage am 9. und 10. November 1989 )[115].

 

Weitere Zahlen aus den Jahren 1989/90 sind im Anhang aufgelistet.

 

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die deutsche Frage durchaus ein Thema in der europäischen Nachkriegswelt ist, selbst wenn ihre Verwirklichung zunehmend utopisch schien. Das offizielle Frankreich folgte der von General de Gaulle aufgestellten Richtlinie, die Wiedervereinigung sei „das normale Schicksal des deutschen Volkes, vorausgesetzt, daß dieses die gegenwärtigen Grenzen nicht in Frage stellt (...), daß es dahin tendiert, sich eines Tages in eine kontraktuelle Organisation Gesamteuropas für die Kooperation, die Freiheit und den Frieden zu integrieren.“ Für die Presse und Publizistik gilt wohl ähnlich wie für die Politik: „Je theoretischer die deutsche Frage diskutiert wurde, umso aufgeschlossener reagierte Frankreich; je konkreter, wenn auch nur in der Vorstellung, die Frage auftauchte, umso zurückhaltender antwortete Frankreich.“[116]

 

B Die Darstellung in der französischen Presse


 


1. Vorbemerkungen


 


Anders als ihre deutschen Kollegen stehen die französischen Journalisten viel mehr als Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit: „Pariser Star-Journalisten (...) verstehen sich als (...) Intellektuelle und «Meinungsmacher» der Nation.“[117] So treten sie - neben Soziologen oder Politologen - auch häufig als Verfasser von längeren Essays und politischen Büchern hervor. Beispielhaft seien der Express-Redakteur Georges Valance (France-Allemagne. Le retour de Bismarck) und einer der Le Monde-Chefredakteure, Daniel Vernet (La renaissance allemande)[118], genannt.

 

Im Vergleich zu deutschen Medien entsenden die französischen Medien relativ wenige Journalisten ins Ausland. Hinzu kommt, daß viele Journalisten sich gegenseitig zitieren. Dieses „selbstreferentielle System“ begünstigt „die Erhaltung und Festigung des bestehenden Deutschlanddiskurses“, die Wiederkehr von bestimmten Argumentationsmustern und Stereotypen[119]. Analysen zufolge gilt das Hauptinteresse der Leser nicht der politischen Information, sondern der Unterhaltung. Das hat zur Folge, daß „literarische Rhetorik (...) Vorrang vor der journalistischen Recherche“ hat[120].

 

In seiner Untersuchung der französischen Deutschlandbilder wirft Kolboom den Medien vor, „Panikmache und Obstruktion“ betrieben zu haben[121]. Betrachtet man die französische Berichterstattung über die „deutsche Revolution“ von 1989 und ihre Folgen, so ist ein Wandel in der Beurteilung zu spüren. Kurze Zeit überwiegt die  Freude darüber, daß passenderweise 200 Jahre nach der Französischen Revolution die Ostdeutschen friedvoll und diesmal ohne Blutvergießen den Kampf für die Freiheit gewonnen haben[122]. So begrüßt die Deutschlandexpertin Anne-Marie Le Gloanec im Nouvel Observateur die „pazifistische Revolution“ (16. November 1989). Der konservative Figaro sieht die Wende als „moralisches K.O.“ des Marxismus ( 10. November 1989).

 

Doch nach der ersten Phase der „Sympathisierung mit der menschlichen Dimension der Ereignisse“ schwingt der Ton um, angstvoll wendet man sich der neuen deutschen, wirtschaftlichen Großmacht zu, auch aus Sorge um das europäische Gleichgewicht. Schon eine Woche nach dem Mauerfall, in derselben Ausgabe des Nouvel Observateur, die die Wende noch so freundlich kommentiert hatte, manifestiert sich eine gewisse „emotionale Ambivalenz“ in der Haltung der Medien: „Freude und Angst“, so ist ein Dossier über die Lage in Deutschland überschrieben[123]. Andere große Magazine titeln: „Die Rückkehr Bismarcks“, „Groß-Deutschland“, „Das drohende Vierte Reich“ und „Die Teutomanie“[124].

 

Jean d’Ormesson gibt im Figaro zu:

 

„Fast ein halbes Jahrhundert lang hat Europa - und allen voran Frankreich - mit Furcht und Erleichterung, mit einem leicht fröstelnden Mißtrauen, aber auch mit berechtigtem Groll in dem trostreichen Mythos der Teilung Deutschlands gelebt...Daß Männer und Frauen, die sich als Deutsche fühlen und Deutsche sein wollen, sich wiedervereinigen wollen, wer könnte ihnen das verwehren? Die Schwierigkeit liegt nur darin, daß wir nicht wissen, in welcher Form, mit welcher Geschwindigkeit, zu welchem Preis, und mit welcher Absicht dieser im wahrsten Sinne des Wortes ungeheure Umsturz stattfinden wird, und wie wir ihn einschätzen sollen.“ (4./5.11.89)

 

Zur Veranschaulichung der französischen Reaktionen werden im folgenden die wichtigen Artikel der beiden großen Tageszeitungen Le Figaro und Le Monde sowie auszugsweise anderer Magazine vorgestellt.

 

2. Le Figaro


 

a. Vorbemerkung

 

Le Figaro wurde 1821 gegründet und ist damit die traditionsreichste Pariser Morgenzeitung. Die konservative, politische Couleur stellt die Zeitung in Opposition zu der damaligen französischen Regierung. Le Figaro hat „unbestrittenen Einfluß auf das «milieu politique».“[125] Für die Zitate  in der vorliegenden Arbeit habe ich bevorzugt auf Die deutsche Vereinigung von außen gesehen von Ines Lehmann zurückgegriffen[126].

 

b. Nach dem Fall der Mauer: Lehren aus der Geschichte

 

Einen Tag nach dem Fall der Mauer, am 10. November 1989, sieht Max Clos folgende Konsequenzen voraus:

 

„Erste voraussehbare Konsequenz: Ein enormes wirtschaftliches Gewicht, das das wiedervereinigte Deutschland haben wird...Zweite unvermeidliche Konsequenz: Der Machtzuwachs Bonns auf politischer Ebene...“

 

Der Journalist zögert nicht, mit vermeintlich aus der Geschichte gezogenen Lehren und Wahrheiten über das deutsche Volk aufzuwarten. So hält er es für unausweichlich, daß „mit der wiedereroberten Leistungsfähigkeit...

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