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E-Book

Die Dunkelgräfin

Das Geheimnis um die Tochter Marie Antoinettes

AutorCarolin Philipps
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783492954266
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Im Jahr 1807 kommt eine geheimnisvolle Frau nach Hildburghausen: Als »Dunkelgräfin« wird sie bekannt. Suchte womöglich Marie Antoinettes Tochter in Thüringen Zuflucht? Entgegen der offiziellen Version soll Marie Therese, Frankreichs letzte Königstochter, nicht an Österreich ausgeliefert, sondern zuvor vertauscht worden sein. Aber wer war dann die andere Person, die als »Marie Therese« später zu großem Einfluss gelangte? Carolin Philipps beleuchtet den spektakulären Kriminalfall neu - mit überraschenden Erkenntnissen.

Carolin Philipps, geboren 1954, studierte Englisch und Geschichte in Hannover und Bonn. Heute lebt sie als freie Autorin in Hamburg und hat sich auf historische Biografien starker Frauen spezialisiert. Zuletzt erschienen von ihr die erfolgreichen Bücher »Friederike von Preußen. Die leidenschaftliche Schwester der Königin Luise«, »Luise. Die Königin und ihre Geschwister« sowie »Anna Amalia von Weimar. Regentin, Künstlerin und Freundin Goethes«.

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Leseprobe

Geburt und Kindheit im Schloss zu Versailles


»Die Königin kommt nieder!«,

mit diesen Worten kündigte Vermont, der Leibarzt Marie Antoinettes, den versammelten Höflingen, die sich um das Fußende ihres Bettes gruppiert hatten, die bevorstehende Geburt an. Wie jede Phase der Schwangerschaft, so war auch die Geburt öffentlich, damit niemand dem Königshaus einen falschen Erben unterschieben konnte.

Die erste Kammerfrau der Königin, Madame Campan, beschreibt die Szene so: »Die Flut der Neugierigen, die sich in das Zimmer ergoss, war so groß und so laut, dass die Königin dabei fast zu Tode gekommen wäre. Der König hatte in der Nacht als Vorsichtsmaßnahme mithilfe von Kordeln riesige Teppichwandschirme um das Bett Ihrer Majestät errichten lassen; ohne diese Vorsichtsmaßnahme wären sie [die Neugierigen, Anm. d. Autorin] auf sie gefallen. Es war nicht mehr möglich, sich im Zimmer zu bewegen, das gefüllt war mit einer Menschenmenge, so bunt durcheinander, dass man sich auf einem öffentlichen Platz glaubte.«1

Die Luft war so stickig, dass Marie Antoinette das Bewusstsein verlor, die Umstehenden in Panik gerieten und der König höchstpersönlich die hohen, mit Papierstreifen zugeklebten Fenster aufriss, mit »einer Kraft«, wie Madame Campan schreibt, »die ihm nur seine Zärtlichkeit für die Königin geben konnte«. Nachdem man die Königin zur Ader gelassen hatte, öffnete sie die Augen wieder. Die Menge wurde von den Kammerdienern aus dem Zimmer gewiesen. Dieser grausame Brauch, dass jeder zum Zuschauen kommen konnte, der wollte, wurde von diesem Tag an für alle Zeiten abgeschafft, schreibt ihre Kammerfrau.2

Die Angst um das Leben der Königin vertrieb zunächst sogar die allgemeine Enttäuschung, dass sie keinen Thronfolger geboren hatte. Der Herzog von Croy berichtet: »Die Königin hatte eingeführt, dass fast bei jeder Gelegenheit geklatscht wurde, und so spendete man jetzt auch Beifall, woraufhin sie glaubte, sie habe einen Knaben geboren. Ab diesem Moment bekam sie keine Luft mehr und verlor das Bewusstsein. Man trug das Kind, das wohlauf war, ins Nebenzimmer hinüber. Der König ging hinterher, um sich anzusehen, wie es gereinigt wurde. Als man sah, dass es ein Mädchen war, gingen alle betroffen auseinander.«3

Madame Campan beschreibt, wie Marie Antoinette ihre Tochter an sich drückte und sagte: »Arme Kleine, Ihr ward nicht gewünscht, aber Ihr seid mir deshalb nicht weniger lieb. Ein Sohn würde in erster Linie dem Staat gehören. Ihr gehört mir; Ihr werdet meine ganze Fürsorge haben; Ihr werdet mein Glück teilen und meinen Kummer lindern.«4

Uneingeschränkt gefreut über die Geburt eines Mädchens haben sich dagegen die beiden jüngeren Brüder des Königs: der Comte de Provence und der Comte d’Artois, die selber hofften, irgendwann mangels männlichem Nachfolger den Thron des Königs besteigen zu können. Vor allem der Graf de Provence, der in Vertretung des spanischen Königs als Pate der kleinen Prinzessin fungierte, galt als einer derjenigen, die die bösen Gerüchte, die schon vor der Geburt kursierten, öffentlich machte: War der König wirklich der Vater der kleinen Prinzessin oder nicht doch der Herzog von Coigny, mit dem Marie Antoinette eine Affäre gehabt haben sollte?5

Dessen ungeachtet, berichtete Botschafter Mercy an Maria Theresia nach Österreich, empfand der König für seine Tochter, die nach ihrer Großmutter den Namen Marie Thérèse und den Titel Madame Royale bekam, das »zärtlichste Entzücken«. Er vertraute seiner Frau und ignorierte wie so oft die bösen Gerüchte.

Der Hofstaat der kleinen Prinzessin, den die Eltern selber kurz nach ihrer Geburt zusammenstellten, umfasste, obwohl im Vergleich zum üblichen Hofstaat für eine königliche Prinzessin schon reduziert, immer noch zahlreiche Geistliche, neun Ärzte, einen Barbier, eine Pediküre, einen Musiklehrer, einen Tanzlehrer, einen Fechtlehrer, einen Turnlehrer und sogar einen Meisterseiltänzer. Neben der Wiege standen abends zwei gebratene Hühner, zwei Flaschen Bordeaux, acht gekochte Eier; das war symbolisch gedacht, kostete die Staatskasse aber jährlich eine halbe Million Francs.6

Marie Antoinette kümmerte sich mehr als in ihren Kreisen üblich um die Erziehung ihrer Tochter, die sich in den ersten Lebensjahren tagsüber meist in den Zimmern der Mutter aufhielt. Dies erfreute Botschafter Mercy überhaupt nicht, und er berichtete erbost an den österreichischen Kanzler Kaunitz: »Man hat kaum noch die Möglichkeit, mit der Königin einen wichtigen oder ernsthaften Gegenstand zu erörtern, ohne jeden Augenblick von kleinen Zwischenfällen im Spiel des Königskindes unterbrochen zu werden, und diese Widrigkeiten fördern ihre [Marie Antoinettes, Anm. d. Autorin] natürliche Neigung zur Zerstreutheit und Unaufmerksamkeit, sodass sie kaum noch zuhört … und noch weniger versteht.«7

Marie Antoinette ihrerseits berichtete ihrer Mutter stolz und ausführlich über die Fortschritte ihrer Tochter: »Die arme Kleine fängt in ihrem Gitterchen schon richtig das Laufen an. Seit einigen Tagen sagt sie Papa, ihre Zähne sind noch nicht draußen, aber man kann sie schon alle spüren. Es freut mich sehr, dass sie ihren Vater zuerst nennt, das macht die Beziehung zu ihm noch inniger. Alles geht genau nach Plan, und was mich betrifft, so könnte ich sie nicht zärtlicher lieben.«8

Auch Madame de Tourzel, die ab 1789 die Erzieherin des Dauphin und auch für Marie Thérèse als »Surveillance generale« zuständig war, beschreibt in ihren Memoiren die enge Beziehung des Königs zu seiner Tochter: »Der König hatte für sie eine ganz besondere Vorliebe und ließ keine Gelegenheit aus, um die Zärtlichkeit erkennen zu geben, die er für sie spürte.«9

Für die eigentliche Erziehung Marie Thérèses waren Untergouvernanten zuständig, unter anderen Baronin Marie-Angélique de Mackau (1723 – 1801) und ihre Tochter, die Marquise Renée-Suzanne de Soucy (1758 – 1841). Besonders eng war die Beziehung der kleinen Prinzessin zur Baronin Mackau, die sie »Maman Mackau« nannte.10

Die Baronin Oberkirch, die eine gute Freundin von Madame de Mackau war, traf bei ihren Besuchen in Versailles immer wieder auf Madame Royale, die sie ein »Wunder an Schönheit, Geist, frühreifer Würde« nannte.11 »Madame Royale ist so schön und voll von bewundernswerten Neigungen. Sie verspricht so viel Glück, Intelligenz und Charakter! Ah, was für eine Prinzessin sie werden wird!«12

Marie Antoinette ließ sich bei ihrer Erziehung von dem damals populären Konzept Rousseaus beeinflussen, der Kinder jenseits aller Etikette besonders natürlich erziehen lassen wollte. Die Hofetikette sah für königliche Prinzessinnen, sobald sie die Wiege verließen, enge und spitzenbesetzte Ärmel vor, die die Bewegungen der Arme einschränkten. Marie Antoinette dagegen ließ ihre Tochter in einfachen Kleidern aufwachsen, die ihr eine freiere Bewegung gestatteten. Für die schulische Erziehung gab sie die Anweisung, dass Marie Thérèse eine Ausbildung bekommen sollte, die in keinem der ihres Bruders, des Thronfolgers, nachstand.13

Die Sommerzeit verbrachte Marie Thérèse mit ihrer Mutter im Petit Trianon, einem kleinen Schloss, das Louis XV. ursprünglich nordwestlich von Versailles für seine Mätresse Madame de Pompadour gebaut hatte und das Louis XVI. seiner Frau schenkte. Sie richtete es mit teuren Möbeln und Kunstwerken nach ihrem Geschmack ein und verbrachte dort mit ausgesuchten Freunden fern der Etikette des Hofes viel Zeit, spielte Theater und feierte ihre eigenen Feste.

Den Park ließ sie im englischen Stil errichten mit Ruinen, Wasserbecken, künstlichen Bergen, Kaskaden, Tempeln und Statuen. Im Mittelpunkt aber stand ein im Schweizer Stil nachgebautes Dorf, eine bäuerliche Idylle, wie sie zu der Zeit in Adelskreisen beliebt war. Während vor allem die Ausgaben für das Dorf im Volk Empörung auslösten, schrieb die Baronin Oberkirch nach einem Besuch dort im Mai 1782: »Ich habe in meinem ganzen Leben keine schöneren Momente verbracht wie die drei Stunden an diesem Rückzugsort.«14

Marie Thérèse bekam hier ein eigenes Blumenbeet, das sie mit Schaufeln, Rechen und Gießkanne bearbeiten konnte. Auch eine Schaf- und Ziegenherde mit eigenem Hirten, der in einer Hütte neben der Orangerie wohnte, gehörte ihr zu naturnahem Spiel.

Um das Sozialverhalten ihrer Tochter zu entwickeln, lud Marie Antoinette jeden Sonntag zum Tanz in den Garten des Trianon. Saubere Kleidung genügte als Eintrittskarte. Die Königin selber führte den ersten Tanz an und ermutigte Madame Royale und den Dauphin, mit den anderen Kindern zu tanzen.15

Marie Antoinettes Idee, ihre Tochter in weniger strenger Etikette als bei Prinzessinnen üblich aufwachsen zu lassen, stieß nicht nur in Frankreich auf Missbilligung. Auch ihre Mutter schimpfte in einem Brief an ihren Botschafter über die neumodischen Ideen ihrer Tochter: »Ich bin in keiner Weise damit einverstanden, dass man die Etikette aus dem Erziehungsplan für Kinder unserer Geburt streicht … Die augenblickliche Mode nach Rousseau, ihnen Freiheit zu gewähren und sie damit zu Bauern zu machen, gefällt mir nicht, und ich sehe in ihr keinen Vorteil, im Gegenteil. Auch wenn man ihren Hochmut nicht zu...

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