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Die Entwertung des klassischen Protagonisten im amerikanischen Ensemble-Film der 1990er und 2000er Jahre

AutorSebastian Oehme
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl71 Seiten
ISBN9783656916819
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Anglistik - Literatur, Note: 1,3, Technische Universität Chemnitz, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Traumfabrik Hollywood steht seit den Anfängen des Films gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Blickpunkt eines jeden Cineasten. Assoziiert man heutzutage gemeinhin vor allem große Blockbuster mit amerikanischen Filmproduktionen, so unterschlägt man dabei das ebenfalls enorm einflussreiche Alternativ-Kino 'Made in USA'. Dieser auch als Independent-Kino bekannte Produktionszweig bezeichnet in seiner ursprünglichen Bedeutung Filme, die ohne finanzielle Unterstützung durch die großen Produktionsstudios hergestellt werden. Heutzutage ist dieser Begriff nur noch schwer definierbar, da die Grenzen zwischen Mainstream- und Alternativ-Film spätestens seit dem Boom des amerikanischen Independent-Kinos in den 1990er Jahren immer mehr ineinander verfließen. Kreative Produktionen wie sex, lies, and videotape (1989) und Pulp Fiction (1994) ebneten den Weg für Machwerke, die trotz eines niedrigen Budgets große Erfolge sowohl in der Gunst der Filmkritiker als auch an den Kinokassen feiern konnten. Infolge dieses Popularitätsschubs entstand in den 1990ern sowie im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre eine Vielzahl an Filmen, die oft klassische Sujets auf ungewöhnliche Art und Weise erzählten. Sei es das unzuverlässige Erzählen in Kultfilmen wie The Usual Suspects (1995) oder Fight Club (1999), ein rückwärts erzählter Plot wie in Christopher Nolans Memento (2000) oder Ensemble-Filme mit episodenhafter Gliederung und einer großen Menge an Charakteren - sie alle haben gemeinsam, dass sie einen oftmals traditionellen Plot mithilfe alternativer Erzählformen zum Leben erwecken. Das Publikum wird somit vor die Herausforderung gestellt, bestimmte Ereignisse auf ungewohnte Art und Weise präsentiert zu bekommen; alteingesessene Sehgewohnheiten werden dadurch aufgebrochen und dekonstruiert. Im Mittelpunkt dieser Magisterarbeit sollen letztgenannte Ensemble-Filme stehen, in denen nicht mehr der eine, klassische Protagonist den Fokus des Geschehens bildet, sondern die Last der Erzählung auf viele Schultern verteilt wird. Der Plot kann und wird unter diesen Umständen also nicht in Form eines singulären Handlungsstrangs präsentiert, sondern wird als eine Verwebung verschiedener - auf den ersten Blick oft zusammenhangsloser - Versatzstücke mit unterschiedlichen, allesamt involvierten Charakteren dargestellt. [...]

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Leseprobe

3) Crash und Rassismus


 

Shereen: They think we're Arab. When did Persian become Arab?“

 

Crash ist der erste Film überhaupt, für den Paul Haggis Regie führte. Der in erster Linie als Drehbuch-Autor agierende Kanadier wurde durch sein Skript für das Oscar-prämierte Million Dollar Baby (2004) unter der Regie Clint Eastwoods bekannt. Ferner schrieb er die Drehbücher für die beiden neuesten und von ihren Vorgängern stark abweichenden Bond-Filme Casino Royale (2006) und Quantum of Solace (2008). In dem Episoden-Drama Crash kommt es zum titelgebenden Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen innerhalb der amerikanischen Metropole Los Angeles. Haggis Regiedebüt erntete insbesondere in den Vereinigten Staaten extrem gemischte Kritiken. Noch vor der (bis heute umstrittenen) Auszeichnung mit dem Academy Award für den besten Film 2005 entstanden etliche Debatten, ja geradezu eine Kontroverse in den Massenmedien (vgl. auch Searls-Giroux und Giroux 745), bezüglich der Aussage des Films und seiner Darstellung von Rassismus.

 

 Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit werden in Crash in all ihren Facetten porträtiert – sei es in offener Auslebung oder durch leise Untertöne. Das Sujet hat auch ein knappes Jahrzehnt nach der Veröffentlichung des Films nichts von seiner Aktualität verloren. Während der Journalist David Denby auf der einen Seite davon schreibt, „[Crash] makes previous movie treatments of prejudice seem like easy and self-congratulatory liberalizing“, wurde Haggis Film andererseits auch oft und sehr scharf kritisiert. So urteilt Burr über die Glaubwürdigkeit der auftretenden Charaktere: „[Crash's] characters come straight from the assembly line of screen writing archetypes, and too often they act in ways that archetypes, rather than human beings, do“ (1). Die Abhandlung einer so komplexen Thematik wie der des Rassismus erlaubt kein eindeutiges richtig oder falsch, kein reines schwarz oder weiß. Das zeigt sich auch in der realen Auseinandersetzung mit der Problematik: So sprechen einerseits einige Autoren von einer angeblich „farbenblinden“, sprich unvoreingenommenen, Gesellschaft in den USA, was wiederum von anderen heftigst bestritten wird (vgl. Murswieck 597-604). Fast 50 Jahre nach der Civil Rights-Bewegung stellt sich in den Vereinigten Staaten immer noch die Frage, ob die Errungenschaften von damals Minderheiten gegenüber auch in die Praxis umgesetzt wurden; ja, ob dies überhaupt vorbehaltlos möglich sei. Der Film adressiert enorm viele Probleme, die aus dem interkulturellen Miteinander herrühren, beleuchtet aber auch Chancen eines fairen und offenen Umgangs miteinander sowie die Lernfähigkeit des Menschen. Unzählige Beispielkonflikte in Crash zwischen – aber auch innerhalb – verschiedener Ethnien veranschaulichen die filmische Repräsentation des Rassismus-Diskurses (3.1). Infolge der multiplen Streitpunkte, Verwechslungen, bedienten Klischees und Beschuldigungen wird es dem Rezipienten schwer gemacht, eine definitive Zuordnung von Eigenschaften und Charakteristika in Bezug auf die Handlungsträger zu treffen. Ambiguität ist somit eine zentrales Darstellungsmittel des Films (3.2), welches sich wie ein roter Faden durch das Werk von Frank Haggis zieht. Aber auch dem Handlungsort fällt in Crash eine eminente Rolle zu. Das in Los Angeles angelegte Drama ist nur einer von vielen Ensemble-Filmen, der in der Westküstenmetropole spielt. Kapitel 3.3 sucht letztendlich nach Gründen für dieses auffällige Merkmal aufgrund historischer, gesellschaftsstruktureller und sozialer Umstände.

 

3.1) Der Rassismus-Diskurs in Crash


 

Der Plot von Crash wimmelt nur so von Auseinandersetzungen, denen rassistische Ressentiments vorausgehen. Diese sind im Film durchgehend der Auslöser von Meinungsverschiedenheiten sowie das thematische Bindeglied der diversen Subplots im Film: Rassismus, Vorurteile und Probleme des multikulturellen Zusammenlebens werden in verschiedenen Ausformungen und aus verschiedenen Blickwinkeln präsentiert; nahezu jede Szene adressiert auf oftmals konkreten, teils jedoch auch indirektem Weg diese Thematik. In Crash erhält die Struktur mit zahlreichen Handlungssträngen ihre Legitimation durch die Komplexität des Themas“ (Bildhauer 166), welches nicht einfach dechiffriert und gelöst werden kann und welches für eine konstruktive Abhandlung mehrere Blickwinkel voraussetzt. Der Film präsentiert jedoch keine institutionelle oder systematische Xenophobie, sondern stellt diese als jeweils isoliertes, individuelles Phänomen dar (vgl. Searls-Giroux und Giroux 752). Auch Hsu erkennt die individuelle Ebene der interkulturellen Konflikte: „The only remaining trace of a racialized people (as opposed to atomized persons and families) is a van filled with smuggled Southeast Asian men, women, and children” (146f). Egal ob eine Latina gegenüber einer Asiatin aufbegehrt, ein weißer Ladenbesitzer Vorurteile gegenüber Iranern zum Ausdruck bringt, Schwarze Weiße für etwas beschuldigen oder umgekehrt argumentiert wird – gegenseitige Beschuldigungen und das Zurückgreifen auf negativ behaftete Stereotype zur Fremdkategorisierung zeigen sich stets als situationsbezogen und gründen meist auf mangelnder Empathie dem anderen gegenüber. Einzige Ausnahme scheinen die Monologe Anthonys zu sein, dessen ideologische Perspektive auf die soziale Unterdrückung und Diskriminierung von Afro-Amerikanern jedoch allein schon durch die höhnischen Reaktionen seines Freundes Peter relativiert werden. Haggis Werk suggeriert, dass Fehleinschätzungen und Vorurteile vor niemandem Halt machen: „The film takes as its point of departure the notion that everyone is racist in more or less the same way” (Hsu 146).

 

 Das eingehende Zitat Shereens zeigt überdies, dass der Film auf seiner Meta-Ebene falsch getroffene Fremdkategorisierungen anprangert. Dennoch kommt es immer wieder zu Verwechslungen, beispielsweise wenn Sergeant Ryan Christine auf den ersten Blick wegen ihrer vergleichsweise hellen Hautfarbe nicht als Afro-Amerikanerin wahrnimmt. Aufgrund der großen Anzahl an Handlungsträgern fühlt sich der Zuschauer insbesondere zu Beginn des Films ähnlich verwirrt wie die Agierenden selbst: „Aus der Situation heraus, dass man nie weiß, wen man vor sich hat, muss man sich ein Urteil über die Situation bilden, das gespeist wird aus den bisherigen Erfahrungen” (Ziob 201). Ein Rückgriff des Zuschauers auf bestehende Stereotype ist hierbei leider nicht unüblich. Oft genug zeigt sich im Handlungsverlauf jedoch, dass schlechte Vorahnungen unnötig sind (zum Beispiel anhand der Klischees, mit denen sich der Handwerker Daniel als auch die Haushälterin Maria konfrontiert sehen), von Zeit zu Zeit allerdings auch ihre Daseinsberechtigung zu haben scheinen (wenn Jean beispielsweise Furcht vor Anthony und Peter zeigt, welche sie im Anschluss ausrauben). Die aus diesen Situationen resultierenden Aggressionen zeigen sich in verbalen bis hin zu physischen Angriffen auf andere Personen, bevorzugt anderer Ethnie. Doch auch innerhalb einer ethnischen Gruppe kommt es zu Konflikten und Reibungen, man denke an Camerons Look at me. You embarrass me. You embarrass yourself nach Anthonys gescheitertem Versuch, seinen Wagen zu stehlen. Doch auch zwischen Graham und seiner Mutter, die ihren Sohn „als Abtrünnigen, als zu den Weißen übergelaufen wahrnimmt, der sich nicht mehr in der mütterlichen Kultur bewegt” (Ziob 201), oder zwischen Sergeant Ryan und Officer Hanson kommt es zum Aufeinanderprallen unterschiedlicher Haltungen. Oft vermittelt Crash dadurch das Bild einer globalisierten Metropole, in der jeder mit jedem ein Problem hätte – die Anzahl der Konflikte scheint nahezu endlos.

 

 Demnach ist es bedeutsam, Auslöser und Ursachen für die Aggressivität der Stadtbewohner ausfindig zu machen. Woher rühren Hass und Vorurteile? Multikultureller Austausch ist in der globalisierten Metropole alltägliche Praxis für die meisten Einheimischen (siehe auch Kapitel 3.3). Das gilt leider auch für Probleme, die sich aus interkulturellen Unterschieden ergeben. Da Crash jedoch einen individuellen Rassismus darlegt, muss der Blick weiter in die Tiefe gehen. Der Ansatz von Vivien Silvey zielt auf die Einsamkeit im urbanen Lebensraum trotz der riesigen Menschenmassen, die einen jeden Stadtbewohner tagein, tagaus umgeben:

 

The very organisation of [Crash] into snapshots of troubled American citizens, each trying to connect with some idea of community and belonging, relegates difference to the background in favour of a type of relativism which in fact reiterates sameness, assimilation and conformity.

 

Während sich die Charaktere also insgeheim nach Nähe, Gemeinsamkeiten und Anziehungspunkten sehnen, säen sie aufgrund der sie umgebenden Hektik und Rastlosigkeit eher Distanz bei Fremden. Grund für ihr Fehlverhalten ist in vielen Fällen nicht rassistisches Gedankengut, sondern Angst, Schamgefühl oder die eigene Schwäche, welche sich in Angriffen auf andere äußert (vgl. Hsu 144). So, wie der Zuschauer die vielen Charaktere erst sukzessive kennenlernt, gilt dies auch für die Handlungsträger, welche im Affekt gern die Schuld ihrer persönlichen Probleme und Belastungen bei anderen suchen oder diese zumindest als Ventil zum Druckabbau missbrauchen. Ein...

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