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Die Entwicklung der Gefechtsarten

Operatives Denken und Handeln in deutschen Streitkräften

AutorStefan Erminger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl68 Seiten
ISBN9783640650217
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Soziologie - Krieg und Frieden, Militär, , Sprache: Deutsch, Abstract: Die Truppenführung (TF) 1910 kannte den Begriff der Gefechtsart noch nicht. Es werden lediglich der Angriff und die Verteidigung in ihren Vor- und Nachteilen beschrieben. Dabei wird sowohl das Begriffspaar Angriff und Verteidigung als auch das Begriffspaar Offensive und Defensive verwandt. Es ist bemerkenswert, dass sich schon hier der Begriff des 'Begegnungsgefechts' findet und die Besonderheiten dieser, wie man sie heute bezeichnen würde, besonderen Gefechtshandlung beschrieben werden. Auch die TF 21 kannte den Begriff der Gefechtsart noch nicht. Inhaltlich lässt sich feststellen, dass dort Angriff, Verfolgung, Verteidigung, hinhaltendes Gefecht und Abbrechen des Gefechts im Rahmen der Gefechtshandlungen beschrieben wurden. Daneben gab es ein Kapitel 'Gefechte unter besonderen Verhältnissen', wobei dort das hinhaltende Gefecht nochmals genannt wurde, was darauf hindeutet, dass es sich dabei nicht um eine eigenständige Gefechtsart handelte, sondern um eine besondere Gefechtshandlung. Die TF 33 nahm erstmals den Begriff der 'Kampfart' auf und beschrieb den Angriff, die Verfolgung, die Abwehr mit ihren beiden Varianten Verteidigung und hinhaltender Widerstand, das Abbrechen des Gefechts und den Rückzug als Kampfarten. Die TF 56 als erste Truppenführungsvorschrift der Bundeswehr übernahm den Begriff der 'Kampfarten' Als 'Kampfarten' wurden dabei Angriff, Verfolgung, Abwehr (mit den Unterpunkten Verteidigung, hinhaltender Kampf und Verzögerungsgefecht) und Abbrechen des Gefechts verstanden. Zusätzlich gab es ein eigenes Kapitel 'Gefechte unter besonderen Verhältnissen', in dem z. b. der Ortskampf genannt wird. Erstmals handelte es sich nun bei der Verzögerung um eine der 'Hauptkampfarten' und es wurden Sicherung, Aufklärung und Marsch erstmalig als 'allgemeine Aufgaben' im Gefecht genannt und so aufgefasst. Die Tatsache, dass es in allen vorangegangenen Vorschriften Kapitel zur Thematik 'Aufklärung, Sicherung und Marsch' gab, zeigt nur, dass schon damals die Wichtigkeit dieser Aufgaben erfasst wurde, aber die Begrifflichkeit als 'Gefechtstätigkeit aller Truppen' ist neu.

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Leseprobe

I. Verteidigung

 

Das Aufkommen des Soldkriegswesens im Hochmittelalter hatte den Berufskrieger hervorgebracht[21]. Dieser diente für Geld, erwarb zunehmende Fertigkeit im Umgang mit Waffen und stand im Gegensatz zu den Angehörigen von Miliz und Aufgebot langfristig bei der Fahne. Der Berufscharakter förderte eine gewisse handwerkliche Ausrichtung des Söldnerdaseins: Er ließ die Vorstellung von der Form- und Berechenbarkeit der Kriegsmittel und von der Lehrbarkeit der Kriegskunst entstehen. Nachdem bis in das 17. Jahrhundert hinein Reglements für die Führung und Ausbildung unbekannt gewesen waren[22], beschäftigten sich nun Theorien und Lehrbü­cher — oftmals unter Rückgriff auf die Antike — mit der Formung, Ausbildung und Führung der Truppen; Gliederung und Ausbildung der verschiedenen Truppen glichen sich zunehmend an. Dem Zeitalter des Rationalismus, wie das 18. Jahrhundert mit seinem Streben nach verstandesmäßiger Einordnung aller Lebensbereiche genannt wird, entsprach die Vorstellung der Kriegskunst als eines Systems wissenschaftlich fundierter Regeln. Den Grundsatz einer Vernichtung des Gegners kannte man noch nicht[23].

 

Der taktische Führer kämpfte nach den Lehren der Lineartaktik[24], die lineare Formen verlangten und die Soldaten in vier[25], später drei Gliedern hintereinander ordneten, die im Takt knieten, schossen und luden. Bewegungen erfolgten im Gleichschritt. Eine eiserne Disziplin hatte sicherzustellen, dass diese auch im Feindfeuer nicht ins Stocken gerieten. Nur durch sie war einheitliche hohe Feuergeschwindigkeit mit Hilfe genormter, im Drill perfektionierter Ladegriffe garantiert[26]. Die wichtigsten Elemente der Taktik dieser Zeit waren Gleichschritt und Gleichtakt. Der operative Führer stützte sich beim Dislozieren, im Kräfteansatz und bei der Verschiebung von Truppenkörpern sehr stark auf die Regeln der Mathematik, vor allem der Geometrie. Zentrale Bedeutung hatte das Manövrieren um geographische Punkte und Positionen. Dieses Manövrieren ist das Hauptcharakteristikum operativer Führung der Zeit. Zu ihm führte die Überlegung, statt der enorm blutigen Schlachten zumindest partiell die gegenseitige Erhaltung der schönen und teuren Heere zu ermöglichen, verbunden mit der militärischen Zielsetzung, die gegnerischen Truppen von ihren Versorgungs- und Bewegungslinien abzuschneiden: Man entwickelte gleichsam indirekte Methoden der Kriegführung. Die »Strategie« war nahezu gleichbedeutend mit »Ermattungsstrategie«. Um die Wende zum 18. Jahrhundert stützte sich die Verteidigung auf Festungen, oft auf Festungsgürtel als Basis für Vorstöße zum allmählichen Zermürben des Angreifers. Die Regeln dieser Kriegführung begünstigten das Manövrieren, Ausmarschieren, Ausweichen. Sie verlangten keineswegs immer den reglementgemäßen Kampf[27]. Dies führte oft zu der Weigerung, sich zur linearen Schlacht — Angreifer gegen Angreifer[28] — zu stellen. In diesen Fällen wich man dann aus oder blieb hinter einem befestigten Lager.

 

König Friedrich II. von Preußen forderte für diese »defensiven Läger« in seinen »Generalprincipia vom Kriege«[29] eine Befestigung von »Front und beyden Seiten von egaler Force«, um sie »inattaquable« zu machen[30]. Für den Fall einer drohenden Umgehung sei jedoch der Rückzug zum nächsten befestigten Lager vorzusehen. Hier ebenso wie in der Anweisung des Königs für Detachements (vom Gros abgesetzt kämpfende Truppen) zeigte sich ein weitgehender Verzicht auf jede Starrheit: »Ihr Chef gibt ihnen [den Führern] generale Instructiones, sie aber müssen bey sich selbst Rath zu nehmen wissen, ob sie auf den Feind avanciren, oder aber sich retiriren sollen [...] Ein defensiver Krieg leitet natürlicher Weise zum detachiren. Kleine Geister wollen alles conserviren, vernünftige Leute aber sehen nur auf die Haupt-Sache [...] Wer alles conserviren will, der conserviret nichts[31].« Die angeführten strategischen Verteidigungsregeln zeigen eine große Flexibilität, die auch vor der Aufgabe von Gelände nicht zurückschreckten. Um mögliche Geländevorteile ausnutzen zu können, müsse man auch bereit sein, den Feind ins eigene Land zu locken: »Es bleibt uns nichts anderes übrig, als das vorteilhafte Terrain da zu wählen, wo es sich gerade befindet, ohne uns sonst um Etwas zu bekümmern[32]

 

Hochentwickelte Manövrierkunst

 

Die Rücksicht auf Erhaltung des Heeres prägte die Operationsführung. Nach einer vorangegangenen Lähmung des Feldkrieges durch Festungen oder Festungsketten im 17. Jahrhundert überwog im 18. Jahrhundert wiederum der Feldkrieg und mit ihm die Bewegung[33]. Das Übergewicht der Bewegung wurde kultiviert durch eine hochentwickelte Manövrierkunst in methodischer Kriegführung. Die Orientierung an Regeln und Methoden begünstigte die Entwicklung und spätere Nachahmung erfolgreicher Verfahren. Die starke Betonung einer Bewegung nach Regeln förderte aktives Handeln nach Plan: Marsch und Angriff. Sie erschwerte die Verteidigung als flexibles Reagieren ebenso wie spontanes Ausnutzen von Lageentwicklungen, beispielsweise das Verfolgen eines geschlagenen Feindes. Sie begünstigte das Reglementieren linearer taktischer Formen[34].

 

Karree zur Rundumverteidigung

 

Die taktischen Reglement-Vorschriften waren starr. Ohne Unterscheidung von Kampfarten enthielten sie Anweisungen für die einheitliche Ausführung von Exerzierformen im Gefecht. Sie ließen als einzige Kampfart den Angriff zu, der bei überraschendem Feindangriff lediglich in anderer Formation als Gegenangriff zu führen war. In diesem Fall war nach dem bayerischen Exercitium militare Anno 1723[35] ebenso wie nach dem österreichischen Regulament von 1759[36] und dem preußischen Infanterie-Reglement von 1743[37] ein Karree zu bilden. Dabei formierten die Bataillone ein Viereck zu vorübergehenden Rundumverteidigung unter Beibehaltung ihres Kampfauftrages: »Ein Preußisch Grenadier- oder Musquetier-Bataillon aber kan, wann selbiges ein Quarre formiret hat, durch feindliche Husaren oder Cavallerie, welche ihnen den Marche verhindern wolten, nur grade darauf marchiren, solche wegjagen und ohngeachtet der Attaque vom Feinde hinmarchiren, wohin ihre ordre ist [...] Die Officiers und Unter-Officiers müssen [...] wann jemand zu weichen anfangen wolte, selbigem den Degen, das Esponton oder das Kurtz-Gewehr in die Rippen stoßen[38].« Verteidigung im Karree war eine Gefechtshandlung, zu der »der wohl exercirte preußische Soldat« nur »auß Noth sich getrungen sähe«[39]. Eine Weiterentwicklung dieser starren Form der Rundumverteidigung führte der Lehrer Scharnhorsts, Wilhelm Graf zu Schaumburg-Lippe, in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts in Portugal und bei seinen deutschen Truppen ein. Hierbei handelte es sich um eine flexible Kombination von üblicherweise vier Karrees zu einem sogenannten »Bückeburger Kreuz«, bei dem sich die einzelnen Teilformationen auf Lücke angeordnet gegenseitig unterstützen konnten[40].

 

Etwa zur gleichen Zeit — 1769 — wurden im österreichischen Generalreglement die Erfahrungen des Siebenjährigen Krieges gegen Preußen ausgewertet[41]. Diese Vorschrift räumte den Regeln für den Verteidigungskampf, insbesondere den aus Festungen und unter Nutzung von Geländeverstärkungen, breiten Raum ein, ohne dass jedoch über die bereits erwähnten taktischen Vorschriften hinaus wesentlich Neues zum Ausdruck gekommen wäre. Bemerkenswert erscheint lediglich die — modern anmutende — Forderung an die Kavallerie, »beim Retirieren öfters zu attackieren«[42]. Die Französische Revolution bedeutete — wie in unzähligen anderen Bereichen — auch auf dem hier untersuchten Gebiet eine Zäsur. Das allgemeine Aufgebot der männlichen Jugend Frankreichs durch den späteren Kriegsminister Frankreichs, Graf Lazare Carnot, im Jahre 1793, gewöhnlich mit der französischen Bezeichnung »levée en masse« benannt, führte zu einem radikalen Umbruch. In der Taktik rief die Unmöglichkeit, die bisherige Disziplin aufrechtzuerhalten, die Preisgabe der bisher gnadenlos geübten Feuerzucht[43] hervor und den stürmischen Vormarsch des in geöffneter Ordnung im freien Feuerkampf eingesetzten »Schützen«, in Frankreich »tirailleur« genannt. Der Feuerkampf wurde nicht mehr nur auf Kommando in geschlossener Ordnung geübt, sondern dem Einzelschützen anvertraut. Deshalb wurde in den Reglements der Zeit — wie beispielsweise im bayerischen von 1808 — erstmalig angeordnet, jeder ausgebildete Rekrut habe zwölf scharfe Patronen auf eine Scheibe abzufeuern, um zielen zu lernen, während der Schützeneinsatz bis dahin auf Sonderformationen wie die Tiroler Schützen (Österreich) oder die Jäger (Preußen) beschränkt gewesen war[44]. Nach dem Einsatz großer Truppenkörper in linearer Ordnung brachte die neue Zeit so vor allem Unordnung, Auflockerung, Regelbrüche. Die Grenzen von Großkampf und Kleinkrieg verwischten sich, der Zusammenhang der Heere löste sich zugunsten größerer Selbständigkeit einzelner Korps auf; an die Stelle von Drill und...

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