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Die Entwicklung der russischen Ökonomie unter den Bedingungen von Korruption und Rechtsunsicherheit

AutorClaudia Nickel
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783668246157
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Russistik / Slavistik, Note: 1,1, Justus-Liebig-Universität Gießen (Institut für Slavistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Seit sich Osteuropa mit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts im Umbruch befindet, sind die damit verbundenen Auswirkungen nicht nur positiver Natur. In den Transitionsgesellschaften erreichen Korruption und organisierte Kriminalität als unmittelbare Folge der sich verbreitenden Armut ein extrem hohes Niveau. Aus dem alten kommunistischen System Russlands haben sich alte Seilschaften in den Kapitalismus herübergerettet und erzielen beachtliche Profite auf Kosten der Allgemeinheit. Drogen- und Waffenschmuggel, Menschenhandel, Schlepperunwesen und Prostitution werden zu einem weitverbreiteten Phänomen des Alltags. Als politische Folge gewinnen in dieser Phase autoritäre Parteien und Politiker wie Vladimir Putin, die eine 'Diktatur des Gesetzes' versprechen, die desillusionierte Bevölkerung für sich. Die russische Ökonomie erleidet jedes Jahr beträchtliche volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe durch Normenverstöße von Unternehmen, privaten Haushalten und dem Staat.

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Leseprobe

4 Korruption in der russischen Wirtschaft


 

Diversen Erhebungen zufolge ist Russland eines der korruptesten Länder der Welt. Nach Analysen der internationalen Organisation „Transparency International“[47] rangiert Russland gemäß CPI[48] von 2013 im letzten Drittel auf Rang 127 von 175 Ländern und steht dabei noch hinter Pakistan, Aserbaidschan, Äthiopien und dem Libanon. Die Spitze der „saubersten“ Länder bilden Dänemark, Neuseeland und Finnland, die Schlusslichter Somalia und Nord-Korea. Immer wieder angeprangert wird die Korruption in Russland durch die Verlautbarungspresse, den offiziellen Enthüllungsjournalismus und die verbliebene kritische Berichterstattung. Zu den Pflichtübungen öffentlicher Politik gehören periodisch wiederkehrende Kampagnen zur Korruptionsbekämpfung. Als hoffnungsvoller Korruptionsbekämpfer wurde dem Wahlvolk nicht zuletzt der ehemalige Geheimdienstler Vladimir Putin für das höchste Staatsamt schmackhaft gemacht. In Putins erster Legislaturperiode als Präsident der Russischen Föderation stärkte er die Überwachungsorgane, vereinfachte und senkte einige Steuern und brachte eine Reihe von Gesetzen durch, welche die Privatinitiative fördern und wirtschaftliche Spielregeln liberalisieren. Schenkt man Meinungsumfragen aus dieser Zeit Glauben, so empfanden die meisten Russen ihr Alltagsleben als weniger korrupt als zur Jelzin-Zeit. Erklären ließe sich dies teilweise aus dem sachlichen Effektivitätshabitus der neuen Administration, mit gelegentlichen Erfolgsmeldungen der gezähmten Medien und teilweise mit Gewöhnung. INDEM-Studien[49], welche sich auf Erfahrungsberichte und Selbstaussagen von mehreren tausend Personen, darunter frühere Staatsbeamte, Ordnungshütern und Großkapitalisten, stützen, kommen zu einem anderen Befund: Die Korruption in Russland steigt seit Jelzin stetig.[50] Umfragen der russischen Bevölkerung zur Korruption in ihrem Land werden in Kapitel 5 genauer analysiert.

 

Korruption blickt in Russland auf eine lange Tradition zurück. Die „Fütterung“, die kormlenie, war eine frühe institutionalisierte Form der Korruption des adeligen Verwaltungsapparates durch das Volk. Das Land des Zaren wurde durch adlige Beamte verwaltet, welche Steuern in seinem Auftrag erhoben, als Gegenleistung durften sie einen Anteil der Steuerzahlungen für sich behalten. Somit waren diese Beamten direkt am Steuererfolg beteiligt und selbst dafür verantwortlich, sich ihr eigenes Einkommen beim Volk zu holen. Zudem war es im riesigen Russland kaum möglich, die Steuereinzieher zu kontrollieren. Die Einnahmen der Steuern wurden durch das Beteiligungssystem am Steuererfolg sichergestellt. Die Folge des Systems der „Fütterung“ war, dass sich die russische Bevölkerung daran gewöhnte, dass Staatsbeamte von den Steuereinnahmen selbst direkt profitierten. Diese Vorteilsnahme war üblich und wurde nicht als illegal oder amoralisch angesehen. Erst mit zunehmender Zentralisierung des Staates im 16. Jahrhundert und neuen Möglichkeiten, den Verwaltungsapparat zu kontrollieren, wurde das System der Fütterung abgeschafft.[51]

 

Korruption war auch in der Sowjetunion weitverbreitet, Privilegien wurden erkauft oder zwischen Freunden und Bekannten verschoben (wie im folgenden Kapitel über blat beschrieben). Die Nomenklatura verkaufte ihre Privilegien und die Polizei war bestechlich. Durch Bestechung wurden falsche Angaben über die Erfüllung von Plänen und der Produktion verheimlicht. Diente die Korruption den Zielen des Staates, wurde sie toleriert, denn nicht die Befolgung von Regeln und Gesetzen waren gefordert, sondern das Erreichen von Zielen. In der postsowjetischen Gesellschaft und Wirtschaft bleibt die Korruption weitverbreitet.[52] „Die Erfahrung der Korruption ist total und existentiell. Sie erfasst alle Sphären der Wirtschaft und des Lebens, kennt keinen Anfang und kein Ende“[53].

 

4.1 Beziehungsnetzwerke in Russland


 

In der Jelzin-Zeit reichte der Einfluss der Oligarchen bis tief in den Kreml hinein, sie diktierten dem Staat ihre Gesetze. Der russische Staat war durch die Wirtschaft „gekapert“[54] worden. Als sich Vladimir Putin nach seiner Machtübernahme im Juli 2000 mit 21 Oligarchen traf, sollte das Verhältnis von Staat und Wirtschaft geordnet werden. Die Wirtschaft versprach, sich nicht in politische Fragen einzumischen und den Staat zu respektieren, im Gegenzug sicherte der Kreml der Wirtschaft zu, die Privatisierungsergebnisse nicht rückgängig zu machen und der Wirtschaft liberale Rahmenbedingungen zu bieten. Putin organisierte den Staat zentraler und beschnitt den Einfluss einiger Oligarchen, welche nun befürchten mussten, dass ihre Eigentumsrechte nicht geschützt werden konnten und der Staat ihr Eigentum an sich reißt. Als Konsequenz agierten Unternehmen nicht mehr im formellen Sektor, sondern versteckten ihre Geschäftstätigkeit im informellen Sektor, verborgen durch Korruption. Anstelle der offiziellen Steuern werden Steuerbeamten geringere Beträge in die private Tasche geschoben und Regis-trierungen und Lizenzen werden gegen Bezahlung eines Bestechungsgeldes nicht mehr eingefordert. Durch diese Bestechungsgelder von Beamten wird es Geschäftsleuten erst ermöglicht, Transaktionen am Staat vorbei im informellen Sektor durchzuführen. Das bereits oben angeführte „Kapern“ des Staates ist gleichbedeutend mit dem Verbergen von Transaktionen, welche aktiv vor dem Staat verborgen werden, indem seine Beamten bestochen werden. Der Staat wird durch die Wirtschaft im Eigeninteresse gelenkt.[55] Das Regeln von Transaktionen über Beziehungsnetzwerke wurde in der Sowjetunion unter Bezeichnungen wie snakomstva i svjazi[56] oder einfach unter dem Begriff blat bekannt. Um die im heutigen Russland vorherrschende Korruption verständlich zu machen, soll im folgenden Kapitel auf blat als den institutionellen Rahmen eingegangen werden, welcher Transaktionen über Bekanntennetzwerke ermöglicht, und in einem weiteren Kapitel die private Durchsetzung von Transaktionen erläutert werden.

 

4.1.1 Blat: Transaktionen über Beziehungsnetzwerke


 

In der Sowjetunion waren Beziehungen der Schlüssel zum Zugang sowohl zu knappen Lebensmitteln und Konsumgütern als auch zu ausreichend Wohnraum. Freunde und Bekannte hatten einen direkten ökonomischen Nutzen, Waren und Dienstleistungen, welche sie beschaffen konnten, waren praktisch Teil ihres Namens und wichtigster Bestandteil ihrer Identität. Unter diesen Bedingungen wurden Waren und Dienstleistungen nicht über einen anonymen Markt ausgetauscht, sondern an Bekannte oder Bekannte von Bekannten weitergereicht. Das Zahlungsmittel hieß nicht Geld, sondern Gefallen.[57] Denn Güter konnten gegen Geld nicht erworben werden, da es keinen tatsächlichen Gegenwert darstellte, sondern nur über Beziehungen. Selbst wer im Besitz von Geld war, konnte sich keine Waren kaufen, denn die Regale in den Läden waren leer, der Rubel war praktisch eine virtuelle Währung. Ledeneva schreibt hierzu:

 

„I would prefer to overpay ‘for a service’ as it were, because you pay and feel free from obligations. But money was not what people needed, especially trades people. Everyone could repay with money but this did not count.”[58]

 

So diente blat der Beschaffung knapper Konsumgüter, blat war dazu da, einen Arbeitsplatz zu bekommen oder Zugang zu medizinischer Versorgung zu erhalten. Über blat wurden Waren wie beispielsweise Kleidung und Haushaltsgeräte besorgt, aber auch schwer erhältliche und prestigeträchtigere Güter wie Bücher, Urlaube oder importierte, ausländische Waren.[59]

 

Doch nicht nur zwischen Privatpersonen wurden Transaktionen über persönliche Beziehungen abgewickelt, sondern auch zwischen Unternehmen, da Güterengpässe von Zulieferern für die Sowjetunion charakteristisch waren. Nicht die zentrale Moskauer Planung, sondern langfristige Beziehungen und gegenseitige Geschäfte garantierten die Lieferung von Gütern. Planungsfehler und Engpässe wurden durch direkte Beziehungen ausgeglichen. Eigens von den Unternehmen eingestellte tolkači, Verbindungsmänner, waren damit beauftragt, persönliche Beziehungsnetze aufzubauen, um Engpässe informell über Gegengeschäfte auszugleichen.[60] Tolkači werden von Berliner wie folgt charakterisiert:

 

„[...] a nervous, energetic man, a master of high-pressure techniques, able to talk his way into enterprises and quickly establish a working friendship with the relevant officials. He is lavish with gifts and entertainment and `knows how to drink´ with all people.“[61]

 

Eine ganz ähnliche Charakterisierung nimmt Mehnert vor:

 

„Der Erfolgsmensch in der Sowjetwirtschaft braucht, wie man sieht, neben Sachkenntnis, Fleiß und Energie die Fähigkeit, durch allerlei Gefälligkeiten Beziehungen aufzubauen, eine gewisse Treue gegenüber seiner Clique, zugleich aber auch die Bereitschaft diese fallenzulassen, wenn es ihm selbst an den Kragen geht [...]“.[62]

 

Der Begriff blat bezieht sich hauptsächlich auf die private Nutzung von Beziehungsnetzwerken. Um...

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