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E-Book

Die Erfindung des Menschen

Wie wir die Evolution überlisten

AutorRenee Schroeder, Ursel Nendzig
VerlagResidenz Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783701745371
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Wir können nicht erwarten, dass sich die Evolution um das Überleben der Menschen kümmert. Wenn wir überleben wollen, müssen wir das selber tun. Vor 70.000 Jahren war der Mensch zum ersten Mal in der Lage, etwas zu denken, was es nicht gibt. Was banal klingt, ist die Geburtsstunde der menschlichen Kultur und der Startschuss für eine Reihe von Erfindungen, die den Menschen geprägt und nicht nur zum Besseren verändert haben. Er erdenkt Mythen, Religionen, erfindet Sprache, Geld und Rassismus. Jetzt steht der Mensch kurz vor seiner größten Erfindung: sich selbst. Denn die Wissenschaft ermöglicht es ihm, seine Evolution selbst fortzuschreiben. Renée Schroeder blickt auf die kurze Zeit, die der Mensch bisher gelebt hat, macht einen Ausflug in seine Genetik und ruft eine neue Aufklärung aus.

Renée Schroeder, geboren 1953 in João Monlevade, Brasilien, studierte Biochemie in Wien, verbrachte ihre Lehrjahre in München, Paris und in Albany/NY. Seit 2005 leitet sie das Department für Biochemie und Zellbiologie an der Universität Wien. 2001-05 Mitglied der Bioethik-Kommission der österreichischen Bundesregierung, 2003 erhielt sie den Wittgensteinpreis und 2011 den Eduard Buchner Preis. Österreichs Wissenschaftlerin des Jahres 2002.

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KAPITEL 2


WANN DER MENSCH GELEBT HABEN WIRD


Zahlen mit vielen Nullen, eine kränkende Perspektive, ein sich ausweitendes Universum und das kurze Leben im Anthropozän.

Kein Grund zur Eitelkeit: Der Mensch ist nicht so wichtig, wie er glaubt. Ich möchte hier seine Existenz – die Zeit, in der der Mensch gelebt haben wird; die Zeit, bis die Biologie auf der Erde beendet sein wird – in eine angemessene Perspektive rücken. Der Mensch ist weder die Krone einer Schöpfung noch das Ziel der Evolution. Auch wenn sich einige Menschen für das Ebenbild Gottes halten: Dieses spiegelt eher den Charakter seiner Erfinder wider als die universelle Stellung der Menschheit. Um es klar zu sagen: Der Mensch ist nicht der Grund, warum es vor 14 Milliarden Jahren geknallt hat!

Wenn wir den Zeitraum, in dem der Mensch gelebt haben wird, in Bezug zur Existenzdauer unseres Universums setzen, werden wir sehr überrascht sein. Wie kurz ist doch die Lebensdauer des Homo sapiens! Ich finde es großartig, dass die Astrophysik in der Lage ist, solche Schätzungen und Berechnungen zu liefern.

Die Zeitspanne der Existenz unseres Universums wird auf etwa 1080 bis 1090 Jahre geschätzt. Das ist eine Zahl mit achtzig bis neunzig Nullen, also in etwa 1 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 Jahre. Wir befinden uns jetzt gerade bei 13,8 Milliarden, 1,38 × 1010 Jahre nach dem Urknall. Das ist eine Zahl mit 11 Ziffern: 13 800 000 000 Jahre. Das Universum ist also erst am Anfang seiner Existenz. Und das ist jetzt die gute Nachricht: Wir müssen nicht befürchten, dass das Universum zu Ende geht, während es uns Menschen noch gibt. Das wird sicherlich nicht der Grund unseres Aussterbens sein.

Zur Entstehung unseres Universums gibt es eine bevorzugte Hypothese: die Urknall-Theorie. Ob es davor oder parallel dazu noch zur Entstehung weiterer Universen gekommen ist, können wir (noch) nicht feststellen. Die anderen Universen könnten einfach zu weit von uns entfernt sein, als dass wir sie wahrnehmen können. Oder die Elementarteilchen – oder woraus auch immer diese anderen Universen bestehen – sind für den Menschen vielleicht einfach nicht wahrnehmbar: Wir können nur Dinge sehen und messen, mit denen wir in Wechselwirkung treten können. Alles andere – andere Wellen, anderes Material – können wir vielleicht einfach nicht erkennen.

Was wir mittlerweile wissen, ist, dass unser Sonnensystem ein winzig kleiner Teil des Universums ist. Unsere Galaxie, die Milchstraße, ist nur eine von 100 000 Galaxien und ein kleiner Teil von Laniakea, einer Art Galaxienfeld, »Supercluster« genannt. Die Dimension dieses Clusters ist so gewaltig, dass wir sie mit unseren beschränkten Sinnen gar nicht wahrnehmen können. Im Verhältnis zu der uns bisher bekannten Ausdehnung des Universums ist die Erde nicht einmal ein Staubkorn.

Vor ungefähr 4,6 Milliarden Jahren entstand unsere Sonne aus einem Urnebel interstellarer Materie. Sterne ihrer Größe strahlen etwa 10 Milliarden Jahre lang mit einer Temperatur von 6000 Grad Celsius. Knapp die Hälfte ihrer Lebensdauer ist also für die Sonne nun schon vorbei.

Wir schätzen, dass das Leben auf der Erde vor etwa 3,5 Milliarden Jahren entstanden ist; da war die Atmosphäre in etwa so abgekühlt, dass Wasser nicht mehr vollständig verdampfte. Es war die Zeit der Ursuppe und des biologischen Urknalls, die Entstehung einzelligen Lebens wurde möglich (siehe Kapitel 1). Die ersten Menschen sind vor etwa 2 Millionen (nicht Milliarden!) Jahren entstanden. Und den Homo sapiens gibt es erst seit ungefähr 100 000 bis 200 000 Jahren. Ganz genau kann man das nicht sagen – es ist kein singulärer Punkt, der seine Entstehung markiert, und letztendlich ist es auch eine Frage der Definition: Es gab menschenähnliche Arten, »Vormenschen«. Ich würde den »Homo« erst ab dem Moment, ab dem er Kultur hat, als »sapiens« bezeichnen. Also etwa seit 70 000, vielleicht bereits 100 000 Jahren. Aber auch 100 000 Jahre sind nur ein Wimpernschlag, verglichen mit den Milliarden Jahren seit der Entstehung des Lebens.

Abbildung 4:

Die Existenzdauer unseres Universums, verglichen mit der Existenzdauer des biologischen Lebens auf unserer Erde und der Menschheitsgeschichte. Zeitstrahl: 10 hoch 90 Jahre – so lange wird das Universum in etwa bestehen. Markierung: wo wir jetzt sind, das Heute. Die Existenz des Menschen wird darin noch nicht sichtbar. Man muss dreimal in diesen Zeitstrahl hineinzoomen, um das menschliche Zeitalter in der Existenzdauer des Universums darstellen zu können. So kurz wird der Mensch auf der Erde gelebt haben.

Das ist die Perspektive, der wir uns hiermit stellen: Vor 3,5 Milliarden Jahren ist das Leben entstanden. Und in 500 Millionen Jahren wird die Temperatur auf der Erde wieder so heiß sein, dass alles Wasser zum Kochen kommen und die Erde praktisch biologisch sterilisiert sein wird. Dann werden keine Bedingungen mehr herrschen, die ein Leben nach unserer Physiologie unterstützen. Das heißt, dass es auf der Erde 4 Milliarden Jahre lang biologisches Leben gegeben haben wird. Davon sind sieben Achtel schon vorbei.

Es wird noch ungefähr 6 Milliarden Jahre dauern, bis die Sonne ein Zehntel ihres Wasserstoffvorrates aufgebraucht haben wird, ihr Kern wird schrumpfen, die Leuchtkraft sich erhöhen, ehe sie sich zu einem roten Riesenstern ausweitet, der vermutlich wesentlich leuchtkräftiger als die heutige Sonne, aber auch kühler sein wird. Ihre Anziehungskraft verringert sich und die Planeten wandern von der Sonne weg nach außen. Die Erde wird etwa auf der jetzigen Marsumlaufbahn landen. Merkur und Venus sind dann schon verdampft, und auf der Erde wird es etwa 1200 Grad Celsius haben und biologisches Leben ohnehin längst nicht mehr möglich sein.

Die Erde ist das Zuhause des Menschen. Und dass sie einmal so heiß sein wird, dass es überhaupt kein biologisches Leben mehr gibt, ist eine Erkenntnis, die kränkend sein mag.

In den letzten Jahren konnte die Geometrie des Universums sehr gut bestimmt werden. So kann man auch Aussagen über den wahrscheinlichen Verlauf der kosmischen Expansion wagen. Und das ist ein unheimlich spannender Gedanke, nämlich: dass wir gerade jetzt, zu dem Zeitpunkt, existieren, an dem wir unser Universum wahrnehmen können. Unser Universum expandiert, weitet sich immer weiter und schneller aus, und irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem alle anderen Sterne zu weit entfernt von unserer Erde sind, als dass wir Signale von ihnen empfangen könnten. Dann würden wir nichts mehr um uns herum im All beobachten können. Dann würden wir annehmen müssen, dass wir allein im Universum sind. Wir könnten auch annehmen, dass wir der Mittelpunkt des Universums sind, weil sich alles von uns in alle Richtungen entfernt. Dem ist aber nicht wirklich so – das Universum weitet sich einfach aus. In etwa 1013 Jahren werden die ältesten heute bekannten Sterne ausgebrannt sein, und in etwa 1014 Jahren wird die normale Bildung von Sternen zu Ende sein und das Universum wieder dunkel werden.

Das Universum wird wie gesagt etwa 1080 bis 1090 Jahre lang existieren. Etwa 13,84 Milliarden Jahre nach seiner Entstehung, vor etwa 2 Millionen Jahren, entwickelten sich Menschen. Wie viele Jahre geben wir uns noch? 100 Jahre, sagen Pessimisten; eine Ebola-ähnliche Epidemie könnte das schnell erledigen. Ein paar Jahrtausende? 1 Million Jahre wären eine Sensation. Der Homo erectus (siehe Kapitel 3) hat über 1,2 Millionen Jahre lang gelebt und war, was seine Lebensdauer betrifft, viel erfolgreicher als der Homo sapiens. Selbst wenn wir uns noch ein paar Millionen Jahre halten (was nicht wahrscheinlich ist, aber seien wir optimistisch und gehen wir davon aus, dass wir wirklich weise werden und unsere zerstörerischen Kräfte in den Griff bekommen) – länger als 500 Millionen Jahre werden wir auf keinen Fall mehr leben. Zumindest nicht auf der Erde. Großzügig angenommen, werden wir also 106 Jahre kurz existiert haben. Und unser Universum 1090.

Das ist jetzt die schlechte Nachricht – echt und wirklich schlecht, denn das ist nur mehr eine kurze Zeitspanne, die uns bleibt, verglichen mit den 3,4 Milliarden Jahren seit der Entstehung des Lebens, wenngleich noch eine relativ lange Dauer, verglichen mit der bisherigen Existenz des Homo sapiens.

Die Frage ist einfach, ob Homo sapiens – als einzig überlebende Art der Gattung Homo – durch seine kognitiven Fähigkeiten (siehe Kapitel 3) die anderen Menschenarten verdrängte, dann die Kräfte der natürlichen Selektion überwinden lernte und durch genetische Manipulation neue Eigenschaften erfand, nur um sich am Ende selbst zu vernichten. Und zwar, weil seine technischen Möglichkeiten und Fähigkeiten seine Intelligenz übertrafen und er sich schließlich selbst überholte. Der Mensch ist einer, der ständig Dinge ausprobiert, ohne zu wissen, was die Folgen sein werden. Genau wie die Evolution funktioniert,...

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