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Die ersten Suchmaschinen

Adressbüros, Fragämter, Intelligenz-Comptoirs

AutorAnton Tantner
VerlagVerlag Klaus Wagenbach
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783803141880
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Der Historiker Anton Tantner erzählt die Geschichte derer, die nicht zueinander kommen, weil sie nicht voneinander wissen. Und wie dem abgeholfen wurde. Dahinter steht die Frage: Wie war die Gesellschaft vor ein paar hundert Jahren organisiert, und wie ist sie es heute? Was heute Dating- Apps, Tauschbörsen, Finanzmakler, Jobcenter und Carsharing- Anbieter übernehmen, leistete früher eine einzige Institution: das Adressbüro. Wer im 17. Jahrhundert etwas kaufen oder verkaufen wollte, Arbeit, Wohnung, ein Hausmädchen oder einen Arzt suchte oder zu vermitteln hatte, konnte dort sein Anliegen gegen Gebühr in ein Register eintragen lassen oder Auszüge aus diesem Register erhalten. Solche Adressbüros gab es in vielen europäischen Städten, etwa in London die registry oder das intelligence office, in der Habsburgermonarchie die Frag- und Kundschaftsämter und in anderen deutschsprachigen Städten Adresscomptoirs und Berichthäuser. Anton Tantner schreibt eine Ideengeschichte des Sammelns, Organisierens und Weitergebens von Informationen und Wissen - aus der Perspektive unserer Gegenwart, in der wir ohne google kaum mehr leben können, social media scheinbar alles und - andererseits - Datenschutz ein zentrales Thema ist. Dass man aber die richtige Form für das Vermitteln von Information kaum unterschätzen kann, beweist Tantners eigener, bisweilen vergnügt erzählender Stil.

Anton Tantner, geboren 1970, studierte Geschichte und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien, wo er heute als Historiker lehrt. Vor den Adressbüros beschäftigte er sich intensiv mit der Geschichte der Volkszählung und der Hausnummern.

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Leseprobe

Zuversicht und Sorgen des Informationsprofessionisten Caspar Rieß -eine wissenschaftliche Fiktion


Wie jeden Tag war Caspar Rieß nach dem Frühstück von seiner Wohnung im ersten Stock des Hauses in der Burgstraße ins Erdgeschoss hinuntergegangen, hatte um Punkt 9 Uhr die Ladentür geöffnet und wartete nun auf Kundschaft. Mehr als zehn Jahre waren es nun her, dass er sein Intelligenz- und Adresscomptoir – ein mit ebendieser Aufschrift bezeichnetes Holzschild hing an einer Eisenstange über dem Eingang des Etablissements – in der fürstlichen Residenzstadt eröffnet hatte; damals regierte im fernen Wien noch Kaiser Karl VI., und in vielen Städten im Reich entstanden Adressbüros, die nach Vorbild des in der österreichischen Hauptstadt befindlichen Frag- und Kundschaftsamts Stätten universeller Vermittlung sein wollten. Nicht länger sollte es vorkommen, dass Käufer und Verkäufer von unentbehrlichen Waren einander aus Mangel an Kenntnis nicht antreffen konnten, nicht länger sollten Personen, die eine Wohnung mieten wollten, tagelang die Straßen der Stadt auf und ab laufen, immer Ausschau haltend nach den von Wind und Wetter manchmal fast schon unleserlichen Zetteln an den Haustüren, die eine freie Wohnung versprachen; nicht länger sollten Dienstherren von den Zubringerinnen untaugliches Personal vermittelt bekommen, das dann doch nur schnell seinen Arbeitsplatz wieder verließ. Stattdessen sollten all diese Wünsche, Anliegen und Begehren an einem Ort – eben dem Adresscomptoir – gesammelt und gegen Bezahlung einer geringen Gebühr in jeweils eigene Registerbände säuberlich niedergeschrieben werden; wer nun zum Beispiel Wein zu verkaufen gedachte, sich in der Stadt einlogieren oder eine Stelle als Haussekretär antreten wollte, und auch wer Geld zu verleihen hatte, konnte das Büro zu den Öffnungszeiten aufsuchen und einen Bediensteten in den Registern nachsehen lassen. War die Suche erfolgreich, sollte der Kunde gegen Bezahlung eine Abschrift des Eintrags zur Verfügung gestellt bekommen, die nicht zuletzt die Adresse der Person enthielt, bei der er eine Befriedigung seines Begehrs erwarten konnte. Käuferinnen und Verkäufer, Lehrer und Schüler, Meister und Lehrlinge, Dienstherrinnen und Diener könnten so leichter als bisher miteinander in Kontakt treten; kein nützliches Talent wäre mehr dazu verurteilt, müßig zu sein.

In diesem Sinne hatte Rieß damals um die Erteilung eines Privilegs für ein Intelligenz- und Adresscomptoir bei der fürstlichen Behörde ersucht; mit dieser Einrichtung sollte auch die Herausgabe eines Intelligenzblatts verbunden sein, das Registereinträge aus den Protokollen des Büros veröffentlichen sollte. Dieses Anzeigenblatt, so hatte Rieß damals argumentiert, bringe den Vorteil, dass auch Parteien, die außerhalb der Stadt wohnten und für die es zu aufwendig sei, regelmäßig den Gang in die Stadt anzutreten, nur um das Büro aufzusuchen, über die in das Comptoir eingebrachten Angebote informiert werden könnten. Bis Rieß mit dem Durchbringen seines Anliegens erfolgreich war, sollte viel Zeit – fast zwei Jahre – vergehen; groß waren die Widerstände bei den traditionell mit Informationsvermittlung beschäftigten Bevölkerungsgruppen, insbesondere bei den Gesindemaklerinnen und -maklern, die um ihre Einkünfte fürchteten. Letzten Endes waren die Behörden dann aber doch von Rieß’ Ansinnen überzeugt, vor allem als er versprach, eigene Register über Wohlverhalten und Führungszeugnisse der vermittelten Dienstbotinnen und Dienstboten anzulegen, die eine Kontrolle dieser unsteten Personen erlauben würden. Unerwartet wenig Proteste waren von den Lohnlakaien gekommen, die in den Gasthäusern Reisenden aufwarteten, um diese zu Sehenswürdigkeiten oder freien Zimmern zu führen; wahrscheinlich betrachteten diese das Comptoir nun doch nicht als gefährliche Konkurrenz für ihren Erwerbszweig.

Mit dem Gang der Geschäfte war Rieß im Großen und Ganzen zufrieden; gewiss, sein Büro hätte noch mehr Frequentierung durch Anfragende vertragen, doch mit den erzielten Einnahmen kam er über die Runden. Insbesondere das ebenfalls von ihm betriebene Pfandleihgeschäft samt gelegentlicher Versteigerung der verfallenen Pfänder sorgte dafür, dass ein regelmäßiger Strom an zufließendem Geld in den Rechnungsbüchern verzeichnet werden konnte.

Manchmal war Rieß jedoch auch angestrengt, vor allem dann, wenn sich die Beschwerden der Kundschaft häuften, wie in jenen Tagen, als der neu angestellte Bedienstete Johann Fundneyder nicht aufhörte, die Zeilen der Registerbücher durcheinanderzubringen, und sich erhebliche Fehler in seine aus den Büchern für die Anfragenden erstellten Auszüge einschlichen. Einer der Empörten war der Advokat Ferdinand Leopold Keller: Letzterer war, ganz so, wie es ihm der von Fundneyder verfasste Zettel verheißen hatte, beim entlegen im Schwingshandlischen Haus in der Singerstraße wohnenden Philipp Kinsch vorstellig geworden, um dort fünf Eimer St. Georger Wein abzuholen, allein, Kinsch musste den Advokaten belehren, dass er mit Weinverkauf nichts am Hut und das Adresscomptoir nur aufgesucht habe, weil er einen silbernen Siegelstempel gefunden hatte. Keller stellte Rieß darauf zur Rede und klagte, dass er den Wein doch so dringend zur Bewirtung einer Abendgesellschaft gebraucht hätte; nur mit Mühe konnte Rieß den Rechtsgelehrten besänftigen, indem er ihm versprach, das Intelligenzblatt für ein halbes Jahr zur Hälfte des Preises zuzustellen. Kaum war des Advokaten Zorn verraucht, tauchte schon der nächste Beschwerdeführer im Büro auf: Joseph Laar war es, der eine Stelle als Hauslehrer suchte; Laar wollte Fechten und Französisch unterrichten, doch als er im Palais des ihm genannten Georg Suppanovich auftauchte, musste er vom Portier hören, dass der Posten schon längst vergeben sei. Der verhinderte Lehrer fühlte sich in die Irre geführt und verlangte die schon bezahlte Vermittlungsgebühr zurück. Rieß versuchte ihn damit zu trösten, dass es oft vorkomme, dass das Büro von erfolgten Vermittlungsakten keine Mitteilung erhielte, obwohl er doch wiederholt dazu aufrufe.

Zum Glück verlief das Alltagsgeschäft ruhiger, und der übliche Trott des Entgegennehmens von Anfragen und Ordnunghaltens in den Registern wurde zumeist nur durch hereinplatzende Fuhrleute unterbrochen, die ihre Warenlieferung abladen wollten. Als Rieß nämlich mit seiner Tätigkeit begonnen hatte, wurden die von den Verkäufern angebotenen Waren nur in den Registern des Adresscomptoirs verzeichnet und verblieben in den Lagern der Anbieter; als aber immer mehr Interessenten danach verlangten, zumindest Proben der Waren im Büro sehen zu können, hatte sich der Direktor des Comptoirs dazu entschlossen, seine Räume zu erweitern und in diesen nicht nur Informationen, sondern auch manche Waren anzubieten. So konnten also die Liebhaber die goldenen Sackuhren, das Pompadourische Zahnpulver, die Lissabonsche Schokolade und den für Landwirte so nützlichen Erdbohrer in den Räumlichkeiten des Büros selbst begutachten und erstehen; zuweilen erhielt Rieß auch Rückmeldungen über die Qualität der von ihm verkauften Waren: Erst vor einem Monat hatten ihm einige Kundinnen mitgeteilt, dass der im Adresscomptoir veräußerte, von einem Bauern aus der Umgebung gelieferte Himbeersirup von zu dicker Konsistenz war und zu süß schmeckte; Rieß hatte die Beschwerden prompt weitergeleitet und konnte den nunmehrigen Besucherinnen verkünden, dass die neu eingetroffene Lieferung etwas dünner und säuerlicher ausgefallen war.

Manchmal kam es auch vor, dass so ungewöhnliche Gegenstände wie Tafelbilder eingebracht wurden; einmal hatte die Kaufmannswitwe Anna Lutzenbergerin ein aus der Hinterlassenschaft ihres Mannes stammendes, gar schrecklich anzusehendes Haupt der Medusa bei Rieß deponiert, der es daraufhin in einem Nebengewölbe zwischen all den physikalischen Modellen ausstellte, die auch im Adresscomptoir zu sehen waren. Die Lutzenbergerin hatte damals verlangt, dass die Nachricht von dem Bild auch noch schnell in das Intelligenzblatt eingerückt werden sollte, und überredete Rieß dazu, deswegen die Druckerpressen anzuhalten. Bei der kunstsinnigen Kennerschaft der Stadt wurde das Adressbüro daraufhin zu einem Geheimtipp, und manch ein Freund der Malerei sollte dieses nur des Medusenhauptes wegen aufsuchen.

Das übrige Geschäft bestand im Registrieren neu zugereister und Ausfindigmachen abgängiger Personen: Alle paar Tage erhielt Rieß die Meldungszettel der Gasthöfe, die ihn darüber informierten, wer in der Stadt eine Herberge gefunden hatte, und die Rieß’ Mitarbeiter in ein Fremdenregister übertrugen. Die Polizei, die dieses immer wieder konsultierte, war damit allerdings höchst unzufrieden, da in ihren Augen allzu viele Wirte nachlässig waren...

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