Die Geschichte der Eugenik reicht bis in die Antike zurück und ergibt ein facettenreiches Bild. Allen Facetten gemeinsam ist die Vorstellung von der Verbesserung der Menschheit anhand ihres genetischen Erbes, wobei „Die Kontrolle der menschlichen Sexualität und die Steuerung der Fortpflanzung … das durchgängige Thema.“ (Weingart/Kroll/Bayertz, 1988, S. 27) ist. Diese Lenkung der menschlichen Fortpflanzung soll anhand bestimmter erwünschter Eigenschaften eine gezielte Auswahl unter den Menschen treffen, die sich fortpflanzen dürfen (vgl. Kevles, 1995, S. 20).
Der Begriff Eugenik ist erst im Jahre 1883 von Francis Galton (1822-1911) geprägt worden, der diesen von dem griechischen Wort eugenes, was soviel wie edelgeboren oder von guten Stamm bedeutet, ableitete (vgl. Schmuhl, 2001, S. 7). Eine der ersten eugenischen Utopien lässt sich in Platons (427/428-347/348 v. Chr.) Staat entdecken.
„Schon bei Platon trifft man auf eine große Zahl der institutionellen Vorkehrungen zur Sicherung einer eugenischen Fortpflanzung, die fortan in allen Utopien zu finden sind und schließlich in die konkreten Vorschläge der Eugeniker eingehen.“ (Weingart/Kroll/Bayertz, 1988, S. 28f.).
Jede Ära bringt ihre eigene Eugenik hervor mit verschiedenen Hintergründen, Motiven und Intentionen. Bei der „alten“ Eugenik liegt die Beschränkung auf der von Galton mit seinem Begriff geprägten Eugenik anfangend um 1900 und den Entwicklungen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945. Die Geisteshaltungen und Vorstellungen, die um 1900 und davor existierten, werden aufgezeigt, um darstellen zu können, welche Motoren dieser Entwicklung immanent sind.
In Punkt 2.2 wird der Naturforscher Francis Galton mit seinem eugenischen Konzept in Verknüpfung mit dem englischen Wissenschaftler Charles Darwin (1809-1882) (2.3) vorgestellt. Ohne die gleichzeitigen fortschreitenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse hätte die Eugenik nicht bzw. anders, zumindest jedoch erst später entstehen können.
In Punkt 2.4 geht es um die Hervorhebung des Zeitgeistes am Anfang des 19. Jahrhunderts, in dessen Mittelpunkt die Degenerationsthese steht, anhand derer deutlich wird, wieso der Boden für die eugenischen Konzepte fruchtbar war. Die These beschreibt die Angst des körperlichen und geistigen Verfalls der Menschheit im Zuge der Zivilisation, bei dem die eugenischen Konzeptionen Abhilfe schaffen sollten.
Im folgenden Abschnitt (2.5) wird die eugenische Bewegung um 1900 mit ihren wichtigsten Eckdaten skizziert.
Das Hauptaugenmerk in Punkt 2.6 ist auf Deutschland gerichtet bis hin zu den Gräueltaten unter dem Namen der Rassenhygiene (die deutsche Bezeichnung für Eugenik) im Dritten Reich. Die Übersicht soll bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 Aufschluss über die eugenischen Gedankenstrukturen und deren Verbreitung geben. Dazu zählen die Sterilisationen sogenannter „Minderwertiger“ (2.6.1) und die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ im Namen der Euthanasie (2.6.2).
Zuletzt wird eine Zusammenfassung (2.7) mit nochmalig eingebundener Begriffsbestimmung der Eugenik geleistet, die dann in der Analyse des III. Kapitels erneut Präsenz erhält.
Wie oben bereits erwähnt, wurde der Begriff Eugenik von dem englischen Naturforscher Francis Galton (1822-1911) eingeführt. Das ihm zugrunde liegende griechische Wort eugenes (von guten Stamm, edelgeboren) weist dabei die Richtung auf, um die es geht.
Galton war der Ansicht, „daß die natürlichen Fähigkeiten eines Menschen durch Vererbung erworben sind.“ (Galton, 1910, S. 1) und wenn es möglich ist, Tiere nach ausgewählten Merkmalen zu züchten, wieso sollte dies dann nicht auch für die menschliche Rasse mittels gezielt erwünschenswerten Ehen möglich sein (vgl. ebd., 1910, S. 1)? Zu seinen genetischen Grundannahmen über die menschliche Vererbung gelangte er durch Studien über berühmte Männer, in denen er nachwies, dass in deren Verwandtschaft ein Großteil ebenfalls intelligenter Individuen anzutreffen war, was ihn davon überzeugte, dass Genialität vererbbar ist (vgl. ebd., 1910, S. 5). Für seine Theorie teilte er die Menschen in Leistungsfähigkeitsklassen ein, die er anhand der Errungenschaften von Berühmtheiten jeglicher Couleur (Literatur/Politik/Kunst etc.) einschätzte und in ein statistisches Wertesystem brachte. Die Athener stellten für ihn die leistungsfähigste und die „Neger“ eine der leistungsniedrigsten Klassen dar (vgl. ebd., 1910, S. 364f.), was dem damaligen Zeitgeist des Rassismus[3] entspricht, der als ein Vorbote für die Möglichkeit der weiteren eugenischen Entwicklungen gilt.
Galton verschrieb sich der Ansicht, dass die „Schwachen“,
„if they were left to reproduce without constraint, would ultimately regress toward the mean of the initial population. … It seemed that only by selection of the weightier seeds in every generation could a line of heavy seeds be kept heavy.“ (Kevles, 1985, S. 18).
Was Galton hier beschreibt, führt zu der logischen Konsequenz einer nur für auserwählte Menschen angestrebten Fortpflanzung, da der Erhalt einer starken Menschheit anderenfalls nicht gesichert ist. Seine Überlegungen propagierten eine Kontrolle der Fortpflanzung in der Bevölkerung, die von den Menschen freiwillig angenommen werden sollte. „Galton eventually gave up on race improvement through the state regulation of marriage, but he continued to hope that the new religion would foster voluntary eugenic marriage practices.” (ebd., 1985, S. 12) Diane Paul zitiert Galton und vergegenständlicht seine Anschauungen von Eugenik als eine Art von Wissenschaft, die eine Verbesserung der Menschheit durch Züchtung erreicht (vgl. Paul, 1994, S. 144).
So führe beispielsweise eine vermehrte, nicht kontrollierte Fortpflanzung der „Schwachen“ zu einer Fehlentwicklung der Menschheit.
„Es mag furchtbar erscheinen, daß die Schwachen von den Starken zermalmt werden sollen, aber es ist noch viel furchtbarer, daß die Geschlechter, die am tauglichsten sind, … von den Untauglichen, Kränklichen und Verzweifelten majorisiert werden sollen.“ (Galton, 1910, S. 378).
Galton war sich bewusst, dass “so little was reliably known about heredity” (Kevles, 1985, S. 13), was ihn veranlasste, mehr über die menschliche Vererbung herauszufinden. Mittels der Statistik versuchte er zu Aussagen über die Vererbung durch zahlreiche Untersuchungen über die Bevölkerung zu gelangen, denn „He soon realized … that the laws governing heredity, whether of sweet peas [Mendel[4], Anmerkung K.L.] or of men could be treated mathematically, in terms of units of statistical deviation.“ (ebd., 1985, S. 15).
Neben der Begründung der Eugenik ist Galton als Entdecker „der Einmaligkeit von Fingerabdrücken, [als] Erfinder des Korrelationskoeffizienten in der Statistik, [als] Urheber der systematischen Wetterkunde und [als] Begründer der Zwillingsforschung“ (Kühl, 1997, S. 18) in die Geschichte eingegangen. Auch gilt er als der Erfinder der Biometrie. Die Biometrie ist „ein Teilgebiet der Biologie, das sich mit der Messung, Auswertung und Analyse biologischer Befunde befasst.“ (Großes Lexikon, S. 110). Dieser Fakt ist wichtig, denn wie sich im Punkt 4 des II. Kapitels zeigen wird, basiert noch heute ein Großteil der Prognosen, die in der Pränatalen Diagnostik in Bezug auf den Gesundheitszustand des Fötus geleistet werden können, auf statistischen Wahrscheinlichkeiten.
Galtons Wunsch, die Eugenik möge sich zu einer Art Religion etablieren, innerhalb derer die Menschen deren Angebote zum Schutz der Nachkommenschaft vor Krankheiten freiwillig in Anspruch nehmen und nicht eines Zwanges durch den Staat bedürfen[5] sei nochmals hervorgehoben, denn wie noch beschrieben werden wird, sind seine Vorstellungen Jahrzehnte später zur Realität geworden (vgl. Reyer, 2003, S. 185f.).
Den Boden für die eugenische Bewegung bereitete die Geisteshaltung des Sozialdarwinismus mit dem zugrunde liegenden natürlichen Selektionsgedanken angehalten durch Darwins Werk The Origin of Species by Means of Natural Selection or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life (1859). In seinem Werk erklärt Darwin die „Natural Selection“ folgendermassen:
„we [can] doubt (remembering that many more individuals are born than can possibly survive) that individuals having any advantage, however slight, over others, would have the best chance of surviving and of procreating their kind? On the other hand, we may feel sure that any variation in the least degree injurious would be rigidly destroyed. This preservation of favourable...