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Die Exilpolitik der österreichischen Sozialdemokratie 1938 bis 1945

Denkstrukturen, Strategien, Auswirkungen

AutorHans Christian Egger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl226 Seiten
ISBN9783638029797
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Doktorarbeit / Dissertation aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Politik - Sonstige Themen, Note: ausgezeichnet, Universität Wien (Human- und Sozialwissenschaftliche Fakultät ), 187 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Am 12.März 1938 sitzt Joseph Buttinger, alias Gustav Richter, im Zug, der ihn von Wien nach Paris bringen soll. Nach dem fehlgeschlagenen Aufstand der österreichischen Sozialisten war Richter 1935 rasch zum Vorsitzenden des Zentralkomitees der im Untergrund tätigen Revolutionären Sozialisten aufgestiegen, die international als legitime Vertreter der österreichischen Sozialdemokratie gewertet wurden. Es war Richter klar, dass er beim ersten Exiltreffen keinen leichten Stand haben würde. Er hatte seinen Kader ohne Weisungen für eine Weiterführung der Parteiarbeit zurückgelassen, überdies waren ihm nur wenige Spitzenfunktionäre ins Ausland gefolgt. Er konnte allerdings damit rechnen, dass die beiden Spitzenfunktionäre Otto Bauer und Friedrich Adler keine Führungsposition anstrebten. Tatsächlich wurde Buttinger am 1. April 1938 nicht nur Vorsitzender der neugegründeten Auslandsorganisation der österreichischen Sozialisten (AVOES), er brachte auch sein kompromissloses, revolutionäres Programm ohne Gegenstimme durch. Dieses bald umstrittene, jedoch konsequent umgesetzte Programm führte dazu, dass es bei Kriegsende weder eine österreichische Auslandsvertretung noch eine Exilregierung gab. Dieses Faktum sollte die Nachkriegsgeschichte Österreichs entscheidend prägen und das keineswegs zum Nachteil. Es war dadurch Platz für eine von der Sowjetunion ohne Absprache mit den Westalliierten eingesetzte provisorische Regierung unter Karl Renner. Doch die diesem Gremium auferlegten raschen landesweiten Wahlen führten nicht zu der von den Initiatoren erhofften kommunistisch dominierten Volksfront, sondern zu einer Konzentrationsregierung unter der Dominanz bürgerlicher und sozialdemokratischer Kräfte. Dieser Regierung gelang es nun nicht nur eine Teilung des Landes zu verhindern, sondern die Voraussetzungen für den 'Sonderfall Österreich' mit der frühzeitigen Entlassung des Landes in die Freiheit zu schaffen. Auf Basis von bislang unveröffentlichten Sitzungsprotokollen und Dokumenten der AVOES und deren Nachfolgeorganisation können dem Leser die Motive und Handlungsmuster des sozialdemokratischen Exils erstmals zusammenhängend und nachvollziehbar dargestellt werden.

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Leseprobe

3. Die Wurzeln der Exilpolitiker und ihrer Politik


 

3.1. Ein Blick zurück


 

Wer den Wurzeln der ssozialistischen Exilpolitik nachspürt und dabei bis zu den Gründungs­jahren der Bewegung zurückblickt, dem wird unter dem Eindruck widerstrebender Meinungen und unterschiedlicher Strate­gien bald klar, dass es sinnvoll ist, die Parteigeschichte in Zeitabschnitte zu gliedern, die historische Zäsuren darstellen. Dies auch deswegen, weil diese meist auch mit dem Wirkungs­zeitraum dominanter Führungsper­sön­lichkeiten korrelieren. Bei dieser Sicht kommt man zu sechs Zeitabschnitten. Der erste Abschnitt ist die von Viktor Adler und zuletzt auch von Karl Renner geprägte Gründungs- und Aufbauphase. Sie reicht bis in den ersten Weltkrieg hinein und lässt sich –etwas verallgemeinernd- als die Reformistische [39] charakterisieren. Die zweite Phase umfasst die von der Revo­lution in Russland und dem Untergang der Monarchie geprägte Umbruchszeit, die vom Attentat Friedrich Adlers (1916) bis 1919, dem Jahr der Konsolidierung der 1.Republik reicht. Die Leitfigur ist kurzfristig Friedrich Adler, dann Otto Bauer. In der dritten Phase, der Phase des Austro­marxismus, dominiert Otto Bauer die Bewegung allein. Er wird sie von 1920 bis 1934 zu lokalen Höhepunkten wie dem ,Roten Wien’, auf Bundesebene aber in den Niedergang und die Illegalität führen. Die vierte Phase, jene der Partei in der Illegalität unter den Revolutionären Sozialisten wird von Josef Buttinger und Otto Bauer gestaltet. Ihr folgt 1938 jene Exilphase die samt ihren Auswirkungen auf die Phase 6, der Nachkriegs­ent­wicklung, Kernthema dieses Buches ist.

 

3.2. Die reformistischen Gründerväter (1867-1914)


 

-- Ferdinand Lassalle als Geburtshelfer

 

Die österreichische Arbeiterbewegung ist kein Kind der Revolution des Jahres 1848. Auf den Barrikaden Wiens standen zwar auch Arbeiter, doch ihr Handeln war noch nicht vom Klassenbewusstsein, sondern allein vom Wunsch getragen, dem absolutistischen Regime ganz allgemein mehr Bürgerrechte abzutrotzen. Die öster­reichische Arbeiterbewegung ist vielmehr eine Tochter der (reichs) deut­schen Arbeiterbewegung, deren organisatorische und ideolo­gische Führung auf dem Vorsprung der Industrialisierung in Preußen beruhte. Ihre Geburtshelfer in Österreich waren durchwegs deutsche Sozialdemokraten, der Sozialismus den sie predigten war jener von Ferdinand Lassalle.[40] Diese Geburtshelfer dachten nicht nur sozial und inter­national, sie dachten auch national. Dieses Denken in Ethnien entsprang nicht etwa den deutschen Fürstenhöfen, im Gegenteil. Die deutschen Fürsten des 18.Jahr­hunderts standen dem Deutsch­natio­nalismus mit be­trächt­lichem Miss­trauen gegenüber, da er ja mit den eigenen Macht­- und Loyali­täts­­ansprüchen konkurrierte. Auf diesem Misstrauen beruhte auch die Präferenz der nichtpreußischen Fürsten für die Führung des Reiches durch das Haus Habsburg. Man konnte unter Habsburgs Führung sicher sein, dass aus dem multiethnischen Osten des römisch-deutschen Reiches keine großdeutschen Im­pul­se kommen würden. Der deutsche Nationalismus der Neuzeit geht auf keinen Deutschen, sondern auf einen Franzosen zurück, auf Napoleon Bonaparte. Als Führer der Grande Nation zerschlug er das weit mehr an feudalen als an ethnischen Kriterien orientierte [41] Römisch-Deutsche Kaiser­reich. Nicht zuletzt um Habsburg zu schaden förderte der Korse im Zuge seiner imperia­listischen Politik das National­bewusstsein der nichtdeutschen Nationen innerhalb des Reiches, provozierte damit aber auch das Nationalbewusstsein des durch katastrophale Nieder­lagen gedemütigten deutsch­spra­chi­gen Bürgertums.[42]

 

-- Die Stunde der „geschichtslosen Völker“

 

      Im Wiener Kongress gelingt es den Fürsten Europas die nationalistischen Ten­denzen noch einmal zurück zu drängen. Doch die Revolution von 1848, die den Vielvölkerstaat Österreich weit nachhaltiger erschüttert als andere vom Aufstand betroffene Länder, läßt ahnen, dass es 1915 lediglich gelungen war, die Uhr der Weltgeschichte um ein paar Jahre zurückzustellen. Die Notwendigkeit Russland zu Hilfe zu holen, um die eigenen Völker wieder in den Griff zu bekommen macht klar, dass Habsburgs deutsche Führungsrolle auf keiner tragfähigen Machtbasis mehr beruht. Dies wird in der Niederlage des Jahres 1866 zur folgenschweren Gewissheit und führt zur Eliminierung des Landes aus dem Deutschen Bund. Das militärische und außenpolitische Debakel lässt den internen österreichischen Natio­nalitäten­konflikt erneut hell auflo­dern, das Kaiserreich Österreich droht wie 1848 zu zerbrechen. Magya­ren und Slawen hatten sich bislang ja nur deshalb mit der Führungsrolle der deutschen Minderheit im Kaiserreich abgefunden, weil hinter dieser auch die Deutschen des Reiches bzw. des Deut­schen Bundes standen. Nun aber steht die deutsche Minder­heit im Habs­burgerreich für sich allein. Ihrer -von der Staatssprache und der Nationalität eines Gutteils der Beamten und Offiziere  abgesehen- eher fiktiven Führung stehen nun die Gleichbe­rechti­gungs- bzw. Autonomie­ansprüche der anderen Nationen des Reiches gegenüber.

 

       Zunächst sind es nur die Ungarn, die aus dieser neuen Situation Kapital schlagen können. Sie ringen dem isolierten Monarchen mit dem Ausgleich des Jahres 1867 ihre weitgehende Selbständigkeit ab. Die Versuche der tschechischen Volks­gruppe ähnliche Zugeständnisse für die Länder der böhmi­schen Krone zu lukrieren scheitern vordringlich am Widerstand der Ungarn, auch die deutsche Volksgruppe in Böhmen und Mähren wehrt sich im Reichstag mit Obstruktion dagegen, was die Tschechen mit gleicher Münze zurückzahlen.

 

      Was die tschechischen Nationalisten in diesen Jahren beflügelt, ist die Eroberung der bislang vorwiegend deutschsprachigen Städte und deren Bildungseinrichtungen. Die Ursache liegt in der Industrialisierung des kohle­reichen Böhmens, das in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts zum wichtigsten Indu­strie­standort Zisleithaniens aufwächst. Die Industrie lockt hundert­tausende böhmi­sche Bauernsöhne und Bauern­töchter nicht nur in die böhmischen und mährischen Städte, sondern auch nach Wien.[43]

 

-- Deutsch-Österreicher im Abwind

 

Parallel zum Hochgefühl der Magyaren und Slawen [44] steigt die Furcht der abge­werteten deutschen Volksgruppe zwischen den selbst­bewussten, kinderreichen Tschechen sowie den Ungarn, den Polen und den Südslawen zerrieben zu werden. Sie verstärkt sich, als der Monarch, der sich international weiterhin als „erster deutscher Fürst“ gibt, diese Be­fürch­tungen keineswegs durch unter­stützende Taten entkräftet. Im Bestreben, sein berstendes Reich zusam­men­zu­halten und einer slawischen Einheitsfront in Zisleithanien vorzubeugen, präferiert er vielmehr Bündnisse mit den Polen und reaktionären böhmi­schen Adelskreisen, während er zu den Liberalen und damit zum Kern der deutschen Volksgruppe auf Distanz geht. Aus dieser Perzeption von Bedrängnis und Zurücksetzung entwickelt sich der heute generell missverstandene bzw. politisch umgedeutete Deutsch­nationalismus mit seiner typischen Vereins­kultur, seinen Schiller- und Goethedenkmälern und seiner Obstruktion gegen Änderungen der bestehenden Ordnung. Dieser Deutsch­nationalismus weist auch nach 1871 in Summe nur geringe groß- bzw. alldeutsche Tendenzen auf und zeigt sich so gut wie ausschließlich bestrebt, die Rechte der deutschen Volksgruppe wenigstens im Rahmen von Zisleithanien zu wahren.[45] Eine der Magyarisierungs­politik in Transleithanien oder der Polo­ni­sierungspolitik in Galizien vergleichbare Germani­sierungs- bzw. Austri­fi­zie­rungs­politik hat es in der Doppelmonarchie we­der von Regierungsseite noch seitens der Volksgruppe gegeben. Wenn nun österreichische Politologen und Historiker [46] die Schuld am Untergang der Do­nau­monarchie nicht etwa generell mit dem Natio­na­li­täten­problem in Zusam­menhang bringen, sondern überwiegend bis ausschließlich mit der deutschen Volks­gruppe und ihren angeblich fatalen groß- bzw. alldeutschen Ten­denzen,  so muss dies mangels tragfähiger Quellen [47] als ahistorisch bezeichnet werden.

 

-- Arbeiterbewegung und Nationalitätenfrage

 

Mitten im turbulenten politischen Geschehen nach Königgrätz schlägt mit der Dezemberverfassung 1867 auch die Geburtsstunde der Arbeiter­bewegung. In den nun legalisierten Arbeiter-Bildungsvereinen wird sehr engagiert über Wege zur realisier­baren Mitbe­stimmung und Mitgestaltung des öffentlichen Lebens diskutiert, es werden dabei aber auch Hoffnungen und Sehnsüchte geweckt, welche durch die neue Verfassung nicht gedeckt sind. Dazu zählt vor allem das von der deut­schen Schwester­partei geförderte alldeutsche Streben. So richtet bei­spiels­weise Lassalles Nach­folger Jo­hann Baptist von Schweitzer am 1.Jänner 1868 folgendes Manifest an die Arbeiter Wiens: [48]

 

„Die Sachlage ist einfach und klar: Es muss danach gestrebt werden, ein Zusam­men­gehen des...

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