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Die Flucht - Erlebnisse eines Matrosenobergefreiten der Deutschen Kriegsmarine

AutorKurt Grimm
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783752808346
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,49 EUR
Als Teenager meldet sich Kurt Grimm freiwillig zur Deutschen Wehrmacht. Aber nicht, weil ihm der Sinn nach Krieg steht, sondern, weil er weiß, dass sie ihn jedenfalls bald einberufen würden. So kann er sich wenigstens die Waffengattung aussuchen. Kurt geht zur Kriegsmarine und erlebt die Schrecken und den Wahnsinn des Krieges zur See. 1945 entschließt er sich zur Flucht. Er desertiert und verschanzt sich bis Kriegsende. Nach der Kapitulation Nazideutschlands beginnt er seine abenteuerliche Reise von der Ostsee nach Wien, Heim zu seiner Familie. Mit einem alten Fahrrad durchquert er sämtliche Besatzungszonen, entgeht unzählige Male um Haaresbreite der Kriegsgefangenschaft, findet Unterschlupf bei Fremden und Freunde, wo sie niemand erwartet hätte. Kurt schlägt sich durch mit viel Herz, Kreativität und jede Menge Witz. "Die Flucht" ist eine wahre Geschichte, der Bericht eines Zeitzeugen, ein Buch gegen den Krieg und es ist auch der Reisebericht einer Lebensreise.

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Leseprobe

IN DANZIG


In der Danziger Bucht vor Neufahrwasser wurde der Geleitschutz von den Lazarettschiffen abgezogen. Das Geleitboot erhielt vom Hafenkommandanten eine Anlegeerlaubnis und ging längsseits an der befohlenen Pier. Die Haltleinen und Trossen wurden an die Poller festgemacht, zwischen dem Boot und der Pier legte man mehrere Fender, um die Bordwand nicht zu beschädigen – und vier Tage Feindfahrt waren wieder geschafft. Im Hafen fand eine Kriegswache im Vier-Stunden-Turnus nicht mehr statt. Zwei Wachtposten, von denen einer auf dem Oberdeck und einer auf der Pier zu patrouillieren hat, wurden aufgestellt und in zwei Stunden erfolgte ihre Ablösung. Die wachfreie Mannschaft drängte sich abwechselnd in die Duschräume, um ihren angesammelten Schmutz loszuwerden, sprang danach in ihre Ausgehuniform, machte sich pico bello und stenzte an Land.

Die unter den Matratzen der Kojen befindlichen Keilhosen wurden hervorgeholt, sie wurden während der Feindfahrt von den daraufliegenden Kumpels gut gebügelt. Bevor man die dünnen keilförmigen Laubsägeholzbretter, die zum Spannen der Keilhosen dienten, entfernte, bestrich man den Bug mit einer Kleiderbürste und kaltem Kaffee, um einen messerscharfen Bug und eine bessere Haltbarkeit zu erreichen. Eine Keilhose hat nur dann einen hohen Wert, wenn sie die Schuhe voll verdeckt. Selbstverständlich sollte alles äußerst eng anliegen, denn schließlich war man ja jung, gut gebaut und das schwache Geschlecht soll den Körperbau eines Seemannes auch in der Uniform genießen. Zu diesem Zweck nähte man das Hemd, um die Taille mehr hervorzuheben, seitlich noch etwas ein, und das Anziehen war stets eine akrobatische Leistung. Die Schummelfliege beim Knoten wurde mit der Zahnbürste bis zum strahlenden Weiß bearbeitet. Das Hineinschlüpfen in den Kulani (Überzieher) war eine eigene Wissenschaft, denn man musste diesen über den Kopf geschickt nach hinten werfen, um den Exerzierkragen nicht zu verknittern. Während der warmen Jahreszeit blieb der Kulani an Bord im Spind. Aber auch das Aufsetzen der Mütze war wegen der langen Bänder eine Erfahrungssache. In der Mütze befand sich ein Drahtring, ein sogenannter Mützenbügel, der sämtlichen Matrosen ein Dorn im Auge war, weil seine ursprüngliche Form die Mütze steif und unansehnlich machte. Die verkalkten konservativen Offiziere sahen es nicht gerne, wenn die Matrosen ihre Uniform elegant und schmissig gestalteten. Die irrsinnigen Pauker über ein heldenhaftes Soldatentum wollten es, dass die Matrosen wie vertrottelte Heinis mit einem hohen Grad an Kadavergehorsam und stur wie ein Panzer durch die Gegend laufen.

In ihren Augen sollte die Mütze aussehen wie ein Flugzeugträger und die Hose wie ein Ofenrohr. Die meisten Matrosen haben den Mützenbügel entfernt oder dementsprechend geformt, um der Mütze einen schwungvollen Knick zu verleihen.

Wenn vom wachhabenden Bootsmaat der wohlklingende Pfiff von seiner Bootsmannmaatenpfeife ertönte und er nach dem Pfiff rief: »Ausscheiden mit dem Dienst – Klar Deck überall«, dann begann für die wachfreie Mannschaft das große Abenteuer – der Landgang. Um nicht kilometerweit durch die Schichauwerft zu laufen, nahmen die Landurlauber die zum Danziger Krantor fahrende Fähre. Nachmittags ab 17 Uhr war in den Danziger Straßen alles blau, und einige Zivilisten scherzten, indem sie meinten: »Jetzt strömt die blaue Pest an Land.«

Zu jener Zeit war Danzig eine der schönsten, lebhaftesten und fröhlichsten Hafenstädte im deutschen Besatzungsgebiet; und vor allem gab es noch keine Bombenangriffe.

Unweit vom Krantor in einer sehr belebten Hauptverkehrsstraße stand der Tobis-Palast. Er war eine sehenswerte Attraktion und zugleich ein außergewöhnlicher, prächtiger Musikpalast, der in keiner anderen Hafenstadt zu finden war. Gleich nach dem breiten Eingang standen in einer riesigen Vorhalle unzählige schöne Mädels aus Danzig und Umgebung. Im Interesse der Soldatenbetreuung wurde verordnet, dass die im ersten Stock liegende Musikhalle Zivilisten nur in Begleitung von Wehrmachtsangehörigen betreten dürfen. In der noblen Musikhalle spielte eine vierzig Mann starke holländische Tanzkapelle, die mit ihren Darbietungen unübertrefflich war. Sie machte eine stimmungsvolle Schlagermusik, die mehr war als nur ein Ohrenschmaus. In dieser schwungvollen holländischen Band zeigte ein Schlagzeugspieler sein Können, das alles Bisherige turmhoch übertraf. Er war in seinem Fach ein Künstler erster Klasse, und wenn er fast pausenlos mitreißend trommelte, da bebte und schwingte der ganze Saal. Jeder einzelne Holländer war in seinem Fach und mit seinem Instrument ein Meister. Es herrschte eine berauschende wunderbare Stimmung, begleitet von einem tollen Rhythmus, und das Publikum befand sich in einem übermütigen Temperament, in einem lebhaften Remmidemmi. Mitreißend wurde der Tiger Rag laut hinausposaunt und ohrenbetäubend getrommelt, kein Zuhörer konnte dabei stillsitzen, und unweigerlich schwebte und bewegte sich jeder im Takt mit. Außer dieser erstklassigen Kapelle sorgten noch etliche Sängerinnen und Sänger für eine fantastische Stimmung, indem sie beliebte und bekannte Schlagerlieder mit Charme und bestem Können sangen. Der Lieblingsschlager hieß damals »Barcelona«, und dieses Lied musste die Jazzband mehrmals an einem Abend spielen. Das besonders Reizvolle an dieser originellen Kapelle und ihren Sängern war ihre holländisch gefärbte deutsche Aussprache, wodurch ein jedes Schlagerlied in dieser Sprachweise vorgetragen noch romantischer klang als sonst. Wenn der Dirigent ankündigte: »Jetzt spiele wir das smutzige Raubtier«, also den Tiger Rag, und sie sangen dazu: »Who‹s the tiger«, da dröhnte der Saal, dass die Spiegel zitterten und die Kristallluster wackelten.

Obwohl bedauerlicherweise ein Tanzverbot vorgeschrieben wurde, war es dennoch stets enorm lustig und gemütlich. Jedenfalls der To-bis-Palast und seine holländische Meisterkapelle war damals ein einmaliges Erlebnis, eine künstlerische, melodienreiche Darbietung, die man heute in diesem Format und Ausmaß leider nicht mehr wieder findet.

Es war daher verständlich, dass ein jedes Mädel im Vorraum des Musikpalastes eine solche amüsante Schau gerne miterleben wollte, und dadurch war es jedem Soldaten möglich, unter dieser reichlichen Auswahl jenes Mädel als Begleiterin zu wählen, das ihm sympathisch war. Die Mädels waren dafür jedem Soldaten dankbar, wenn er sie zu dieser vergnügten, festlichen Musikveranstaltung mitgenommen hatte. Eine jede Sympathie ruft eine Gegensympathie hervor; und somit hatten sich schon im Vorraum die richtigen Paare gefunden, um gemeinsam dieses tolle Musikvergnügen zu genießen.

Trotz Tanzverbot und alkoholfreier Getränke hatten sich die Mädels und Soldaten köstlich amüsiert und sich lebhaft an den herrlichen, schwungvollen Melodien erfreut.

Es ist erstaunlich, wie fröhlich Menschen sein können, und zwar in Zeiten, die mehr als brutal und menschenunwürdig waren. Man könnte unweigerlich zu der Ansicht kommen: Je schlechter es den Menschen geht, desto freundlicher und hilfsbereiter sind sie.

Obwohl in dieser großen Hafenstadt und Umgebung die einzelnen Waffengattungen ihre bestimmten Lokalitäten hatten, um Streitigkeiten zu vermeiden, war dies im Tobis Palast nicht der Fall, denn hier trafen sich alle Waffengattungen, und niemals gab es unangenehme Auseinandersetzungen. Die Kriegsmarine war freilich in der Überzahl im Tobis Palast, ebenso waren Vorgesetzte und Mannschaften stark vermischt, jedoch diese herrlichen Melodien und das vergnügte Publikum dachte gar nicht daran, diese wunderbare Unterhaltung zu stören. Die holländischen Musiker wirkten durch ihre kolossalen Leistungen wie Opium auf die Zuhörerschaft und führten sie in ein Traumland, das den Krieg in die Vergessenheit drängte. Jeder war entzückt und berauscht zugleich, und dies keineswegs vom Bier, das man dort verkaufte, denn dieses Getränk hatte nur ein bierähnliches Aussehen. Eher zerplatzte die Harnblase, als dass man von diesem Gebräu einen Rausch bekommt. Niemand der anwesenden Gäste hatte den Wunsch, harte Getränke oder genussvolle Speisen zu konsumieren, denn jeder wollte nur für wenige Stunden diesen verfluchten Krieg vergessen und sich amüsieren, was dieser holländischen Band auch einwandfrei und vortrefflich gelang. Die unbeschreibliche Begeisterung und übermütige Stimmung gab jedem Soldaten eine unvergessliche Lebensfreude.

Man saß an runden oder eckigen Tischen, zwischen zwei netten Mädels, liebte, plauderte oder sang fröhlich mit und vergaß dabei das große Elend dieser Zeit.

Nach dieser Festveranstaltung wurden die Mädels nach Hause oder zu den Stationen begleitet, wobei die Liebe niemals zu kurz kam.

Jeder Kumpel hatte seine intimen Liebeserlebnisse; und obwohl das Thema Nummer eins: die Frau – das Hauptthema und der wichtigste Gesprächsstoff war, gab es trotzdem keinen Kumpel, der sich darüber lustig machte und erlebte Liebesabenteuer preisgab. Ein Palavern...

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