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Die Frage nach dem Geschlecht: Hermaphroditismus und Intersexualität

AutorFranziska Brongkoll, Joy Baruna, Julia Heim, Lena Groß, Nicole Memmer, Stefanie Hagen
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl169 Seiten
ISBN9783656923190
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Das Geschlecht eines Menschen ist nicht immer eindeutig. Das ist zwar selten, aber alles Andere als ungewöhnlich oder gar unnatürlich. Auch wenn unsere Gesellschaft das manchmal anders sieht. Tritt Doppelgeschlechtlichkeit beim Menschen auf, spricht man von Intersexualität und bezeichnet die Individuen als Zwitter. Man geht von einer Anomalie aus. Aber: Wie viele Geschlechter gibt es überhaupt; ist die strikte Trennung zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit in unserer Gesellschaft lediglich eine Illusion? Dieser Band liefert einen Überblick über Intersexualität und Pseudohermaphroditismus und zeigt das bisweilen gespaltene Verhältnis unserer Gesellschaft zu Fragen der Geschlechtlichkeit. Aus dem Inhalt: Soziale und kulturelle Konstruktion von Geschlecht Die Frage der Intersexualität Ist Zweigeschlechtlichkeit nur eine Illusion? Hermaphroditismus und Androgynität Mann - Frau - Mensch?

Kontakt: xxfunctionalxx@gmx.de

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Leseprobe

4.     Aufklärung


Im 18.Jahrhundert gab es in der Geschlechterforschung einen ganz wesentlichen Bruch. Thomas Laqueur bezeichnet diesen als Übergang vom „Ein-Geschlecht-Modell“ zum „Zwei-Geschlechter-Modell“. Betrachteten die Gelehrten im Ersteren die Geschlechtsorgane von Männern und Frauen noch als analog zueinander, ging es im „Zwei-Geschlechter-Modell“ vielmehr darum, die fundamentalen Unterschiede zwischen Mann und Frau bzw. deren Genitalien an biologisch beobachtbaren Fakten auszumachen. Damit im Einklang stand die Annahme eines natürlichen und nicht veränderbaren Geschlechterunterschieds (Opitz- Belakhal, 2010: 48).

Diese Veränderung der Betrachtungsweisen hatte zwei essenzielle Gründe. Zum einen hatte dies mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu tun. Die ersten emanzipatorischen Stimmen klangen auf und forderten mehr Partizipation der weiblichen Bevölkerung. Zahlreiche Gelehrte forderten die Gleichheit der Geschlechter: „Genau genommen ist das menschliche Wesen übrigens weder männlich noch weiblich: das unterschiedliche Geschlecht ist nicht dazu da, einen Unterschied in der Ausprägung herauszubilden, sondern es dient lediglich der Fortpflanzung“ (Gournay (1622) in: Voß, 2010: 100). Aber ebenso gab es Ansichten, die sich vollends gegen die Emanzipation wandten, so wurde „die Dame, dies Monstrum europäischer Zivilisation und christlich germanischer Dummheit“ (Honegger, 1991: 54) in manchen Denkansätzen als Grund für das Absinken des Geistes und der Kultur eines Volkes, je höher die Achtung vor der sogenannten Dame steige, angesehen (Honegger, 1991: 53).

Zum anderen hatten aber auch der medizinische Fortschritt und die neuen Untersuchungsmöglichkeiten einen kernhaften Anteil an der veränderten Kontemplation. Laut Schiebinger gab es in dieser Epoche zwei anatomische Revolutionen. Die eine war die Neubewertung der Sexualorgane, worunter auch eine neue Achtung des Uterus fiel, der zuvor viele Jahrhunderte einen schlechten Ruf innehatte. Die andere war die Rolle der Frau bei der Fortpflanzung (Schiebinger, 1993: 254).

Die Aufklärung war geprägt von einem Körper-Geist-Dualismus, der es ermöglichte, „trotz vielfach postulierter gesellschaftlich differenter körperlicher Stärke und Schwäche, die vollkommene gesellschaftliche Gleichstellung von Frau und Mann auf der Basis einer auf Vernunft gebauten Gesellschaftsordnung zu fordern. Gleichzeitig blieben körperliche vergeschlechtliche Differenzen vorausgesetzt“ (Voß, 2010: 113).

 

4.1 Der natürliche Platz der Frau


Ein wichtiges Werk des 18.Jh. stellt „Émile ou de l’Éducation“ von Jean-Jaques Rousseau dar. Es galt als die Vorzeigeliteratur der modernen Pädagogik und gab auch Aufschluss über die Geschlechterkonstruktion und die Erziehung von Frauen. In seinem Verständnis von Erziehung wendet sich Rousseau gegen das Verhängen von Dogmen und Verboten und setzte stattdessen auf die Förderung natürlicher Anlagen, die durch richtige Edukation voll ausgeprägt würden (Voß, 2010: 103). So solle auch die Frau auf ihren ‚natürlichen Platz‘ verwiesen werden (Voß, 2010: 104). Ihre Bestimmung sei es, Kinder zu bekommen (Rousseau und Schmidts, 1991: 390) und, in Verbindung damit, vor allem dem Mann zu gefallen. Sie solle ihre Reize einsetzen, um als passiver und schwacher Part einen Mann zur Zeugung zu finden. Dabei sei es aber nicht notwendig, dass ihr auch der Mann gefällt. „Sein Vorzug liegt in der Kraft; er gefällt allein dadurch, daß [!] er stark ist. […] Das [ist] noch nicht das Gesetz der Liebe […]; aber es ist das Gesetz der Natur, das älter ist als die Liebe selbst“ (Rousseau und Schmidts, 1991: 386). Sie müsse sich dem Mann gänzlich unterordnen und das, obwohl er unvollkommen und „voller Fehler und Laster“ ist. In ihrer Erziehung ist es daher wichtig, sie früh zu lehren, das Unrecht zu erdulden und seine Übergriffe zu ertragen, ohne sich zu beschweren (Rousseau und Schmidts, 1991: 401).

Überspitzt ausgedrückt solle die Frau auf der einen Seite also die Rolle einer passiven, gebärenden Untertanin einnehmen, aber auf der anderen Seite spricht Rousseau ihr auch eine ganze Reihe positiver Eigenschaften zu und gibt ihr sogar Macht über den Mann. Beispielsweise sei sie höflicher als ein Mann und habe besseren Geschmack und Beobachtungsgabe als ein Mann (Voß, 2010: 105). Obwohl sie als das ‚schwächere‘ Geschlecht gilt, hat nur sie die Macht, den Mann glauben zu lassen, er sei stärker und triumphiere über die Frau (Rousseau und Schmidts, 1991: 386). Da es der Frau lediglich schaden würde ihr männliche Eigenschaften anzuerziehen (Rousseau und Schmidts, 1991: 393), mache es keinen Sinn, nach Gleichberechtigung der Geschlechter zu trachten. Wenn Mann und Frau ihre naturbedingten Ziele verfolgen, seien sie in Ihrer Art am vollkommensten, als wenn sie dem jeweils anderen Geschlecht nacheifern (Rousseau und Schmidts, 1991: 386).

Die Schrift Rousseaus war geradezu ein Meilenstein in der Tradition sich gegen Emanzipationsbewegungen von Frauen richtender Theorien, an die zahlreiche männliche, aber auch weibliche Gelehrte des 18., 19. und 20.Jh. anknüpften. Vergeschlechtlichte Differenzierungen wurden als ‚natürlich angelegt‘ postuliert (Voß, 2010: 105).

 

4.2 Präformationstheorien


„Die Anhänger der Präformationstheorie glaubten an die Existenz eines voll entwickelten Mikroorganismus im Ei oder in der Samenzelle“ (Schiebinger, 1993: 256). Anders als in antiken Lehren konnte die Frau in der Präformationstheorie einen eigenen Zeugungsbeitrag leisten.

Innerhalb der Präformationstheorie (17.Jh.) differenzieren sich abermals zwei Gruppen: die Ovisten und die Animalkulisten. Die Ovisten[10] sahen das weibliche Ei als entscheidend bei der Zeugung und waren sich sicher, dass das künftige Individuum bereits als Miniaturversion im Ei enthalten sei. Diese vorgebildete Version müsse nur noch durch den Mann ‚belebt‘ werden (Voß, 2010: 122). Eine entgegengesetzte Anschauung vertraten die Animalkulisten[11]. Zwar waren auch sie sich einer Miniaturversion des Embryos sicher, sahen diese aber vielmehr im männlichen Sperma. Dort hätte Gott sie verborgen, und zwar in so großer Anzahl, dass man damit bis in die Ewigkeit die Art erhalten könne (Schiebinger, 1993: 256). Genau hier lässt sich ein Hauptargument gegen die Sicht der Animalkulisten aufstellen.

Gott [hätte] niemals ein derart verschwenderisches System eingerichtet […], bei dem Millionen präformierter Menschen zu sterben hätten, nur damit einer gelegentlich in einem Ei die Nahrung für sein Heranwachsen würde finden können (Laqueur, 1996: 197–198).

Beide Theorien führten zwangsläufig zu einer Gleichheit des Sexus. So sollten die möglichen Geschlechter entweder in der Frau oder dem Mann vorhanden sein. Würde die Frau nun also nach antikem Vorbild abgewertet werden, beträfe dies auch die in der Frau vorhandenen männlichen Kinder (aus ovistischer Sicht). Würden bei den Animalkulisten weibliche Kinder abgewertet werden, müsste die Ursache für die Abwertung in den männlichen Samen zu suchen sein (Voß, 2010: 123). Daher wurden essenzielle Geschlechterdifferenzen im Sinne einer (Un-)Vollkommenheit innerhalb der Präformationstheorie von vorn- herein ausgeschlossen.

Sie boten allerdings auch die Möglichkeit, anatomische Unterschiede neu zu diskutieren. Die verschiedenen Zeugungsstoffe gingen mit körperlichen Betrachtungen der Genitalien einher und so wurden Differenzen beispielsweise zwischen Vagina und Penis postuliert. „Die Fokussierung auf Komplementarität, die Perfektion, in der ‚Gott‘ Organe zu deren ‚Nützlichkeit‘ ‚geschaffen habe‘ (Voß, 2010: 125) ermöglichte eine Begründung des unterschiedlichen Beckenbaus, der Drüsen in der weiblichen Brust oder größeren Unterleib mit der Gebärmutter.

Dennoch wurde die antike Lehre von der Analogie beider Geschlechter nicht direkt verworfen.

 

4.3 Epigenese


Die Epigenese (17.Jh.) ist eine Zeugungslehre, die den Ursprung der modernen Embryologie (siehe Kapitel 5.1) darstellt. Sie steht im Gegensatz zu den Präformationstheorien (siehe Kapitel 4.2) und besagt, dass für die Ausbildung des Embryos bestimmte Entwicklungs- und Differenzierungsprozesse notwendig sind. Der Begründer der Epigenese war G. Buffon. Er war der Auffassung, dass es einer neuen Theorie bedarf, welche die Ähnlichkeit zwischen dem Kind und den beiden Elternteilen erklärt. Daher gestand er sowohl dem Mann, als auch der Frau einen aktiven und notwendigen Samenbeitrag zu (Schiebinger, 1993: 257). Dieser Beitrag bestünde aus kleinen organischen Teilchen, welche die Grundlage für alle lebenden Körper bilden (Voß, 2010: 126).

C.F. Wolff führte die epigenetische Entwicklung detaillierter aus, indem er behauptete, dass der Organismus (geformte Materie) aus nicht-geformter Materie mithilfe der Entwicklungsprozesse gebildet wird.

J.F. Blumenbach beschrieb, „dass in allen belebten Geschöpfen […] ein besonderer, eingebohrner, Lebenslang thätiger würksamer Trieb liegt, ihre bestimmte Gestalt anfangs anzunehmen, dann zu erhalten, und wenn sie ja zerstört worden, wo möglich wieder herzustellen“ (Voß, 2010: 127).

Wolff und Blumenbach standen sich in ihren Auffassungen in einem Detail gegenüber. Während Wolff eine treibende Kraft für die Entwicklung vorsah, die in allen materiellen Körpern wirke, beschränkte sich Blumenbach bei seinem „Bildungstrieb“ ausschließlich auf lebende Körper. Blumenbachs Theorie fand unter den...

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