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E-Book

Die Frau in mir

Ein Mann wagt ein Experiment

AutorChristian Seidel
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641113421
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Wie viel Frau steckt in einem Mann?
Christian Seidel hat seine klassische Männerrolle satt. Innerhalb eines ungewöhnlichen Experimentes bricht er ein Tabu und schlüpft für ein Jahr in die Rolle einer Frau. Erst spät wird ihm klar, dass der Perspektivwechsel seine komplette Existenz gefährdet. Seine Ehe, seine Freundschaften, seine gesamte Identität. Mit schonungsloser Offenheit erzählt Seidel von tiefgreifenden und schockierenden Erlebnissen während seines Balanceaktes auf den Grenzen zwischen den Geschlechtern. Dabei sieht der einstige Macho nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer in einem völlig neuen Licht. Ein provokanter Aufruf, die gängigen Klischees endlich über Bord zu werfen, und ein wohltuend authentischer Beitrag in der oft theoretisch ausufernden Geschlechterdebatte.

Christian Seidel ist gelernter Schauspieler und Journalist, er besitzt eine Therapieausbildung und studierte asiatische Philosophien. Jahrelang arbeitete er als Berater und Manager für Medienkonzerne wie die KirchGruppe, ProSieben, Sat1 und Persönlichkeiten wie Claudia Schiffer. Zusätzlich war er Produzent von Filmen in London, u.a. mit dem Kultregisseur Nicolas Roeg, und zahlreichen Fernsehformaten für die BBC oder ProSieben. Nach beruflichem Burnout und schwerem Verkehrsunfall begann Christian Seidel sein Leben neu zu definieren und widmet sich seither ganz dem Schreiben. Er lebt heute in München und Italien.

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Leseprobe

1

Verbotenes Wohlgefühl

»Weißt du, was Nachtdüfte sind?«, fragte ich meine Frau.

»Natürlich weiß ich das! Sie stecken in Fläschchen, aus denen ich mir für die Nacht etwas Schönes auf die Haut träufeln kann.«

»Und warum hast du mir noch nie von ihnen erzählt? Was gibt es bei euch Frauen denn noch alles Interessantes, was ich nicht weiß?«

»Was redest du eigentlich die ganze Zeit für komisches Zeug?«

»Ich hab diese Duftfläschchen in der Damenabteilung im Kaufhaus gesehen. Für Männer gibt es so etwas nicht.«

Maria kicherte: »Du warst du in der Damenabteilung? Was wolltest du denn da?«

»Ich finde das alles ziemlich spannend.«

»Wie bitte, was alles? Die Damenabteilung, Nachtdüfte?«

Alles ganz offen erzählen ist das Beste, dachte ich. Besser, als wenn sie die Strümpfe in meinem Schrank entdecken würde. Besser, als wenn sie deswegen denken könnte, ich hätte sie mit einer anderen Frau betrogen. Viel besser, als wenn ich ihr dann erklären müsste, dass es diese andere Frau tatsächlich gab, dass es sich bei ihr aber um mich selbst handelte, ich etwas von einer weiblichen Stimme, der Frau in mir, faseln würde, wobei sie überlegen würde, ob ich verrückt geworden sei. Irgendwann musste ich es ihr sowieso sagen. Warum also nicht jetzt.

Ich sah in Marias Augen. Sie blitzten mich unsicher an. Würde sie jetzt böse werden? Oder könnte sie meine »Beichte« humorvoll und interessiert aufnehmen? Vielleicht würde sie so wunderschön lachen, wie ich es an ihr immer geliebt hatte in all den Jahren. Und ich würde weiter dieses Glücksgefühl empfinden können, mit dieser wunderbaren Frau zusammen sein.

Maria und ich saßen in unserem vietnamesischen Lieblingsrestaurant. Natürlich an dem Tisch beim Aquarium. Das Wasser gurgelte immer so auffällig leise, dass es nicht störte und man es, wann immer man wollte, angenehm wahrnahm. Und wie immer, wenn ich nicht wusste, wie ich etwas sagen sollte, schaute ich dort hinein. Langsam schwebten die Fische durchs Wasser. Und dann wieder ganz schnell. Ohne, dass man es erwartete. Warum stießen sie nie am Glasrand an? Den konnten sie doch unmöglich sehen. Sie hatten solche Probleme nicht.

»Ist dir eigentlich nicht aufgefallen, dass ich in diesem Winter noch keine Bronchitis hatte?«, sagte ich schließlich leise zu Maria.

»Stimmt, toll!«

»Und weißt du warum? Weil ich jetzt Nylonstrümpfe trage! Das wollte ich dir endlich einmal erzählen.«

Jetzt musste sie tatsächlich lachen. Schallend aber, was mir peinlich war und mich verletzte.

Sie warf mit dieser typisch weiblichen Bewegung, die ich so an ihr liebte, ihr blondes Haar zurück. Und da ich das Gefühl hatte, dass sie mich nicht ernst nahm, ließ ich die Katze aus dem Sack. Meine kleine Rache für dieses Lachen.

»Halterlose!«, sagte ich. Sie waren für mich ja kein Witz, diese Strümpfe. Sie waren eine neue Erfahrung. Der Schlüssel zu einer neuen Welt. Um ihr das Ausmaß der Katastrophe wirklich ganz deutlich vor Augen zu führen, griff ich unter den Tisch und zog meine Hosenbeine nach oben: »Du glaubst mir nicht? Doch, schau mal!«

Schwarze Nylons auf zusammengepressten Männerbeinhaaren.

»Was, du trägst Damenwäsche?«, flüsterte Maria fassungslos.

Der Anblick der halterlosen Strümpfe brachte ihre Miene auf eine eigenartige Weise ruckartig zum Stillstand. So wie man schaut, wenn der Glaube im Sturzflug von einem abfällt. Das Vertrauen in etwas, von dem man immer dachte, dass es doch das Selbstverständlichste der Welt sei. Dass ein Mann unerschütterlich und unzerstörbar sein muss. Keine Nylons trägt. So, wie ein Mann eben zu sein hat.

Plötzlich fühlte ich mich schuldig. Ich hatte wohl etwas Gravierendes falsch gemacht. Zu deutlich erzählt, auf die falsche Weise, nicht diplomatisch genug, vielleicht zu viel auf einmal? Dabei hatte ich nichts gestohlen. Ich hatte meine Frau auch nicht betrogen. Nichts Unanständiges getan. Oder etwa doch?

Wir hatten nur einen entspannten Abend haben wollen, waren Arm in Arm durch die Straßen spaziert, zu unserem vietnamesischen Lieblingsrestaurant. Das Essen hatte fabelhaft geschmeckt. Tintenfischsuppe mit Glasnudeln. Knusprige Ente mit Chili. Weiter hinten im Lokal plätscherte auch noch der Miniwasserfall beim Zen-Altar. Alles sehr friedlich. Und jetzt diese bedrückte Stimmung. Wegen eines Paars Nylonstrümpfe.

»Was hast du denn?«, beschwichtigte ich Maria und versuchte es mit Komischsein: »Schau, willst du mal fühlen? Findest du sie nicht perfekt für mich?«

War da ein feuchter Schimmer in Marias Augen? Hektisch rang ich um die richtigen Worte. In dem Moment fühlte ich mich so furchtbar tief unter Wasser.

Wie sollte ich meiner Frau denn um Himmels willen klarmachen, dass das doch gar nichts Schlimmes war, was ich machte. Genau diese Absurdität war es, die mich immer mehr reizte. Sie weckte eine eigenartige Kriegslust in mir. Ganze Streitmächte marschierten plötzlich auf und scharrten mit den Waffen.

»Es ist völlig harmlos, Liebling«, stammelte ich. »Soll ich es dir erzählen? Es hat eigentlich alles ganz zufällig angefangen, ich kann gar nichts dafür …!«

Genau das war es, genau das! Dieses Verbiegen, Verdrehen, dieser Scheißdruck, dachte ich in mir drinnen. Und gleichzeitig sagte diese neue Stimme in mir: »Was soll dieser Quatsch, seit wann musst du dich dafür rechtfertigen, was du anziehst?«

Immerhin bestellte sich Maria noch ein Glas Wein. Sie war nicht sofort aufgestanden und gegangen. Ein gutes Zeichen.

»Aber warum muss es denn ausgerechnet Damenunterwäsche sein, wenn du perverse Erfahrungen machen willst?«, fragte sie mich.

So sehr es mich erleichterte, dass sie dabei an ihrem Wein nippte, so sehr ärgerte mich aber auch ihre Frage.

»Pervers?«, antwortete ich. »Ich will versuchen, dir alles zu erklären.«

»Also, mir ist das zu peinlich«, sagte Maria, »du bist doch ein Mann. Warum trägst du nicht einen Ohrring, so wie es andere eitle Männer machen, oder rote Schuhe? Warum wirfst du dir nicht einen eleganten Schal um?«

Wollte oder konnte sie mich einfach nicht verstehen? Langsam wurde ich wütend. Das hatte ich mir schon gedacht. Dass für all dies kein Mensch auch nur einen Hauch von Verständnis haben würde. Sondern nur ein Universum an Kategorien. »Eitel« und »pervers« hatte sie gesagt. Kaum machte ich etwas, das außerhalb einer Norm lag, stand sofort eine andere bereit, um mich fein säuberlich danach einzustufen. Dieser Schubladenhaufen aus Normen kam mir vor wie eine Niemandszone. In den Schubladen fanden nämlich keine Berührungen mehr statt. Sie waren leblos. Die Menschen wurden in ihnen durch beschriftete Deckel fein säuberlich voneinander getrennt. Befand man sich nicht in einer solchen Zone, bestand die Gefahr, durchs Raster zu fallen. Durch die ganze Gesellschaft. Genauso existenziell fühlte sich die Angst an, die ich in dieser Gesprächssituation empfand. Diese Möglichkeit, alles verlieren zu können. Meine Frau und vielleicht noch viel mehr. Nur weil ich Nylonstrümpfe trug und versuchte, offen dazu zu stehen.

»Ich trage diese Strümpfe, weil mir kalt ist. Keiner sieht sie. Soll ich dir das verschweigen und es heimlich tun?«

Es hatte an jenem Tag begonnen, als ich durch die Damenabteilung eines Kaufhauses streunte. In diesem langen Winter gab es einen besonders unwirtlichen Tag. Er war einer von denen, die einem das Leben in der Übergangszeit zum Frühjahr so unleidlich machen. Wie immer ging ich morgens unten am Fluss spazieren. Eigentlich wollte ich nur aufs Wasser blicken, in Ruhe in den Himmel schauen, stehen bleiben und ganz entspannt den Enten zugucken. Doch irgendetwas ärgerte mich: Ich konnte meine aufsteigende Unzufriedenheit nicht im Zaum halten, über mich selbst und all die Dinge, die mich immer wieder störten in meinem Leben. Die ich so leicht überging und wegschob, anstatt etwas gegen sie zu tun. Sie wirkten so lästig klein und waren viel zu unwichtig, als dass man sich mit ihnen beschäftigen müsste. Und dennoch hatten sie mich im Griff.

Dieses Mal war es der kalte Wind, der mich nervte. Er kroch unter meine Hosen und die Waden hoch. Als ich das bemerkte, musste ich nießen. Schon immer fror ich leicht, und augenblicklich wusste ich: Jetzt ist es so weit. Eine Riesenerkältung bahnt sich an. Wegen dieser Mischtemperaturen, bei denen ich nie wusste, ob es draußen mittelwarm, halbkalt oder eiskalt war, würde ich meinen jährlichen Schnupfen bekommen. Der würde sich in die übliche Bronchitis verwandeln. Die würde ich dann nur noch schwer wegkriegen. Und davon hatte ich die Nase so gestrichen voll. Dieser seit Jahren wiederkehrende Krankheitsverlauf. Einzig und alleine meine Unterkleidung trug daran die Schuld! Das war meine feste Überzeugung. Diese mickrige Auswahl, die Männern angeboten wurde. Ich wollte endlich einmal etwas anderes als diese fetten Unterhosen, die ich im Winter auf Restauranttoiletten mühselig auszog, weil ich in ihnen so schwitzte. Die...

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