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E-Book

Die Freiheitsfalle

Ein Bericht

AutorMathias Döpfner
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783843700924
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wir leben in einer ziemlich heilen, freien Welt. Die Freiheit scheint auf dem Vormarsch zu sein. Der arabische Frühling weckt Hoffnungen. Die Generation Facebook schafft reale Freiheitsbewegungen. Mehr Freiheit schien nie. Und doch ist die Freiheit bedroht. Mathias Döpfner gehört zu den wenigen Managern, die sich regelmäßig an gesellschaftlichen Debatten beteiligen. In »Die Freiheitsfalle« beschäftigt er sich mit der Freiheitsvergessenheit des Westens. Statistiken zeigen: Die Freiheit war in den letzten Jahren weltweit auf dem Rückzug. Am Beispiel von drei Zäsuren - Mauerfall, Nine Eleven und Finanzkrise - analysiert Döpfner Triumphe, Bedrohungen und Exzesse freiheitlicher Gesellschaften. Freiheit muss täglich neu erkämpft, verteidigt und verantwortet werden. Demokratische Gesellschaften tun das nicht entschieden genug. Sie sitzen in der Freiheitsfalle. Neben der Macht der Freiheit in Politik und Wirtschaft betrachtet Döpfner den Geist der Freiheit in Musik, Literatur und Malerei anhand dreier zentraler Werke von Richard Wagner, Thomas Mann und Gustave Courbet. Das Buch schließt mit einer Analyse der digitalen Welt. Das Internet - autoritätskritische Plattform und autoritätsgesteuertes Überwachungsinstrument, Freiheitschance und Freiheitsbedrohung zugleich - ist im doppelten Sinne ein »Netz der Freiheit«. »Die Freiheitsfalle« ist ein politisches und sehr persönliches Buch.

Mathias Döpfner, geboren 1963 in Bonn. Nach dem Studium der Germanistik und Musikwissenschaft begann er seine Karriere 1982 als Musikkritiker der FAZ. Weitere Stationen waren FAZ-Korrespondent in Brüssel, Chefredakteur der Hamburger Morgenpost, später der Welt. Seit 2000 Mitglied des Vorstands der Axel Springer AG, seit 2002 dessen Vorsitzender.

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Leseprobe

I. MEINE FREIHEIT

Nein

Nein.

Nein ist das Wort der Freiheit. Widerspruch ist Selbstbestimmung. »Nein, ich sehe das anders.« Was für ein befreiender Satz! Die Freiheit, Nein sagen zu können, steht im Gegensatz zu der Unfreiheit, Ja sagen zu müssen.

Demokratien sind Neinsager-Gesellschaften. Diktaturen sind Jasager-Gesellschaften.

Kinder sind frei. Deshalb sind sie Neinsager. Je komplizierter, je widersprüchlicher die Lebensverhältnisse, desto größer die Sehnsucht nach einer kindlichen, archaischen Haltung. Kinder sagen, was ist. Kinder stellen die ganz einfachen, die wesentlichen Fragen. So wie der junge Emil Sinclair in Hermann Hesses Entwicklungsroman »Demian« fragt: »Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir herauswollte. Warum war das so schwer?« Weil wir nicht den Mut haben, Nein zu sagen?

Es gibt das störrische Nein: Nein, ich will diese Suppe nicht essen. Oder das mutige Nein: Nein, ich werde meinen Nachbarn nicht an die Stasi verraten.

Als Berthold Beitz im April 1945 in Berlin-Spandau den Befehl erhält, als Schütze eines Exekutionskommandos Deserteure zu erschießen, weigert er sich: »Ich habe ihm (dem Oberfeldwebel) gesagt: Nein. Nein, das mache ich nicht. Ich erschieße nicht einfach so Leute.« Beitz hat nicht nur in diesem Moment Mut bewiesen, er hat während der Kriegsjahre Hunderten von Juden im galizischen Boryslaw das Leben gerettet und dabei das eigene Leben und das seiner Frau und seiner kleinen Tochter riskiert. Was trieb ihn, den späteren Karrieremenschen, in dieser existenziellen Situation so zu handeln? Als ich dem 97-Jährigen im August 2011 in seinem Büro gegenüber der »Villa Hügel« diese Frage stelle, zuckt er mit den Schultern: »Ich habe es als meine Pflicht angesehen. Ich musste helfen.« Am Ende war es also ein intuitiver moralischer Imperativ. Die innere Freiheit zur Entscheidung. Die Freiheit zum Nein. Beitz sagt es ausdrücklich: »Es gibt im Leben Momente, in denen man den Mut haben muss, Nein zu sagen.« Jede Biographie wird von ganz wenigen Augenblicken bestimmt, auf die es wirklich ankommt. Es sind dann fast immer Fragen, auf die es nur eine knappe Antwort gibt: Ja oder Nein. Nein kann heroisch sein. Nein kann Leben retten. Und: Ein Nein kann die eigene Würde wahren.

Das Nein befreit. Zum Wesen der Freiheit gehört der Widerspruch. Vorausgesetzt, er wird nicht zum Selbstzweck. Nein kann auch nur bockig sein. Der Geist, der stets verneint, der Nein-Nörgler und Nihilist ist kein Freiheitskämpfer. Er wagt nicht, er ist nur verbissen oder destruktiv. Er wagt das Nein nicht, er spielt mit dem Nein. Die echte Freiheit zum Nein aber ist immer ein Risiko. Sie kann Verlust bedeuten: Harmonie, den Besitz, das Leben. Wer den Mut zum Nein hat, ist ein Freund der Freiheit; der nickende Befehlsempfänger und der unterwürfige Jasager sind ihre Feinde. Freiheit ist nicht bequem. Freiheit ohne Verantwortung ist keine Freiheit.

Als ich anfing zu schreiben, wollte ich die Freiheit durchsetzen wie ein trotziges Kind seinen Willen. 1983 bot ich als freier Musikkritiker der Frankfurter Allgemeinen einen Artikel über den Reggae-Sänger Peter Tosh an. In meinem nur mäßig gelungenen Text kritisierte ich die Entscheidung der Stadt München, den Auftritt von Peter Tosh zu verbieten, der in seinen Songs den Konsum von Drogen verherrlichte. Drogenverharmlosung fand ich nicht in Ordnung, Auftrittsverbote erst recht nicht. Der diensthabende Redakteur bat mich, diese Sätze herauszustreichen, weil sie die Leser der FAZ irritieren könnten. Man könne das Auftrittsverbot doch gut nachvollziehen. Ich sagte: Nein. Der Artikel erschien, ungekürzt. Für mich, den gerade 20-Jährigen, ein Sieg, wenn auch ein etwas unreifer. Eine Petitesse, die mir damals aber alles bedeutete.

Zweieinhalb Jahrzehnte nach diesem Schlüsselerlebnis – ich war inzwischen Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG – beschwerte sich bei mir ein Leser über einen Leitartikel in der Welt. Mit gutem Grund, wie ich fand, die Meinung des Kommentators hatte mich genauso geärgert wie den Briefschreiber. Ich antwortete: »Sie sprechen mir mit Ihrer Kritik aus dem Herzen. Aber glücklicherweise schreiben in diesem Hause nicht immer alle, was ich für richtig halte.« Rosa Luxemburg hat einfach recht: »Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.«

Freiheit ist autoritätskritisch. Sie erlaubt und fördert den Widerspruch. Freiheit ist die beste Freundin des Nein.

»Imagine«

Ich warte auf Nathan Scharansky.

Die goldene Kuppel des Felsendoms leuchtet am frühen Abend über der Jerusalemer Altstadt wie die untergehende Sonne. Ich sitze unten auf der Terrasse des King David Hotels und beobachte drei Kinder, die sich mit einem Computerspiel beschäftigen. Ein Liebespaar blickt schweigend in den blauen Himmel, der Kellner schreibt eine SMS.

Meine Eltern haben mich zum Pazifisten erzogen. Mein Vater ist gegen Ende des Zweiten Weltkrieges als 16-jähriger Flakhelfer von einem Erschießungskommando an die Wand gestellt worden. Im letzten Moment rettete ihn ein amerikanischer Offizier. Stop it, das ist doch noch ein Kind, muss er gerufen und die Aktion der in Rage geratenen Soldaten abgebrochen haben. In einem Gefangenenlager in Cherbourg an der französischen Atlantikküste verbrachte mein Vater beinahe ein Jahr, er wäre fast verhungert. Ich wurde konsequent antimilitaristisch erzogen. Immer wieder erzählte mein Vater unter Tränen von seinen Erlebnissen. Er lehnte jede Form des Krieges, auch den sogenannten gerechten Krieg, grundsätzlich ab. Es war ein in schwarzen, bitteren Nächten gereiftes Credo, ein biblisches Familiengebot: Gewaltfreiheit steht über allem. Ich halte mich bis heute daran. Auf die Haltung meines Vaters bin ich stolz. Auf die Konsequenzen, die ich daraus gezogen habe, keineswegs. In einen Krieg könnte ich nicht ziehen. Ich schäme mich für diese Einstellung. Denn im Grunde sage ich damit: Andere sollen die Kastanien aus dem Feuer holen.

Da kommt Nathan Scharansky. Er ist nicht sehr groß, so dass es bei meiner Länge immer ein bisschen komisch wirkt, wenn wir uns begrüßen. Wir schütteln die Hände und lachen über uns, das ungleiche Paar.

Nathan Scharansky, von 2001 bis 2003 stellvertretender Regierungschef in Israel, wuchs in der Sowjetunion auf. Er ist Mathematiker und Schachspieler. Einmal besiegte er sogar Garri Kasparow. Er arbeitete für Andrej Sacharow und schloss sich früh der russischen Bürgerrechtsbewegung an. 1977 wurde er wegen »antisowjetischer Agitation und Propaganda« zu insgesamt 13 Jahren Haft und Arbeitslager verurteilt, wovon er neun Jahre im sibirischen Gulag Perm 35 verbrachte. Was er erleben und erdulden musste, übersteigt jede Vorstellungskraft. Unerträgliche Kälte, Einsamkeit, Hunger, Schmerzen. Jeden Tag psychische und physische Torturen: gezielt, grausam, erbarmungslos. Und immer lauerte die Verlockung, dass alles sofort zu Ende und ausgestanden sein könnte, wenn er sich nur zu einer winzigen Kleinigkeit bereit erklären würde.

Scharansky erzählt mir an diesem Abend, dass ihm im Lager immer wieder ein Geschäft angeboten wurde: Man könne ihm die Folter ersparen, ja sogar die Freiheit schenken, wenn er nur bereit sei, ein paar relativierende, entschuldigende Sätze über seine »antisowjetischen Aktivitäten« zu sagen. Ein Satz nur, ein Zitat. Warum hat er es nicht getan? Was gab ihm die Kraft dazu?

Ich wusste, sagt Scharansky, dass ich jeden Tag umgebracht werden konnte. Ich spürte in jedem Moment die Bedrohung. Der Tod war ganz nah. Aber ich wusste auch: Mit einem einzigen Satz würde ich das verlieren, was mich wirklich am Leben gehalten hat: meine innere Freiheit. Die zu verlieren, hat mich am meisten geängstigt.

Der teuflische Deal, den man ihm anbot, war ein Tausch: die geistige Freiheit gegen die körperliche Freiheit, seine Würde gegen sein Leben. Es war ein Machtspiel. Die Supermacht Sowjetunion gegen den kleinen Dissidenten. Scharansky aber verweigerte nicht aus Trotz jeden Kompromiss, sondern weil er wusste: Meinen Körper, mein Leben können sie mir nehmen, jederzeit – meine innere Freiheit, meine Selbstachtung dagegen nie. Das, nur das hat mich damals am Leben erhalten, sagt Scharansky. Für meine innere Freiheit nahm ich den Tod in Kauf.

Und dann sagt Scharansky etwas für mich Unfassbares: John Lennons Song »Imagine« ist ein Antifreiheits-Lied. Ich antworte: Ich verstehe nicht ganz, dieses wunderbare Lied ist doch die Hymne einer ganzen Generation, die sich Frieden, Freiheit und Freizügigkeit auf die Fahnen geschrieben hatte. »Imagine« ist definitiv ein Freiheits-Song. Scharansky hält dagegen: Freizügigkeit ja, Freiheit nein. In Lennons Lied heißt es: Stell dir vor, es gibt nichts, für das es wert ist zu sterben! Für Lennon war das der Wunschtraum. Für mich, sagt Scharansky, ist es der Alptraum. Er sieht in dieser Zeile von Lennon eine gefährliche Form von Kulturrelativismus. Das Ende der Freiheit, eine Kapitulation des selbstbestimmten Lebens vor der schieren biologischen Existenz. Unfreiheit ist Sterben vor dem Tod.

Imagine: Wenn es nichts gäbe, für das es sich lohnte zu sterben, würde es längst kein Israel mehr geben. Imagine: Wenn es nichts gäbe, für das es sich lohnte zu sterben, hätte es keinen Aufstand im Warschauer Ghetto gegeben, der bis heute Millionen von Juden auf der Welt Selbstachtung und Stolz vermittelt. Imagine: Wenn es nichts gäbe, für das es sich lohnte zu sterben, hätte es auch das Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 nicht gegeben, und wenn es Claus...

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