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Die Funktion der Familie im Zusammenspiel von Bildung und Sozialer Ungleichheit

AutorMareike Schmid
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783640623037
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Pädagogik - Pädagogische Soziologie, Note: 2, Philipps-Universität Marburg (Fachbereich Erziehungswissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: In der gesellschaftlichen Öffentlichkeit sowie der (bspw. erziehungswissenschaftlichen bzw. soziologischen) Fachwelt wird immer wieder die Frage diskutiert, von welchen Faktoren der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen abhängig sei und wie die Chancen von Heranwachsenden auf eine erfolgreiche Bildung verbessert und optimiert werden können sowie welchen Stellenwert die Familie dabei hat. Im Rahmen meiner Diplomarbeit möchte ich mich nun diesem Thema widmen und mich kritisch mit folgender Fragestellung auseinandersetzen: Inwieweit beeinflusst die Herkunftsfamilie den Bildungserwerb von Kindern und Jugendlichen?

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Leseprobe

4 Die Familie im Wandel

 

Nachdem ich bereits einige verschiedene Definitionen zum aktuellen Begriff der Familie vorgestellt habe, möchte ich nun in diesem Kapitel verdeutlichen, warum es zu verschiedenen Definitionen von Familie kommen kann und wie sich diese Bedeutung im Laufe der Zeit verändert hat. Die Familie ist keinesfalls ein starres und unveränderbares Konstrukt, sondern sie unterliegt ständigen Veränderungen, dem historischen wie auch dem sozialen Wandel[22].

 

Die Familie als Institution hat in der Zeit von der Vorindustriellen bis zur Postmoderne eine Entwicklung durchlaufen, die sich nicht ausschließlich auf Struktur und Form bezieht, sondern v. a. auch in Bezug auf die gesellschaftlichen Ideale und Ansprüche an eine Familie zu sehen ist. Diese Entwicklung wird an die gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst und vollzieht sich auf zwei Ebenen, der historischen und der sozialen. Um zu verstehen in welcher Situation sich die Familie in der aktuellen Gesellschaft befindet und welche Auswirkungen dies auf Kinder und Jugendliche hat, werde ich zunächst die historische Entwicklung nachzeichnen, bevor ich auf den sozialen Wandel der Familie und einzelner Familienformen eingehen werde.

 

4.1 Die Familie im historischen Wandel

 

Um über die aktuelle Situation der Familie in Deutschland sprechen zu können, muss die Entwicklung berücksichtigt werden, welche die Familie in der Nachkriegszeit durchlaufen hat. Der oft beklagte Zerfall der Familie geht wohl von der „Normalfamilie“, zwei Elternteile (davon mind. eine/r berufstätig) sowie mind. ein Kind unter 18 Jahren aus. Dieses Idealbild herrscht immer noch vor, Abweichungen werden zunächst kritisch beäugt und auf eventuelle negative Auswirkungen auf die einzelnen Familienmitglieder untersucht. In den 1950er und -60er Jahren war diese Form der Normalfamilie am stärksten ausgeprägt und die vorherrschende Familienform[23], so dass im Jahr 1950 76% aller Frauen mit minderjährigen Kindern Hausfrauen waren[24].

 

Während der Industrialisierung waren in Deutschland deutlich mehr akzeptierte verschiedene Familienformen zu finden, als im Deutschland der 1960er Jahre. Die zur Zeit der Industrialisierung bestehende enge Verknüpfung von Familie und Produktion lässt sich besonders deutlich an der Sozialform des ganzen Hauses[25] im handwerklichen und bäuerlichen Bereich erkennen, die verschiedene Funktionen erfüllte, wie z.B. Produktion, Sozialisation oder Alters- und Gesundheitsvorsorge. In dieser Lebensform hatte die Produktion die größere Bedeutung, oder anders formuliert, das Familienleben hatte viele ökonomische Aspekte. Beispiele sind hier die Wahl des Ehepartners nach ökonomischen Gesichtspunkten oder die potentielle Arbeitskraft der Kinder. Im ganzen Haus spielten die Emotionen nur eine untergeordnete Rolle[26].

 

Erst nach der fortschreitenden Trennung von Arbeits- und Privatleben verlor die Sozialform des ganzen Hauses an Bedeutung, Frauen und Kinder mussten nicht mehr der Erwerbsarbeit nachgehen, die Familie wurde privat. Außerdem erfolgte auch eine räumliche Trennung des Arbeits- und Familienbereiches. Die Familien, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügten, zogen an den Stadtrand, weg von Büros und Produktionsstätten[27].

 

Diese Lebensform, die wir heute als Normalfamilie verstehen, entwickelte sich zunächst im Bürgertum; mit folgenden Kennzeichen: Kinder und Frauen gingen nicht mehr der Erwerbsarbeit nach, dadurch kam dem Mann die Rolle des Ernährers zu und die Geschlechterrollen wurden gefestigt; zur Aufgabe der Frau wurde die Kindererziehung, da Kindheit nun als solche anerkannt wurde und Kinder nicht mehr als kleine Erwachsene behandelt wurden; der Grund für eine Ehe war ab diesem Zeitpunkt zunehmend die Liebe[28] und nicht mehr ausschließlich die Mitgift der Braut oder andere ökonomische Vorteile. Die Liebesheirat wird ein großes Thema in der romantischen Literatur, bis sie sich schließlich auch in der Gesellschaft als Beziehungsnorm durchsetzt.

 

Die Auffassung, dass die Kindheit eine eigenständige Lebensphase sei, der besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, veränderte das Erziehungsverhalten nachhaltig. Bisher erfolgte die Sozialisation der Kinder nebenbei, sie lernten dadurch, dass sie bei allem was in der Familie und der Produktion geschah, anwesend waren. Da in der „neuen“ Kleinfamilie die Mutter keiner Erwerbsarbeit mehr nachgehen musste, konnte sie sich einer neuen Aufgabe, der Kindererziehung, widmen. Mit der (nun zugelassenen) zunehmenden Intensität der Gefühle den eigenen Kindern gegenüber wurde die Aufgabe der frühen Sozialisation immer deutlicher eine Aufgabe der Kernfamilie und die Betreuung der Kinder wurde nicht mehr von Großeltern oder Bediensteten übernommen. Diese neuentstandene Familie, in der die Grundlage der Beziehung der Eltern (im Idealfall) die Liebe war und auch die Eltern eine intensive Beziehung zu ihren Kindern aufbauten, bezeichnet man auch als Gatten- Familie[29].

 

Trotz der Orientierung am bürgerlichen Familienideal gelingt die Umsetzung dieser Lebensform nur Wenigen[30], da v. a. in Arbeiterfamilien die ökonomischen Verhältnisse eine andere Lebensweise[31] notwendig machen.

 

Die endgültige Durchsetzung der bürgerlichen Kleinfamilie erfolgte in den 1950er und 1960er Jahren, begründet durch Wirtschaftswunder, Aufschwung, insgesamt verbesserte Lebensbedingungen sowie auch den Beitrag von Kirchen[32] und Parteien.  Die Abweichung von der Normalfamilie als Lebensform war zunächst nicht akzeptiert oder anerkannt; das gravierendste Beispiel ist hier wohl die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft, deren öffentliche Akzeptanz sich erst in den vergangenen Jahren durchsetzte, beginnend mit der rechtlichen Anerkennung der „eingetragenen Partnerschaft“.

 

Die Kleinfamilie erfüllt jetzt andere Funktionen als die überholte Produktions- und Lebensgemeinschaft. Innerhalb der Familie spielen heute Werte wie Nähe, Geborgenheit, Vertrauen und Intimität die größte Rolle, sie bildet den Gegenpol zur Arbeitswelt. Mit dieser Trennung von Arbeitsleben und Privatleben vollzog sich auch eine deutliche Trennung der Geschlechter, die Frau wird dem privaten, häuslichen Bereich zugeordnet und der Mann verfolgt weiterhin seine Ernährer-Funktion in der Arbeitswelt.  Ein-Eltern-Familien, also i.d.R. alleinerziehende Mütter, waren keine vollständigen Familien, ihnen fehlte ein (Eltern-)Teil. In Familien mit beiden Elternteilen bildeten häufig Mutter und Kinder eine Einheit, die Mutter war Vermittlerin zwischen Vater und Kindern[33].

 

In der ehemaligen DDR vollzog sich Familienentwicklung ähnlich, wenn auch die Geschlechterrollen nicht in dem Maße wie in der BRD differenziert wurden[34].

 

4.2 Familie(nformen) im sozialen Wandel – Die Individualisierungsthese

 

Neben dem historischen Wandel der Familie muss auch der soziale Wandel der Familie beschrieben werden, der mit Hilfe verschiedener theoretischer Erklärungsansätze dargestellt werden soll.

 

Die aktuelle Gesellschaft befindet sich im Wandel von der kapitalistischen Klassengesellschaft bzw. klassischen Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, die auch von BECK als Risikogesellschaft bezeichnet wird. Dieser Wandel verstärkte sich Mitte der 1960er Jahre; den bisher häufig aufgegriffenen Erklärungsansatz hierfür bietet BECK mit seiner Individualisierungsthese. Mit der Individualisierung von Familienformen ging auch die Individualisierung der geschlechtsspezifischen Lebensläufe einher, die sich allerdings nicht gleichzeitig, sondern zeitlich versetzt entwickelten. So veränderte sich der Lebenslauf der Männer besonders stark im Zuge der Industrialisierung, während sich der typische Lebenslauf der Frauen erst in der Nachkriegszeit veränderte; man kann von zwei „Individualisierungsschüben“ sprechen.[35]

 

In der neuen Modernen droht die Enttraditionalisierung und der Verlust der bisher existierenden Werte. Durch die fortschreitende Individualisierung (auch der Lebensformen) und Pluralisierung der Gesellschaft fallen bisher traditionelle Werte und Normen als Orientierung weg. Gleichzeitig bieten sich nun für die Menschen deutlich mehr Möglichkeiten und Entscheidungsspielräume, den eigenen Lebenslauf individuell zu gestalten und eine andere Lebensform als die traditionelle Kleinfamilie zu wählen. Es wird dennoch deutlich schwieriger, Möglichkeiten der Orientierung zu erkennen und zu verfolgen[36], da sich eine fast unüberschaubare Fülle an Werten entwickelt, abhängig von vielen weiteren Faktoren. Damit geht für viele Menschen ein gewisser Verlust der Sicherheit einher, hier wird von der „Kultur des Zweifels“ gesprochen[37].  

 

Kinder und Jugendliche orientieren sich zunächst an ihrer Kernfamilie, deren Werte sie durch Sozialisation vermittelt bekommen, später vermischen sich diese Werte häufig mit denen des weiteren (sozialen) Umfelds.

 

Weniger Kleinfamilien, dafür viele verschiedene...

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