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Die Fußball-WM 2006 in Deutschland und die Spiele im augusteischen Rom im Vergleich

'Brot und Spiele' damals und heute

AutorMartin Ermert
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl89 Seiten
ISBN9783638800440
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Politik - Politische Systeme - Allgemeines und Vergleiche, Note: 2,0, Universität Leipzig, 115 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Auf den ersten Blick mag die Themenwahl der vorliegenden Magisterarbeit etwas erstaunen. Wie kann man so unterschiedliche Ereignisse wie die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 und die Spiele im augusteischen Rom sinnvoll miteinander vergleichen? Selbstverständlich handelt es sich hier um zwei vollkommen unterschiedliche Geschehen, die auf den ersten Blick aufgrund der Verschiedenheit der politischen Systeme, ja der gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen weder vereinbar noch vergleichbar erscheinen. Doch die These von 'Brot und Spielen', entstanden in der Römischen Antike, wurde insbesondere im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 oft rezitiert. 'Brot und Spiele' bezeichnet hier Versuche der Staatsmacht, das Volk durch Nahrungsmittelversorgung und sportliche Großereignisse von politischen Sachverhalten abzulenken bzw. fernzuhalten. Diese These wird mit Konzentration auf die Spiele im augusteischen Rom und die Fußball-WM 2006 in dieser Arbeit untersucht. Die Spiele bilden hier ein willkommenes Vergleichsthema, da sich über zwei Jahrtausende hinweg die Begeisterungsfähigkeit der Gesellschaft und das Interesse der Machthaber an sportlichen Ereignissen gehalten hat. Das Thema verlangt einen interdisziplinären Ansatz, da neben der Politikwissenschaft auch sportwissenschaftliche, ökonomische, soziologische und historische Aspekte berührt werden. In Bezug auf die WM 2006 spielen auch die Medienwissenschaften eine große Rolle, da Publikumssport heute in erster Linie Mediensport ist. Das augusteische Rom wurde als abgegrenzter Zeitraum gewählt, da es sich um eine Zeit der relativen politischen Stabilität durch das Ende der Römischen Bürgerkriege handelt und die literarische Quellenlage bezüglich des Sports recht umfangreich ist. Zudem hat sich das euergetische System zum Zeitpunkt des Beginns der römischen Kaiserzeit vollständig ausgeprägt. Der Euergetismus beschreibt das Phänomen, dass Privatleute zugunsten des Gemeinwohls finanzielle Leistungen erbrachten, die sich in unterschiedlichen Formen äußerten. Er eignet sich als Gegenstand der Untersuchung, da die Veranstaltung der Spiele einen wesentlichen Teil des euergetischen Systems darstellen. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Berechtigung der 'Brot-und-Spiele-These'...

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Leseprobe

3.  „Brot und Spiele“ als Teil des euergetischen Systems

 

Euergesien konnten sich in verschiedener Gestalt äußern. Neben Tempeln, Aquädukten oder anderen öffentlichen Bauwerken wurden auch Geld- oder Getreidespenden sowie sportliche Massenveranstaltungen von den Euergeten finanziert. Die beiden letztgenannten Schenkungsformen waren für den römischen Satiriker Juvenal Anlass zur Kritik am Volk und indirekt am Spiele-Ausrichter.

 

„[...] Längst schon, seitdem wir unsere Stimmen niemandem mehr verkaufen, hat es [das Volk] jedes Interesse von sich geworfen; denn einst verlieh es Befehlsgewalt, Rutenbündel, Legionen, alles sonst, jetzt hält es sich zurück und wünscht ängstlich nur zwei Dinge, Brot und Circusspiele.“[51]

 

Das Verkaufen der Stimme bezog sich dabei vor allem auf die Republik, in der es einen Stimmenkauf bei den jährlichen Wahlen der Beamten gab.[52]  Dieser Ämterkauf wurde als politische Partizipation des Volkes verstanden. Die Übertragung dieser Wahl an den Senat ist für Juvenal der entscheidende Einschnitt, der zum Desinteresse des Volkes an der Politik führte.

 

Auf die Kritik an der politischen Macht stößt man in Juvenals Satiren bereits vorher.

 

„Mit ständigem Lachen pflegte Demokrit seine Lungen zu erschüttern, obgleich es in den Städten noch nicht die purpurgesäumte und die purpurgestreifte Toga, die Rutenbündel, die Sänfte, das Tribunal gab. Was erst, wenn er den Praetor gesehen hätte, wie er auf hohem Wagen steht, emporgehoben in der Mitte des staubigen Zirkus, in der Tunica Juppiters und von den Schultern herab den tyrischen Vorhang der bestickten Toga tragend und des großen Kranzes so gewaltiges Rund, daß ihm kein Nacken gewachsen ist?“[53]

 

Die Figur Demokrit ist hier der weise Beobachter, der die Insignien der römischen Amtsträger und Ehrenzeichen des Ritterstandes verspottet.

 

„Die vom Praetor angeführte prunkvolle pompa circensis wird in ihrer ganzen Scheinhaftigkeit und Lächerlichkeit vorgeführt.“[54]

 

Dieser Kontext ist in Bezug aufs „panem et circenses“ unverzichtbar. Denn erst die Gegenüberstellung des sich inszenierenden, lächerlich machenden Prätors und dem - in Abgrenzung zum weisen Demokrit - „dummen“ Volk, dass diese Inszenierung auch noch honorierte, verdeutlicht das Zusammenspiel von Spiele-Geber und Spiele-Seher. In stummer Übereinstimmung spielten beide ihre Rolle.

 

Juvenals Vorwurf ist bis heute oft aufgegriffen und interpretiert worden, so dass sein „Brot und Spiele“ inzwischen einen gewissen Deutungswandel vollzogen hat. Ging es bei Juvenal vornehmlich um die passive Rolle des Volkes, wird der Ausspruch heute vor allem auf die politische Herrschaft bezogen. Diese setze „Brot und Soiele“ zur „Entpolitisierung“ des Volkes ein, indem es dem Volk zu essen und  Unterhaltung gibt, um selbst die politische Macht zu behalten und auszubauen.

 

Diese Vermutung soll im Folgenden mit Fokussierung auf die Spiele genauer untersucht werden.[55] Dazu wird zunächst das Volk eingegrenzt und die Macht des princeps betrachtet. Anschließend wird das Verhältnis von Augustus zu den Spielen untersucht. Die Spiele wurden sowohl für Augustus’ „Unterhaltungspolitik“ als auch für  politische Mitbestimmungsversuche des Volkes genutzt. Durch deren Gegenüberstellung soll abschließend untersucht werden, ob „Brot und Spiele“ als bewusste Herrschaftsinstrumente tatsächlich zur „Entpolitisierung“ des Volkes geführt haben.

 

3.1.  Das Volk im augusteischen Rom

 

In Rom existierte eine politisch weitgehend einflusslose Schicht. Diese bestand zunächst aus Bauern, die während der Bürgerkriege als Soldaten gedient hatten und anschließend verarmt in der Stadt Beschäftigung suchten. Die Landflucht wurde durch die begüterten Großgrundbesitzer verstärkt, deren Ländereien von Sklaven bewirtschaftet wurden und so den Kleinbauern im Wettbewerb keine Chance ließ. Neben den verarmten Bauern bildeten die Freigelassenen und die Sklaven in der ausgehenden Republik in Rom eine gewaltige Unterschicht.[56] Dabei gehörten nur Teile dieser Unterschicht der plebs urbana an.

 

Signifikante Merkmale eines Zugehörigen zur plebs urbana waren die persönliche Freiheit und das römische Bürgerrecht. Kühnert zählt zur plebs urbana diejenigen, die der romspezifischen Institution der Comitien zugehörten und die in den Genuss kostenloser oder vergünstigter Getreidelieferungen kamen, kurz: „denen es möglich war, in Rom an den Comitien und den Frumentationen teilzunehmen."[57] Als Spendenberechtigter war man in einen der insgesamt 35 tribus eingeschrieben, aber

 

„da die 35 Tribus identisch waren mit der plebs frumentaria, wurde das frumentum publicum geradezu zum Symbol des römischen Bürgerrechts. Das bedeutet aber zugleich, daß die plebs frumentaria innerhalb der stadtrömischen Bevölkerung [...] eine privilegierte Schicht gebildet hat."[58]

 

So waren Sklaven, Fremde sowie Frauen und Kinder nicht Teil der plebs urbana. Den Sklaven fehlte die persönliche Freiheit. Fremde, Frauen und Kinder unter elf Jahren besaßen nicht das römische Bürgerrecht.

 

Die Herausbildung der Stände war für das frühe Prinzipat charakteristisch, wenn auch von ordines im eigentlichen, d.h. spezifisch juristischen Sinn nur in Bezug auf die Senatoren und Ritter gesprochen wird. Der princeps, die Senatoren (ordo senatorius) und die Ritter (ordo equester) gehörten aufgrund ihrer Privilegien ebenfalls nicht zur plebs.

 

3.2.  Die Position und Machtbefugnisse des princeps

 

Die politische Gewalt lag einzig und allein bei Augustus. In den Res gestae schildert er, dass im Jahr 23 v. Chr.

 

„durch Gesetz verfügt [wurde], dass ich für immer unverletzlich sein solle und mir, solange ich lebe, die Befugnisse der Volkstribunen zukämen."[59]

 

Hier ist eine wichtige Unterscheidung zu treffen: Er war kein Tribun, sondern hatte lediglich dessen Befugnisse (tribunicia potestas). Dies ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da er sich so dem Vorwurf der Ämterhäufung entzog - er war gleichzeitig Imperator[60] -, was schon zu Republikzeiten als äußerst verwerflich galt. Zudem konnte ein Magistrat vorgeschlagene Maßnahmen eines Amtskollegen durch seine Interzession verhindern. Der Volkstribun hingegen durfte ausnahmslos alle Maßnahmen der Magistraten verbieten, die dessen Vorschläge jedoch nicht verhindern konnten. Dennoch hatten sie theoretisch das Recht, gegen eine Maßnahme zu votieren. Da Augustus nun aber nicht Amtsträger im eigentlichen Sinne war, konnte einerseits keiner seine Maßnahmen ablehnen, er aber dank seiner Befugnisse eingreifen, falls ein anderer Magistrat ihm nicht genehme Maßnahmen hätte durchsetzen wollen.

 

Bei allem bezog er sich auf alte Traditionen, denn „der Reiz lag für ihn in der historischen Rolle des Tribuns als Vorkämpfer des gemeinen Volks."[61] Die Unverletzlichkeit (sacrosanctitas) des Tribuns schützte ihn vor Übergriffen der anderen Magistraten. Bei der Ausübung seiner Machtbefugnisse bemühte sich Augustus stets um Volksnähe, auch wenn er aufgrund seiner umfassenden Machtfülle das Volk für seine Entscheidungen nicht benötigte. Im Gegenteil: Das Volk war de facto vom Entscheidungsapparat ausgeschlossen. Zwar legte Augustus 23 v. Chr. sein Konsulat nieder, aber nur vier Jahre später erlangte er die konsularen Rechte zurück und konnte als Wahlleiter

 

„sowohl Kandidaten für die einzelnen Magistraturen annehmen als auch Bewerber ablehnen sowie die Wahlen selbst durch direkte Empfehlungen beeinflussen."[62]

 

Durch diese „rechtlich zwar nicht bindende, aber faktisch doch kaum zu ignorierende commendatio des Prinzeps“[63] sicherte sich Augustus einen entscheidenden Einfluss auf die Wahlen.

 

Gänzlich zur Farce wurden die Wahlen 5 n. Chr. durch die Einführung von Destinationszenturien, Ausschüsse, die aus Rittern und Senatoren bestanden, welche die Wahlkandidaten bestimmten. De iure hatten der ordo senatorius und der ordo equester nun entscheidenden politischen Handlungsspielraum, allerdings bestimmte Augustus die Mitglieder der Destinationszenturien, so dass de facto sichergestellt war, dass nur ihm genehme Honoratioren gewählt wurden. Diese „Wahlmanipulation“ gipfelte 7 n. Chr. darin, dass Augustus pro Wahlstelle nur noch einen Bewerber zuließ.

 

In der Summe ergab sich so eine Machtkonzentration auf der Position des Kaisers Augustus:

 

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