Die Begrifflichkeit der „koordinativen Fähigkeiten“ stellt in der Sportwissenschaft keinen fest abgegrenzten oder gar überall einheitlich verstandenen Bereich dar. Nach Wollny (2012, S. 58) wie auch nach Hottenrott und Neumann (2010, S. 202) ist man sich in der Bewegungswissenschaft des Sports darüber einig, dass der Kenntnisstand im Bereich der koordinativen Fähigkeiten zum aktuellen Zeitpunkt einem „inkompletten Mosaik“ vergleichbar erscheint. Einige der Bereiche der koordinativen Fähigkeiten sind im Gegensatz zu den konditionellen Fähigkeiten – wie Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit – noch lückenhaft und gelten gleichermaßen als wenig wissenschaftlich abgesichert oder geprüft. Trotz dieser Problematik setzen viele Trainer und Sportler auf koordinative Trainingsinhalte und greifen dabei auf Alltagswissen, Beobachtungen und allgemein positive Rückmeldungen zurück. Rein wissenschaftlich gesehen sind jedoch immer noch viele Fragen zu diesem Gebiet offen: Sie bieten die Grundlage für kontroverse Diskussionen (vgl. Wollny 2012, S. 233). Auch wenn der Bereich der koordinativen Fähigkeiten teilweise noch nicht wissenschaftlich erarbeitet oder durch Theorien abgedeckt ist, so lässt sich doch mit ziemlicher Sicherheit folgendes feststellen: Für die allgemeine motorische Leistungsfähigkeit und Disponibilität, wie auch für die Schaffung einer vielseitigen koordinativ-motorischen Basis und der Ermöglichung einer umfassenden sportlichen Grundausbildung haben die koordinativen Fähigkeiten eine zentrale und immens wichtige Bedeutung (vgl. Schnabel, Harre, Krug & Borde 2005, S. 129). Nicht zuletzt sind sie es, die vielleicht auch einen großen Anteil an der Leistungsoptimierung und der allgemeinen Verletzungsprävention im Fußball haben könnten.
2.1 Begriffsbestimmung und Bedeutung
Was genau ist Koordination und was sind koordinative Fähigkeiten? Wie bereits gesagt, sind diese Fragen wissenschaftlich weder eindeutig beantwortet, noch von einer einheitlichen und anerkannten Sichtweise gekennzeichnet. Stattdessen existieren viele verschiedene Meinungen zu diesem Themengebiet, von denen einige wichtige hier vorgestellt werden sollen. Geschichtlich gesehen haben die koordinativen Fähigkeiten eine wechselvolle und teilweise auch widersprüchliche Entwicklung durchlaufen (vgl. Schnabel, Harre & Krug 2011, S. 135). Bis in die 1990er Jahre sprach man in der Sportwissenschaft zumeist von einer koordinativ bedingten Bewegungseigenschaft, der sogenannten „Gewandtheit“. Unter Gewandtheit wurde allseits die Fähigkeit der schnellen und zweckmäßigen Lösung von komplexen motorischen Aufgaben verstanden. Es handelte sich also um eine Art Fähigkeit, sich aus jeder beliebig wechselnden Spielsituation einen bewegten Ausweg zu verschaffen (vgl. Meinel, Schnabel 2007, S. 212). Ebenso dazu gehörte die Fähigkeit, sportliche Bewegungsabläufe relativ schnell und sicher zu erlernen. Im heutigen Alltagsgebrauch wie auch als wissenschaftlicher Terminus hat sich der Begriff der Koordination durchgesetzt. Ihn definieren Hottenrott und Neumann (2010, S. 202) ganz grundsätzlich als „das Zusammenwirken von Zentralnervensystem und Skelettmuskulatur innerhalb eines gezielten Bewegungsablaufs“. Häfelinger und Schuba (2013, S. 16) ergänzen diese Definition um den Zusatz, dass dabei das Zentralnervensystem als Steuerungsorgan und die Skelettmuskulatur als Ausführungsorgan begriffen werden kann. Koordination beinhaltet somit alle Prozesse der Bewegungskontrolle und macht jede Bewegung zu einer Einheit. Dieser Gedankengang lässt sich auch bei Bernstein (1975, S. 77) finden, der Koordination als jene Fähigkeit beschreibt, die der Bewegung ihre strukturelle Einheit und damit ihren ganzheitlichen Charakter verleiht und sichert. Damit werden die grundlegende Bedeutung und die Basisrolle, die der Koordination und den koordinativen Fähigkeiten zukommt, sehr deutlich. Statt sie als spezielle Erweiterung im Trainingsprozess zu verstehen, sollte die Koordinationsfähigkeit viel eher in den Komplex der motorischen Basisfähigkeiten eingeordnet werden. Sie hat eine Voraus-setzungsfunktion für die Entwicklung von Kraftfähigkeiten, Schnelligkeit und Ausdauer-fähigkeiten und bildet die Grundlage für jedes sportmotorische Lernen (vgl. Hottenrott, Neumann 2010, S. 203). So liefern die Autoren Hottenrott und Neumann noch die folgende, wesentlich umfangreichere Definition zum Begriff der koordinativen Fähigkeiten:
„Die koordinativen Fähigkeiten sind ein eigenständiger Bestandteil der motorischen Basisfähigkeiten und äußern sich im Prozess der Informationsaufnahme (Sensorik), Informationsverarbeitung und -speicherung sowie der Informationsumsetzung (Sensomotorik). Im Sport repräsentieren sie technikübergreifende Leistungs-voraussetzungen und haben unmittelbaren Einfluss auf die Ausprägung von Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Ausdauer.“ (Hottenrott, Neumann 2010, 203)
Ohne koordinative Fähigkeiten können demnach kaum Fortschritte auf den genannten konditionellen Gebieten realisiert werden. Neben diesem stellt die These der Arbeit einen weiteren Zusammenhang auf, indem sie in der Ausbildung von verbesserten koordinativen Fähigkeiten die Möglichkeit zur Verletzungsprävention im Bereich des Fußgelenkes sieht. Eine Steigerung der Koordinationsfähigkeiten könnte im Zuge eines sensomotorischen Aufwärmprogramms mit den terrasensa® Reliefbodenplatten erreicht werden. Die Richtigkeit dieser Zusammenhänge gilt es im Rahmen der vorliegenden Studie zu prüfen. Unbestritten ist, dass koordinative Fähigkeiten den einzelnen Spieler befähigen, motorische Aktionen in vorhersehbaren wie auch in unvorhersehbaren Situationen sicher und ökonomisch zu beherrschen (vgl. Weineck, Memmert & Uhing 2012, S. 17). Dieses schnelle und handlungssichere Auftreten des Sportlers verhindert Verletzungen und wird durch eine stets trainierte und dadurch aufrechterhaltene Koordinationsfähigkeit ermöglicht. Ein weiteres Ziel der koordinativen Fähigkeiten ist u.a. das beschleunigte und effektive Erlernen neuer sportartspezifischer Bewegungsfertigkeiten. Koordinative Fähigkeiten sind nicht angeboren und müssen deswegen lebenslang erlernt und weiter ausgereift werden (vgl. Wollny 2012, S. 240). Im Idealfall werden sie nicht nur aufrechterhalten, sondern durch die Erhöhung der Komplexität der Trainingsübungen weiter verbessert und stetig ausgebaut. Im Sinne der Annahme in dieser Arbeit, dass eine bessere Koordinationsfähigkeit eine gesteigerte Prävention vor Verletzungen ermöglicht und zur Folge hat, wäre dies nur sinnvoll und angebracht. Es wird sich zeigen, ob dieser Zusammenhang in der vorliegenden Studie nachgewiesen werden kann. Wie können koordinative Fähigkeiten im Trainingsprozess eingeordnet und beschrieben werden? Im Fußball überschneiden und ergänzen sich das Techniktraining und das koordinative Training in mehrfacher Hinsicht. Beide Trainingsformen stellen die Basis der speziellen koordinativen Fähigkeiten dar und bringen durch ihren Zusammenschluss die fußballspezifischen Techniken auf ein höheres Niveau. Daher kann es nicht verwundern, dass manche Sportwissenschaftler und Trainer den Bereich der Koordinationsfähigkeiten als keinen eigenständigen ansehen, weil dieses Training mit im Techniktraining verankert sei. Es gibt aber auch eine wachsende Zahl an Wissenschaftlern, Trainern und Sportlern, die die koordinativen Fähigkeiten als einen eigenständigen Grundpfeiler der sportlichen Leistungsfähigkeit begreifen und sie deswegen auch gezielt trainieren und verbessern wollen.[3] Diese zweite Denkweise zeigt die wachsende Bedeutung der koordinativen Fähigkeiten im Sport. Was zählt nun aber alles zu den koordinativen Fähigkeiten? Mit dieser Frage wird sich der nächste Unterpunkt beschäftigen.
Koordination als solche ist nur sehr schwer greifbar, beobachtbar oder gar messbar. Im Gegensatz dazu lässt sich z.B. viel genauer die Qualität eines Torschusses bestimmen: War er gut platziert, wie schnell war er und hat der Spieler eine gute Schusstechnik verwendet? Koordination und koordinative Fähigkeiten können dagegen viel schlechter bewertet und voneinander abgegrenzt betrachtet werden. „Die Ursache für diese Problematik liegt in der Vielfalt der Freiheitsgrade im Zusammenspiel motorischer Bewegungshandlungen“ (Hottenrott, Neumann 2010, S. 204). Es lassen sich demnach viele verschiedene Teilkomponenten der Koordination ausmachen, die in ihrem Ganzen eine Komplettbewegung steuern und ermöglichen. Die Darstellung, Beschreibung und Strukturierung dieser einzelnen koordinativen Teilfähigkeiten fällt sehr unterschiedlich aus (vgl. Steinhöfer 2008, S. 21). Allerdings haben sich im Bestreben um eine Systematisierung und Vereinfachung auf der Grundlage induktiv-statistischer Verfahren sieben koordinativ-technische Teilkomponenten als fundamental und leistungsbestimmend herausgestellt (vgl. Hottenrott, Neumann 2010, S. 204 und Schnabel et al. 2011, S. 137).[4] Nach der unten stehenden Auflistung werden die sieben Komponenten in den darauffolgenden Absätzen kurz definiert und in ihrer Bedeutung für den Fußballsport geschildert.
Gleichgewichtsfähigkeit
Kopplungsfähigkeit
Umstellungsfähigkeit
Reaktionsfähigkeit
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