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Die Geldroboter

Wie Hochfrequenzmaschinen unser Erspartes einkassieren und Finanzmärkte destabilisieren

AutorMartin Ehrenhauser
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783853718612
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Millionen Bürger betreiben private Pensionsvorsorge, legen ihr Erspartes in Fonds und Aktien an und versichern ihr Haus oder Auto. Was die meisten von ihnen nicht wissen: Über Gewinn oder Verlust ihrer Geldanlage entscheiden mittlerweile sogenannte Hochfrequenzhändler, die die Kurse mithilfe ausgeklügelter Computersysteme teilweise manipulieren. Das Geld der kleinen Anleger fließt in das Finanzkasino 4.0, wo es die Geldroboter ultra­schnell und automatisiert einkassieren. Gleichzeitig destabilisieren sie die Finanzmärkte, auch an den Handelsplätzen in Frankfurt und Wien. Die Betreiber der Geldroboter sind nicht nur die Gewinner der digitalen Revolution, sondern auch der Krisen. Als Griechenland 2012 vor dem Konkurs stand, sackten sie fette Gewinne ein. Als am 'Black Monday', dem 24. August 2015, weltweit die Börsen crashten, verzeichneten sie einen Rekordhandelstag. Als 'Virtu Financial', einer der wichtigsten Geldroboter, 2014 an die Börse gehen wollte, gaben seine Inhaber bekannt, dass man an 1238 Handelstagen nur an einem einzigen keinen Gewinn eingefahren hatte; Gewinne freilich, die Anleger und Pensionsanstalten teuer bezahlen mussten. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor im automatisierten Finanzkasino ist die Geschwindigkeit. Damit die Geldroboter der Handelsmaschine so nah wie möglich kommen, nisten sie sich direkt bei den Großservern der Börsen ein. Um zwischen London und Frankfurt keine Millisekunde zu verlieren, bauen sie einen Mikrowellenturm höher als der Eiffelturm. Obwohl sie Manipulationstechniken wie das sogenannte 'Spoofing' benutzen, obwohl sie auch schon mal einen ausgemachten Kurseinbruch auslösen und obwohl sie selbst Ex-EU-Kommissar Michel Barnier als 'systematische Gefahr für die Märkte' bezeichnet, wurde das vom EU-Parlament geplante 'Tempolimit' auf Finanztransaktionen niemals beschlossen.

Martin Ehrenhauser, geboren 1978 in Linz, studierte nach seiner abgeschlossenen Kochlehre Betriebswirtschaft und Politikwissenschaften in Österreich und England. Zwischen 2009 und 2014 war er Abgeordneter des Europaparlaments. Danach gründete er ein Unternehmen und vertiefte sich investigativ als Trader in die Welt der Finanzmärkte. Er weiß Geldroboter zu benutzen, schreibt aber lieber ein Buch darüber, um Europa vor den möglichen Gefahren zu warnen.

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Leseprobe

TEIL 1: DER GLOBALE FINANZ-CYBERSPACE


1. Der Geldroboter von Ixelles


Quants und Hacker sind das wertvolle Humankapital im Finanz-Cyberspace. Sie basteln an der Spekulation per Autopilot.

Gilles Dumont1 ist ein Computer-Hacker. Aber nicht einer, der illegal in fremde Computersysteme eindringt, sondern auf kreative Art und Weise Technik nützt, um Probleme zu lösen. Geldmangel war eines seiner Probleme. Und so bastelte sich der gebürtige Brüsseler vor einigen Jahren seinen eigenen Geldroboter. Eine Maschine, die für ihn täglich Geld aus den Spielkasinos des globalen Finanz-Cyberspace absaugt und automatisiert auf sein Konto spült.

Gilles ist ein kreativer Tüftler. Einer der Spaß daran hat, Dinge zu erfinden. Wohl deshalb erinnert seine Wohnung im Brüsseler Stadtteil Ixelles eher an eine Werkstatt, als an ein atmosphärisch sanftes Zuhause: Bunte Kabel verteilen sich chaotisch über den Fliesenboden im Wohnzimmer, alte Computerbauteile verstauben gemeinsam mit Informatik-Fachliteratur in einer Ecke im Schlafzimmer. Das Zentrum der Wohnung bildet ein langer Tisch, selbst gebastelt aus einer hellen Kiefernsperrholzplatte und mehreren leeren Flaschenkisten. Auf der Tischplatte liegt ein Notebook, flankiert von zwei großen Bildschirmen. Darunter steht ein Rechner. Alle Geräte sind durch einen Kabelsalat miteinander verbunden und über eine weiße Dose in der Mauer an das World Wide Web angeschlossen.

Für den Lebensraum eines Finanzmarktspekulanten fehlt der Wohnung überraschend jeglicher Luxus. Vom Reichtum der großen europäischen Finanzzentren in Frankfurt, London oder Amsterdam ist hier, unweit des bekannten Place Flagey, nichts zu finden, weder im Kleiderschrank, noch am Parkplatz vor dem Haus. Auf Statussymbole legt Gilles keinen Wert. Anerkennung und Befriedigung findet der Tüftler durch das Lösen von kniffligen Problemen. Geld ist für ihn eher eine komfortable Kennzahl, um seine Kreativität zu messen, weniger ein Tauschmittel für Luxusgüter. Ganz ohne Geld kann aber auch er nicht leben.

Sogenannte Quants wie Gilles, also Mathematiker, Physiker und Informatiker, die den Finanz-Cyberspace in den letzten Jahrzehnten entwarfen, arbeiten in der Regel nicht auf eigene Faust von zu Hause aus. Die klügsten Köpfe unter ihnen werden von den Unternehmen im Finanzsektor heiß umworben. Auch von jenen mit Geldrobotern, die mit ihren Hochfrequenzhandelsstrategien exorbitante Umsätze generieren und den globalen Finanzhandel dominieren.

Im Grunde machen diese Unternehmen nichts anderes als Gilles von seiner kleinen Wohnung aus, lediglich schneller, deutlich professioneller und mit viel mehr Geld und Risiko. Trotzdem wollte Gilles nie mehr für einen dieser Geldroboter arbeiten. »Früher hatte ich in London für ein Hochfrequenzhandelsunternehmen gearbeitet. Heute bin ich lieber mein eigener Chef«, so Gilles, der gemütlich in seinem schwarzen Ledersessel kauert, sich eine Zigarette dreht und seinen Blick gespannt auf den linken der beiden Bildschirme richtet. Dort ist in einem der unzähligen Bildschirmfenster das Herzstück seiner Arbeit zu sehen. Sein persönlicher Geldroboter. Ein Algorithmus, bestehend aus wenigen tausend Codezeilen, geschrieben in der Programmiersprache Java. Liebevoll nennt Gilles die kunstvoll angeordneten Zeilen aus Buchstaben und Sonderzeichen seinen »Bot«, die englische Kurzform für Roboter.

Wie die Spielregeln eines normalen Brettspiels bietet der Algorithmus eine exakte Handlungsanleitung für das Zocken an den elektronischen Handels­plätzen. In ihm ist nicht nur das Wissen darüber gespeichert, wann und zu welchem Preis am besten an der Börse gekauft und verkauft wird, sondern der Bot selbst führt den Handel immer und immer wieder automatisiert durch.

Die Handelsaufträge werden dabei an unterschiedliche elektronische Handelsplattformen gesendet, zu denen Gilles, unter Erfüllung von gewissen Auflagen, mit seinem Geldroboter direkten Zugang erhielt. »Pro Produkt schickt mein Bot täglich mehrere tausend Kauf- bzw. Verkaufsanfragen an die Börse«, erzählt Gilles. »Doch in 98 Prozent der Fälle werden die Orders wieder gelöscht oder modifiziert. Lediglich in zwei Prozent der Fälle kommt es tatsächlich zu einem Deal.« Wie schnell diese Orders storniert oder modifiziert werden müssen, hängt von den Preisschwankungen ab. Ändert sich der Preis sehr rasch und geht der Kurs innerhalb kurzer Zeit extrem hinauf und hinunter, dann muss der Geldroboter schneller die Anfragen anpassen und die Anzahl der Orders erhöht sich.

Das Order-Sammelbecken der Börse ist das sogenannte Orderbuch. Jene Schnittstelle der Börse, wo sich die Anfragen der Käufer und Verkäufer treffen. Am Bildschirm von Gilles ist es dargestellt in einem grauen Rechteck, optisch geteilt in zwei Hälften mit jeweils drei Spalten. In der linken Hälfte befinden sich die Verkaufsangebote, in der rechten Hälfte die Kaufanfragen. In den jeweiligen Spalten steht der Preis und die Stückzahl der Produkte. Das Angebot mit dem niedrigsten Preis steht dabei immer in der obersten Zeile, das mit dem höchsten Preis in der untersten.

An diesem heißen Sommertag springen die Zahlen im Orderbuch äußerst schnell. Der Handel an der Börse ist lebhaft, die Preise sind sprunghaft. Mal geht der Kurs rasant hinauf, dann sehr rasch wieder hinunter. Für Gilles ist die hohe Volatilität, also die starke Schwankung der Kurse, kein Problem. Sein Geldroboter scheint alles im Griff zu haben. Doch was genau der Bot macht, kann Gilles mit freiem Auge nicht nachvollziehen. Auch welche Orders im Orderbuch die seinen sind, lässt sich nicht erahnen, da jegliche Bestellung an der Börse anonymisiert ist. Erst am Ende des Handelstages analysiert Gilles die getätigten Geschäfte.

»Hier handeln die Bots gegeneinander. Händler, die noch per Mausklick ihre Orders eingeben, sind selten. Jeder, der das macht, ist ein Idiot. Menschen sind für den Börsenhandel ungeeignet. Sie können nicht so viele Informationen in derart kurzer Zeit verarbeiten wie ein Computer. Jeder, der es trotzdem versucht, wird über kurz oder lang verlieren«, so Gilles, während die nächste Order eines Händlers sichtbar am Bildschirm exekutiert wurde und aus dem Orderbuch erlischt.

Der Blick in das Orderbuch lässt erahnen, warum junge Männer wie Gilles Dumont den Verlockungen des Finanz-Cyberspace nicht widerstehen können. Beim Anblick der rhythmischen Preisbewegungen spürt man direkt, wie einen selbst die Faszination des Finanzkasinos 4.0 packt. Das Spiel der Zahlen hat beinahe etwas Meditatives, stundenlang könnte man es beobachten. Jede kleinste Preisbewegung wird plötzlich zu einer Gewinnchance und verleitet dazu, auch seinen eigenen Roboter ins automatisierte Wettrennen um Geld und Prestige zu werfen.

Das Spiel in den Kasinos des Finanz-Cyberspace hat Suchtpotenzial, besonders für junge Männer. Sie sind es auch, die großteils mit dem Motto »Work hard, play hard« direkt von den Universitäten in die Spielhallen der großen algorithmischen Computerhändler gelockt werden und nicht selten, nachdem sie wenige Jahre später einige Millionen Euro verdient haben, mit Burn-out wieder ausscheiden. Die Sucht und die Maschinen geben eben nicht nur Anerkennung und Reichtum, sondern nehmen sich auch brutal, was sie selbst für die Aufrechterhaltung ihrer Funktionsweise benötigen – die Psyche der jungen Trader. Gilles möchte mit dem Stress in den Großraumbüros der globalen algorithmischen Computerhändler nichts mehr zu tun haben. Sein gutes Leben will er nicht mehr noch einmal gegen die Millionen-Versprechungen der großen Finanzwelt eintauschen. Er hat es auch nicht nötig. Sein Money-Bot generiert für ihn ausreichend Einkommen, nur marginal weniger, als er früher als Angestellter monatlich verdiente. Ganz frei von den Verlockungen des großen Geldes ist jedoch auch Gilles nicht. Denn hin und wieder, wenngleich nur für einen Sekundenbruchteil, verspürt auch er die Lust, durch clevere Manipulation der Märkte dick abzusahnen, um danach in Ruhestand zu gehen. »Es wäre ein Leichtes, die Kurse zu manipulieren. Man müsste etwa lediglich eine hohe Anzahl an Orders für kurze Zeit auf eine Seite ins Orderbuch stellen und damit eine falsche Nachfrage suggerieren. Die anderen Algorithmen würden die Preise anpassen und man selbst könnte zuschlagen«, so Gilles, der gleichzeitig betont, dass er noch nie Manipulationstechniken angewandt hat, »obwohl die Grenze oftmals sehr schmal ist. Denn ab wie vielen Orders und bei wie vielen Stornierungen ist es Manipulation?«, fragt der junge Belgier, während er den Blick von seinem Bildschirm wendet und die Augenbrauen hochzieht.

Gilles ist ein kluger Kopf. Jemand, der sein Handeln auch gesellschaftspolitisch einordnen kann. Damit ist er einer von jenen jungen Menschen, die für die wichtigen Tätigkeiten in unserer Gesellschaft fehlen. Die ihr Wissen, ihre Kreativität und Neugierde in die automatisierte Spekulation investieren, anstatt in die Lösung der großen Gegenwartsprobleme. Bei der Frage, ob seine Tätigkeit für die Gesellschaft Sinn macht, zögert er lange mit der Antwort und blickt zunächst aus dem Fenster, auf die wenigen Bäume im Innenhof. »Man könnte den Finanzmarkt mit einem Wald vergleichen«, sagt Gilles, während er weiter auf den grünen Innenhof blickt. »So wie der Wald, ist auch der Finanzmarkt ein Ort, der viele Funktionen für die Gemeinschaft erfüllt. Etwa als Energielieferant mittels Krediten und Wertpapieren für die Realwirtschaft oder als Schutzraum für Unternehmen, die sich dort im Sinne der Volkswirtschaft gegen Risiken absichern. Der Finanzmarkt ist auch ein Ort des Austausches, der die...

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