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Die Geschichtserzählung in der DDR-Methodik am Beispiel von Herbert Mühlstädts Werk 'Der Geschichtslehrer erzählt'

AutorSabrina Döppl
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl127 Seiten
ISBN9783638489652
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Didaktik - Geschichte, Note: 1, Universität Bayreuth, 91 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Geschichte der Geschichtsdidaktik umfasst auch die Methodik in der Deutschen Demo- kratischen Republik. Da die DDR ein totalitärer Staat war, unterlag auch die Geschichtsmethodik den ideologischen Vorgaben der SED. Im Unterricht wurde eine materialistische Betrachtung und Interpretation der Historie gefordert mit dem Ziel, die Schüler mit dem Staat zu solidarisieren und das marxistische Wertesystem in ihrem Denken zu verankern. Dominierende Methode im Geschichtsunterricht war der Lehrervortrag, insbesondere die Lehrererzählung. Der starke Einsatz von Geschichtserzählungen in der DDR resultiert aus der Wahrnehmung, dass es dem Unterricht an Anschaulichkeit und Lebendigkeit mangelte. Demzufolge waren es nur Personen, die mit der Praxis in Kontakt standen, welche sich die Mühe machten, selbst historische Erzählungen zu verfassen. Abgesehen von wenigen Beispielen für Lehrererzählungen, die in den Unterrichtshilfen veröffentlicht worden waren, war der ehemalige Volksschullehrer, Verlagsautor und Universitätsdozent Herbert Mühlstädt im Wesentlichen der Einzige, der Geschichtserzählungen in DDR-Zeiten verfasste. Zwischen 1962 und 1966 erschien im Berliner Volk und Wissen Verlag dessen dreibändiges Werk 'Der Geschichtslehrer erzählt', das 1972 durch einen Ergänzungsband erweitert wurde. Eine kritische didaktische und literarische Analyse dieses Werkes ist Ziel der vorliegenden Arbeit. Aus den hohen Auflagezahlen wird deutlich, dass Mühlstädts Werk sehr beliebt war und auch 'bis zum Ende der DDR eine Monopolstellung' innehatte. Den Grund für die große Bedeutung von 'Der Geschichtslehrer erzählt' hatte bereits Rudolf Bonna, der Einzige, der sich bisher mit Mühlstädts Werk beschäftigt hat, auf den Punkt gebracht: 'Mit seinem Werk gab Mühlstädt den Geschichtslehrern Material in die Hände, mit dessen Hilfe sie dem Aspekt des Emotionalen im Prozeß der Erziehung der allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit gerecht werden konnten.' Basierend auf den ideologischen Hintergründen des Geschichtsunterrichts wird untersucht, inwiefern die Texte aus 'Der Geschichtslehrer erzählt' zur Indoktrination und damit

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Leseprobe

2       Ideologische Grundlagen des DDR-Geschichts­unterrichts


 


2.1              Der Marxismus-Leninismus


 


2.1.1                         Theorie


 

Der Marxismus-Leninismus gilt als offizielle Bezeichnung für die in der Sowjet­union herrschende Ideologie. Dieser gründet sich auf die von Lenin vorgenommene Anpassung der Lehren von Marx und Engels an die sozialen und politischen Ver­hält­nisse Russlands im frühen 20. Jahrhundert. Der Leninismus berücksichtigt über die Lehren des Marxismus hinaus den Eintritt des Kapitalismus in das Stadium des Imperialismus und vertritt die Lehre von der ungleichmäßigen Entwicklung der verschiedenen am kapitalistischen Weltmarkt teilnehmenden Gesellschaften.

 

Während Marx annahm, dass die proletarische Revolution von den hoch indus­tri­alisierten Staaten Mittel- und Westeuropas ausgehen würde, behauptete und betrieb der Leninismus mit Erfolg den revolutionären Durchbruch in einem relativ rück­stän­digen, agrarischen Land. Lenin formulierte darüber hinaus die Lehre von der Partei neuen Typs, die als klassenbewusste Vorhut des Proletariats die Führung und Erziehung der werktätigen Massen zu übernehmen habe.

 

Durch die sowjetische Vormachtstellung in der Kommunistischen Internationale wurde die Organisationstheorie Lenins lange Zeit für alle kommunistischen Par­tei­en verbindlich. Die Nachfolger Lenins, vor allem Stalin, bauten den Marxismus-Leninis­mus zu einer Weltanschauungslehre mit dogmatischen Zügen und univer­salem Anspruch aus.[4]

 

2.1.2                         Praktische Umsetzung


 

Grundvoraussetzung eines marxistischen Geschichtsunterrichts ist die Vertrautheit der Schüler mit den wichtigsten Grund­ge­danken des Kommunistischen Manifests:

 

  1. Seit der Auflösung der Urgesellschaft ist die Geschichte der menschlichen Gesellschaft eine Geschichte von Klassenkämpfen.
  2. Die Arbeiterklasse hat die historische Aufgabe, den Kapitalismus zu stürzen und die sozialistische Ordnung zu errichten, das heißt, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen für immer zu beseitigen.
  3. Die Arbeiterklasse muss sich in allen Ländern revolutionäre Parteien schaffen und ihren Kampf in allen Ländern gemeinsam führen.[5]

 

DDR-Methodiker waren sich einig, dass eine wissenschaftliche Pädagogik nur auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Dialektik möglich sei. Im Unterrichtsprozess sollte der Schüler Wissen nach den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Erkenntnis erwerben, die von der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie ent­deckt worden waren.[6]

 

Dies bedeutete, dass die Schüler den wissenschaftlichen Charakter des Marxismus-Leninismus und seine Bedeutung für den weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte verstehen lernen sollten. Dabei komme es vor allem davon an, zu demonstrieren, dass diese Theorie nicht erdacht worden sei, sondern der Wirklichkeit entspreche. Dass der Marxismus-Leninismus „die größte kulturelle Errungenschaft der Menschheit ist, weil er ihre Befreiung von der Barbarei, von Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg garan­tiert“[7], sollte den Schülern deutlich gemacht werden.

 

Wie genau der Marxismus-Leninismus Auswirkung auf den Geschichtsunterricht der DDR nahm, lässt sich ableiten aus einer Rede Walter Lindemanns, Professor für Geschichtsmethodik an der Universität Halle an der Saale:

 

„Die Lehrer in unserer Deutschen Demokratischen Republik können der Jugend die Geschichte der menschlichen Gesellschaft in ihrer wahren Entwicklung zeigen, einer Entwicklung, die nicht beim Kapitalismus stehen bleibt, sondern zur Diktatur des Proletariats in allen Ländern der Erde weiterschreitet. Welch wahrhaft große und schöne Aufgabe für den Geschichtslehrer! Um ihr gerecht zu werden, müssen wir Geschichtslehrer nicht nur immer gründlicher die Geschichte der mensch­li­chen Gesellschaft anhand der von der marxistischen Wissenschaft gewonnenen Kenntnisse und Erkenntnisse allseitig studieren, sondern unsere besondere Aufga­be ist es, die geeigneten Methoden zu entwickeln, diese Lehren der Geschichte un­se­rer Jugend in einer ihrem Alter entsprechenden Form darzubieten.“[8]

 

2.2              Der historische Materialismus


 


2.2.1                         Theorie


 

Der historische Materialismus (Histomat), entwickelt von Marx und Engels, ist die theoretische Grundlage der marxistischen Philosophie. Er beschäftigt sich mit der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit, der Gesellschaften und der gesellschaft­lichen Klassen.

 

Der historische Materialismus besagt, die Geschichte werde ausschließlich von den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen und den Produktivkräften gelenkt, die das menschliche Bewusstsein bestimmen. Die Vergangenheit ist demzufolge keine Ge­schich­te der Kaiser, Könige und Eroberer, sondern eine Geschichte der werktätigen Massen, eine Entwicklungsgeschichte der Produktion. Dies bedeutet, dass der Mensch, indem er mit der ihn umgebenden Natur durch seine Arbeit in Kontakt tritt, sich als gesellschaftliches Wesen konstituiert und mit anderen Menschen bestimmte Bezieh­ungen gesellschaftlicher Natur unterhält, welche ihrerseits einen Einfluss auf ihn als Menschen haben.[9] „Die Menschen gestalten ihre Geschichte selbst, vor allem durch ihre Arbeit. Sie sind nicht passives Objekt der Geschichte, sondern ihr Subjekt.“[10]

 

Die Veränderung der Produktivkräfte bewirke, dass sich auch die gesellschaftlichen Verhältnisse und Bewusstseinsformen ändern. „Die Grundlage für die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und die wesentliche Ursache für die Spaltung der Gesellschaft in Klassen und für den Klassenkampf ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln.“[11] Im gesellschaftlichen Bereich entsteht ein Antagonismus, der den Zusammenhang von sich unversöhnlich gegenüberstehen­den und bekämpfenden Klassen beschreibt. In den Klassengesellschaften führt das Anwachsen von antago­nis­ti­schen Widersprüchen zwischen den ausgebeuteten und ausbeutenden Klassen, die sich in einer Revolution entladen, zum Übergang von der niederen in die nächst höhe­re Gesellschaftsformation.

 

Diese Bewegung erklärte Marx zur Grundlage der menschlichen und zivilisatorischen Entwicklung. Einer relativ ruhigen Etappe mit mehr oder weniger feststehenden Pro­duktionsverhältnissen und Arbeitsteilung folge jeweils eine kurze, heftige des Klas­sen­kampfes, in der die Unterklassen versuchen, das Produktionsverhältnis zu ihren Guns­ten zu verändern und sich die Produktionsmittel anzueignen.

 

Anschließend werde sich ein neues Produktionsverhältnis herauskristallisieren und der Klassenkampf beginne erneut. Demnach sei für die Geschichte die materielle Ent­wicklung der Gesellschaft ausschlaggebend und nicht der geistige Lebensprozess. Das gesellschaftliche Leben sei also strengen Notwendigkeiten unterworfen, habe seine ei­ge­nen materiellen Entwicklungs- und Bewegungsgesetze. Laut Marx ist die Geschich­­te demnach keine bloße Anhäufung von Zufälligkeiten, von persönlichen Willensakten oder Entscheidungen gewichtiger historischer Persönlichkeiten, sondern der gesetz­mä­ßige Entwicklungsprozess der Gesellschaft.[12]

 

Mit dem historischen Materialismus erklärte Marx den Wechsel der herrschenden Klas­sen, Gesellschaftsformationen und Denkepochen: Die Urgesellschaft stellt die nied­­rigste menschliche Entwicklungsstufe dar, in der es noch kein Privateigentum und keine Trennung in Klassen gab. Im Alten Orient entstand die erste Klassengesellschaft, da­rauf folgten die Sklavenhaltergesellschaft, der Feudalismus und der Kapitalismus. Der Sozialismus ist eine Vorstufe der klassenlosen Gesellschaftsformation des Kommu­nis­­mus, die als höchste und anzustrebende Entwicklungsstufe gilt, da es kein Privat­eigen­tum und keine Klassen mehr geben soll.

 

„Heute muss als letzte und allgemeinste Ursache der geschichtlichen Bewegung der Menschheit die Entwicklung der Produktivkräfte...

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