Akzeleration von Arbeit fasst die Kumulation von belastenden Arbeitsanforderungen zusammen. Man versteht darunter die Beschleunigung und Verdichtung von Produktions-, Dienstleistungs- und Kommunikationsprozessen bei simultan steigender Komplexität der Aufgaben und zunehmenden Anforderungen an die kognitive Aufnahme- und Lernfähigkeit der Erwerbstätigen.[59]
Durch die Verbreitung von digitalen und mobilen IKT werden die Erwerbsarbeit und die Arbeitsbedingungen einschneidend verändert.[60] Sie beeinflussen die Gestaltung von Arbeitszeiten, Arbeitsorten und Arbeitsinhalten. Durch das Internet haben sich die zu bearbeiteten Informationen erhöht und die Kommunikation sich durch neue Kommunikationskanäle verdichtet und beschleunigt.[61] In der Folge nehmen die Aufgabendichte und -menge immer weiter zu. Aufgrund des internationalen Wettbewerbs muss heutzutage intensiver und schneller gearbeitet werden.[62] Anreizsysteme mit finanziellen Charakter oder aufgrund von Vereinbarungen von Zielen tragen zu dieser Intensivierung bei.[63] Auch werden Unternehmen umstrukturiert und die Bedeutung von qualitativ hochwertiger Arbeit zu streng kalkulierten Kosten steigt. Personale Ressourcen werden daher möglichst geringgehalten.[64] Heutzutage ist es immer mehr die Regel, dass sich Arbeitnehmer in ihrer Freizeit oder im Urlaub mit beruflichen Tätigkeiten befassen, sodass Erreichbarkeiten während der Arbeitszeit durch Erreichbarkeitserwartungen außerhalb dieser ergänzt werden.[65] Folglich scheinen Zeit- und Leistungsdruck das Resultat aus globalem Wettbewerb und der zunehmenden Vernetzung der Arbeitswelt zu sein.[66] Doch die Leistung wird nicht nur intensiviert, sondern auch ausgeweitet.
Neue IKT, die eine ständige Erreichbarkeit ermöglichen, und flexible Arbeitszeitmodelle tragen dazu bei, dass eine Kontrolle der tatsächlichen Arbeitszeit nicht mehr stattfindet resp. möglich ist. Überstunden werden nicht mehr nur vom Arbeitgeber angeordnet, sondern auch ‚freiwillig‘ vom Arbeitnehmer erbracht.[67] Dies resultiert vor allem dadurch, dass Arbeitgeber gegenwärtig auf ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit, Selbstorganisation und hohes intrinsische Interesse der Arbeitnehmer setzen, welche sich aus Zielvereinbarungen oder Ergebnis- und Kundenorientierung ergeben können.[68] Oftmals macht der Arbeitgeber von seinem Weisungsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer keinen Gebrauch, sondern gibt bloß eine grobe Aufgabenbeschreibung vor.[69] High Potentials arbeiten daher häufig eigenverantwortlich und selbständig, wodurch sie der Gefahr auflaufen, einerseits das Gefühl für Zeit und Umfang der Arbeitsleistung zu verlieren und andererseits Pausen und Erholungszeiten nicht einzuhalten oder gar auf Pausen und das Wochenende zu verzichten, um die Arbeit erfolgreich und zufriedenstellend verrichten zu können.[70]
Neben der Leistungsintensivierung und der Leistungsausweitung kommt es ebenso zu einer Leistungsverdichtung. Diese kann unterschieden werden in qualitative und quantitative Leistungsverdichtung. Unter der qualitativen Leistungsverdichtung, dem sogenannten Job Enrichment (Arbeitsanreicherung), werden der eigentlichen Arbeit weitere Aufgaben hinzugefügt, die sich auf einem höheren Anforderungsniveau befinden und für die ein höheres Qualifikationsprofil verlangt wird.[71] Meist handelt es sich dabei um Tätigkeiten, die zuvor auf höheren Hierarchieebenen ausgeführt wurden (vertical job loading).[72] Durch Elemente, die eine höhere Selbstständigkeit, größere Verantwortung abfordern oder zum intensiveren Einsatz der eigenen Potenziale motivieren, wird die Arbeit angereichert und der Handlungs- und Entscheidungsspielraum erweitert.[73] Exemplarisch können die Übernahme von Entscheidungs-, Kontroll- oder Durchführungskompetenzen genannt werden.[74] Gegenüber der qualitativen Leistungsverdichtung steht die quantitative Leistungsverdichtung. Sie kann verstanden werden als Arbeitsfeldvergrößerung (Job Enlargement). Dabei werden der eigentlichen Tätigkeit weitere Aufgaben hinzugefügt, die auf einem gleichwertigen Anforderungsniveau sind.[75] Das Tätigkeitsspektrum wird folglich nicht komplizierter, wie bei der qualitativen Leistungsverdichtung, sondern lediglich umfangreicher. Der Entscheidungs- und Kontrollspielraum wird dabei nicht erweitert. Verlangt der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer, beispielsweise aufgrund eines Arbeitsplatzwegfalls, weitere Aufgaben übernimmt, so handelt es sich um eine Arbeitsfeldvergrößerung (horizontal job loading).[76]
Die fortschreitende Tertiarisierung der Wirtschaft und Subjektivierung von Arbeit führt zu weitreichenden Konsequenzen in der prozessualen und qualitativen Gestaltung von Arbeit.[77] Die Anforderungen an Multitasking werden erhöht.[78] Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die physische und psychische Beanspruchung der Arbeitnehmer und führt zu negativen gesundheitlichen Folgen. Gerade High Potentials führen oftmals anspruchsvolle und verantwortungsbewusste Aufgaben aus, wodurch das Stresslevel hoch ist.[79] Laut einer Studie der Krankenkasse Pronova BKK leiden 93 Prozent aller befragten Arbeitnehmer mit anspruchsvollen resp. sehr anspruchsvollen Stresslevel unter einer hohen Belastung im Arbeitsalltag.[80] Nicht selten führt eine Überbeanspruchung der Leistungsfähigkeit zur Krankheit und damit zur Arbeitsunfähigkeit. Laut dem BKK Gesundheitsreport 2016 sind die häufigsten Krankheitsursachen für Arbeitsunfähigkeitstage Muskel-/ Skeletterkrankungen (24,7 %).[81] Aufgrund der hartnäckigen Grippewelle im letzten Jahr lagen die Atemwegserkrankungen (16,7 %) auf Platz zwei, dicht gefolgt von psychischen Störungen (15,1 %), welche gegenüber dem Jahr 2004 um über 70 Prozent angestiegen sind.[82]
Durch eine hohe Arbeitsintensität (Leistungsintensivierung) sind High Potentials jedoch nicht nur möglichen Muskel-, Skeletterkrankungen oder dem Burn-Out ausgesetzt. Eine hohe Arbeitsintensität führt zu einem erhöhten Risiko an kardiovaskulären Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Herzinfarkt zu erleiden.[83] Auch Depressionen oder affektive Störungen wie Angst- und Zwangsstörungen lassen sich nachweisen.[84] Meist ist eine hohe Arbeitsintensität auch mit langen Arbeitszeiten (Leistungsausweitung) verbunden, welche ebenso gesundheitliche Risiken bergen. Eine groß angelegte Metastudie von Pubmed und Embase ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Wochenarbeitszeit von 55 Stunden oder mehr das Schlaganfallrisiko, gegenüber einer Wochenarbeitszeit von 35-40 Stunden, um 33 Prozent ansteigen lässt. Koronare Herzerkrankungen, wie Herzrhythmusstörungen und Herzinfarkte, nehmen um 13 Prozent zu.[85] Dabei ändert die Einbeziehung anderer Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität, Blutdruck oder ein erhöhter Cholesterinspiegel an der Korrelation nichts. Mit Zunahme der Wochenarbeitsstunden schwellt auch das Risiko an, Schlafstörungen zu erleiden, was zu seinem Teufelskreis aus Überanstrengung und Untererholung führen kann und möglicherweise in chronischer Ermüdung, Burn-Out und Depressionen endet.[86]
Im Zuge von Arbeit 4.0[87] entstehen zu den oben genannten Belastungen aus Leistungsintensivierung und Leistungsausweitung vor allem aber auch neue Anforderungen und Belastungen durch digitale und mobile Technologien. Bereits im Jahre 2016 ermöglichten 61 Prozent der Unternehmen in Deutschland mobiles Arbeiten, indem sie die Beschäftigten mit mobilen Endgeräten ausstatteten, Tendenz steigend.[88] Mobile Bildschirmarbeitsplätze sind oft gekennzeichnet durch ein ablenkendes Umfeld, akustische Störquellen, wechselnde Lichtverhältnisse und ungünstige klimatische Bedingungen.[89] Nachfolgende Tabelle zeigt gesundheitliche Risiken auf, die durch „Mobile Working“ entstehen können.
Abbildung 1: Risiken durch „Mobile Working“.[90]
Quelle: Prümper/Hornung, Arbeits- und Gesundheitsschutz 4.0, 2016, AuA 10/16, 588 (590).
Durch die Akzeleration von Arbeit werden die Gesundheit vermehrt psychisch, aber weiterhin auch physisch belastet. Gerade in qualifizierten Berufen nimmt der Zeit- und Leistungsdruck seit einigen Jahren stets zu.[91] Einerseits korrespondiert mit dem gestiegenen Arbeitstempo die Arbeitsintensivierung, andererseits wandeln sich mit den neuen Belastungskonstellationen die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, nämlich von physischen zu psychischen Erkrankungen.[92] Um diesen gesundheitlichen...