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Die globale Finanzkrise. Ursachen, Bedeutung und Folgen

Ursachen, Bedeutung und Folgen

AutorBjörn Peinemann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl145 Seiten
ISBN9783640654079
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Soziologie - Wirtschaft und Industrie, Note: 1,0, Universität Hamburg (Institut für Soziologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Die globale Finanzkrise, die im Jahr 2007 als Subprime-Krise auf dem US-Häusermarkt begann, entwickelte sich in den Jahren 2008 und 2009 zu einer schweren internationalen Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise. Die vorliegende Arbeit fragt nach den Ursachen, der Bedeutung und den Folgen dieser in ihrem Ausmaß beispiellosen Krise. Zunächst werden die ökonomischen Ursachen der Finanzkrise analysiert. Daran anschließend wird aus einer risikosoziologischen Perspektive untersucht, welchen Anteil die Banken an dem Ausbruch der Finanzkrise tragen. Dabei wird die These vertreten, dass die Finanzinstitute durch das Festhalten an einem probabilistischen Risikobegriff und an einem mathematischen Realismus maßgeblich zur Entstehung der Turbulenzen an den weltweiten Finanzmärkten beigetragen haben. Im Anschluss wendet sich die Arbeit der gesellschaftstheoretischen Bedeutung der Finanzkrise zu. In diesem Zusammenhang wird argumentiert, dass die Finanzkrise auf einen sich vollziehenden sozialen Wandel des kapitalistischen Produktionsregimes hindeutet. Mit dem Finanzmarkt-Kapitalismus entsteht ein neues Produktionsregime, das in besonderer Weise an die Funktionsweise globalisierter Märkte angepasst und durch eine spezifische Konfiguration von Institutionen geprägt ist. Als Folge der globalen Finanzkrise entwickelte sich auf der Ebene der internationalen Politik zudem eine intensive Diskussion über eine mögliche stärkere Regulierung der globalen Finanzmärkte. Die Arbeit greift diese Debatte auf und fragt nach möglichen Formen der Selbst- und Kontextsteuerung auf den weltweiten Finanzmärkten.

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Leseprobe

1. Begründung der Forschungsfrage und Aufbau der Arbeit


 

Warum ist die Finanzkrise ein Thema für die Soziologie? In den Sozialwissenschaften herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die internationalen Finanzbeziehungen im Zuge von Globalisierungsprozessen, die bis heute durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien weiter vorangetrieben werden, einen qualitativen Strukturwandel durchlaufen haben, der die Realwirtschaft, die Gesellschaft und die Politik vor neue Herausforderungen stellt (vgl. Lütz 2008: 353). Der wachsende Einfluss von Finanzmärkten lässt sich auf der Mikroebene des Alltagshandelns genauso beobachten wie auf der Mesoebene von Unternehmen oder auf der Makroebene von nationalen Volkswirtschaften. Die Preise, die wir im Alltag beim Einkauf von zahlreichen Waren und Produkten (Kaffee, Mais, Benzin bzw. Rohöl usw.) bezahlen, werden heute durch Transaktionen auf den Terminmärkten bestimmt. Und auch über den Wert von Währungen und damit über die Kaufkraft von nationalen Wirtschaftsakteuren entscheiden seit dem Ende des Bretton-Woods-Regimes Finanzbewegungen auf den internationalen Devisenmärkten.

 

Die nach dem Scheitern von Bretton Woods in den 1970er Jahren von zahlreichen Staaten eingeleiteten Maßnahmen zur Deregulierung ihrer heimischen Finanzmärkte, die sich zum Beispiel in dem Abbau von Kapitalverkehrsbeschränkungen widerspiegelten, setzten auch die an den Börsen gelisteten Unternehmen zunehmend dem Druck der weltweiten Finanzmärkte aus. Lazonick und O´Sullivan beobachten in den USA ab den 1980er Jahren einen Wandel in der strategischen Orientierung des Top-Unternehmensmanagements. Bis in die 80er Jahre hinein beschäftigte eine relativ kleine Zahl von großen Unternehmenskonglomeraten hunderttausende von Menschen in den USA. Die erwirtschafteten Erträge wurden von den Unternehmen nach dem Prinzip des "retain und reinvest" verteilt. Gewinne wurden von den Firmen einbehalten und reinvestiert, um auf diese Weise das langfristige Unternehmenswachstum sicherzustellen. In den 1980er und 1990er Jahren kam es dann zu einer deutlichen Verschiebung in der strategischen Orientierung des Top-Managements: von der Verteilung der Unternehmensressourcen und -erträge auf der Basis des "retain and reinvest" hin zu einer Unternehmenspolitik des "downsize and distribute“. Die Topmanager gingen dazu über, die Unternehmen zu verkleinern und die Größe der Arbeiterschaft zu reduzieren, um die Kapitalrendite zu steigern. Gleichzeitig führten sie Aktienrückkaufprogramme durch und begannen, immer höhere Dividenden an ihre Anteilseigner auszuzahlen. Die Bezahlung des Topmanagements selbst wurde darüber hinaus in Teilen auf die Vergabe von Aktienoptionen umgestellt (vgl. Lazonick/O´Sullivan 2000). Nach Fligstein markieren die 1980er Jahre „a shift in the dominant conception of control from the finance to the shareholder value conception of the corporation for large U.S. corporations” (Fligstein 2001: 166f.). Der sogenannte Shareholder-Value-Ansatz wurde auf diese Weise zum ersten Mal als neues dominantes „Kontrollkonzept“ in den US-Unternehmen implementiert und fand in den kommenden Jahrzehnten weltweit eine zunehmende Verbreitung.

 

Heute ist es an den Börsen gelisteten Unternehmen kaum noch möglich, eine Unternehmenspolitik zu verfolgen, die sich nicht auf die Zustimmung der Anteilseigner stützen kann. Als zu Beginn des Jahres 2005 der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse, Werner Seifert, versuchte, die London Stock Exchange durch ein freundliches Übernahmeangebot mit der Deutschen Börse zu vereinigen, widersetzte sich eine kleine Gruppe einflussreicher Eigentümer seinem Vorhaben. Die Investmentfonds kritisierten in ihrer Funktion als Eigentümer, dass der Übernahmepreis zu hoch sei und die überschüssigen Geldreserven des Unternehmens an die Aktionäre ausgeschüttet werden sollten. Seifert gab seine Übernahmepläne daraufhin auf und trat kurz darauf zurück. Die Deutsche Börse kündigte zeitgleich an, eine Sonderausschüttung an ihre Aktionäre vorzunehmen und darüber hinaus ein Aktienrückkaufprogramm zu starten (vgl. Windolf 2005: 11).

 

Aber nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Nationalstaaten geraten zunehmend unter den Druck der internationalen Finanzmärkte. Weil Finanzvermögen mittlerweile frei zwischen den Märkten transferiert werden können, sehen sich die nationalen Regierungen immer häufiger dazu gezwungen, untereinander um die Gunst des immer beweglicher werdenden Produktionsfaktors Kapital zu konkurrieren und die institutionellen Investoren von Investitionen in die heimische Volkswirtschaft zu überzeugen (vgl. Deutschmann 2005: 78).

 

Insgesamt fungiert das internationale Finanzsystem heutzutage als das Leitungsnetz der modernen nationalen Volkswirtschaften. Solange es störungsfrei funktioniert, nehmen wir es kaum wahr. Als zu abstrakt und als zu weit von unserem konkreten Alltagshandeln entfernt erscheinen uns die Bewegungen auf den globalen Kapitalmärkten. Doch genauso, „wie unser moderner Lebensstil davon abhängt, dass stets Wasser aus dem Hahn kommt, hängt das moderne Wirtschaftssystem davon ab, dass der Finanzierungskreislauf mithilfe der Finanzintermediäre tatsächlich funktioniert“ (BIZ 2009: 3, www)[3]. Ob wir eine Lebensversicherung abschließen, die Mietkosten von unserem Gehaltskonto abbuchen lassen oder eine private Kapitalanlage zur Altersvorsorge vornehmen – damit unser Alltag funktioniert, müssen auch die Banken, Versicherungsgesellschaften, Wertpapierhäuser, die Investment- und Pensionsfonds und natürlich auch der Staat funktionieren. Denn sie alle sorgen dafür, „dass die angesparten Mittel zu den Investoren fließen, und sie sollten dabei sicherstellen, dass die Risiken in diesem Prozess von denjenigen übernommen werden, die willens und in der Lage sind, sie zu tragen“ (BIZ 2009: 3f, www).

 

Das globale Finanzsystem ist also eine elementare Voraussetzung dafür, dass sich die modernen Gesellschaften fortlaufend reproduzieren können. Welche schwerwiegenden Folgen es haben kann, wenn es auf den internationalen Finanzmärkten zu weitreichenden Dysfunktionalitäten kommt, verdeutlicht die aktuelle Finanzkrise. Große Investmentbanken, wie Bear Stearns oder Lehman Brothers, gerieten angesichts eines nahezu vollständig blockierten Interbankenmarkts binnen weniger Tage in akute Refinanzierungsschwierigkeiten, die schlussendlich in der Zahlungsunfähigkeit der beiden Institute mündeten. Aber auch Staaten können schnell an den Rand eines Staatsbankrotts gedrängt werden, wenn es einem nationalen Bankensystem nicht mehr gelingt, ausreichende Formen der Refinanzierung über die weltweiten Finanzmärkte zu organisieren. Island und Ungarn ereilte dieses Schicksal im Laufe der Finanzkrise. Beide Staaten konnten einen Staatsbankrott nur über die Vermittlung eines Notkredits abwenden.

 

Angesichts der elementaren Bedeutung der globalen Finanzmärkte in Bezug auf die Reproduktionsfähigkeit moderner Gesellschaften und vor dem Hintergrund der dramatischen realwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der Finanzkrise kann sich auch die Soziologie dem Phänomen der Finanzkrise nicht verschließen. Wir wollen uns aus diesem Grunde im Rahmen der vorliegenden Arbeit den Ursachen, der Bedeutung und den Folgen der Finanzkrise aus einer soziologischen Perspektive nähern. Wie gehen wir dabei vor?

 

Wir beginnen mit einer Beschreibung über die Entstehung und Entwicklung der globalen Finanzkrise (Punkt 2). Dabei beleuchten wir zunächst die Vorgeschichte der Subprime-Krise und arbeiten die Ursachen heraus, die aus ökonomischer Perspektive zu den Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten geführt haben. Danach wenden wir uns dem komplexen Prozess der Verbriefung auf dem Kreditmarkt zu und erläutern die strukturierten Finanzprodukte, die im Kontext der Finanzkrise eine zentrale Rolle spielen. Daran anschließend skizzieren wir die Chronologie der Ereignisse auf den weltweiten Finanzmärkten im Zeitraum vom Jahr 2007 bis zum Beginn des Jahres 2009. Unter Punkt 3 fassen wir unsere bisherigen Ergebnisse zusammen und begründen unser weiteres Vorgehen.

 

Punkt 4 widmet sich dann aus einer risikosoziologischen Perspektive der Rolle der Banken in der Finanzkrise. Dabei wollen wir der Frage nachgehen, welchen Anteil die Banken am Ausbruch der Finanzkrise tragen. Zu diesem Zweck untersuchen wir zunächst, in welchem Verhältnis die Banken und das Wirtschaftssystem zu einander stehen. Daran anschließend wenden wir uns dem Geschäft von Banken zu und gehen der Frage nach, womit Banken eigentlich handeln. Sodann entwickeln wir einen possibilistischen Risikobegriff und wenden uns unter dessen Verwendung der Risikoverarbeitung durch Banken zu. Schließlich analysieren wir, welche Rolle finanzmathematische Modelle im Risikomanagement der Banken spielen und welche Folgen das Festhalten der Banken an einem mathematischen Realismus auf der Ebene des bankeigenen Risikomanagements haben kann. Wir werden zeigen, dass sich die Banken im Rahmen ihres Risikomanagements an einem probabilistischen Risikobegriff orientieren, indem sie ihre Umwelt unter der Leitunterscheidung Risiko/Sicherheit beobachten und sich selbst dabei allzu oft auf der Seite der Sicherheit verorten und somit einer Selbsttäuschung unterliegen – mit der Konsequenz, eingegangene Risikopositionen zu unterschätzen beziehungsweise nicht adäquat als solche erkennen...

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