Sie sind hier
E-Book

Die Glücksökologie

Warum wir die Natur brauchen, um glücklich zu sein

AutorEric Lambin
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783455851120
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Die Diskrepanz zwischen dem immer populärer werdenden Bedürfnis nach der Flucht aufs Land und der kontinuierlich bedrohten Umwelt - ein Ergebnis menschlichen Handelns - versucht Eric Lambin konstruktiv zu vereinen: Er untersucht, ob sich auch egoistisch gedachte Gründe für die Rettung der Umwelt finden lassen und so ein Verantwortungsbewusstsein entstehen kann, das nicht nur altruistisch auf kommende Generationen verweist. Er gibt einen sorgfältig an Beispielen dokumentierten Überblick der Interaktion zwischen menschlichem Glück und Natur und zeigt, wie sich Veränderungen der Umwelt direkt auf unser Wohlbefinden auswirken. Ein Buch, das uns wachrüttelt: Wir müssen unser Glück in der Natur verteidigen.

Eric Lambin ist leitender Wissenschaftler des Woods Institute for the Environment an der Universität Stanford in Kalifornien und Professor für Geologie und Geographie an der Universität von Louvain, Belgien. 2009 erhielt er den Francqui-Preis, den wichtigsten Wissenschaftspreis Belgiens. Er hat mehrere Bücher geschrieben, darunter La terre sur un fil, das in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Das Trittbrettfahrer-Problem


Obgleich jeder Einzelne immer klarer wahrnimmt, welches Ausmaß die durch den Menschen verursachten Umweltveränderungen angenommen haben, kommt es angesichts der immensen Aufgabe nur sehr langsam zu einer Anpassung des Verhaltens und einer Reaktion der Politik. Wir haben es mit äußerst heterogenen individuellen Einstellungen innerhalb der Gesellschaft zu tun. Ein kleiner Teil der Bevölkerung, nämlich knapp 20 Prozent, ist bereit, sein Konsumverhalten zu verändern, und zwar aus moralischen Gründen, weil diese Menschen sich verantwortlich fühlen gegenüber der Natur und künftigen Generationen. Sie möchten sich für das Gemeinwohl einsetzen und sind bemüht, über das private Interesse hinaus einen Beitrag zum Nutzen aller zu leisten. Ein Teil dieser Personengruppe hat »ökozentrische« Wertvorstellungen, das heißt, diese Menschen respektieren die Natur als Wert an sich, während ein anderer Teil aus »anthropozentrischen Altruisten« besteht, die sich vor allem um das menschliche Wohlergehen sorgen, aber anerkennen, dass dieses durch den Schutz der Natur gewährleistet wird. Dieser Teil der Bevölkerung ist von der Notwendigkeit des Wandels überzeugt, er leistet seinen täglichen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung und ist bereit, die Kosten dafür zu tragen. Dieser Personenkreis trennt Müll, verwendet Energiesparleuchten und fährt wenn möglich mit dem Fahrrad oder benutzt öffentliche Verkehrsmittel. Die ganze Lebensweise, die Arbeit und die Erziehung der Kinder, ist geprägt von einem Wertesystem, das auf der Verantwortung gegenüber anderen und gegenüber der Umwelt basiert.

Der größere Teil – etwa 60 Prozent der Bevölkerung – besteht aus bedingt kooperationsbereiten Menschen, die der Ausrichtung der Mehrheit und deren Meinungsmachern folgen: Sie wollen wir als »Mitläufer« bezeichnen. Diese Menschen sind bereit, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, falls dies alle tun. Ihre Strategie ist stets der Situation angepasst und richtet sich nach dem Verhalten der anderen. Personen dieser Gruppe wollen keine Opfer bringen, wenn dabei andere profitieren. Sie folgen der von der Führung vorgegebenen Richtung, wollen aber selbst keine Führung übernehmen. Um diesen mehrheitlichen Bevölkerungsanteil für eine Bewegung zur nachhaltigen Entwicklung zu gewinnen, ist es also erforderlich, erst einmal die anderen Bevölkerungsgruppen zu aktivieren.

Damit kommen wir zu den restlichen 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung, die das eigentliche Problem in jeder Gesellschaft darstellen. Es geht um Menschen, die fast ausschließlich ihre eigenen Interessen im Sinn haben und keinerlei altruistische Zwecke verfolgen, die allem Gemeinschaftsdenken skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Es sind die sogenannten free rider der Gesellschaft, die »Trittbrettfahrer« oder »Egozentriker«. Sie verbrauchen einen größeren Teil der Ressourcen, als ihnen zusteht, übernehmen dafür aber einen kleineren oder gar keinen Anteil der Kosten. Sie profitieren von einem öffentlichen Gut, ohne sich an dessen Unterhalt zu beteiligen. Die Gruppe der Trittbrettfahrer ist konsumorientiert und wird vom Konkurrenzdenken geleitet. Diese Menschen halten sich für etwas Besseres und kennen keine Skrupel, wenn es darum geht, die eigenen Interessen durchzusetzen. Im Bereich der Umwelt profitieren sie (im Privaten wie in der Politik) davon, dass andere ihren »ökologischen Fußabdruck« reduzieren. So können sie selbst ohne Skrupel ihren Energieverbrauch und ihre Emissionen steigern. Beispielsweise jener saudische Prinz, der sich einen Airbus 380, den neuen Superjumbo mit 840 Sitzplätzen, als Privatjet bestellt hat. Jede Flugminute, die er im Fitnessraum oder in einem anderen Salon dieses fliegenden Palasts verbringt, macht die Energiesparbemühungen Tausender Haushalte zunichte.

Die Trittbrettfahrer stellen weltweit nur knapp 20 Prozent der Bevölkerung, sie spielen aber eine entscheidende Rolle, indem sie die Meinung der »Mitläufer« beeinflussen. Ein Mitläufer wird seine Lebensweise nicht ändern, wenn er einen Trittbrettfahrer zum Nachbarn hat. Trittbrettfahrer haben im Vergleich zu anderen Mitgliedern der Gesellschaft einen derart hohen Verbrauch, dass sie allein den Kern des Umweltproblems darstellen. Steven Pacala, ein amerikanischer Biologe von der Universität Princeton, hat 2007 berechnet, dass 50 Prozent der weltweiten Emissionen des Treibhausgases CO2 von gerade einmal 7 Prozent der Weltbevölkerung ausgehen – genauer: den 500 Millionen reichsten Menschen des Planeten. Im Gegenzug ist die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung – 3,3 Milliarden Menschen – für nur 7 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Die 500 Millionen sind die Trittbrettfahrer des globalen Systems. Sie sind, verglichen mit dem Rest der Menschheit, wohlhabend und leben zum größten Teil in Nordamerika und Westeuropa, aber auch in Russland, China und Indien. Sie verursachen eine vielfach höhere Verschmutzung, als ihnen in einem fairen System zustehen würde, aber sie entscheiden eben auch, wie die Welt von morgen aussehen wird, dank ihrer enormen Investitions- und Innovationskraft und dank ihrer Vorbildrolle für die Masse, die ihnen nacheifern möchte. Aus ihren Reihen kommen übrigens auch die großen Philanthropen, die ihr Leben lang möglichst viel Geld angehäuft haben und es dann zu ihrer Mission erklären, den Armen zu helfen. Allerdings stellen die paar Dutzend großzügigen Spender nur einen verschwindend geringen Anteil der 500 Millionen »Trittbrettfahrer« dar.

Psychologen warnen, man könne einen Menschen nicht ein für alle Mal auf den einen der oben beschriebenen Typen (Altruist, Mitläufer, Trittbrettfahrer) festlegen: Jeder Mensch passe sich den jeweiligen Umständen an und verändere sich im Laufe der Zeit. Dennoch haben aktuelle Forschungen der Experimentellen Ökonomie gezeigt, dass die Verteilung der drei Bevölkerungstypen in den Gesellschaften der modernen Welt recht stabil ist. Dies wird durch ein ganz einfaches Experiment bestätigt, das man weltweit durchgeführt hat. Ziel war es, zu testen, welchen freiwilligen Beitrag der Einzelne für die Bereitstellung eines öffentlichen Guts leisten würde. Jedem Mitglied aus einer Gruppe von vier zufällig ausgewählten Personen werden 10 Euro überreicht. Jeder Teilnehmer kann sein Geld behalten oder es auf ein gemeinschaftliches Konto legen. Die Bank verdoppelt jeweils die Geldsumme auf dem Gemeinschaftskonto. Die »Spielregel« verlangt, dass anschließend die verdoppelte Geldsumme in gleichen Teilen auf die vier Mitglieder der Gruppe aufgeteilt wird – ganz gleich, ob nun alle auf das Gemeinschaftskonto eingezahlt haben oder nicht. So steigert jeder auf das Gemeinschaftskonto eingezahlte Betrag den Gewinn der Gemeinschaft, reduziert aber den Gewinn des Einzelnen. Denn wenn die vier Personen jeweils 10 Euro auf das gemeinsame Konto legen, macht das 40 Euro, die auf 80 Euro verdoppelt und dann durch vier geteilt werden: Jeder erhält also 20 Euro. Wenn ein Trittbrettfahrer nun die drei anderen ihr Geld auf das Gemeinschaftskonto einzahlen lässt und seine 10 Euro zurückbehält, werden die 30 Euro von der Bank auf 60 Euro verdoppelt und durch vier geteilt, wodurch jeder 15 Euro erhält. Der Trittbrettfahrer hat dann die 10 Euro, die er nicht eingesetzt hat, plus die 15 Euro vom Gemeinschaftskonto und macht damit mehr Gewinn, als wenn er wie die anderen sein Geld dem gemeinsamen Konto zur Verfügung gestellt hätte.

Insgesamt aber bekommt die Gruppe weniger Geld, wenn sich eines oder mehrere ihrer Mitglieder für eine Trittbrettfahrer-Strategie entscheiden. Das gesellschaftliche Dilemma besteht also darin, dass das Optimum auf kollektiver Ebene nur erreicht werden kann, wenn jeder Einzelne eine Entscheidung gegen das persönliche Interesse fällt, den eigenen Gewinn zu maximieren.

Wenn man das Spiel mehrmals wiederholt, stellt sich heraus, dass sich mehr als 20 Prozent der Teilnehmer wie Trittbrettfahrer verhalten. Denn sobald die Mitglieder einer Gruppe merken, dass einer von ihnen die Trittbrettfahrer- Strategie einschlägt, entscheiden sich etwa 60 Prozent dafür, ebenfalls kein Geld mehr auf das Gemeinschaftskonto einzuzahlen – das sind die bedingt Kooperationsbereiten, die Mitläufer. Weniger als 20 Prozent dagegen geben ihr Geld weiter auf das gemeinsame Konto, und zwar unabhängig von der Strategie der anderen. Diese Personen sind die Altruisten. Ähnliche Verteilungen ergeben sich auch bei Varianten dieses Spiels.

Natürlich stellt das Spiel ein stark simplifiziertes Modell des realen menschlichen Miteinanders dar. Im wirklichen Leben spielen nicht zuletzt Stimmungen, Emotionen und Affekte eine wichtige Rolle, die dieses Spiel nicht abbilden kann. Dennoch ist es elementar, die der individuellen Strategie zugrundeliegenden Motivationen richtig zu verstehen, um das Engagement aller gesellschaftlichen Akteure für eine Hinwendung zu einer nachhaltigen Entwicklung zu wecken. Die soziale Dynamik bei Fragen des Gemeinwohls entsteht immer aus dem Bemühen, ein Gleichgewicht zwischen den gegensätzlichen Haltungen der verschiedenen Gesellschaftsteile herzustellen. Trittbrettfahrer davon zu...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Gesellschaft - Männer - Frauen - Adoleszenz

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Weitere Zeitschriften

Arzneimittel Zeitung

Arzneimittel Zeitung

Die Arneimittel Zeitung ist die Zeitung für Entscheider und Mitarbeiter in der Pharmabranche. Sie informiert branchenspezifisch über Gesundheits- und Arzneimittelpolitik, über Unternehmen und ...

aufstieg

aufstieg

Zeitschrift der NaturFreunde in Württemberg Die Natur ist unser Lebensraum: Ort für Erholung und Bewegung, zum Erleben und Forschen; sie ist ein schützenswertes Gut. Wir sind aktiv in der Natur ...

BMW Magazin

BMW Magazin

Unter dem Motto „DRIVEN" steht das BMW Magazin für Antrieb, Leidenschaft und Energie − und die Haltung, im Leben niemals stehen zu bleiben.Das Kundenmagazin der BMW AG inszeniert die neuesten ...

Card Forum International

Card Forum International

Card Forum International, Magazine for Card Technologies and Applications, is a leading source for information in the field of card-based payment systems, related technologies, and required reading ...

Gastronomie Report

Gastronomie Report

News & Infos für die Gastronomie: Tipps, Trends und Ideen, Produkte aus aller Welt, Innovative Konzepte, Küchentechnik der Zukunft, Service mit Zusatznutzen und vieles mehr. Frech, offensiv, ...

Die Versicherungspraxis

Die Versicherungspraxis

Behandlung versicherungsrelevanter Themen. Erfahren Sie mehr über den DVS. Der DVS Deutscher Versicherungs-Schutzverband e.V, Bonn, ist der Interessenvertreter der versicherungsnehmenden Wirtschaft. ...

dima

dima

Bau und Einsatz von Werkzeugmaschinen für spangebende und spanlose sowie abtragende und umformende Fertigungsverfahren. dima - die maschine - bietet als Fachzeitschrift die Kommunikationsplattform ...

DULV info

DULV info

UL-Technik, UL-Flugbetrieb, Luftrecht, Reiseberichte, Verbandsinte. Der Deutsche Ultraleichtflugverband e. V. - oder kurz DULV - wurde 1982 von ein paar Enthusiasten gegründet. Wegen der hohen ...

e-commerce magazin

e-commerce magazin

PFLICHTLEKTÜRE – Seit zwei Jahrzehnten begleitet das e-commerce magazin das sich ständig ändernde Geschäftsfeld des Online- handels. Um den Durchblick zu behalten, teilen hier renommierte ...