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Die Gräfin Cosel

Liebe und Intrigen am Hof Augusts des Starken

AutorKatja Doubek
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783492975759
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Sie war eine der geistreichsten und schönsten Frauen des 18. Jahrhunderts: Anna Constantia Reichsgräfin von Cosel. Die Mätresse und heimliche Ehefrau des kurfürstlichen Königs August der Starke stieg zur wichtigsten Beraterin des sächsisch-polnischen Regenten auf. Doch ihre mächtige Stellung wurde der Cosel zum Verhängnis: Als Opfer höfischer Intrigen und politischer Interessen büßte sie auf Burg Stolpen über 49 Jahre - für eine kurze Episode der Liebe und des Glücks am prunkvollen Dresdner Hof.

Katja Doubek, geboren 1958 in Lübeck, studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Psychologie und hat sich als Biografin großer Frauenfiguren profiliert. Sie lebt als freie Autorin in München und Italien. Zuletzt veröffentlichte sie die Biografien »Die Gräfin Cosel« und »Die Astors« sowie den Roman »Königin der Meere«.

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Leseprobe

Ich möchte eine Schwester


Zusammengerollt wie ein junger Igel lag Anna Constantia von Brockdorff zitternd vor Angst unter ihrer dicken Decke und hielt sich die Ohren zu. Ein bitterer Wind jagte beißende Winterkälte durch die Fensterritzen in jede Kammer des Gutshauses.

Eine Weile war nichts zu hören gewesen, doch gerade eben hatte wieder ein markerschütternder Schrei das ganze Haus durchdrungen. Constantia begann zu weinen. Das sechsjährige Mädchen steckte den Kopf vorsichtig unter dem Plumeau hervor und lauschte – da! Da war es wieder, das furchteinflößende Geräusch, erst ein Aufschrei, dann eine Sekunde Schweigen und dann folgte wimmerndes Jammern.

Hastig zog Constantia das Federbett wieder über den Kopf. Ihr Herz raste, Hände und Füße waren eiskalt. Was immer dort unten in der Stube geschah, es war schrecklich!

Sie putzte sich die Nase mit dem Zipfel ihres Kissens und krabbelte aus dem Bett. Mit kleinen eiligen Schritten tapste sie zur Tür und flitzte über die knarrenden Flurdielen in die gegenüberliegende Kammer, dann machte sie einen Satz und stand vor dem großen Bett ihres Bruders.

»Christian! Ich fürchte mich so sehr! Bitte laß mich unter deine Decke.«

Christian Detlev von Brockdorff rutschte bereitwillig zur Seite.

»Komm schnell! Und vorsichtig – Joachim liegt schon neben mir, er ist gerade erst eingeschlafen«, flüsterte er.

Constantia schmiegte sich eng an ihren Bruder. Der nahm sie liebevoll in den Arm.

»Hast du Angst, weil die Mutter so schreit?«

»Das ist die Mutter?« Constantias Herz stockte vor Schreck.

»Aber warum? Wer tut ihr denn solches Leid, daß sie so jammern muß?«

Christian drückte seine kleine Schwester noch etwas fester an sich.

»Niemand tut ihr etwas an – wir bekommen noch ein Geschwister. Sie hat bei dir so geschrien, das erinnere ich noch genau. Sie hat vor vier Jahren bei Joachim so geschrien, weißt du das denn nicht mehr? Und«, er machte eine nachdenkliche Pause, »bei mir wird sie wohl auch so geschrien haben.«

»Wir bekommen ein Geschwister? Woher denn? Wie denn? Einen Bruder oder eine Schwester? Ich möchte eine Schwester – wir sind doch schon zwei Brüder.«

Mit diesen Fragen war der elfjährige Christian überfordert. Zwar wußte er seit einigen Wochen von der Mutter, daß Nachwuchs auf dem Weg war, doch was es genau damit auf sich hatte, war nicht aus ihr herauszukriegen gewesen.

»Laß gut sein, Christian, es ist, wie es ist, und es kommt, wenn es kommt. Gebe Gott, daß alles gut geht und das Kind gesund ist und überlebt«, hatte Margarethe von Brockdorff ihrem Erstgeborenen beschieden und sich zur Seite gewandt. Zwei Kinder hatte sie tot zur Welt bringen müssen. Sie fürchtete sich vor der bevorstehenden Entbindung.

Die klirrende Nacht des 29. Januar 1687 war schon einige Stunden fortgeschritten, die letzten großen Holzscheite glühten im Kamin. Anna Margarethe von Brockdorff, geborene Marselis, verwitwete Berns, lag erschöpft im Wochenbett und hielt ihre soeben geborene Tochter Margarethe Dorothee in den Armen.

»Es ist jedesmal ein Wunder, nicht wahr?« sagte sie mit matter Stimme und schaute ihren Mann glücklich an.

Ritter Joachim Brockdorff nickte.

»Sie sieht stark und gesund aus – stark und gesund wie Sie, Liebste. Sie wird leben.« Er strich dem kleinen Mädchen zärtlich über den Kopf.

»Ich möchte trotzdem, daß sie gleich morgen in der Frühe getauft wird. Für den Fall, daß doch noch etwas Schlimmes geschieht.« Bei dem Gedanken fühlte sie einen Kloß im Hals.

»Es wird nichts Schlimmes geschehen. Diesmal nicht. Ich reite noch vor Tagesanbruch und hole den Pfarrer.«

Nie wäre es Joachim Brockdorff eingefallen, seiner schönen Frau einen Wunsch abzuschlagen. Fünfzehn Jahre waren sie ein Paar, und seit fünfzehn Jahren liebte er sie wie am ersten Tag. Ihre Heirat war eine Liebesheirat gewesen – mit einem kleinen Wermutstropfen nur: Sie war nicht standesgemäß.

Die Marselis waren eine Familie mit langer Tradition und entsprechend stolz. Sie handelten mit Salz und Getreide, Spitzen und Instrumenten, pflegten beste Beziehungen zu den wichtigen Höfen Europas und wußten immer, was dort fehlte oder gewünscht wurde. Obwohl bürgerlicher Herkunft, lebte die inzwischen weitverzweigte Kaufmannsfamilie wie die Adligen.

Dann kam der Dreißigjährige Krieg. Mit Geschützen, Kugeln und Schießpulver war sehr viel Geld zu verdienen, und bald galten die Marselis als wahrhaft gemachte Leute.

Anna Margarethe kam im letzten Jahr dieses für ihre Familie so überaus einträglichen Krieges in Hamburg zur Welt.

Im Sommer 1668 heiratete die knapp zwanzigjährige Anna Margarethe Marselis ihren Vetter Albert Berns. Die Hochzeit machte sie zur Herrin auf Schloß Wandsbeck. Ein Jahr und wenige Monate währte das Glück des jungen Paares, da erlag Albert einer tödlichen Krankheit.

Margarethe Berns war keine zweiundzwanzig Jahre alt, verwitwet, sehr schön und sehr reich. Männer aus den ersten Familien der Umgebung warben um die hübsche, selbstbewußte junge Frau, doch die hatte ihre Wahl schon getroffen.

Ritter Joachim von Brockdorff, fünf Jahre älter als seine Braut, hochgewachsen, ungestüm, stolz und klug, aber bedauerlicherweise von verarmtem Adel, war keineswegs nach Wunsch und Willen der Marselis-Familie, die eine lukrativere Verbindung bevorzugt hätte. Da zählte nicht der alte Ritteradel und nicht die Verwandtschaft mit allem, was in der Region Rang und Namen hatte. Die Marselis waren überzeugt: Die beste Verbindung mit Geld war und blieb Geld.

Auch der Bräutigam hatte vor der Heirat große Widerstände zu überwinden. Familie von Brockdorff war nicht gewillt, eine Bürgerliche an seiner Seite zu dulden. Dieser Hürde gewahr, entschied er sich für eine Schwindelei, gab Margarethe von vornherein als Gräfin Marselis aus und ersparte sich und ihr damit den drohenden Ärger von seiner Sippe.

Knapp ein Jahr kämpfte das Paar, dann siegte die Liebe, und am 1. Oktober 1672 standen die beiden vor dem Altar.

Zwei Güter – Dueholm in Nordjütland und Semb in Norwegen – brachte Margarethe als Mitgift in die Ehe und außerdem eine erhebliche Barschaft von 47000 Talern. Das Geld wurde dringend gebraucht und verschwand mit rasanter Geschwindigkeit. Ritter Joachim Brockdorff hatte nicht weniger als elf Geschwister, die es auszuzahlen galt, um wenigstens das Brockdorffsche Gut Depenau in Besitz nehmen zu können.

Depenau mit seinen Ländereien, Bauern und Unfreien wurde der Wohnsitz des Paares. Hierher kehrte Joachim Brockdorff immer wieder von seinen Einsätzen als »Oberst zu Pferd« im Generalstab des dänischen Königs zurück. Und hier gebar Margarethe von Brockdorff ihre Kinder.

Als aus der Stube keine Schreie mehr zu hören waren, beruhigte sich auch Constantia. Die Angst wich unüberwindlicher Neugierde. Sie atmete tief ein:

»Ist es vorbei, Christian? Meinst du denn, wir haben jetzt ein Geschwister?«

»Ich weiß es nicht. Sei leise und schlaf jetzt, sonst weckst du noch den Kleinen mit deinem Geplapper. Wir werden es morgen erfahren.«

»Aber bis morgen dauert es noch so lange, ich will es lieber gleich wissen.«

»Gib endlich Ruhe. Bis morgen sind nur noch ein paar Stunden, und so lange wirst du Geduld haben müssen.«

Constantia lag mit offenen Augen auf dem Rücken und lauschte den regelmäßigen Atemzügen ihrer schlafenden Brüder. Behutsam schlug sie die Decke zurück, glitt auf den Boden und verließ auf Zehenspitzen das Zimmer. Die Treppe war der tückische Teil der Unternehmung, denn ihre alten Stufen hatten ein Eigenleben und knackten oder knarrten manchmal sogar, wenn man sie gar nicht berührte. Constantia hielt die Luft an.

Unten angekommen ging sie zielsicher auf die Schlafkammer ihrer Mutter zu. Durch die halbgeöffnete Tür drang das Schnarchen ihres Vaters. Constantia versuchte den Atem ihrer Mutter zu erlauschen, konnte ihn aber nicht ausmachen. Langsam zog sie sich zurück. Schon vor einigen Tagen hatten zwei Knechte ein Bett in die Stube gestellt. Vielleicht schlief die Mutter dort. Constantia drehte sich um und fand auch diese Tür nicht verschlossen. Ein eigenartig fremder, süßlicher Geruch schlug ihr entgegen. Von der Spannung überwältigt achtete sie nicht mehr auf ihre Schritte und trat gegen etwas Hartes. Im selben Augenblick hörte sie das leise Greinen eines Säuglings und eine Sekunde später die Stimme ihrer Mutter, die ihren Oberkörper aufrichtete und sich aus dem Bett beugte.

»Wer ist da?« flüsterte sie und hob ein kleines Bündel aus der Wiege, gegen die Constantia ...

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