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Die Harlans. Eine Großfamilie französisch-hugenottischer Herkunft

AutorIngrid Buchloh
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl276 Seiten
ISBN9783744884587
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Der Hugenotte Jean Harlan flieht 1685 vor den "Dragonaden" Ludwigs XIV. nach Deutschland und legt mit der Gründung eines Tabakgewerbes den Grundstein für den Wohlstand seiner Nachkommen. Diese leben lange Zeit in einer so genannten "französischen Kolonie", heiraten ausschließlich Hugenottinnen und pflegen französische Sprache und Lebensart. So gelingt ihre Integration in die deutsche Gesellschaft anfangs nur zögerlich. Doch schon im 19. Jahrhundert sind die Nachkommen französischer Glaubensflüchtlinge so weit integriert, dass sie mit Begeisterung in den vom preußischen König ausgerufenen "Befreiungskrieg" gegen Napoleon ziehen und im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 für die Gründung eines deutschen Einheitsstaates kämpfen. Die Ablehnung zeitgenössischer französischer Politik ändert jedoch nichts an ihrer Wertschätzung französischer Kultur. In den Familien sprechen sie weiterhin Französisch und erziehen die folgenden Generationen im Bewusstsein des französisch-kulturellen Ursprungs der Familie. Im öffentlichen Leben sind sie derweil schon lange angekommen. Sie etablieren sich als erfolgreiche Kaufleute und Unternehmer, steigen als Beamte im Staatsdienst in die preußische "Funktionselite" auf und entdecken schließlich auch ihre künstlerischen Talente. Einige bringen sich mit außergewöhnlichen Leistungen in die deutsche Gesellschaft ein. Louis Jacques Harlan gründet in Schwedt eine Tabakfabrik. David Hilbert, der "Einstein der Mathematik" macht Göttingen zum Zentrum der Mathematik. Otto und Erich Harlan ermöglichen die Industrialisierung einer sächsischen Region. Wolfgang leistet Pionierarbeit im Flugzeugbau und Walter spielt eine bedeutende Rolle im Theaterleben Berlins. Er gilt als der Gründer der "Künstlerfamilie" Harlan.

Ingrid Buchloh, geb. 1942, studierte Geschichte und Romanistik an der Universität Köln und wurde von Wolfgang J. Mommsen promoviert. Bis 2004 erteilte sie Unterricht am St. Hildegardis-Gymnasium in Duisburg und bildete am Studienseminar Referendare aus. Danach beschäftigte sie sich mit der Geschichte der Familie Harlan und veröffentlichte dazu folgende Bücher: Die Harlans - Eine hugenottische Familie (Verlag der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 2007), Veit Harlan - Goebbels' Starregisseur (Ferdinand Schöningh-Verlag, 2010) und Hilde Körber - Berlin war ihre Bühne (Nicolai-Verlag, Berlin, 2013).

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Leseprobe

DIE NACHKOMMEN IN SCHWEDT UND STOLP


Im- und Export der Brüder Jacob und Isaac

Jacobs Söhne, Jacob, geboren 1729, und Isaac, geboren 1735, erweiterten das Tabakgeschäft durch ihren Einstieg in den Großhandel mit Zucker und Leder.69 Mit ihrem Zwischen- und Kommissionshandel klinkten sie sich in das Export-Import-Geschäft ein, in dem traditionell Leder und Felle aus dem Hinterland gegen Kolonialwaren aus dem atlantisch orientierten Südwesten Europas gehandelt wurden.70

Da in Preußen das Nahrungs- und Genussmittelgewerbe einen der ersten Plätze unter den Großgewerben einnahm,71 warf der Kolonialwarenzwischenhandel hohe Gewinne ab.72 Tabak und Zucker hatten zudem, da sie bislang dem Adel und reichen Kaufleuten vorbehalten waren,73 Statussymbolcharakter und wurden im 18. Jahrhundert zu den wichtigsten Kolonialwaren.74

Jacob übernahm den Handel mit den amerikanischen Kolonialwaren Tabak und Zucker. Sie gelangten hauptsächlich über die atlantische Hafenstadt Bordeaux75 nach Hamburg, dem wichtigsten Umschlagplatz für Europa,76 und wurden von dort durch den Zwischenhandel verbreitet.77 In Hamburg lag der Kommissionshandel mit Zucker in den Händen hugenottischer Händler,78 ein nicht zu unterschätzender Vorteil für den Hugenotten Jacob. Eine gewisse Konkurrenz bildete noch einige Jahre der Stettiner Zucker. Als aber dessen Produktion eingestellt wurde,79 standen Jacob auch der Stettiner Raum und der vorher von dort belieferte Markt des gesamten Hinterlandes bis hin nach Sachsen und Schlesien offen.80

Isaac betrieb den Handel mit Leder. Er begann damit in einer Zeit, in der das Ledergewerbe von der preußischen Regierung durch merkantilistische Maßnahmen gefördert wurde.81 Unterstützt wurde er auch durch hugenottische Verwandte, die in mehreren Städten im Ledergewerbe tätig waren. Zur Hansestadt Hamburg bestand eine Verbindung durch den Altonaer Kaufmann für Gerberlohe, Isaac Wall, den Ehemann von Suzanne Cuny, einer Tante von Isaacs Neffen.82 In Prenzlau waren es der Großcousin Daniel Salingre und dessen Vetter Jacques Salingre, die beide als Lohgerber und Lederproduzenten erfolgreich waren.83 In Stettin hatte sich Abraham Salingre, ein weiteres Mitglied der Prenzlauer Salingres, als Lohgerber und Lederfabrikant niedergelassen.84 Dort saß auch der Kaufmann Philipp Boccard, Besitzer einer Lederfabrik, Wachsfabrikant und später Schwiegervater von Jacobs Sohn Jacques-Abraham.

Dadurch dass die Harlans beide Seiten des Kommissionshandels bedienten, waren sie im Handelsgeschäft optimal aufgestellt. Einen weiteren Vorteil brachte ihnen die Lage Schwedts an der Oder, denn der Fluss verband die Stadt auf einem direkten Binnenwasserweg mit den wichtigsten Handelsplätzen, Stettin, Hamburg85 und später auch Danzig86.

Schließlich profitierten sie von der Stadt selbst, denn die Markgrafen von Brandenburg-Schwedt eiferten dem Prunk des Hofes von Versailles nach87 und verhalfen durch ihre aufwendige Hofhaltung und zahlreiche Vergnügungen den Gewerbetreibenden zu „ansehnlichen Verdiensten“.88

Trotz des Erfolgs im Zucker- und Lederhandel blieben Tabakanbau und Tabakspinnerei sowie der damit verbundene Produkthandel Schwerpunkte des Harlanschen Unternehmens. Offensichtlich war es gelungen, das Fabrikationspatent Friedrichs II. zu erwerben, denn es gab auf dem Flinkenberg und in der Vierradener Straße eine Tabakmühle und zwei Manufakturbetriebe.89

Das Patent hatte der König 1744 hugenottischen Kaufleuten angeboten, zusammen mit dem Privileg der Herstellung und des Vertriebs von Tabak. Bedingung war, dass der Konzessionär 1.000 Taler Kapital in sein Unternehmen investierte, ausgelernte Gesellen beschäftigte und eine durch Fermentierung veredelte Art von Rauch- und Schnupftabak produzierte.

Die Konzession ging einher mit einer teilweisen Befreiung von der „Akzise“ (Verbrauchssteuer). Da die Harlans als Réfugiés ohnehin weitgehende Abgabenfreiheit genossen, mussten sie für die „Akzise“ nur noch 2 Prozent aufbringen, während der allgemeine Satz bei 50 Prozent lag. Das verschaffte ihnen gegenüber anderen Tabakspinnern einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Hinzu kam, dass sie in der Manufaktur eine Geschmacksveredelung des Rauch- und Schnupftabaks erzielten, die in der konventionellen Zubereitung, zu der die Tabakspinner durch die Zunft gezwungen waren, nicht erreicht werden konnte.90 Viele Meister verloren jetzt ihre Selbständigkeit und waren häufig gezwungen, in den Unternehmen der Konzessionäre im Tage- oder Stücklohn neben den Gesellen zu arbeiten.91

Wirtschaftliches und familiäres Netzwerk

Die Gründe für den wirtschaftlichen Erfolg der Harlans sind vielfältig. Als Immigranten mussten sie sich zunächst eine Existenzgrundlage schaffen und standen dabei unter dem Zwang, besser zu sein als die Einheimischen. Ansporn war ihnen auch ihre religiöse Überzeugung, dass wirtschaftlicher Erfolg als Zeichen der Erwähltheit durch Gott zu werten und das Ausruhen auf ihm sittlich verwerflich sei. Aus dieser Überzeugung resultierte eine leistungsbezogene und durch „innerweltliche Askese“ bestimmte Lebensführung als weitere Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg.92

Da sie zudem als Réfugiés nicht durch Zunftzwänge eingeengt waren, hatten sie den wettbewerblichen Vorteil, neue Wirtschaftsformen zu erproben, ohne Sanktionen ausgesetzt zu sein.93 Im Bereich der Finanz- und Handelsaktivitäten brachten sie Jahrhunderte alte Erfahrungen aus Flandern mit und erhielten auch, da sie aufgrund ihres praktizierten Glaubens vertrauenswürdig waren, die für ihre Investitionen nötigen Kredite.94

Ihr größtes Kapital aber war das hugenottische Netzwerk, das ihnen Lieferanten und Abnehmer im ganzen „Refuge“ sicherte.95 Dieses durch Eheallianzen gefestigte Netzwerk geschäftlicher Beziehungen verband sie mit den hugenottischen Kaufmannsfamilien Salingre, Cuny und Boccard.

Die Familien Harlan und Cuny kannten sich schon aus der Zeit, als Daniel Cuny das Amtsgut Wildenbruch, einige Meilen von Schwedt, gepachtet hatte.96 Eine familiäre Bindung entstand 1754 durch die Heirat von Jacob mit Sophie Tugendreich Cuny. Später festigte Jacobs Sohn Louis-Jacques die verwandtschaftliche Beziehung durch seine Ehe mit Susanne Cuny97, der Tochter des Magdeburger Grünseifenfabrikanten Jean Jacques Cuny, eines Enkels von Daniel. Noch im selben Jahr schwor sich Louis-Jacques zusammen mit seiner Frau als Kaufmann von Magdeburg ein98 und übernahm später die Leitung der Cunyschen Seifenfabrik.

Louis-Jacques’ Bruder Jacques-Abraham heiratete 1787 Jeanne Wilhelmine Boccard, Tochter des Stettiner Kaufmanns Philippe Boccard99 und der Marie-Charlotte Salingre.100 Durch diese Ehe wurde die bereits bestehende familiäre Verbindung zu den Salingres aus Stettin verstärkt. Dabei war die Verbindung zu Isaac Salingre von besonderem Interesse, denn er gehörte bereits 1763 zu den Kaufleuten, die auch Überseehandel betrieben und ein „konsiderables“ Vermögen besaßen.101

Eine familiäre Beziehung zu der Familie des Schwedter Tabakfabrikanten von Philippsborn gab es später auch noch, nachdem Auguste, die Enkelin von Jacques-Abraham und Jeanne Wilhelmine Boccard, den Leutnant der Garde-Artillerie Eugen von Philippsborn geheiratet hatte.102

Gesellschaftlicher Aufstieg

Durch die Verwandtschaft mit den Salingres und den Boccards öffnete sich den Harlans die Tür zur gesellschaftlichen und geistigen Elite Stettins. Beide Familien bildeten zusammen mit den Familien Tilebein, de Pérard, Buyrette103 und Pépin104 ein intellektuelles und schöngeistiges Zentrum französischer Prägung.105 Sie standen in geistigem Austausch mit den entsprechenden Zirkeln in Berlin, Den Haag und Paris.106 Der hugenottische Pastor Jacques de Pérard schätzte die Stettiner Gesellschaft als eine „société […] bien choisie, petite mais amusante“.107

Isaac Salingres Frau, Marguerite Letocart, führte einen Salon, in dem französische Literatur gelesen wurde und Gelehrte über Philosophie und Kunst diskutierten. Im „Salingre-Palais“ fanden musikalische Veranstaltungen, prachtvolle Empfänge und Bälle statt, an denen neben den führenden Kaufmannsfamilien auch Mitglieder des preußischen Adels teilnahmen, unter ihnen Kronprinzessin Elisabeth von Preußen, die von 1769 bis 1775 während ihrer Verbannung vom Hof im Stettiner Schloss wohnte.108 Mit dem Adel waren die Salingres durch die Ehen ihrer beiden Töchter mit den Brüdern von Flemming verbunden, zu denen auch die Harlans eine familiäre...

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