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E-Book

Die hohe Schule der Einsamkeit

Von der Kunst des Alleinseins

AutorMariela Sartorius
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl207 Seiten
ISBN9783641071134
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Ein brillantes Buch wider den schlechten Ruf der Einsamkeit
- Die genussreiche Seite des »einsamen« Daseins
- Alleinsein als Lust und Lebenskunst: den Schatz des Innenlebens heben

Mariela Sartorius studierte Psychologie und fernöstliche Philosophie. Sie publizierte als freie Journalistin u. a. in 'Süddeutsche Zeitung', 'FAZ', und 'DIE ZEIT'. Heute arbeitet sie als Schriftstellerin und Malerin. Mariela Sartorius lebt in München.

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Leseprobe

Bei Regen, werktags, über Mittag


Zu den Dingen, die ich am liebsten allein tue, gehört das Gehen. Schließlich handelt dieses Buch ja auch von Einzel-Gängern.

Ich praktiziere den Alleingang seit Jahren; zum Befremden, manchmal sogar bis hin zum Beleidigtsein meiner Freunde. Sie fühlen sich zurückgestoßen, wenn ich ohne sie losziehen möchte.

Es gab einmal Zeiten, in denen man offensichtlich ganz gern allein unterwegs war. Wunderschöne Gedichte der Romantik zeugen davon. Märchen und Sagen erzählen von Vagabunden und Vaganten, vogelfrei und allein des Weges. Volkslieder von umherziehenden Handwerksburschen besingen den einsamen Wandersmann; allerdings kaum je die einsame Wandersfrau. Den Aufbruch eines frühreifen Weltenbummlers lernten wir mit »Hänschen klein« kennen, den Aufbruch eines anderen mit »Muß i denn zum Städtele hinaus«. Allein aufzubrechen ins Unbekannte und Abenteuerliche muss in vergangenen Zeiten ein Vergnügen von hohem Grad gewesen sein. Es versprach, was es auch heute noch verspricht, wenn man sich ihm nur aussetzen würde: ein Gefühl von Freiheit für Gedanken und Emotionen.

Diese Freuden haben offenbar ihren Reiz verloren. Jetzt wandert man im Pulk.

Nordic-Walking-Gruppen inserieren in der Zeitung und suchen Mit-Walker, um die Gruppe zu vergrößern. Jogger sollen, so sagen die Mediziner, so langsam laufen, dass sie sich dabei noch unterhalten können; ein Ratschlag, der überhaupt nicht mehr vom Einzelläufer ausgeht und der einen Solo-Jogger, wenn er den gesunden Dialog während des Laufens pflegen soll, zum befremdenden Führen von Selbstgesprächen verurteilt. Zusammengehörende Rudel von Wanderern, im Verein erkennbar an gleichen Abzeichen, Hüten und Wimpeln, verstopfen Höhenwege und Hüttentoiletten. Und nicht enden wollende Wallfahrerprozessionen gefährden sich und andere auf Landstraßen.

Wie anders da der alte Geheimrat: »Ich ging im Walde/So für mich hin,/Und nichts zu suchen,/Das war mein Sinn«, beginnt Goethe sein bekanntes Gedicht.

»So für mich hin« ist eine Glücksformel. Es ist ein Schlüsselhalbsatz, der es in sich hat.

Ich gehe mehrmals wöchentlich durch einen großen, meist menschenleeren Schlosspark eine knappe Stunde lang so für mich hin. Es ist der Park der Einzelgänger: keine Radfahrer, wenige Jogger, kaum Mütter mit Kinderwagen. Hunde müssen an die Leine, was ihre Zahl beschränkt, Räder dürfen nicht einmal geschoben werden. Lautstarke Großfamilien, Sonnenanbeter, Scharen mit Picknickkörben, Musikanten, Ballspieler und lebenslustige Jugendgruppen meiden folglich diesen Park. Liebespaare suchen ihn nur auf, wenn sie von den ihnen Angetrauten nicht erwischt werden wollen. Sie kennzeichnen sich dadurch, dass sie das Halten ihrer Hände sein lassen, wenn sie einem Passanten begegnen.

Es ist nicht nur der Park der Einzel-, sondern auch der Müßiggänger. Wenige eilen hier. Das Staccato der Nordic-Walking-Stöcke, das nervende Trippeln kurzer Schrittfolgen auf Kies, der Stechschritt der Hurtigen, das Preschen der Ruhelosen und das Hecheln der Jogger hört man selten. Schlendern und Flanieren sind angesagt. Begegnet man sich, schaut man den Eindringling in die scheinbare Privatsphäre dieses scheinbaren Privatparks eher mürrisch an, wenn überhaupt. Allerdings mischt sich nicht selten ein winziges Glimmen in die Augenwinkel. Da erkennt ein Connaisseur den anderen, der wie man selbst in diesem Wiesen- und Waldparadies nur »so für sich hin« gehen möchte.

Ich gehe am liebsten bei Regen, werktags, über Mittag. Dann gehört der Park mir. Wurde er kurzfristig für die Allgemeinheit gesperrt? Bin ich eine der Prinzessinnen, die diese Gefilde einst bevölkerten?

Königlich ist die Freude jedenfalls, die mich hier überkommt: Die Weite, die Stille, die Exklusivität schaffen einen Schonraum sowohl für Gedanken als auch fürs Nichtdenken. Die schweigende, gleichmäßig ruhige Bewegung tut ein Übriges. Nachdenklich oder ganz im Gegenteil gedankenverloren einen Fuß vor den anderen zu setzen, dieses entrückte Gehen wie in Hypnose kann nicht klappen, wenn sich jemand an meine Seite gesellt.

Es gibt Tage, da finde ich mich unversehens, wie mir scheint, wieder an der Eingangspforte. Wo ist die Stunde geblieben? Ich muss in Trance gewandelt sein, eine Nachtwandlerin zu verschobener Tageszeit. Dann gibt es wieder Spaziergänge, bei denen mir endlich die ideale Tischordnung für meine nächste Einladung einfällt oder die lange gesuchte, freche Formulierung für einen Beschwerdebrief. Während mancher Runden, die ich dort drehe, kann ich eine Stunde lang einen Ohrwurm nicht abschalten und singe eine Melodie ein ums andere Mal lautlos mit, im Takt der Schritte. Und es gibt Streifzüge, bei denen sich, ganz ohne Anlass, Erinnerungen und Durchblicke in gläserner Klarheit aufdrängen. Dann können danach zu Hause Entschlüsse gefasst und Pläne gemacht werden.

Archimedes erlangte seine Erkenntnis bekanntlich in der Badewanne. Paul McCartney komponierte das Lied »Yesterday« im Schlaf. Der Chemiker Friedrich August Kekulé träumte Ende des 19. Jahrhunderts seine bahnbrechende organische Chemie-Formel. Wann immer einem dieser oder jener gute Gedanke kommt – man ist dabei fast ausnahmslos allein. Das Alleingehen ist also keine schlechte Voraussetzung für ein paar kleine, neue Geistesblitze. Selbst wenn sie sich nur auf die passende Anrede in einem Liebesbrief beziehen oder die ultimative Grußform für einen Abschied.

Die Welt meines Parks ist nie langweilig oder eintönig:

Mal riecht eine Wiese nach den Schnittkanten frisch gemähter Gräser. Mal brennt die Sonne dermaßen auf die wenigen schattenlosen Stellen, dass alle Farbe daraus verschwindet. Mal entdecke ich eine Astgabel im Goldenen Schnitt. Mal steht ein Reh wenige Meter seitwärts im Unterholz und schaut fluchtbereit, bleibt aber und äst weiter. Mal höre ich das bedrohlich kraftvolle Heulen der Luftströme an den Schwingen der Schwäne, wenn sie in Formation über mich hinwegrauschen. Mal sehe ich die seit Jahren eingeschlagene Abzweigung erst im letzten Moment, weil der Novembernebel so dicht geworden ist. Mal knirscht der Schnee unter den Schuhen ganz seltsam.

Gerade bei düsterem Wetter oder in der Dämmerung, bei aufziehendem Sturm oder im fahlen Zwielicht werden die Wege, die ich allein gehe, zu Wegen, die mich in tiefere Gründe führen. Aber keineswegs in Abgründe.

Traurigkeiten werden bedacht und verlieren ihren Schrecken. Jegliches Ende zeigt sich in versöhnlicherem Licht. Alltägliche Kämpfe entbehren plötzlich der Schärfe. Abschiede, die im Leben nun mal nicht zu umgehen sind, scheinen nicht mehr so herzzerreißend zu sein, wo doch jeder Schritt bei einem solchen Spaziergang ein Abschied vom vorigen Schritt ist.

Und zu Hause warten schließlich trockene Schuhe und ein Kaminfeuer. Diese Aussichten, gekoppelt an die Unwirtlichkeit eines Spaziergangs in düsterer Atmosphäre, relativieren dann sehr schnell die Düsternis, die der einsame Mensch sich so gern einredet.

Manfred Hausmann hat das in seinem Gedicht »Weg in die Dämmerung« so empfunden:

Bald will’s Abend sein.
Stumm steht das Geheg.
Und ich geh’ allein
Den verschneiten Weg,

Reif erknirscht und Schnee
Unter meinem Schuh.
Weg, auf dem ich steh’,
Dir gehör ich zu!

 

Wer des Lichts begehrt,
Muß ins Dunkel gehn.
Was das Grauen mehrt,
Läßt das Heil erstehn.

 

Wo kein Sinn mehr mißt,
Waltet erst der Sinn.
Wo kein Weg mehr ist,
Ist des Wegs Beginn.

Wenn ich von tieferen Gründen, Erkenntnissen und dergleichen genug habe und es mir mehr nach dem Beobachten von Menschen ist, gehe ich auch manchmal in belebte Grünanlagen. Wer allein und dadurch notgedrungen schweigend zu Fuß unterwegs ist, dem fällt bald auf, dass da und dort die Fetzen fliegen, die Gesprächsfetzen.

Spaziergänger nämlich, sobald sie zu zweit sind, tun vor allem eins: Sie reden und reden.

Wenn man nun so einem palavernden Passantenpaar begegnet, bekommt man natürlich nur Bruchstücke einer Unterhaltung mit, in diesen zwei, drei Sekunden, die man braucht, um aneinander vorbeizugehen. Es sind merkwürdige Details, aus denen sich einen Reim zu machen das kurzfristig amüsante Spiel für einen Einzelgänger ist. Es gibt zusammenhanglose Horrorstorys oder den zaghaften Beginn eines Flirts, knappe Schlagworte eines saftigen Streits oder unvollendete Symphonien von Klatschgeschichten. Die meisten Satzfragmente lauten: »hat er gesagt« und »hat sie gesagt«.

Als vorübergehender Weggenosse, aber ausgeschlossener Gesprächspartner ist man aufgeschmissen und kann nur versuchen, sich einen Vers darauf zu machen und sich die Fortsetzung zusammenzureimen.

Schwieriger wird dieser Zeitvertreib, wenn zwei Jogger entgegenkommen oder überholen. Naturgemäß ist die Aufnahmezeit ihres bruchstückhaften Dialogs verkürzt. Meine kreative Aufgabe dabei ist es, Vorgeschichten zu ergründen, die Handlung fortzuführen, zu phantasieren und zu spintisieren. Und da soll ein Spaziergang ohne Begleitung langweilig sein?

Ich persönlich bin gegen schnelles Gehen. Außer dem Schlendern erlaube ich mir noch das Stromern – möglichst in unbekanntem Gelände. Ziel brauche ich keines, Wege auch nicht unbedingt. Mit vorgeschobenem Kopf und sozusagen aufgestellten Ohren, die Nasenflügel weit gemacht und die Augen beobachtend, ziehe ich gern durch tiefe Wälder meine Spur, knapp vor der Mutation zum Wolf, natürlich zum bekannten »Einsamen Wolf«. Ich habe mich dabei schon elend verlaufen, und folglich sind diese Unternehmungen auch immer ein bisschen unheimlich.

Das sind dann Wege beziehungsweise weglose...

Blick ins Buch

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