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Die Idee des Volksliedes in der Kunstmusik

AutorChristine Krüger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl95 Seiten
ISBN9783638499316
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Musik - Sonstiges, Note: 1,3, Universität der Künste Berlin, 60 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Aus heutiger Sicht assoziiert man mit den Begriffen 'Volkslied' und 'Kunstmusik' zwei völlig verschiedene Musikbereiche. Als Volkslied fallen einem häufig Lieder wie 'Alle Vögel sind schon da', 'Schlaf Kindlein, Schlaf' oder 'Der Kuckuck und der Esel' ein. Meistens sind es Lieder, die man im Kindesalter von den Eltern oder in der Schule kennen gelernt hat. Oft wird daher der Begriff 'Volkslied' dem des 'Kinderliedes' gleichgesetzt; eine niedrige Bewertung dieser Lieder bezüglich des musikalischen Niveaus geht damit einher. Es sind Lieder, die im alltäglichen Leben verwendet und von allen gesungen werden können. Die spontanen Einfälle zum Begriff 'Kunstmusik' bilden einen anderen Kontext: hier fallen einem zuerst die Namen großer Komponisten wie Bach, Mozart oder Beethoven ein, oder Gattungen wie Fugen, Opern und Symphonien. Die Musik ist kunstvoll durchdacht und gestaltet und wird von ausgebildeten Musikern in Konzertsälen dargeboten. Ist eine Verknüpfung der beiden Bereiche überhaupt möglich? Die Übernahme von Kunstmusik in Volkslieder ist mangels musikalischer Ausbildung der Ausführenden technisch nicht ohne weiteres durchführbar. Im Gegensatz dazu ist die Übernahme von Volksliedern in die Kunstmusik so gesehen machbar. Doch wäre solch ein Verfahren sinnvoll? Kann ästhetisch hoch angesiedelte, ja vollkommene Musik dadurch noch etwas hinzugewinnen? Für genau diese Frage soll im Folgenden eine Antwort gefunden werden. Denn wie sich im Verlauf zeigen wird, findet sich in allen Bereichen der Kunstmusik das Phänomen der Verwendung von Volksliedern.

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Leseprobe

2       Das Volkslied


 

2.1 Abgrenzung zum Kunstlied


 

Um die „Idee des Volksliedes in der Kunstmusik“ zu verdeutlichen, sollen in einer Abgrenzung zum Kunstlied die Besonderheiten des Volksliedes hervorgehoben werden.

 

In diesem Zusammenhang ist der funktionale Aspekt eines Volksliedes wichtig. Das Volkslied hat werkzeugliche Qualitäten und ist nicht auf ästhetische Wirkung hin entworfen, d.h. es ist in der Primärfunktion kein Kunstwerk sondern muss einen bestimmten Zweck erfüllen. Sei es die Erleichterung einer Arbeit beim Arbeitslied oder die Weitergabe von Informationen beim Zeitungslied.

 

Daher ist die Qualität des Singens beim Volkslied Nebensache. Die Art der Melodiegestalt geht aus diesem Aspekt hervor: Im Vergleich zum Kunstlied erscheint die Melodie eines Volksliedes relativ einfach. Mehrstimmigkeit tritt bei Volksliedern nur selten auf und dann ebenfalls auf einfache Weise als Bordunbegleitung oder im Terz- oder Sechstabstand. Das Singen eines Kunstliedes dagegen erfordert eine Ausbildung, bei der die Technik des Singens sowie eine wohlklingende Stimme im Vordergrund stehen.

 

Ein weiterer prägnanter Unterschied zum Kunstlied lässt sich in Hinblick auf das Verhältnis zwischen Wort und Ton erkennen. Im Gegensatz zum Volkslied bilden bei einem Kunstlied das Wort des Dichters und die musikalische Gestaltung des Komponisten eine nahezu untrennbare Einheit, bei der, würde eines der Elemente verändert, das Kunstwerk als Ganzes zerstört werden würde. Der Komponist ist daher auch stets bemüht, sein Werk so genau wie möglich schriftlich festzuhalten, und seine Absichten durch Vortragsbezeichnungen, die im Laufe des 19. Jahrhundert immer differenzierter werden, zu verdeutlichen, um eine dem Original getreue Wiedergabe zu erreichen. Das Volkslied wird dagegen hauptsächlich mündlich überliefert[9]; dabei kommt es immer wieder zu improvisierenden Veränderungen, die sowohl den Text als auch die Melodie betreffen können.

 

Wenn es um die Frage des Verfassers geht, schließt sich auch gleich ein weiterer Punkt an, in dem sich das Volkslied vom Kunstlied unterscheidet. Ein Komponist legt natürlich Wert darauf, dass sein Werk mit ihm in Verbindung gebracht wird; so schließt sich der untrennbaren Einheit von Wort und Ton auch der Name des Komponisten und des Dichters an. Man spricht also z.B. von Hugo Wolfs Goethe-Liedern. Das Volkslied stellt sich diesen Individualliedern entgegen, indem es den Verfasser – außer bei ganz wenigen Ausnahmen — nicht beim Namen nennt, sondern immer in Verbindung mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder dem Landkreis erscheint, in dem es entstanden ist.

 

2.2       Das Wesen des Volksliedes – Volkslieder vor Herder


 

2.2.1    Volksliedtexte


 

Guido Waldmann beschreibt drei Stoffkreise, aus denen die Texte von Volksliedern entstanden sind. Den ersten bilden Texte aus der Kunstdichtung, den zweiten Themen aus der Antike, der deutschen Sage und dem deutschen Heldenlied, den dritten schließlich geschichtliche Ereignisse[10].

 

Geht nun ein Text aus der Kunstdichtung in den Volksmund über, kann man bestimmte Veränderungen im Wortlaut feststellen: Als Beispiel sei hier die Originalfassung des Gedichts „Ich hatt’ einen Kameraden“ von Ludwig Uhland mit einer Aufzeichnung, die den Text von einem Bauernmädchen frei vorgetragen wiedergibt, verglichen. Die zweite Strophe des Gedichts ist dafür hinreichend:[11]

 

 

Die Veränderungen – kursiv gekennzeichnet — fallen zwar nur geringfügig aus, bilden aber trotzdem ein häufig auftretendes Phänomen, wenn Lieder vom Volk aufgenommen werden, nämlich den „Hang zu Konkretisierung“[12]: „Eine Kugel“ wird zu „Die Kugel“ das neutral wirkende „es“ zu „sie“. Diese Konkretisierung geht teilweise auch so weit, dass Strophen, die nicht gefallen, weil sie zu abstrakt scheinen oder nicht der Erzählung dienen einfach weggelassen werden. In diesem Fall, also bei solch geringen Änderungen, ist es relativ leicht, die Urform des Textes festzulegen.

 

Veränderungen werden auch immer dann vorgenommen, wenn ein Lied im Laufe der Zeit nicht mehr verstanden wird, weil sich die Umwelt grundlegend geändert hat oder der Text einfach nicht von der Person, die ihn gehört hatte, verstanden wurde. Hier bringt Waldmann als Bespiel den Vers eines Liedes, der sich auf die Berliner Stadtteile bezieht, in der Fassung von einem russlanddeutschen Bauern, welcher aber Berlin nicht kannte[13]:

 

 

Wenn es um erkennbare Stoffe aus der antiken Sage und der deutschen Heldensage geht, ist es schon schwieriger zu sagen, woher ein Text ursprünglich stammt und ob zwei Textfassungen wirklich miteinander direkt „verwandt“ sind. Viel eher lässt sich eine indirekte Verwandtschaft vermuten, dergestalt, dass sowohl ein Dichter aus dieser Quelle schöpft und eine Ballade gestaltet, als auch die Quelle für viele Volkslieder gegeben ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Stoffkreis realer geschichtlicher Ereignisse.

 

Neben den oben genannten Veränderungen tauchen aber auch immer wieder die sog. „Stehenden Wendungen“ auf. Die bekannteste dürfte wohl der Beginn vieler Märchen „Es war einmal sein...“ Auch innerhalb von Liedern begegnet man diesen Wendungen. So wird oft vom „grünen Wald“ oder der „lieben Sonne“ gesungen, der Geliebte wird oft mit einem Falken verglichen. Es wurde also häufig mit Symbolen und Metaphern umgegangen, die als bekannt vorausgesetzt werden durften.[14]

 

2.2.2    Volksliedmelodien


 

Bei der Betrachtung der Melodie von Volksliedern treten Schwierigkeiten besonderer Art auf, da sie eigentlich durch mündliche Überlieferung Existenz gewinnen. Der Wissenschaft ist es aber nur möglich, auf schriftliche Quellen zurückzugreifen, denn Tonaufnahmen — eigentlich die einzige Möglichkeit, ein Volkslied authentisch aufzuzeichnen — gibt es schließlich erst seit Beginn des    20. Jahrhunderts. Bei der schriftlichen Aufzeichnung ohne Tonbandgerät, muss man sich aber für eine Variante der Wiedergabe des Vorsängers entscheiden; zu dem war es den meisten Volksliedsammlern nicht möglich, die melodischen Eigenheiten eines Volksliedes nach dem Gehör exakt festzuhalten. Es ist davon auszugehen, dass es sich um stilisierte Aufzeichnungen handelt. Diese Feststellung muss also bei der folgenden Untersuchung stets mit berücksichtigt werden.

 

Zu unterscheiden sind zwei Typen der Melodiegestaltung: Die Stufenmelodik und die Dreiklangsmelodik. Die Stufenmelodik geht aus den Gregorianischen Gesängen hervor, die Dreiklangsmelodik ging wohl vom instrumentalen Musizieren aus, da hier zu Anfang insbesondere bei Blasinstrumenten nur die ersten Töne der Naturtonreihe möglich waren. Die Dreiklangsmelodik im Gesang setzte sich aber in manchen sprachlichen Insel- oder Randgebieten nicht durch.[15]

 

Wesensmerkmal – ob nun Stufen- oder Dreiklangsmelodik – ist dabei die oben schon erwähnte Einfachheit[16] in der Melodie, welche sich auf die Elemente Intervallfortschreitung, Tonumfang, Phrasenbildung und Rhythmik bezieht. Diese Gestaltung ist bedingt durch die nicht ausgebildete Stimme von Volksliedsängern, die (ungeübt) physiologisch nicht in der Lage ist, weite Intervallsprünge oder schnelle Richtungswechsel auszuführen. Auch der Tonumfang ist daher auf knapp anderthalb Oktaven beschränkt. Das Volkslied vermeidet deshalb weite Sprünge oder schnelle Richtungswechsel und baut sich eher auf kleinen Intervallen auf. Da Volkslieder häufig auch in chorischen Gruppen gesungen werden, gleichen sich etwaige komplizierte Wendungen – aus Improvisationen Einzelner entstanden – einander an. Die nicht geschulte Atmung des Laiensängers zieht eine kurze, einfache Phrasenbildung nach sich. Der musikalische Rhythmus erwächst aus dem natürlichen Sprachrhythmus, der wiederum z.B. im deutschsprachigen Raum durchaus über punktierte Rhythmen, Synkopen oder Triolen verfügt, also nicht nur über glatte Viertel- oder Achtelschläge. Da andere Landkreise über andere Sprachen verfügen, unterscheiden sich also auch rhythmischen Gestalten der Volkslieder, die jede Nation für sich dennoch als einfach ansehen wird.

 

Ein weiteres volksliedtypisches Phänomen ist das Umsingen: Durch den mündlichen Vortrag erst lebendig und meist nicht durch schriftliche Quellen fixiert, kommt es bei einem Volkslied immer wieder zur Variantenbildung; nicht nur, wie oben schon erwähnt, auf textlicher Ebene, sondern auch auf musikalischer. Dabei können die Varianten zeitlich parallel auftreten, da sogar ein und derselbe Mensch beim Singen desselben Liedes dieses je nach persönlicher Verfassung improvisatorisch anders gestaltet. Das Lied kann sich aber auch im Laufe der Zeit verändern, indem sich die Melodie, inzwischen überliefert in einen anderen Landkreis, an die dort vorherrschenden Wendungen anpasst. Denn genau wie bei den Texten gibt es auch bei den Melodien landkreistypische Wendungen, die wiederum der Zeit und damit einem „Zeitstil“ unterworfen sind und sich damit ebenfalls...

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