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Die Internationale Politische Ökonomie des Risikos

Eine Analyse am Beispiel der Diskussion um die Reformierung der Finanzmärkte

AutorOliver Kessler
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783531909141
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis59,99 EUR
Der Wandel vom Positivismus zum Post-Positivismus führt zu einer Neuorientierung der Internationalen Politischen Ökonomie dahingehend, dass die bisher konstitutive Unterscheidung von Staat und Markt aufgegeben wird und Politische Ökonomie nun als besondere Kritikform verstanden wird. Oliver Kessler nimmt die Asienkrise als Ausgangspunkt, um die Frage nach den Konturen einer konstruktivistischen IPÖ zu verfolgen und argumentiert, dass das politische Moment der Währungskrisen nicht im Handeln der Staaten, sondern in der Performativität der Risikomodelle zu verorten ist.


Oliver Kessler ist wissenschaftlicher Angesteller an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.

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Leseprobe
1 Zu einer Politik der Weltgesellschaft (S. 23)

1.1 Einleitung

In den Theorien der internationalen Beziehungen dient die Annahme der Anarchie als strukturprägendes Merkmal internationaler Prozesse nie allein der Beschreibung empirischer Tatsachen. Vielmehr kann mir ihr auf besondere Naturgesetze internationaler Prozesse plädiert und damit schließlich auch auf die Eigenständigkeit der Disziplin hingewiesen werden. Doch in dem Maße, in dem die intersubjektive Dimension von Regeln internationaler Beziehungen theoretisch ernst genommen wird, verliert die Annahme einer anarchischen Struktur internationaler Politik an Erklärungskraft.

Wenn schon der Gebrauch einer gemeinsamen Sprache regelbasiert ist, wird die Annahme einer ‚regelfreien’ Zone logisch paradox, da die Bedeutung von ‚regelfrei’ selbst schon auf gemeinsamen Regeln aufbaut. In der Konsequenz befinden sich die Selbstbeschreibung und die Selbstdefinition des Fachs in einem Umbruch, der sich anhand einer thematischen und einer semantischen Grenzverschiebung nachzeichnen lässt. Während mit der Anarchie der souveräne Staat als Akteur einfach vorausgesetzt wurde, wird dessen natürliche Akteursqualität zunehmend hinterfragt. Damit öffnet man den thematischen Blick auf Fragen der Transformation von Staatlichkeit und Governance als Regierungsformen jenseits des Nationalstaates.

Freilich gibt es Versuche, quasi als Paradoxielösung, hier der Globalisierung durch eine Gegenüberstellung von Staat und Markt genau die gleiche anarchische Qualität zuzuschreiben und damit das Modell des Selbsthilfesystems einfach auf die polit-ökonomische Dimension auszuweiten. Setzt man jedoch die Akteursqualität der Staaten nicht einfach voraus, sondern rekonstruiert sie als Resultat sozialer Prozesse, zeichnet sich auch eine gesellschaftstheoretische Öffnung IB-Theorien ab, die es erlaubt, die internationale Sphäre jenseits der klassischen Unterscheidung von innen und außen beschreiben zu können.

Das hier einsetzende Interesse an soziologischen Ansätzen steht jedoch vor einem analogen Problem: eine einfache Übersetzung soziologischer Überlegungen ist nicht möglich, da die soziologischen Grundbegriffe selbst vor dem Erfahrungshintergrund des Nationalstaates entstanden sind und sich daher als unfähig erweisen, zwischengesellschaftliche Prozesse auf den Begriff zu bringen. Gefangen zwischen national bestimmten sozialen Kategorien und einer von Anarchie geprägten Theorie des Internationalen fehlt eine Sozialtheorie des Internationalen noch heute.

Genau aus diesem Grund drängt sich die Frage auf, wie politische Prozesse in der postnationalen Konstellation zu beobachten sind und wie die Konturen einer zu diesem Zweck formulierten Sozialtheorie aussehen könnten. Für die Bestimmung dieser Grenzen und Möglichkeiten bietet sich eine begriffsorientierte Analyse von Intersubjektivität an, die sich anhand zweier Fragen formulieren und verfolgen lässt.

Um die theoretische Perspektive zu schärfen stellt sich zuerst die Frage, wie innerhalb der IB-Theorien der Begriff der Intersubjektivität konzipiert wird. Zum anderen muss aber gleichzeitig die Frage im Blick behalten werden, inwieweit sich durch die Einbeziehung gesellschaftstheoretischer Kategorien das Verständnis politischer Prozesse grundlegend verändert. Damit zeigt sich dann auch, ob und wie ein soziologisch orientierter Konstruktivismus eine genuin neue Analyse politischer Prozesse erlaubt, oder ob nicht doch nur der alte, realistische Wein mit einem neuen Etikett versehen wurde.

Dieser Frage werde ich anhand einer Diskussion der Systemtheorie Luhmanns nachgehen. Niklas Luhmanns Systemtheorie ist in ihrer Selbstbeschreibung eine auf dem radikalen Konstruktivismus aufbauende Gesellschaftstheorie, welche die Herausforderungen selbstreferenzieller Theorien durch eine Reformulierung der Systemtheorie aufnimmt. Sie bietet daher eine plausible und begriffliche hoch entwickelte Alternative, um über eine soziologisch informierte Theorie des Internationalen nachzudenken.

Es zeigt sich, dass die Systemtheorie über ihre Unterscheidung von System/Umwelt eine echte Alternative zu den klassischen Quellen konstruktivistischer Überlegungen darstellt. Mit dieser Unterscheidung gelingt es ihr, aus der Semantik von Teil und Ganzem auszubrechen und damit neue Perspektiven auf intersubjektive Prozesse anzubieten.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort7
Inhalt9
Einleitung11
1 Zu einer Politik der Weltgesellschaft23
1.1 Einleitung23
1.2 Die gesellschaftstheoretische Öffnung der Internationalen Beziehungen25
1.3 Sinn, Selbstreferenz und sozialer Wandel34
1.4 Die Politik der Weltgesellschaft37
1.5 Die Politik der Argumentation44
1.6 Zusammenfassung48
2 Währungskrisen und das Problem der Selbstreferenz51
2.1 Einleitung: Die Frage nach der Systemstabilität51
2.2 Währungskrisen als Phänomen53
2.3 Ausbreitung64
2.4 Zusammenfassung76
3 Über Wahrscheinlichkeit – eine Topologie79
3.1 Einleitung79
3.2 Objektiv aleatorische Wahrscheinlichkeiten: relative Häufigkeiten81
3.3 Subjektiv aleatorische Wahrscheinlichkeiten:83
3.4 Objektiv epistemologische Wahrscheinlichkeiten: John M. Keynes86
3.5 Subjektiv epistemische Wahrscheinlichkeit: soziale Wahrscheinlichkeit93
3.6 Zusammenfassung98
4 Risiko als Ungewissheit101
4.1 Einleitung101
4.2 Die objektive Erwartungsnutzenhypothese104
4.3 Kritik und Alternativen108
4.4 Subjektive Wahrscheinlichkeitstheorie119
4.5 Zusammenfassung134
5 Risiko vs. Unsicherheit137
5.1 Einleitung137
5.2 Objektiv-epistemische Wahrscheinlichkeit: John M. Keynes138
5.3 Subjektiv-epistemologische Wahrscheinlichkeit: F. August von Hayek145
5.4 Schlussbetrachtung158
6 Unsicherheit, Rationalität, Institutionen161
6.1 Möglicher Einwand: Spiele unvollkommener Information161
6.2 Wissen, Rationalität und Institution165
6.3 Die Struktur ökonomischer Argumentation171
6.4 Die Politik ökonomischer Argumentation: Die Kritik von Stiglitz176
7 Selbstreferenz und Finanzmarktstabilität181
7.1 Einleitung181
7.2 Beobachtung unter Ungewissheit182
7.3 Beobachtung unter Unsicherheit205
7.4 Schlussfolgerung: Die Grenzen der Transparenz220
8 Fazit223
9 Bibliografie225

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